Entscheidungsstichwort (Thema)

Grunderwerbsteuer/Kfz-Steuer/sonstige Verkehrsteuern Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Nachforderungen von Gesellschaftsteuer sind bis zum Ablauf der Verjährungsfrist zulässig.

Dies gilt jedoch nicht, wenn über denselben Tatbestand bereits eine rechtskräftige Rechtsmittelentscheidung vorliegt.

 

Normenkette

KVStG § 2/1; AO §§ 212, 223

 

Tatbestand

Die beschwerdeführende GmbH ist im Jahre 1949 mit einem Stammkapital von 100.000 DM gegründet worden. Gegenstand des Unternehmens ist der ausschließliche An- und Verkauf der Erzeugnisse einer Personengesellschaft; die Gesellschafter der Personengesellschaft sind mit den Gesellschaftern der GmbH personengleich, der geschäftsführende Gesellschafter der Personengesellschaft ist alleiniger Geschäftsführer der GmbH.

Das Finanzamt hat durch Gesellschaftsteuerbescheid vom 20. Januar 1950 die Gesellschaftsteuer für den Erwerb der Gesellschaftsrechte von der Bareinlage von 100.000 DM zuzüglich des bis zur Eintragung im Handelsregister erzielten Gewinnes festgesetzt. Durch rechtskräftiges Urteil des Finanzgerichts vom 3. August 1950 wurde die Hinzurechnung des Gewinns der "Vorgesellschaft" abgelehnt und die Steuer nach dem bar eingezahlten Betrag berechnet. Mit Bescheid vom 25. Oktober 1952 hat das Finanzamt unter Berufung auf das Urteil des Bundesfinanzhofs II 105/51 U vom 26. März 1952 (Slg. Bd. 56 S. 356, Bundessteuerblatt - BStBl. - 1952 III S. 139) für das Einbringen der immateriellen Güter, deren Wert es schätzte, Gesellschaftsteuer nachgefordert.

Die Beschwerdeführerin (Bfin.) hält die Nachforderung mit Rücksicht auf § 222 der Reichsabgabenordnung (AO) und auf das rechtskräftige Urteil des Finanzgerichts vom 3. August 1950 für unzulässig. Sie wendet sich gegen die Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI a 96/39 vom 20. Januar 1940 (Reichssteuerblatt - RStBl. - 1940 S. 190) und gegen das der Bfin. vom Finanzamt bekanntgegebene und in der Einspruchsentscheidung angeführte - nicht veröffentlichte - Urteil des Bundesfinanzhofs II 80/50 vom 6. Dezember 1950, nach denen Gesellschaftsteuerbescheide keine "im Gesetz selbst vorgesehenen" schriftlichen Bescheide sind und daher ohne die Einschränkungen des § 222 AO geändert werden können. Unter einem Gesetz i. S. der AO sei nach § 2 AO jede Rechtsnorm zu verstehen, also auch § 6 der Durchführungsbestimmungen zum Kapitalverkehrsteuergesetz vom 17. Dezember 1934 - KapVStDB - (RStBl. 1934 S. 1593), der die Erteilung eines schriftlichen Bescheides vorsehe. § 6 Abs. 2 Satz 1 KapVStDB, wonach die Steuerfestsetzung als Steuerbescheid i. S. des § 212 AO gelte, hindere die Anwendung des § 222 AO nicht; bei dieser Vorschrift komme es nur darauf an, ob das Finanzamt einen schriftlichen Bescheid "nach Prüfung des Sachverhalts" erteilt habe und ob dieser Bescheid "im Gesetz selber" vorgesehen sei. Die Einreihung der Gesellschaftsteuerbescheide unter die zweitrangigen Bescheide (formlosen Bescheide i. S. des § 212 AO im Gegensatz zu den förmlichen Bescheiden i. S. des § 211 AO) sei sachlich verfehlt, da die Erfordernisse eines Gesellschaftsteuerbescheids nach § 6 KapVStDB fast völlig mit den Erfordernissen eines förmlichen Bescheids nach § 211 AO übereinstimmten. Der angefochtene Bescheid stelle sachlich eine Berichtigung des früheren, vom Finanzgericht abgeänderten Bescheids dar. Zu dieser Berichtigung wäre das Finanzamt gemäß § 222 AO nur auf Grund ihm nachträglich bekanntgewordener neuer Tatsachen berechtigt gewesen; von dem Vorhandensein des behaupteten Goodwill habe das Finanzamt aber bereits bei Erteilung des ersten Bescheids Kenntnis gehabt. Der Berichtigungsbescheid beruhe ausschließlich auf zwischenzeitlich geänderter Rechtsauffassung, nämlich auf dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 26. März 1952. Dem Bescheid stehe das rechtskräftige Urteil des Finanzgerichts vom 3. August 1950 entgegen. Vom Finanzamt könne die Sache weder nach § 222 AO noch nach § 223 AO aufgerollt werden. Die Nachforderung nach § 223 AO sei durch § 94 Abs. 4 Satz 2 AO eingeschränkt. Es handle sich um den gleichen Steuerfall wie in dem früheren Berufungsverfahren.

Die Berufung blieb erfolglos. Das Finanzgericht hat ausgeführt, nach der besonderen Vorschrift des § 6 Abs. 2 Satz 1 KapVStDB sei die Festsetzungsverfügung des Finanzamts (Gesellschaftsteuerbescheid) ein Steuerbescheid i. S. des § 212 und kein förmlicher Steuerbescheid nach §§ 210 b, 211 AO. Der Vertrauensschutz des § 222 Abs. 1 AO sei daher für Gesellschaftsteuerbescheide ausgeschlossen. Das Urteil des Finanzgerichts vom 3. August 1950 stehe Nachforderungen nicht entgegen. Durch § 94 Abs. 4 Satz 2 AO seien die Rechtsmittelbehörden an einer änderung ihrer Entscheidung gehindert, das Finanzamt aber könne nach den allgemeinen Vorschriften über die änderung verfahren (Hinweis auf Riewald, AO Anm. 5 zu § 222, Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 687/30 vom 20. Mai 1931, Slg. Bd. 29 S. 61). Das Finanzamt dürfe allerdings bei der Nachforderung von der rechtlichen Beurteilung der Rechtsmittelentscheidungen nicht abweichen. Die auf die Einbringung eines Goodwill gestützte Nachforderung werde durch die rechtliche Beurteilung in der Entscheidung des Finanzgerichts vom 3. August 1950 nicht berührt. Die Frage der Einbringung eines Goodwill sei von keinem der Beteiligten aufgeworfen, so daß das Gericht keine Veranlassung gehabt habe, sich mit der Frage zu befassen. Streitig sei nicht der Steuertatbestand, der Erwerb von Gesellschaftsrechten, gewesen, sondern der Steuermaßstab, die einzelne Gegenleistung. Tatsächlich sei Gegenstand der Rechtsfindung nur der Tatbestand gewesen, daß bei Entstehung der Kapitalgesellschaft bereits ein Gewinn erzielt war. Das Gericht habe keinerlei Erwägungen angestellt, ob sich der Steueranspruch auf die Einbringung immaterieller Werte gründen lasse.

Die Einwendungen der Bfin. gegen die Annahme der Einbringung eines Goodwill und dessen Bewertung seien unbegründet.

Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) werden im wesentlichen die früheren Einwendungen wiederholt.

 

Entscheidungsgründe

Die Prüfung der Rb. ergibt folgendes:

Dem Finanzgericht wird darin beigepflichtet, daß Verfügungen über die Festsetzung von Gesellschaftsteuer (Gesellschaftsteuerbescheide) infolge der ausdrücklichen Bestimmung des § 6 Abs. 2 Satz 1 KapVStDB als Steuerbescheide im Sinne des § 212 AO anzusehen sind. Sie genießen somit als solche nicht den Vertrauensschutz des § 222 AO; Nachforderungen von Gesellschaftsteuer sind infolgedessen gemäß § 223 AO grundsätzlich bis zum Ablauf der Verjährungsfrist zulässig (so die ständige Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs, z. B. Urteile II A 329/25 vom 10. Juli 1925, RStBl. S. 154; II A 88/31 vom 21. April 1931, RStBl. S. 398; II A 325/36 vom 2. April 1937, RStBl. 1938 S. 33; VI a 96/39 vom 20. Januar 1940, Slg. Bd. 48 S. 103 = RStBl. 1940 S. 190; - in übereinstimmung damit steht auch die herrschende Meinung im Schrifttum -).

Die Bestimmung des § 6 Abs. 2 Satz 1 KapVStDB war bereits in den früheren Durchführungsbestimmungen enthalten (ß 22 Abs. 1 der Ausführungsbestimmungen zum Kapitalverkehrsteuergesetz vom 27. November 1922 - Zentralblatt für das Deutsche Reich S. 1043 -; § 8 Abs. 1 der Ausführungs- und Durchführungsbestimmungen zum Kapitalverkehrsteuergesetz vom 22. Juli 1927 - Reichsministerialblatt S. 233 -). Der dort in Klammer beigefügte § 220 Abs. 1 AO 1919 ist gleich dem § 212 AO 1931. In § 229 der Ausführungsbestimmungen zum Kapitalverkehrsteuergesetz 1922 war außerdem vorgesehen, daß die Vorschriften der AO über die Erteilung förmlicher Steuerbescheide (Veranlagungsbescheide) auf die in den Ausführungsbestimmungen bezeichneten Steuerfestsetzungen keine Anwendung finden und daß Steuernachforderungen bis zum Ablauf der Verjährungsfrist jederzeit zulässig sind. Diese Vorschriften wurden offenbar deshalb in die Durchführungsbestimmungen von 1927 - und von 1934 - nicht übernommen, weil der Verordnungsgeber davon ausgegangen ist, durch den Klammer-Zusatz (ß 220 Abs. 1 AO) ausreichend deutlich kundgetan zu haben, daß die Festsetzungsverfügung ein sogenannter formloser Steuerbescheid ist, bei dem gemäß § 223 AO Nachforderungen grundsätzlich unbeschränkt zulässig sind. Im übrigen war § 229 KapVStDB 1922 eine reine Auslegungsbestimmung; an dieser Auslegung hat sich nach Ansicht des Senats durch das Weglassen der Bestimmung in den nachfolgenden Ausführungsverordnungen nichts geändert. Es lag im Rahmen der Befugnis zum Erlaß von Ausführungs- und Durchführungsbestimmungen begründet (ß 12 AO früherer Fassung), vorzuschreiben, welche Rechtsstellung den Festsetzungsverfügungen des Finanzamts zukommt.

Zu Unrecht nimmt die Bfin. die Autorität "des Schöpfers der AO, Enno Becker" für ihre Auffassung in Anspruch. In der von der Bfin. angezogenen 5. Auflage des Kommentars zur Reichsabgabenordnung ist zwar in Anm. 9 zu § 212 die von der Bfin. zitierte Stelle enthalten, daß es für die Annahme eines förmlichen Steuerbescheids i. S. des § 212 Abs. 2 (AO 1919 = § 222 Abs. 1 AO 1931) gleich sei, ob der schriftliche Bescheid im Gesetz selber oder in einer auf Grund gesetzlicher Ermächtigung (Durchführungsbestimmungen) hierzu ermächtigenden Rechtsverordnung (ß 2 AO) vorgesehen ist. Die Bfin. hat aber unterlassen, den nachfolgenden Satz anzuführen: "Abs. 2 (ß 222 Abs. 1 AO 1931) ist für unanwendbar erklärt, eine Nachforderung also unbeschränkt zugelassen bei der Gesellschaftsteuer, Steuer und Wirtschaft III Nr. 474, und der Börsenumsatzsteuer, Steuer und Wirtschaft IV Nr. 642 = Slg. Bd. 17 S. 254". Dieselben Ausführungen sind in der 7. Auflage Anm. 9 zu § 212 enthalten. Die Auffassung des Senats stimmt somit mit der von Becker überein.

Auch wenn ein Rechtsmittelverfahren vorausgegangen und eine rechtskräftige Entscheidung ergangen ist, ist eine Nachforderung an sich nicht ausgeschlossen, vgl. Urteile des Reichsfinanzhofs VI A 687/30 vom 20. Mai 1931 (Slg. Bd. 29 S. 61) sowie II A 325/36 vom 2. April 1937 (RStBl. 1938 S. 33). Es gilt aber eine Einschränkung.

Es darf sich nämlich bei der Nachforderung nicht um denselben Sachverhalt handeln, über den bereits eine Rechtsmittelentscheidung ergangen ist. Es trifft zwar zu, daß eine Rechtsmittelentscheidung schlechthin lediglich die Finanzgerichte bindet sowie daß die Finanzverwaltungsbehörde grundsätzlich nur hinsichtlich der Rechtsbeurteilung gebunden ist. Auch ist, wenn dem Finanzamt neue Tatsachen und Beweismittel bekannt werden, die Zulässigkeit der Nachforderung selbstverständlich gegeben. Wenn aber das Finanzamt von den Tatsachen, die Veranlassung für die Nachforderung sind, bereits vor Rechtskraft des ersten Steuerbescheids Kenntnis gehabt hat und sie in dem Rechtsmittelverfahren über den ersten Steuerbescheid nicht geltend gemacht hat, obgleich es sie hätte geltend machen können, so ist die Wiederaufrollung unzulässig. Die Nichtzulassung in diesem Falle beruht auf dem allgemein für das Rechtsmittelverfahren geltenden Grundsatz des "ne bis in idem" (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs II A 66/27 vom 25. März 1927, Slg. Bd. 21 S. 85, 88). Hier ist durch die erste Rechtsmittelentscheidung der Steuertatbestand in dem ganzen Umfang, wie ihn das Finanzamt kannte, konsumiert (vgl. Urteile des Reichsfinanzhofs V A 1040/29 vom 28. März 1930, Slg. Bd. 26 S. 277; VI A 687/30 vom 20. Mai 1931, Slg. Bd. 29 S. 61 sowie II A 108/32 vom 23. Februar 1933, RStBl. 1933 S. 255).

Im Streitfalle hat das Finanzamt in der Einspruchsentscheidung "unumwunden zugegeben, daß das Vorhandensein des Goodwill bereits vor Erlaß des Steuerbescheids vom 20. Januar 1950, der durch Urteil des Finanzgerichts vom 3. August 1950 abgeändert wurde, amtsbekannt war". Es handelt sich also tatsächlich um einen und denselben Tatbestand; über ihn durfte das Finanzamt wegen der vorausgegangenen Rechtsmittelentscheidung keinen Steuerbescheid mehr erlassen.

Dabei ist es - entgegen der Auffassung der Vorinstanz - unerheblich, daß sich das rechtskräftige Urteil des Finanzgerichts vom 3. August 1950 in den Gründen nicht mit der Frage der Einbringung der immateriellen Werte befaßt hat. Entscheidend ist vielmehr, daß das Finanzgericht in dem Urteil vom 3. August 1950 auf Grund des damals bekannten und nicht veränderten Sachverhalts rechtskräftig eine Bargründung angenommen und entschieden hat, daß die Gesellschaftsteuer lediglich vom Geldbetrag der Gegenleistung zu erheben ist; diese rechtskräftige Entscheidung und die in ihr enthaltene rechtliche Beurteilung bindet im Streitfall das Finanzamt ohne Rücksicht darauf, ob sie rechtsirrig war oder nicht.

Da somit die Nachforderung im vorliegenden Falle unzulässig war, ist die Vorentscheidung mit dem Einspruchsbescheid und Steuerbescheid ersatzlos aufzuheben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408186

BStBl III 1955, 208

BFHE 1956, 27

BFHE 61, 27

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