Entscheidungsstichwort (Thema)

Fortbildungsveranstaltung für Radiologen in Davos

 

Leitsatz (NV)

1. Findet eine berufliche Fortbildungsveranstaltung für Radiologen an einem beliebten Ferienort (Davos) während der üblichen Urlaubszeit statt und sieht das Tagungsprogramm eine vierstündige Mittagspause vor, gehören die Aufwendungen für Hin- und Rückfahrt zum Veranstaltungsort sowie der Aufenthalt zu den nicht abzugsfähigen Lebenshaltungskosten.

2. Zur Frage, wann die Teilnahme unmittelbar beruflich veranlaßt sein kann.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 4, § 12 Nr. 1; FGO § 76 Abs. 1 S. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist als Radiologe an einer Gemeinschaftspraxis beteiligt. Er nahm in den Streitjahren (1987 bis 1989) jeweils an einem Diagnostikkurs in Davos teil. Die Kurse fanden in der Zeit vom ... März bis zum ... April 1987, vom ... März bis zum ... März 1988 und vom ... April bis zum ... April 1989 statt. Von Sonntagmorgen bis Freitagabend wurden insgesamt 45 Stunden Unterrichtung durch internationale Instruktoren, Seminare und Vorträge angeboten. Im Rahmen einer Betriebsprüfung stellte der Prüfer u. a. fest, daß in den Jahren 1987 und 1988 jeweils eine Mittagspause von 12.00 Uhr bis 16.00 Uhr vorgesehen war. Die Teilnahme des Klägers an den Veranstaltungen ist durch entsprechende Testate bestätigt, nach Ansicht des Prüfers sind die Stempel jedoch nicht jeweils nach der Veranstaltung, sondern in einem Zuge angebracht worden, auch fehle das vorgesehene Lichtbild des Klägers.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) ließ lediglich noch die Teilnehmergebühren des Klägers als Sonderbetriebsausgaben zu und änderte die einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellungen 1987 bis 1989 entsprechend.

Der Kläger machte mit dem Einspruch geltend, bei den besuchten Kongressen handle es sich um eine beruflich erforderliche, intensive Fortbildungsveranstaltung. Im Inland werde keine vergleichbare Fortbildung angeboten. Ort und Zeit seien vom Veranstalter gewählt worden, um international anerkannte Dozenten zu gewinnen. Eine Mittagspause von 4 Stunden sei bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 45 Stunden kein Indiz für eine private Mitveranlassung. Eine Erholungspause müsse bei beruflich bedingten Reisen zugestanden werden. Der Einspruch hatte nur hinsichtlich des Jahres 1989 Erfolg. Das FA führte zu den Streitjahren (1987 und 1988) u. a. aus, der Besuch der Tagungen in den Jahren 1987 und 1988 habe dem Kläger ausreichend Gelegenheit zum Wintersport gegeben. Der Beweiswert der Testate müsse angezweifelt werden, zumal das auf dem Testatblatt vorgesehene Foto fehle.

Mit der Klage verfolgte der Kläger sein Begehren weiter. Er machte u. a. geltend, außer den besuchten Veranstaltungen gebe es nur noch eine vergleichbare mit entsprechendem internationalem Rang. Eine solche Tagung mit 700 bis 800 Teilnehmern könne nur an entsprechenden Orten mit entsprechender Infrastruktur durchgeführt werden. Die Mittagspause sei erforderlich, um eine konzentrierte Mitarbeit und Diskussionsbereitschaft der Teilnehmer zu gewährleisten. Sie habe nicht -- wie vom FA angenommen -- 4 Stunden betragen. Der Sachverhalt sei nicht mit dem Fall vergleichbar, über den der erkennende Senat durch Beschluß vom 5. September 1990 IV B 169/89 (BFHE 161, 547, BStBl II 1990, 1059) entschieden habe. Wegen einer Achillessehnenverletzung habe er nicht Ski fahren können, sondern die Mittagspause zum Studium der neu erschienenen, sehr teuren Fach literatur genutzt. Vor Erteilung der Testate habe eine Identitätskontrolle stattgefunden.

Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) begründete seine Entscheidung im wesentlichen damit, der Kläger habe die Kongresse so gut wie ausschließlich aus beruf lichen Gründen besucht; die private Lebensführung falle nicht ins Gewicht. Die im Tagungsprogramm vorgesehene vierstündige Mittagspause sei zwar nach dem Beschluß des Bundesfinanzhofs (BFH) in BFHE 161, 547, BStBl II 1990, 1059 ein gewichtiges Indiz für eine private Mitveranlassung, aber der Kläger sei als Fachberater des Präsidenten der ... -Ärztekammer und als Vorstandsmitglied des Bereiches ... bei der kassenärztlichen Vereinigung zur aktiven Teilnahme an den Kongressen gezwungen gewesen. Das zeige sich auch daran, daß er auch in den Folgejahren den Kongreß besucht habe, in denen nur noch eine zweistündige Mittagspause vorgesehen gewesen sei. Hinzu komme, daß der Kläger wegen seiner Achillessehnenverletzung Wintersportaktivitäten nicht habe entfalten können. Unter diesen Umständen seien auch die Mängel der Testate (kein Lichtbild etc.) unerheblich.

Mit der vom FG -- wegen grundsätzlicher Bedeutung -- zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung von Bundesrecht.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet; das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Klage abgewiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, daß die geltend gemachten Aufwendungen so gut wie ausschließlich beruflich veranlaßt gewesen seien und die private Lebensführung nicht ins Gewicht falle. Durch die im Tagungsprogramm vorgesehene vierstündige Mittagspause wurde nämlich den Teilnehmern der Tagung gezielt auch die Möglichkeit geboten, den Aufenthalt für den Wintersport und zur Erholung zu nutzen.

1. Die Abziehbarkeit von Aufwendungen als Betriebsausgaben setzt voraus, daß sie durch den Betrieb veranlaßt sind (§ 4 Abs. 4 EStG). Sie sind nicht abziehbar, wenn die aus betrieblichen Gründen erwachsenen Kosten zugleich Aufwendungen für die Lebensführung des Steuerpflichtigen darstellen. Diese sog. gemischten Aufwendungen sind nach § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG vom Abzug ausgeschlossen. Sie werden vom Gesetz den typischen, nicht abzugsfähigen Kosten der Lebenshaltung (§ 12 Nr. 1 Satz 1 EStG) gleichgestellt; das ergibt sich auch aus dem vom FG erwähnten Beschluß des Großen Senats des BFH vom 19. Oktober 1970 GrS 2/70 (BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 17).

2. Nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH-Beschluß vom 27. November 1978 GrS 8/77, BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213; siehe weiter z. B. Senatsurteile vom 12. April 1979 IV R 106/77, BFHE 127, 533, BStBl II 1979, 513; vom 16. Oktober 1986 IV R 138/83, BFHE 148, 262, BStBl II 1987, 208, sowie vom 2. März 1995 IV R 59/94, BFH/NV 1995, 959 und IV R 54/94, BFH/NV 1995, 1052) sind Reisen, denen offensichtlich ein unmittelbarer betrieblicher (beruflicher) Anlaß zugrunde liegt (wie z. B. das Aufsuchen eines Geschäftsfreundes, das Halten eines Fachvortrages auf einem Fachkongreß oder die Durchführung eines Forschungsauftrages) von Auslandsreisen zu unterscheiden, denen ein solch konkreter Bezug zur betrieblichen (beruflichen) Tätigkeit fehlt und bei denen häufig auch private Interessen eine Rolle spielen. Letzteres trifft insbesondere bei sog. Kongreßreisen und Reisen zu Informationszwecken sowie zu Sprachkursen im Ausland zu (Senatsurteil vom 14. Juli 1988 IV R 57/87, BFHE 154, 312, BStBl II 1989, 19, sowie BFH-Urteile vom 22. Juli 1993 VI R 103/92, BFHE 171, 552, BStBl II 1993, 787, und vom 21. August 1995 VI R 47/95, BFHE 179, 37, BStBl II 1996, 10). Bei solchen Auslandsaufenthalten müssen die Beurteilungsmerkmale, die jeweils für eine private oder betriebliche (berufliche) Veranlassung der Reise sprechen, gegeneinander abgewogen werden (Beschluß des Großen Senats des BFH in BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213). Es kann dann z. B. auf die Art der dargebotenen Information, den Teilnehmerkreis, die Reiseroute und den Charakter der aufgesuchten Orte als beliebte Ziele des Tourismus, die fachliche Organisation, die Gestaltung der Wochenenden und Feiertage sowie die Art des benutzten Beförderungsmittels ankommen (Senatsurteil in BFHE 154, 312, BStBl II 1989, 19; vgl. weiter BFH-Urteil vom 30. April 1993 VI R 94/90, BFHE 171, 242, BStBl II 1993, 674). Daher hat der erkennende Senat in seinem Urteil in BFH/NV 1995, 959 (vgl. auch Senatsbeschluß in BFHE 161, 547, BStBl II 1990, 1059) die Aufwendungen eines Rechtsanwaltes für die Teilnahme an einer Fortbildungsveranstaltung in einem beliebten Ferienort (Sils Maria) -- abgesehen von den Seminargebühren -- nicht als Betriebsausgaben berücksichtigt, weil die Fortbildung in der üblichen Urlaubszeit stattfand und das Nachmittagsprogramm den Teilnehmern einen erheblichen Spielraum zur Entfaltung typischer Urlaubsaktivitäten ließ.

3. Im Streitfall hat das FG den Besuch der Tagungen in Davos während der normalen Skisaison trotz der im Tagungsprogramm vorgesehenen vierstündigen Mittagspause deshalb als so gut wie ausschließlich beruflich veranlaßt angesehen, weil der Kläger als Fachberater des Präsidenten der ... -Ärztekammer und als Vorstandsmitglied des Fachbereichs ... zur aktiven Teilnahme an einer solch hochkarätigen Fachtagung quasi gezwungen sei. Dem vermag sich der erkennende Senat nicht anzuschließen. Ein unmittelbarer beruflicher Anlaß mit der Folge, daß die Nutzung von Zwischenzeiten für private Unternehmungen unschädlich wäre (vgl. BFH-Urteil vom 13. Dezember 1984 VIII R 296/81, BFHE 143, 53, BStBl II 1985, 325, siehe auch Senatsurteil in BFHE 127, 533, BStBl II 1979, 513, und BFH-Urteil vom 25. März 1993 VI R 14/90, BFHE 171, 206, BStBl II 1993, 559) ist darin nicht zu sehen. Entgegen der Ansicht des Klägers ist der Streitfall auch nicht mit dem Fall des Verbandsfunktionärs vergleichbar, in dem der BFH im Urteil in BFHE 143, 53, BStBl II 1985, 325, eine unmittelbare betriebliche Veranlassung angenommen hat. Grund dafür war, daß dieser als Funktionär durch eigene Beiträge aktiv an dem besuchten Kongreß teilgenommen hatte. Er hatte eine Ausschußsitzung selbst geleitet, mußte diese vorbereiten und darüber vor dem Kongreß berichten. Dagegen hat der Kläger bei den Tagungen in den beiden Streitjahren weder einen Fachvortrag gehalten noch angegeben, daß er den Kongreß in anderer Form aktiv mitgestaltet habe. Zwar liegt es auf der Hand, daß ein Fachverband an einem internationalen Kongreß zu dem von ihm betreuten Fachgebiet durch geeignete Funktionäre oder Mitglieder vertreten ist und sich durch diese über die neuesten Erkenntnisse sachkundig machen läßt. Doch hat der Kläger nicht einmal selbst behauptet, für den Fachverband Erkenntnisse gesammelt und weitervermittelt zu haben. Seine Teilnahme beschränkte sich auch nach seinen eigenen Angaben auf den Besuch der angebotenen Veranstaltungen sowie das Studium der ausliegenden Fach literatur. Darin, daß er die erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten tatsächlich in der unterhaltenen Gemeinschaftspraxis verwendet hat, unterscheidet er sich jedoch nicht von den anderen Teilnehmern.

4. Im Streitfall sind daher die Grundsätze für Kongreßreisen anzuwenden, die auch dem Senatsbeschluß in BFHE 161, 547, BStBl II 1990, 1059 (vgl. auch Senatsurteil in BFH/NV 1995, 959) zu einer Fortbildungsveranstaltung im Februar 1986 in Davos sowie den Senatsurteilen zu den mit einer Schiffsreise verbundenen Fortbildungsveranstaltungen (Urteile in BFHE 154, 312, BStBl II 1989, 19, und in BFH/NV 1995, 1052) zugrunde liegen.

a) Erfahrungsgemäß dient der Aufenthalt in einem berühmten Wintersportort zur üblichen Ferienzeit (auch) der Befriedigung privater Interessen. Davon ist auch im Streitfall auszugehen. Den Teilnehmern stand nach den Feststellungen des FG nach dem Tagungsprogramm eine ausgedehnte Mittagspause von 12.00 Uhr bis 16.00 Uhr zu. Das ist ein nicht unerhebliches Indiz dafür, daß die Tagung den Teilnehmern gezielt die Möglichkeit bieten sollte, zur besten Jahres- und Tageszeit das Angebot dieses berühmten Wintersportorts zu nutzen. Ob der Kläger aufgrund einer Achillessehnenverletzung tatsächlich außerstande war, Ski zu fahren oder von den sonst in Davos an gebotenen Wintersportmöglichkeiten Gebrauch zu machen, ist unerheblich. Jedenfalls stand ihm die Zeit der Mittagspause zur freien Verfügung. Erfahrungsgemäß besuchen viele Winterurlauber Davos zu dieser Jahreszeit nicht etwa um Sport zu treiben, sondern um sich in der frischen Luft zu erholen oder die sonst angebotenen Freizeitangebote zu nutzen.

b) Der mit dem Kongreßbesuch einher gehende touristische Erlebnis- und Erholungswert war im Streitfall auch nicht etwa deshalb unerheblich, weil nach den Feststellungen des FG bei beiden Veranstaltungen in der Zeit von Sonntagmorgen bis Freitagabend jeweils 45 Stunden auf die durchgeführten Fortbildungsveranstaltungen entfielen. Maßgeblich ist, daß der Veranstalter die Tagung bewußt so gestaltet hatte, daß die Teilnehmer Freizeit und Beruf miteinander verbinden konnten.

Der Erfahrungssatz, daß ein solcher Aufenthalt zumindest nicht unwesentlich auch privat mitveranlaßt worden sei, konnte auch nicht durch den bloßen Vortrag des Klägers widerlegt werden, die Mittagspause mit dem Studium von Fachliteratur verbracht zu haben. Er hat seine Angaben auch nicht weiter substantiiert. Unter diesen Umständen liegt es auf der Hand, daß dem Kläger gleichwohl genügend Zeit zur Erholung verblieb. Er war Herr seiner Zeit und konnte die in der Wintersaison schönsten Stunden des Tages frei gestalten. Zu dem dem Senatsbeschluß in BFHE 161, 547, BStBl II 1990, 1059 zugrundeliegenden Sachverhalt besteht insoweit kein wesentlicher Unterschied, selbst wenn dort die von den Steuerpflichtigen besuchten Fortbildungsveranstaltungen nur 30 Stunden während einer ganzen Woche ausmachten.

5. Die Sache ist spruchreif. Unter diesen Umständen kommt es nicht mehr darauf an, ob der Kläger seine ständige Teilnahme an allen Veranstaltungen durch die Vorlage entsprechender Testate nachgewiesen hat und ob dazu Identitätsprüfung stattgefunden hat. Die Beweiskraft derartiger Testate ist gering und reicht jedenfalls nicht aus, die durch die Programmgestaltung indizierte Vermutung einer privaten Mitveranlassung zu entkräften.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66155

BFH/NV 1997, 18

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