Leitsatz (amtlich)

Nimmt ein Rechtsanwalt und Notar seinen Schwiegersohn als Sozius auf, so sind Rentenzahlungen, die der Schwiegersohn aufgrund einer im Sozietätsvertrag getroffenen Versorgungsabrede nach dem Tode des Schwiegervaters an dessen Witwe leistet, Betriebsausgaben, wenn und soweit der Schwiegersohn auch bei Eintritt in eine vergleichbare Praxis eines Fremden gleichartige Verpflichtungen eingegangen wäre.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 4

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Rechtsanwalt und Notar. Am 31. Oktober 1963 schloß er mit seinem Schwiegervater, dem Rechtsanwalt und Notar E einen Sozietätsvertrag. Darin war u. a. vereinbart, daß "von allen Einnahmen einschließlich derjenigen aus dem Notariat" nach Abzug der Unkosten E 75 % und der Kläger 25 % mit der Maßgabe erhalten sollen, daß eine spätere Änderung dieser Sätze vorbehalten ist (Ziffer III. der Vereinbarung). Des weiteren bestimmte der Vertrag wörtlich:

"VII.

Stirbt E oder wird er völlig arbeitsunfähig, so führt L (= Kläger) die Praxis fort. Alle Forderungen und Verbindlichkeiten gehen auf ihn über. Auch erhält er die gesamte Praxiseinrichtung. L hat an E eine monatliche Rente in Höhe des jeweiligen höchsten Ruhegehalts eines Landgerichtsdirektors in H und an seine Witwe eine monatliche Rente in Höhe des jeweiligen höchsten Witwengeldes einer Witwe eines Landgerichtsdirektors in H zu zahlen. E und seine Witwe haben sich auf die Renten jedoch die Bezüge aus Rentenversicherungen anrechnen zu lassen. Die Renten sind bis zum Ableben zu zahlen.

VIII.

Stirbt L oder wird er völlig arbeitsunfähig, so hat er Anspruch auf eine Rente in Höhe der Hälfte des ihm nach Ziff. III zustehenden Ertragsanteils. Begrenzt wird diese Rente jedoch auf die gleiche Zeit, in der beide die Praxis gemeinsam ausgeübt haben. Seiner Witwe steht diese Rente in der gleichen Weise zu."

E verstarb im April 1970 an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Der Kläger führte die Praxis allein fort, und zwar zunächst nur als Rechtsanwalt, später auch als Notar.

Seit 1971 übt der Kläger seine freiberufliche Tätigkeit in Sozietät mit einem anderen Rechtsanwalt aus.

Bei der Ermittlung seines Gewinns aus selbständiger Arbeit für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Dezember 1970 durch Gegenüberstellung der Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes - EStG -) zog der Kläger die Rentenzahlungen in Höhe von 14 880 DM, die er im Jahre 1970 aufgrund des Sozietätsvertrags vom 31. Oktober 1963 an seine Schwiegermutter geleistet hatte, als Betriebsausgaben ab, weil die Leistungen in Erfüllung einer auch in Sozietätsverträgen zwischen Fremden üblichen Versorgungsvereinbarung erbracht und damit als betriebliche Versorgungsrente zu beurteilen seien.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) ließ die Zahlungen weder als Betriebsausgaben noch als Sonderausgaben zum Abzug zu. Das FA war der Auffassung, daß eine nichtabzugsfähige Unterhaltsrente vorliege, weil die Rentenvereinbarung auf familiären Erwägungen beruhe und auf den Kläger keine nennenswerten Vermögensgegenstände übertragen worden seien, der Unterhaltscharakter der Rentenzahlungen also überwiege.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, die vom Kläger seiner Schwiegermutter gewährten Rentenzahlungen seien als unentgeltliche private Versorgungsrente (Unterhaltsrente) zu qualifizieren, deren jährliche Aufwendungen nach § 12 EStG nicht abziehbar seien.

Mit der vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision beantragt der Kläger, unter Änderung des angefochtenen Urteils die Rentenzahlungen von 14 880 DM als Betriebsausgaben bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit zum Abzug zuzulassen. Der Kläger rügt sinngemäß eine Verletzung des § 4 Abs. 4 EStG, einen Verstoß gegen Art. 3 und 6 des Grundgesetzes (GG) und unzureichende Sachaufklärung.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG.

1. Gemäß § 4 Abs. 3 EStG können Steuerpflichtige, die nicht buchführungs- und abschlußpflichtig sind und auch tatsächlich keine Abschlüsse machen, den Gewinn als Überschuß der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben ansetzen. Gemäß § 4 Abs. 4 EStG sind Betriebsausgaben die Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlaßt sind.

a) Leistungen, die in Erfüllung einer Rentenvereinbarung erbracht werden, sind als Betriebsausgaben abzugsfähig, wenn und soweit der Abschluß der Rentenvereinbarung betrieblich veranlaßt war.

Wird bei Abschluß eines Vertrags über die Errichtung einer zweigliedrigen Personengesellschaft vereinbart, daß im Falle des Todes eines der Gesellschafter der überlebende Gesellschafter den Betrieb (freiberufliche Praxis) allein fortführt, aber an die Hinterbliebenen, insbesondere die Witwe des verstorbenen Gesellschafters, eine lebenslängliche Rente zu leisten hat, und steht fest, daß die Rente nicht nach dem Werte des Gesellschaftsanteils bemessen ist, also nicht Entgelt für den Gesellschaftsanteil darstellt (z. B. weil der Wert des Gesellschaftsanteils gesondert vergütet wird oder weil die Beteiligten davon ausgehen, daß Vermögensgegenstände, insbesondere materielle Vermögensgegenstände, deren Wert hinreichend zuverlässig bestimmbar ist, nicht vorhanden sind), so ist die vereinbarte Rente als Versorgungsrente (im Gegensatz zu einer Veräußerungsrente) zu qualifizieren (vgl. z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 27. April 1977 I R 12/74, BFHE 122, 275, BStBl II 1977, 603). Ihre einkommensteuerrechtliche Beurteilung richtet sich danach, ob die im Gesellschaftsvertrag getroffene Versorgungsabrede betrieblich oder außerbetrieblich (familiär) veranlaßt war.

b) Wie der BFH allerdings mehrfach entschieden hat, spricht eine nur in Ausnahmefällen zu widerlegende tatsächliche Vermutung dafür, daß Versorgungsleistungen, zu denen sich Kinder gegenüber ihren Eltern verpflichtet haben, nicht betrieblich, sondern außerbetrieblich veranlaßt sind, wenn die Versorgungsleistungen im Zusammenhang mit der schenkweisen Übertragung eines Betriebs- oder Gesellschaftsanteils von den Eltern auf die Kinder (bzw. der schenkweisen Aufnahme der Kinder als Gesellschafter in das von den Eltern betriebene Unternehmen) vereinbart werden und die dabei von den Eltern auf die Kinder übertragenen Vermögensteile nicht nur von unbedeutendem Wert sind (z. B. BFH-Urteil vom 16. November 1972 IV R 38/68, BFHE 108, 28, BStBl II 1973, 184, mit Nachweisen; vgl. ferner BFH-Urteil vom 6. März 1975 IV R 191/71, BFHE 115, 443, BStBl II 1975, 600). Diese Rechtsprechung beruht auf der Überlegung, daß es zwischen Fremden im allgemeinen nicht üblich ist, einen Betrieb oder einen Gesellschaftsanteil von erheblichem Wert ohne Gegenleistung zu übertragen, gleichzeitig aber, z. B. mit Rücksicht auf die von dem bisherigen Betriebsinhaber oder Gesellschafter für das Unternehmen geleisteten Dienste, eine Versorgungsverpflichtung des Übernehmers nach Art von Versorgungszusagen für Angestellte zu begründen, und daß deshalb die private Natur der schenkweisen Übertragung des Betriebs- oder Gesellschaftsanteils im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auch die im Zusammenhang damit vereinbarten Versorgungsleistungen als privat veranlaßt erscheinen läßt.

Der Rechtsgrundsatz, daß eine nur in Ausnahmefällen widerlegbare Vermutung für die außerbetriebliche Natur der im Zusammenhang mit der Übertragung eines Betriebs- oder Gesellschaftsanteils vereinbarten Versorgungsleistungen spricht, ist aber im Hinblick auf die ihn tragenden Überlegungen nicht ohne weiteres anwendbar, wenn ein Rechtsanwalt und Notar mit einem Familienangehörigen, der selbst Rechtsanwalt ist, einen Sozietätsvertrag abschließt. Denn da der Wert der materiellen Wirtschaftsgüter, die zum Betriebsvermögen einer freiberuflichen Praxis eines Rechtsanwalts und Notars gehören, vielfach nur relativ gering ist (im Vergleich zum Wert der einem Gewerbebetrieb dienenden materiellen Wirtschaftsgüter) und da der Praxiswert als immaterielles Wirtschaftsgut meist nur schwer bestimmbar und in erheblichem Umfange an die Person des Praxisinhabers gebunden ist, kommt es auch zwischen fremden Personen häufig vor, daß ein Berufskollege in eine Sozietät eintritt, ohne mehr einzubringen, als seine Arbeitskraft, und daß beim Tode eines Mitglieds einer Sozietät die Praxis von den übrigen Sozietätsmitgliedern fortgeführt wird, ohne daß die Erben des verstorbenen Gesellschafters eine nach dem Wert des Gesellschaftsanteils im Todeszeitpunkt bemessene Abfindung erhalten. Für die Beurteilung, ob Versorgungsleistungen, die bei Begründung einer Sozietät zwischen Familienangehörigen vereinbart werden, dem Grunde und der Höhe nach betrieblich veranlaßt sind, kann somit nur entscheidend sein, ob im Einzelfalle mit hoher Wahrscheinlichkeit der bisherige Praxisinhaber auch einen Fremden zu gleichartigen oder ähnlichen Bedingungen als Sozius aufgenommen hätte und insbesondere der als Sozius aufgenommene Familienangehörige auch bei Eintritt in eine vergleichbare Praxis eines Fremden gleichartige oder ähnliche Verpflichtungen übernommen hätte. Wenn und soweit diese Fragen zu bejahen sind, ist die im Sozietätsvertrag enthaltene Versorgungsvereinbarung als betrieblich veranlaßt zu beurteilen.

2. Da die Vorentscheidung von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war sie aufzuheben. Der Senat kann nicht selbst zur Sache entscheiden, weil die tatsächlichen Feststellungen des FG für eine abschließende Prüfung der Frage nicht ausreichen, ob und gegebenenfalls inwieweit die Rentenzahlungen des Klägers an seine Schwiegermutter betrieblich veranlaßt waren.

Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das FG zunächst zu ermitteln haben, ob bei der Begründung von Sozietäten auch zwischen Fremden Versorungsabreden getroffen werden und unter welchen Umständen derartige Versorgungsvereinbarungen zustande kommen. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, ob Vereinbarungen dieser Art nur bei Sozietätsverträgen zwischen gleichaltrigen Berufskollegen oder auch bei Sozietätsverträgen zwischen jüngeren und älteren Berufskollegen vorkommen. Es dürfte zweckmäßig sein, hierzu Auskünfte der zuständigen Berufsorganisationen, z. B. der Bundesrechtsanwaltskammer, der zuständigen Landesrechtsanwaltskammer, der Bundesnotarkammer und der zuständigen Landesnotarkammer, einzuholen.

Sollte nach dem Ergebnis dieser Ermittlungen und unter Würdigung der Besonderheiten des Streitfalles (z. B. der vom Kläger behaupteten Behandlung der Versorgungsleistungen an seine Schwiegermutter als Unkosten der seit 1971 bestehenden neuen Sozietät zwischen nicht miteinander verwandten oder verschwägerten Personen) davon auszugehen sein, daß unter gleichartigen Umständen auch zwischen Fremden eine Versorgungsabrede in den Sozietätsvertrag aufgenommen worden wäre und deshalb die vorliegende Versorgungsvereinbarung jedenfalls dem Grunde nach betrieblich veranlaßt war, wird das FG des weiteren zu prüfen haben, ob die zugesagten Versorgungsleistungen auch der Höhe nach betrieblich veranlaßt, insbesondere also angemessen sind. Auch für die Beurteilung dieser Frage können Auskünfte der zuständigen Berufsorganisationen Anhaltspunkte bieten.

In diesem Zusammenhang hat das FG sodann auch Gelegenheit, seinen Standpunkt zu überprüfen und ggf. näher zu begründen, daß die Versorgungsvereinbarung, die Bestandteil des 1971 abgeschlossenen neuen Sozietätsvertrags ist, mit der zwischen dem Kläger und seinem Schwiegervater getroffenen Abrede nicht zu vergleichen sei und deshalb keine Rückschlüsse auf den betrieblichen Charakter dieser Vereinbarung zulasse.

Sollten sich die Versorgungsleistungen als unangemessen hoch erweisen, so sind sie, soweit sie angemessen sind, als Betriebsausgaben abzugsfähig, im übrigen aber als Unterhaltsleistungen nicht abzugsfähig.

 

Fundstellen

Haufe-Index 73103

BStBl II 1979, 403

BFHE 1979, 171

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