Entscheidungsstichwort (Thema)

Bescheinigung nach § 82g Abs.1 Satz 3 EStDV 1986 der Gemeinde: Bindung des FA, Eigenschaft als Grundlagenbescheid

 

Leitsatz (amtlich)

Die Bescheinigung nach § 82g Abs.1 Satz 3 EStDV 1986 ist hinsichtlich der in Satz 1 genannten bauordnungsrechtlichen und raumordnungsrechtlichen Voraussetzungen bindend, wenn die Gemeindebehörde eine Baumaßnahme i.S. des § 43 Abs.3 Satz 2 StBauFG bescheinigt, und sich aus den Umständen ergibt, daß die Gemeindebehörde alle von ihr zu beurteilenden Voraussetzungen des § 82g EStDV 1986 geprüft und als erfüllt angesehen hat.

 

Orientierungssatz

Die Bescheinigung nach § 82g Abs.1 Satz 1 EStDV 1986 ist ein Grundlagenbescheid (§§ 171 Abs.10, 175 Abs.1 Satz 1 Nr.1 AO 1977). Ist das FA mit dem Inhalt der Bescheinigung nicht einverstanden, hat es nur die Möglichkeit, bei der Gemeinde auf eine Änderung oder eine Zurücknahme hinzuwirken. Es kann nicht in eigener Zuständigkeit die erhöhten Absetzungen versagen.

 

Normenkette

AO 1977 § 171 Abs. 10, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; EStDV 1986 § 82g Abs. 1 S. 3; StBauFG § 43 Abs. 3 S. 2

 

Verfahrensgang

Hessisches FG (Urteil vom 14.10.1993; Aktenzeichen 13 K 1529/91)

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) werden als Eheleute zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Der Kläger erwarb 1984 ein ehemaliges Revierförsterdienstgehöft. In einer Modernisierungsvereinbarung verpflichtete er sich gegenüber der Gemeinde zu im einzelnen aufgeführten Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen, die in Absprache mit der Gemeinde durchzuführen waren. Nach Abschluß des ersten Bauabschnitts stellte der Gemeindevorstand am 11. März 1987 folgende Bescheinigung aus:

"Bescheinigung gemäß § 82g EStDV zur Vorlage beim Finanzamt

Herrn ... wird bescheinigt, daß er eine Baumaßnahme im Sinne des § 43 Abs.3 Satz 2 Städtebauförderungsgesetz durchgeführt hat. Er hat die Aufwendungen hierfür selbst getragen.

Er hat das Forsthaus ... von Grund auf saniert und vor dem drohenden Verfall bewahrt.

Damit hat er auch den Forderungen des Dorfentwicklungsplanes ... Rechnung getragen, den die Gemeinde ... aufgestellt hat. Ein Hauptziel dieses Dorfentwicklungsplanes ist es, die ortstypische historische Bausubstanz zu erhalten.

Die gesamte Anlage des Forsthauses ... ist wegen ihrer besonderen städtebaulichen, ortsbildprägenden Bedeutung zu erhalten. ..."

Für das städtebaulich besonders wertvolle Gesamtensemble hat sich Herr... verpflichtet, alle Maßnahmen durchzuführen, die der Erhaltung, Erneuerung und funktionsgerechten Verwendung der Gebäude dienen. An die übernommenen Verpflichtungen hat sich Herr ... in vollem Umfang gehalten. Er hat die gesamte bauliche Anlage unter hohem Kostenaufwand im historischen Zustand erhalten. Die baulichen Arbeiten an Wohnhaus und Stall wurden in enger Zusammenarbeit mit der Gemeindeverwaltung durchgeführt und 1986 im wesentlichen abgeschlossen. ..."

Bei der Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung der Kläger für das Jahr 1986 gemäß § 21a des Einkommensteuergesetzes (EStG) zog der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) für die Instandsetzungs- und Modernisierungsaufwendungen, deren Höhe nicht strittig ist, antragsgemäß erhöhte Absetzungen nach § 82g der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung 1986 (EStDV 1986) ab. Für das Streitjahr 1987 führte das FA zunächst die erhöhten Absetzungen gemäß § 52 Abs.21 Satz 4 EStG 1987 fort. Nachdem die Kläger aus anderen Gründen Einspruch eingelegt hatten, forderte das FA den Gemeindevorstand der Gemeinde auf, die dem Kläger gemäß § 82g EStDV 1986 erteilte Bescheinigung zurückzunehmen. Der Gemeindevorstand lehnte dies ab, weil die Jahresfrist für eine Rücknahme gemäß § 48 Abs.4 des Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetzes abgelaufen sei und er die Bescheinigung mit Rücksicht auf eine gutachterliche Stellungnahme des Hessischen Städte- und Gemeindebundes als rechtmäßig ansah. Auf Weisung der Oberfinanzdirektion (OFD) vertrat das FA nunmehr die Auffassung, die dem Kläger erteilte Bescheinigung könne nicht als Bescheinigung i. S. von § 82g EStDV 1986 angesehen werden, weil darin nicht bestätigt werde, daß das Gebäude des Klägers in einem förmlich festgelegten Sanierungsgebiet oder städtebaulichen Entwicklungsbereich liege. In der verbösernden Einspruchsentscheidung setzte das FA die Einkommensteuer ohne Berücksichtigung der erhöhten Absetzungen fest.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Die dem Kläger erteilte Bescheinigung sei als Grundlagenbescheid hinsichtlich der bau- und raumordnungsrechtlichen Voraussetzungen des § 82g EStDV 1986 bindend.

Mit der Revision rügt das FA unzutreffende Auslegung des § 175 Abs.1 Nr.1 der Abgabenordnung (AO 1977). Das FG habe den Umfang der aus dieser Vorschrift folgenden materiell-rechtlichen Bindung fehlerhaft gewürdigt. Soweit in einem Grundlagenbescheid keine Feststellungen getroffen seien, hätten die Finanzbehörden den im Grundlagenbescheid fehlenden Regelungsinhalt durch eigene Ermittlungen auszufüllen. Die dem Kläger erteilte Bescheinigung enthalte keine Feststellung, daß das von ihm modernisierte Gebäude in einem förmlich festgelegten Sanierungsgebiet oder städtebaulichen Entwicklungsbereich liege. Danach stehe dem Kläger der Abzug nach § 82g EStDV 1986 nicht zu, weil Maßnahmen im Rahmen des hessischen Dorfentwicklungsplanes nach dieser Vorschrift nicht begünstigt seien.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet; sie ist zurückzuweisen (§ 126 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat die dem Kläger erteilte Bescheinigung zu Recht für die gesamten bau- und raumordnungsrechtlichen Voraussetzungen des im Streitfall maßgeblichen § 82g EStDV 1986 als bindend angesehen.

1. Nach Satz 1 dieser Vorschrift kann der Steuerpflichtige von den durch Zuschüsse aus Sanierungs- oder Entwicklungsförderungsmitteln nicht gedeckten Herstellungskosten für Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen i. S. des § 39e des Bundesbaugesetzes (BBauG) und für Maßnahmen i. S. des § 43 Abs.3 Satz 2 des Städtebauförderungsgesetzes (StBauFG), die für Gebäude in einem förmlich festgelegten Sanierungsgebiet oder städtebaulichen Entwicklungsbereich aufgewendet worden sind, im Jahr der Herstellung und in den neun folgenden Jahren jeweils bis zu 10 v.H. absetzen. Diese Regelung ist nur anzuwenden, wenn der Steuerpflichtige eine Bescheinigung der zuständigen Gemeindebehörde vorlegt, daß er Baumaßnahmen i. S. des Satzes 1 durchgeführt hat; sind ihm Zuschüsse aus Sanierungs- oder Entwicklungsförderungsmitteln gewährt worden, so hat die Bescheinigung auch deren Höhe zu enthalten (§ 82g Abs.1 Satz 3 EStDV 1986).

Die Bescheinigung der Gemeindebehörde nach Satz 3 der Vorschrift ist ein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs.10, § 175 Abs.1 Satz 1 Nr.1 AO 1977), dessen Bindungswirkung sich auf die in § 82g Abs.1 Satz 1 EStDV 1986 genannten Tatbestände des Bau- und Raumordnungsrechts bezieht, nämlich darauf, ob Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen i.S. des § 39e BBauG oder Maßnahmen i.S. des § 43 Abs.3 Satz 2 StBauFG durchgeführt worden sind, ob das betreffende Gebäude in einem förmlich festgelegten Sanierungsgebiet oder städtebaulichen Entwicklungsbereich liegt und ob und in welcher Höhe für die Maßnahmen Zuschüsse aus Sanierungs- oder Entwicklungsförderungsmitteln gewährt worden sind (vgl. Senatsurteil vom 15. Oktober 1996 IX R 47/92, BFHE 181, 312, BStBl II 1997, 176, zur Bescheinigung nach § 82i Abs.2 EStDV; Kleeberg, in: Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 7h Rdnr.C 2).

Bejaht die zuständige Gemeinde das Vorliegen der genannten Voraussetzungen und vermag das FA dem nicht zu folgen, hat dieses nur die Möglichkeit, bei der Gemeinde darauf hinzuwirken, daß sie ggf. ihre Bescheinigung zurücknimmt oder ändert (vgl. Rdvfg. der OFD Frankfurt/Main vom 27. Mai 1991 S 2198 a A -4-St II 20, Deutsches Steuerrecht 1991, 1082); denn die Beurteilung der bau- und raumordnungsrechtlichen Verhältnisse obliegt ausschließlich der zuständigen Gemeindebehörde. Das FA kann nicht in eigener Zuständigkeit unter Hinweis auf das Fehlen bau- und raumordnungsrechtlicher Voraussetzungen die erhöhten Absetzungen versagen.

2. Nach diesen Grundsätzen waren im Streitfall durch die Bescheinigung des zuständigen Gemeindevorstands sämtliche bau- und raumordnungsrechtlichen Tatbestandsmerkmale des § 82g Abs.1 Satz 1 EStDV 1986 für das FA bindend festgestellt. Das FG hat aus dem Inhalt der Bescheinigung und insbesondere aus der Bezeichnung als "Bescheinigung gemäß § 82g EStDV zur Vorlage beim Finanzamt" geschlossen, daß der zuständige Gemeindevorstand alle von ihm zu beurteilenden Voraussetzungen dieser Vorschrift --auch die Frage, ob das Gebäude des Klägers in einem förmlich festgelegten Sanierungsgebiet oder städtebaulichen Entwicklungsbereich liegt-- geprüft und als erfüllt angesehen habe.

Diese Beurteilung, die das Revisionsgericht nachprüfen kann (vgl.Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3.Aufl., § 118 Anm.18 a.E.), hält der Senat für zutreffend. Entscheidend ist, daß sich aus der Bescheinigung ergibt, daß die Gemeinde die bau- und raumordnungsrechtlichen Voraussetzungen des § 82g EStDV als erfüllt angesehen hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66046

BFH/NV 1997, 212

BStBl II 1997, 398

BFHE 182, 175

BFHE 1997, 175

BB 1997, 930 (Leitsatz)

DB 1997, 1013-1014 (Leitsatz und Gründe)

DStR 1997, 694-695 (Leitsatz und Gründe)

DStRE 1997, 413 (Leitsatz)

HFR 1997, 487-488 (Leitsatz)

StE 1997, 252 (Kurzwiedergabe)

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