Leitsatz (amtlich)

Nebeneinkünfte eines Psychotherapeuten aus der Tätigkeit als Lehranalytiker können nach § 34 Abs. 4 EStG steuerbegünstigt sein.

 

Normenkette

EStG § 34 Abs. 4

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Der Streit geht um die Frage, ob Einkünfte aus der Tätigkeit als Lehranalytiker nach § 34 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerbegünstigt sind.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute. Sie sind beide als Ärzte sowie als Psychotherapeuten tätig. In den Streitjahren 1971 bis 1975 leitete der Kläger im Angestelltenverhältnis das Krankenhaus in X. Auch die Klägerin war dort als Ärztin angestellt. Die beiden Kläger übten außerdem eine freiberufliche Tätigkeit als Psychotherapeuten aus; dabei bedienten sie sich als Behandlungsmethode der Psychoanalyse.

Daneben waren die Kläger als Dozenten am "A-Institut" in Y tätig. Sie hielten dort Vorlesungen und nahmen an Personen, die sich zu Psychotherapeuten weiterbilden wollten, sog. "Lehranalysen" vor.

Nach den Weiterbildungsrichtlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie e. V. ist die Lehranalyse "Grundlage und zentraler Bestandteil der psychoanalytischen Weiterbildung. Sie vermittelt die unverzichtbare Selbsterfahrung in der psychoanalytischen Grundmethode...; sie fördert die Persönlichkeitsentwicklung und dient darüber hinaus der Betrachtung des individuellen Analyseprozesses ... Die Lehranalyse hat eine entwicklungsfördernde und eine wissenschaftlich-didaktische Funktion". In den Weiterbildungsrichtlinien ist vorgeschrieben, daß die Lehranalyse in mehreren Einzelsitzungen stattfindet und in der Regel die gesamte Weiterbildung kontinuierlich begleiten muß.

Die von den Klägern vorgenommenen Lehranalysen vollzogen sich auf der Grundlage von mündlichen Verträgen zwischen den Klägern und den Auszubildenden; die Sitzungshonorare rechneten die Kläger unmittelbar mit den Auszubildenden ab.

Für die Einkünfte aus der lehranalytischen Tätigkeit begehren die Kläger im Rahmen der Einkommensteuerveranlagungen für die Streitjahre die Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 4 EStG.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) lehnte den Antrag ab. Die Einsprüche hatten keinen Erfolg.

Auch die Klage wurde abgewiesen. Zur Begründung führte das Finanzgericht (FG) aus, Nebeneinkünfte aus wissenschaftlicher Tätigkeit könnten nur dann nach § 34 Abs. 4 EStG steuerbegünstigt sein, wenn sie von den Haupteinkünften aus der Berufstätigkeit des Steuerpflichtigen abgrenzbar seien; daran fehle es im Streitfall. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (Urteile vom 12. Dezember 1974 IV R 198/71, BFHE 115, 33, BStBl II 1975, 476; vom 22. September 1976 IV R 20/76, BFHE 120, 204, BStBl II 1977, 31; vom 30. November 1978 IV R 34/74, BFHE 126, 467, BStBl II 1979, 239) seien die Nebeneinkünfte aus der Ausübung eines Katalogberufs i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG nicht nach § 34 Abs. 4 EStG begünstigt. Zu den Katalogberufen zähle auch der Beruf eines Arztes. Die von den Klägern erzielten Einkünfte aus der Lehranalyse seien den Einkünften aus der ärztlichen Tätigkeit zuzurechnen. Die Anfertigung von Lehr- und therapeutischen Analysen sei in wesentlichen Punkten sehr ähnlich. Die Zurechnung von Lehranalysen zur ärztlichen Berufstätigkeit werde nicht dadurch in Frage gestellt, daß hiermit keine Heilung Kranker bezweckt werde. Lehranalysen setzten eine medizinische Ausbildung voraus; ihr wichtigster Teil - die Analyse - sei identisch mit dem, was ein Psychotherapeut typischerweise bei einem Patienten vornehme.

Gegen das Urteil des FG haben die Kläger Revision eingelegt. Die Kläger bestreiten, daß es sich bei den Lehranalysen um eine ärztliche Tätigkeit handelt. Die Lehrtätigkeit als Dozent gehöre nicht zum Berufsbild eines Psychotherapeuten. Eine Lehrtätigkeit hebe sich von der freien praktischen Berufstätigkeit eindeutig ab. Das gelte auch für die Vermittlung der Selbsterfahrung in Form der Lehranalyse. Wenn auch das äußere Erscheinungsbild der Lehranalyse dem einer therapeutischen Analyse gleiche, so gebe es doch zwischen beiden Formen der Analyse entscheidende Unterschiede, die das FG nicht hinreichend beachtet habe. Insbesondere habe die Lehranalyse keine therapeutische, sondern wissenschaftliche und didaktische Ziele; die Inhalte des analytischen Gesprächs seien auf diese Ziele ausgerichtet. Damit falle die Tätigkeit eines Lehranalytikers aus dem Berufsbild des Psychotherapeuten heraus. Diese Auslegung werde auch dem Gesetzeszweck gerecht, steuerliche Anreize für zusätzliche, nicht in den Beruf fallende Arbeiten zu geben. Gerade im Zusammenhang mit der mangelhaften psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung der Bevölkerung werde immer wieder die Notwendigkeit unterstrichen, die Ausbildung des psychotherapeutischen Nachwuchses zu fördern. Vor diesem Hintergrund erscheine es vom Gesetzeszweck her geboten, die Tätigkeit der Kläger als Lehranalytiker zu den steuerbegünstigten Nebentätigkeiten i. S. des § 34 Abs. 4 EStG zu zählen.

Die Kläger beantragen, das FG-Urteil aufzuheben und ihnen hinsichtlich ihrer Einkünfte aus der Lehrtätigkeit die Tarifvergünstigung nach § 34 Abs. 4 EStG zu gewähren.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage. Das FG hat die Gewährung der Tarifvergünstigung nach § 34 Abs. 4 EStG zu Unrecht versagt.

Der tarifbegünstigte Steuersatz (§ 34 Abs. 1 EStG) ist nach § 34 Abs. 4 EStG auf Antrag anzuwenden auf Nebeneinkünfte aus wissenschaftlicher, künstlerischer oder schriftstellerischer Tätigkeit, soweit diese Nebeneinkünfte erzielt werden durch Steuerpflichtige mit Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit oder aus einer selbständigen freiberuflichen Tätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Voraussetzung für die Gewährung der Tarifvergünstigung ist u. a. , daß die Einkünfte aus wissenschaftlicher, künstlerischer oder schriftstellerischer Tätigkeit von den Einkünften aus der Berufstätigkeit abgrenzbar sind. Nach der Rechtsprechung des BFH erfordert die Abgrenzbarkeit i. S. des § 34 Abs. 4 EStG, daß die Nebeneinkünfte nicht nur von der freiberuflichen Tätigkeit abgrenzbar sein müssen, aus der der Steuerpflichtige seine Haupteinkünfte bezieht; die Nebeneinkünfte dürfen vielmehr überhaupt nicht aus einer der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG genannten freien Berufstätigkeiten bezogen werden (Urteil in BFHE 126, 467, BStBl II 1979, 239, mit weiteren Nachweisen).

Die Voraussetzungen für die Abgrenzbarkeit liegen hinsichtlich der Tätigkeit, die ein Psychotherapeut im Rahmen einer Lehranalyse vollzieht, vor.

a) Die Tätigkeit eines Psychotherapeuten gehört zu den in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG genannten Katalogberufstätigkeiten; sie ist - falls sie nicht überhaupt der Berufstätigkeit des "Arztes" zuzurechnen ist - jedenfalls als eine dem Arztberuf "ähnliche" Tätigkeit anzusehen (zum beruflichen Werdegang eines Psychotherapeuten vgl. die Ausführungen im BFH-Urteil vom 18. März 1977 VI R 2/76, BFHE 122, 77, BStBl II 1977, 547). Der Psychotherapeut beeinflußt Verhaltensstörungen und Leidenszustände mit psychologischen Mitteln (vgl. Strotzka in Psychotherapie - Grundlagen, Verfahren, Indikationen, 2. Aufl., 1978 S. 4).

Zur Tätigkeit des Psychotherapeuten kann es gehören, bei seelisch gestörten Patienten Psychoanalysen vorzunehmen. Der hiermit bezweckte Heilprozeß besteht darin, dem Patienten unbewußt Gewordenes und Verdrängtes wieder bewußtzumachen und damit seine Persönlichkeit zu stärken.

b) Dagegen gehört die mit einer Lehranalyse verbundene Tätigkeit nicht zum Berufsbild eines Psychotherapeuten. Die Lehranalyse stellt zwar auch eine Form der Psychoanalyse dar; es handelt sich bei ihr nicht nur um das Simulieren einer Analyse zu Lehrzwecken. Dennoch ist sie ihrem Zweck und Wesen nach etwas anderes als die zu therapeutischen Zwecken vorgenommene Psychoanalyse.

Die Lehranalyse ist ausschließlich der Ausbildung zukünftiger Psychoanalytiker gewidmet. Sie vermittelt die Selbsterfahrung, die die Lernenden neben dem durch Vorlesungen vermittelten theoretischen Wissen benötigen (vgl. Strotzka, a. a. O., S. 138). Nach den Weiterbildungsrichtlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie e. V. ist die Lehranalyse "zentraler Bestandteil der psychoanalytischen Weiterbildung". Sie muß "dem künftigen Analytiker durch die Selbsterfahrung ein Evidenzgefühl für den analytischen Prozeß geben und andererseits wie eine therapeutische Analyse seine Schwächen, Vorurteile, Ängste, blinde Flecke, störende Aggressionen für seine spätere Tätigkeit herabsetzen ... Sie soll sich in der Technik von einer Behandlung nicht unterscheiden, tut dies jedoch unvermeidlich durch die verschiedenen Motivationen und Einstellungen der beiden Teilnehmer" (Strotzka, a. a. O., S. 138).

Daraus ergibt sich, daß sich die Lehranalyse sowohl nach ihrem didaktischen Zweck als auch nach der diesem Zweck entsprechenden Art der Durchführung eindeutig von der therapeutischen Analyse unterscheidet. Die Vornahme von Lehranalysen ist Lehrtätigkeit. Sie gehört ebensowenig zum Berufsbild des Psychotherapeuten wie die juristische Lehrtätigkeit zum Berufsbild eines Rechtsanwalts oder Richters gehört (vgl. BFH-Urteil vom 7. Februar 1980 IV R 37/76, BFHE 130, 39, BStBl II 1980, 321).

c) Da die Lehrtätigkeit nicht zum Berufsbild des Psychotherapeuten gehört und sie auch sonst keiner Katalogtätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG zuzurechnen ist, können die Einkünfte aus den Lehranalysen zu den nach § 34 Abs. 4 EStG begünstigten Nebeneinkünften gehören.

Daß die von den Klägern ausgeübte lehranalytische Tätigkeit außerdem auch den in § 34 Abs. 4 EStG vorausgesetzten wissenschaftlichen Charakter hatte, ist von keiner Seite in Zweifel gezogen worden.

Den Klägern ist deshalb ihrem Antrag gemäß der begünstigte Tarifsteuersatz zu gewähren.

 

Fundstellen

Haufe-Index 74202

BStBl II 1982, 254

BFHE 1982, 62

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