Entscheidungsstichwort (Thema)

Alternative und eventuelle Klagenhäufung - Begehren auf isolierte Aufhebung der außergerichtlichen Rechtsbehelfsentscheidung - Streitwert

 

Leitsatz (NV)

1. Bei isolierter Anfechtung der außergerichtlichen Rechtsbehelfsentscheidung ist der Streitwert demjenigen gleichzusetzen, der für das Verfahren über den Bescheid maßgebend ist, der Anlaß zu dem Rechtsbehelfsverfahren gegeben hat.

2. Eine alternative Klagenhäufung ist grundsätzlich unzulässig.

3. Wird bei einer eventuellen Klagenhäufung die Klage hinsichtlich des Hauptbegehrens abgewiesen, so wird das Hauptbegehren nur dann Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens, wenn der Kläger gegen die Abweisung ein Rechtsmittel einlegt.

4. Eine isolierte Aufhebung der außergerichtlichen Rechtsbehelfsentscheidung kann durch Klage ausnahmsweise nur gefordert werden, wenn ein berechtigtes Interesse daran besteht, daß über den außergerichtlichen Rechtsbehelf entschieden wird.

5. Die erfolglose Durchführung des außergerichtlichen Verfahrens i. S. des § 44 Abs. 1 FGO hängt nicht davon ab, daß der außergerichtliche Rechtsbehelf zu einer Sachentscheidung geführt hat.

 

Normenkette

FGO §§ 43, 44 Abs. 1; BFHEntlG a.F. Art. 1 Nr. 5

 

Tatbestand

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) pfändete wegen einer Forderung auf Grunderwerbsteuer und Nebenleistungen in der Gesamthöhe von . . . DM gegen den Auflassungsgläubiger mit Verfügung vom 1. Dezember 1981 dessen Auflassungsanspruch gegen die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin). Die Pfändung wurde in das Grundbuch eingetragen. Gegen Zahlung von 50 000 DM an das FA erhielt die Klägerin am 19. Mai 1982 die Löschungsbewilligung für die eingetragene Pfändung.

Mit Schriftsatz vom 30. März 1982 hatte der Auflassungsgläubiger die Aufhebung der Pfändungsverfügung beantragt. Diesen Antrag hatte das FA mit Bescheid vom 7. April 1982 abgelehnt. Die Beschwerde der Klägerin gegen diesen Bescheid und gegen die Pfändungsverfügung verwarf die Oberfinanzdirektion (OFD) durch Entscheidung vom 10. Mai 1983 als unzulässig mit der Begründung, daß nach Beendigung der Vollstreckungsmaßnahme eine Beschwerde nicht mehr eingelegt werden könne.

Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin, die Rechtswidrigkeit der Pfändungsverfügung und der Ablehnung des Aufhebungsbescheids festzustellen. Für den Fall, daß das Finanzgericht (FG) für den Feststellungsantrag die Durchführung eines außergerichtlichen Vorverfahrens für erforderlich halten sollte, schränkte die Klägerin ihren Antrag dahingehend ein, die Beschwerdeentscheidung aufzuheben.

Die Klage führte zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung mit folgender Begründung:

Die Beschwerde sei zu Unrecht als unzulässig verworfen worden. Die Klägerin habe mit der Beschwerde in zulässiger Weise die Feststellung der Rechtswidrigkeit der bereits erledigten Verwaltungsakte begehrt. Das Beschwerdeverfahren sei zulässiges und notwendiges Vorverfahren für die im Streitfall zu entscheidenden Klagen. Bei diesen Klagen, mit denen die Klägerin in erster Linie die Feststellung der Rechtswidrigkeit zweier Verwaltungsakte begehre, handele es sich um sog. Fortsetzungsfeststellungsklagen nach § 100 Abs. 1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

Das FA führte zur Begründung seiner Revision aus: Da im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nach Befriedigung des Vollstreckungsgläubigers die Pfändungsmaßnahme beendet, die Pfändung aufgehoben und die Löschungsbewilligung erteilt gewesen sei, sei die Beschwerde unzulässig gewesen. Auch dem Feststellungsantrag der Klägerin fehle das Rechtsschutzinteresse.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision des FA als unzulässig zu verwerfen.

Sie führt aus: Die Revision sei nicht zulässig, da die Streitwertgrenze von 10 000 DM nicht überschritten und die Revision nicht zugelassen worden sei. Der Auflassungsanspruch als das gepfändete Recht sei aufgehoben worden und damit entfallen. Die gezahlte Summe von 50 000 DM sei ein willkürlich festgesetzter Betrag, den das FA für ein nicht bestehendes Recht gefordert habe.

 

Entscheidungsgründe

1. Die Revision ist zulässig, weil der Wert des Streitgegenstandes entgegen der Auffassung der Klägerin 10 000 DM übersteigt.

Da das angefochtene Urteil vor dem 17. Juli 1985 ergangen ist, gilt im Streitfall noch die Regelung in Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher und finanzgerichtlicher Verfahren (BGBl I 1985, 1274) am 17. Juli 1985 (Art. 5 des genannten Gesetzes) gültigen Fassung. Nach dieser Regelung in Verbindung mit § 115 Abs. 1 FGO ist die Revision statthaft, wenn der Wert des Streitgegenstandes 10 000 DM übersteigt.

Das trifft im Streitfall zu; der Wert des Streitgegenstandes ist mit 50 000 DM zu bemessen.

Das Revisionsverfahren betrifft die isolierte Anfechtung einer Rechtsbehelfsentscheidung der Verwaltung. In diesen Fällen ist der Streitwert demjenigen gleichzusetzen, der für das Verfahren über die Bescheide, die Anlaß zu dem Rechtsbehelfsverfahren gegeben haben, maßgebend ist (vgl. Beschluß des Senats vom 17. März 1982 VII S 104/81, BFHE 135, 172, BStBl II 1982, 328). Das ist also das Verfahren wegen der Pfändungsverfügung und der Ablehnung der Aufhebung dieser Verfügung. Denn die Beschwerde war auf einen Erfolg in diesem Verfahren gerichtet.

In Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit der Pfändung eines Rechts ist der Streitwert grundsätzlich nach dem Betrag zu bemessen, zu dessen Beitreibung die Pfändung ausgebracht worden ist, es sei denn, der Wert des Rechts ist niedriger als dieser Betrag. Den Ausführungen des FG muß entnommen werden, daß das im Streitfall zutrifft. Deswegen ist der Streitwert nach dem Wert des Rechts zu bemessen, das Gegenstand der Pfändung war (vgl. Beschluß des Senats vom 18. Oktober 1977 VII R 4/77, BFHE 123, 408, BStBl II 1978, 71). Aufgrund der Feststellungen des FG ist davon auszugehen, daß der Wert des gepfändeten Rechts (Auflassungsanspruch) 50 000 DM betragen hat, da die Zahlung dieses Betrages zur Aufhebung der Pfändung geführt hat. Bei dieser Sachlage kann entgegen der Auffassung der Klägerin nicht davon ausgegangen werden, daß das gepfändete Recht wertlos war.

In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, daß das FA nach den Ausführungen des FG die Rückgängigmachung des Grundstückskaufvertrages für unzulässig und die Pfändung für wirksam gehalten hat. Auch danach kann nicht davon ausgegangen werden, daß das FA das gepfändete Recht für wertlos gehalten hat. Der Streitwert ist auch nicht deshalb mit einem niedrigeren Betrag als 50 000 DM zu bemessen, weil Gegenstand der Klage ein nach Aufhebung der Pfändungsverfügung auf die Feststellung deren Rechtswidrigkeit gerichtetes Feststellungsbegehren war. Bei einem Erfolg dieses Begehrens wäre der Forderung des FA auf Zahlung der 50 000 DM die Grundlage entzogen worden. Diesem Ziel sollte die Feststellungsklage auch dienen. Das ergibt sich schon daraus, daß die Klägerin in einem Zivilprozeß die Rückzahlung der 50 000 DM anstrebt und daß dieses Verfahren, wie der Prozeßbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage erklärt hat, bis zum Abschluß des vorliegenden Finanzrechtsstreits ruht.

2. Die Revision ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.

Die Klägerin hat nach den Ausführungen des FG in der Klage zwei Begehren, nämlich das Begehren auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Pfändungsverfügung und der Weigerung, die Verfügung aufzuheben, sowie das Begehren auf Aufhebung der Beschwerdeentscheidung miteinander verbunden. Diese Verbindung ist im Streitfall entweder als sog. alternative Klagenhäufung oder als sog. eventuelle Klagenhäufung zu behandeln. Für die Entscheidung über die Revision ist ohne Bedeutung, welche dieser Behandlungen als diejenige angesehen wird, die dem Antrag am meisten gerecht wird. Denn die Verbindung der Klagebegehren rechtfertigt in keinem Fall eine Aufrechterhaltung der Vorentscheidung und einen Erfolg der Klage.

a) Wird die Verbindung als alternative Klagenhäufung in der Weise angesehen, daß eine der Klage stattgebende Entscheidung über eines der aufgezeigten Klagebegehren gefordert und die Auswahl des Begehrens dem Gericht überlassen worden ist, so kann die Vorentscheidung schon deshalb keinen Bestand haben, weil diese Art der Klagenhäufung grundsätzlich unzulässig ist und eine Ausnahme im Streitfall nicht in Betracht kommt (vgl. Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 43 FGO Tz. 4; v. Wallis in Hübschmann / Hepp / Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 43 FGO Anm. 7; Kühn / Kutter / Hofmann, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 43 FGO Bem. 1; Ziemer / Haarmann / Lohse / Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 7325; vgl. auch Eyermann / Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 8. Auf., § 44 Rdnr. 1; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, 2. Aufl., S. 66 f.).

b) Die Entscheidung des FG spricht zwar dafür, daß es bei seiner Entscheidung davon ausgegangen ist, es liege eine sog. alternative Klagenhäufung vor. Diese Annahme erscheint vor allem deshalb gerechtfertigt, weil nicht zu erkennen ist, daß das FG über den Feststellungsantrag eine Entscheidung getroffen hat. Bei Annahme einer sog. eventuellen Klagenhäufung hätte es darüber eine Entscheidung treffen müssen. Denn bei dieser Betrachtungsweise kann die Verbindung der Klagebegehren nur dahin verstanden werden, daß das Feststellungsbegehren das Hauptbegehren und das Aufhebungsbegehren das Hilfsbegehren sein soll. Bevor danach über das Aufhebungsbegehren als Hilfsbegehren entschieden werden konnte, hätte über das Hauptbegehren eine ablehnende Entscheidung getroffen werden müssen (vgl. v. Wallis, a.a.O., Anm. 13; Grunsky, a.a.O., S. 65).

Ob das FG im Streitfall aber nicht dennoch die Verbindung der Klagebegehren als eventuelle Klagenhäufung behandelt und über das Feststellungsbegehren als Hauptbegehren eine - ablehnende - Entscheidung getroffen hat und ob diese Behandlungsweise dem Klageantrag nicht besser gerecht wird, ist für die Entscheidung über die Revision ohne Bedeutung. Auch wenn das zutrifft, ist die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen, weil diese mit dem Aufhebungsbegehren, auf das es für die Entscheidung über die Revision - bei Annahme einer eventuellen Klagenhäufung allein ankommt, keinen Erfolg haben kann.

aa) Wird bei einer eventuellen Klagenhäufung die Klage hinsichtlich des Hauptbegehrens abgewiesen, so wird das Hauptbegehren nur dann Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens, wenn der Kläger gegen die Abweisung ein Rechtsmittel einlegt (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 29. Januar 1964 V ZR 23/63, BGHZ 41, 38; Brox, Zur Problematik von Haupt- und Hilfsanspruch in Festschrift für Carl Heymanns Verlag KG, 1965, S. 121 ff., 129 ff., 131; Merle, Zur eventuellen Klagenhäufung, ZZP 83 (1970) S. 463 ff., 448; Eyermann / Fröhler, a.a.O., § 44 Rdnr. 10). Da die Klägerin im Streitfall nicht Revision eingelegt hat, ist das Feststellungsbegehren als Hauptbegehren nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden.

Ein anderes Ergebnis ist auch dann nicht gerechtfertigt, wenn der Senat davon ausgeht, daß die Verbindung der Klagebegehren als eventuelle Klagenhäufung anzusehen ist und das FG - gleichwohl - über den Feststellungsantrag als Hauptantrag keine Entscheidung getroffen hat. Bei dieser Betrachtungsweise ist das Feststellungsbegehren deshalb nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden, weil die Klägerin sich nicht dagegen gewandt hat, daß das FG über das Feststellungsbegehren keine Entscheidung getroffen hat. Dabei kommt es im Streitfall nicht darauf an, ob eine Revision, mit der dieser Mangel geltend gemacht worden wäre, hätte Erfolg haben können (vgl. dazu Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 109 Anm. 8).

bb) Mit dem Aufhebungsbegehren kann die Klage deshalb keinen Erfolg haben, weil eine - isolierte - Aufhebung der Entscheidung über einen außergerichtlichen Rechtsbehelf durch Klage ausnahmsweise nur gefordert werden kann, wenn ein berechtigtes Interesse des Klägers daran besteht, daß die für die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf zuständige Behörde - unter Vermeidung von Verfahrensfehlern - erneut über den Rechtsbehelf entscheidet (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19. August 1982 IV R 185/80, BFHE 136, 445, BStBl II 1983, 21). Ein solches Interesse kann im Streitfall nicht damit begründet werden, daß zu einer Sachentscheidung über die Fortsetzungsfeststellungsklage als Unterfall der Anfechtungsklage alle für die Anfechtungsklage gesetzlich vorgeschriebenen Prozeßvoraussetzungen einschließlich der erfolglosen Durchführung des außergerichtlichen Vorverfahrens erfüllt sein müssen. Auch wenn der Senat dieser für die Aufhebung der Beschwerdeentscheidung maßgebenden Auffassung des FG folgt (vgl. BFH-Urteil vom 17. Juli 1985 I R 214/82, BFHE 144, 334, 336, BStBl II 1986, 21, dem allerdings nur entnommen werden kann, daß bis zum Eintritt des die Hauptsache erledigenden Ereignisses das Vorliegen der Prozeßvoraussetzungen erforderlich ist), greift sie im Streitfall deshalb nicht durch, weil die erfolglose Durchführung eines außergerichtlichen Vorverfahrens i. S. des § 44 Abs. 1 FGO nicht davon abhängt, daß der außergerichtliche Rechtsbehelf zu einer Sachentscheidung über den angefochtenen Verwaltungsakt geführt hat. Maßgebend ist allein, daß der gegebene außergerichtliche Rechtsbehelf eingelegt worden ist und zu einer Entscheidung der Verwaltung geführt hat, durch die dem Rechtsbehelf der Erfolg versagt worden ist. Trifft das zu, so ist die Voraussetzung der erfolglosen Durchführung des außergerichtlichen Vorverfahrens nach § 44 Abs. 1 FGO für eine Klageerhebung erfüllt. Prozeßvoraussetzung ist nur die erfolglose Durchführung des Verfahrens über den außergerichtlichen Rechtsbehelf (vgl. Urteil des Senats vom 24. Juli 1984 VII R 122/80, BFHE 141, 470, BStBl II 1984, 791; vgl. auch BFH-Urteil vom 27. November 1985 II R 90/83, BFHE 145, 122, 125, BStBl II 1986, 243) mit der Folge, daß eine Sachentscheidung des Gerichts auch ergehen kann, wenn der außergerichtliche Rechtsbehelf als unzulässig verworfen worden ist. Da im Streitfall das außergerichtliche Vorverfahren erfolglos durchgeführt worden ist, konnte für die Entscheidung über die Fortsetzungsfeststellungsklage demnach die Frage, ob auch bei einer Erledigung im Sinne des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO vor Klageerhebung die Durchführung des außergerichtlichen Vorverfahrens erforderlich ist (vgl. dazu Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Februar 1967 I C 49.64, BVerwGE 26, 161, 167; Ule, Verwaltungsprozeßrecht, 9. Aufl., S. 258; Eyermann / Fröhler, a.a.O., § 113 Rdnr. 51), keine Bedeutung erlangen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415454

BFH/NV 1988, 457

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