Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht, Abgabenordnung Umsatzsteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Der BFH ist im zweiten Rechtsgang an seine rechtliche Beurteilung im ersten Rechtsgang gebunden.

Die unterschiedliche Zielsetzung der Umsatzsteuer und der Gewerbesteuer führt bei sog. Betriebsaufspaltungen hinsichtlich der Frage, ob ein Organschaftsverhältnis besteht, für die beiden Steuerarten regelmäßig zu unterschiedlichen Ergebnissen.

 

Normenkette

FGO § 126 Abs. 5; UStG § 2 Abs. 1 S. 2, § 2/2/2; UStDB § 17 Abs. 2

 

Tatbestand

Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang. Wegen der Sach- und Rechtslage wird auf das im ersten Rechtsgang ergangene Urteil des Senats V 27/60 U vom 6. Dezember 1962 (BStBl III 1963, 107) Bezug genommen.

Der Senat hatte in diesem Urteil die damalige Vorentscheidung aufgehoben und die Sache an das Finanzgericht (FG) zurückverwiesen mit dem Auftrage zu prüfen, ob die KG (Steuerpflichtige - Stpfl. -) und die GmbH zueinander im Verhältnis der Nebenordnung oder im Verhältnis der über- bzw. Unterordnung stehen. Er hatte hierbei unter Bezugnahme auf seine Rechtsprechung (Urteile V 81/59 U vom 13. April 1961, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 73 S. 209 - BFH 73, 209 -, BStBl III 1961, 343; V 193/59 vom 26. Oktober 1961, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1962 S. 211) darauf hingewiesen, daß eine durch Betriebsaufspaltung entstandene Kapitalgesellschaft im allgemeinen in einem Abhängigkeitsverhältnis zu der Besitzgesellschaft steht.

Das FG gelangte, weil es auf Grund des unstreitigen Sachverhalts eine finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung der GmbH in die KG sowie den Normalfall der Betriebsaufspaltung in eine Besitz- (Personen-) Gesellschaft und eine Betriebs- (Kapital-) Gesellschaft und damit entsprechend den Ausführungen des Senats im Urteil des ersten Rechtsgangs eine Abhängigkeit der GmbH von der KG als gegeben ansah, im zweiten Rechtsgang - ebenso wie im ersten - zur Zurückweisung der Berufung. In der Vorentscheidung wird in Anlehnung an die Rechtsprechung des Senats und des RFH (vgl. die Urteile V A 835/32 vom 13. Oktober 1933, RStBl 1934, 556, und V A 432/32 vom 6. Juli 1934, RStBl 1934, 1145) eingehend dargelegt, warum der für die Gewerbesteuer aufgestellte Grundsatz, daß ein Organschaftsverhältnis nur dann steuerlich anerkannt werden könne, wenn die Obergesellschaft eine betriebliche Tätigkeit ausübt, die als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr nach außen hin in Erscheinung tritt, und die Untergesellschaft nach Art einer bloßen Geschäftsabteilung in das Unternehmen der Obergesellschaft eingeordnet ist (vgl. Urteile I 119/56 U vom 25. Juni 1957, BFH 65, 181, BStBl III 1957, 303), für die Umsatzsteuer nicht gilt.

Mit der Rb., die nach dem Inkrafttreten der FGO als Revision zu behandeln ist (§ 184 Abs. 2, §§ 115 f. FGO), beantragt die Stpfl., die Umsätze zwischen ihr und der GmbH von der Umsatzsteuer freizustellen. Zur Begründung nimmt sie - wie schon in der Vorinstanz - auf die Rechtsprechung des I. und IV. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Organschaft Bezug. Sie weist insbesondere auf das Urteil IV 417/60 S vom 25. Juli 1963 (BFH 77, 504, BStBl III 1963, 505) hin, in dem ausgeführt werde, daß im Falle der Betriebsaufspaltung die Gesellschaften zueinander im Verhältnis der Gleich- oder Nebenordnung stünden. Der III. Senat habe in einem Rechtsstreit zum Ausdruck gebracht, daß trotz der Betriebsaufspaltung wirtschaftlich ein einheitliches Unternehmen vorliege (BFH-Urteil III 387/61 U vom 26. November 1964, BFH 81, 217, BStBl III 1965, 80). Der gleiche Sachverhalt, nämlich die Folgen einer "Betriebsaufspaltung", dürfe aber hinsichtlich der Begriffe "Unterordnung" - "Nebenordnung", und "einheitliches Unternehmen" nicht unterschiedlich beurteilt werden. Es werde daher eine "Harmonisierung" der unterschiedlichen Senatsrechtsprechung hinsichtlich der Wirkungen einer Betriebsaufspaltung durch den Großen Senat angeregt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Das FG führt zutreffend aus, daß es nach § 296 Abs. 4 AO (jetzt § 126 Abs. 5 FGO) an die rechtliche Beurteilung des BFH in seinem im ersten Rechtsgang ergangenen Urteil V 27/60 U vom 6. Dezember 1962 gebunden sei. Diese Bindung gilt aber grundsätzlich auch für den BFH selbst, wenn er im zweiten Rechtsgang mit der Sache befaßt wird (vgl. Urteile des BFH VI 98/61 S vom 7. Dezember 1962, BFH 76, 363, BStBl III 1963, 134; VI 304/64 U vom 23. April 1965, BFH 82, 666, BStBl III 1965, 487). Die behauptete Unrichtigkeit des Urteils des Senats im ersten Rechtsgang ist daher kein Revisionsgrund.

Eine Abkehr von der Rechtsprechung bezüglich der umsatzsteuerrechtlichen Auswirkungen einer Betriebsaufspaltung auf das Verhältnis der Gesellschaften zueinander ist in der Zwischenzeit nicht eingetreten. Der Senat hat vielmehr seinen Standpunkt in mehreren späteren Urteilen (V 24/61 vom 24. Oktober 1963, HFR 1964 S. 143; V 126/62 U vom 28. Januar 1965, BFH 81, 678, BStBl III 1965, 243) bekräftigt. Die Rechtsprechung anderer Senate des BFH zur Frage der Organschaft kann - wie in der Vorentscheidung ausführlich dargelegt wird - zum Vergleich nicht herangezogen werden, weil sie sich auf eine andere Steuerart, nämlich die Gewerbesteuer, bezieht, bei der die Verhältnisse grundsätzlich anders liegen als bei der Umsatzsteuer. "Bei den unterschiedlichen Zielsetzungen der Umsatzsteuer als allgemeiner Verbrauchsteuer und der Gewerbesteuer als Ertrag- (Real-) Steuer ist eine Gleichsetzung des Organschaftsbegriffs in vollem Umfange für beide Steuerarten nicht möglich. Während die Gewerbesteuer grundsätzlich auf den Betrieb abstellt, kommt es bei der Umsatzsteuer nur auf die Lieferungen und Leistungen an, gleichviel von welchem Gebilde diese ausgehen" (Urteil des BFH V 209/56 U vom 26. Februar 1959, BFH 68, 538, BStBl III 1959, 204). Die Voraussetzung für die Anerkennung eines Organschaftsverhältnisses bei der Gewerbesteuer, daß die Obergesellschaft einen nach außen in Erscheinung tretenden Gewerbebetrieb unterhält in den die Untergesellschaft nach Art einer bloßen Geschäftsabteilung (angestelltenähnlich, dienend) eingeordnet ist, gilt daher nicht bei der Umsatzsteuer (Urteil des BFH V 81/59 U vom 13. April 1961, BFH 73, 209, BStBl III 1961, 343). Berücksichtigt man diese Unterschiede, so wird klar, daß auch die Begriffe über- bzw. Unterordnung und Gleich- oder Nebenordnung im Gewerbesteuerrecht eine andere Bedeutung haben als im Umsatzsteuerrecht. Weil die Besitzgesellschaft lediglich eine verwaltende Tätigkeit ausübt, während die Betriebsgesellschaft den nach außen in Erscheinung tretenden Gewerbebetrieb unterhält, mithin die Betriebsgesellschaft der Besitzgesellschaft nicht nach Art einer bloßen Geschäftsabteilung "angestelltenähnlich dient", ist es für die gewerbesteuerliche Betrachtung richtig, daß die Gesellschaften einander nebengeordnet sind. Für die umsatzsteuerliche Betrachtung, die den Begriff "Gewerbebetrieb" nicht kennt, sondern von dem weiteren Begriff "Unternehmer" ausgeht, kommt es nur auf die tatsächlichen Herrschaftsverhältnisse an. Hier liegt aber ein deutliches übergewicht bei der Besitzgesellschaft, die der Betriebsgesellschaft die notwendigen wirtschaftlichen Grundlagen pachtweise überläßt und sie ihr durch Lösung des Pachtverhältnisses wieder entziehen kann. Aus der beherrschenden Vormachtstellung des Eigentümers und Verpächters gegenüber dem Pächter ergibt sich für die Umsatzsteuer die Schlußfolgerung, daß die Betriebs- (Kapital-) Gesellschaft der Besitz- (Personen-) Gesellschaft untergeordnet ist. Dem von der Stpfl. angeführten BFH-Urteil III 387/61 U vom 26. November 1964 (BFH 81, 217, BStBl III 1965, 80) kann Gegenteiliges nicht entnommen werden. Der dort gebrauchte Ausdruck "wirtschaftlich einheitliches Unternehmen" ist farblos. Es hat mit dem umsatzsteuerrechtlichen Begriff "Unternehmereinheit" nichts zu tun. Die "wirtschaftliche Einheit" zweier Gesellschaften spielt als Kennzeichen der "wirtschaftlichen Eingliederung" der einen Gesellschaft in die andere auch bei der Organschaft eine Rolle (vgl. Urteil des Senats V 81/59 U vom 13. April 1961, a. a. O.).

Da der Streitfall eine Rechtsfrage betrifft, die infolge der unterschiedlichen Struktur der Gewerbesteuer und der Umsatzsteuer für diese beiden Steuerarten verschieden zu beantworten ist, ein "Abweichen" in einer Rechtsfrage mithin nicht stattgefunden hat, kommt die Anrufung des Großen Senats des BFH gemäß § 11 Abs. 3 oder 4 FGO nicht in Betracht.

Die Revision war daher als unbegründet zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO, die Bestimmung des Streitwerts auf § 140 Abs. 3 FGO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412362

BStBl III 1967, 103

BFHE 1967, 231

BFHE 87, 231

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