Entscheidungsstichwort (Thema)

Benennungsverlangen gemäß § 160 AO 1977 bei Zahlungen an britisches Bauunternehmen

 

Leitsatz (NV)

  1. Bei einem in Großbritannien ansässigen Bauunternehmen, das Leistungen im Inland erbringt, besteht im Allgemeinen kein Anlass für die Annahme, dass es sich um eine Domizilgesellschaft handelt. Eine solche Annahme widerspräche den gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten.
  2. Ist für den Steuerpflichtigen bei vernünftiger Beurteilung der Umstände und bei Ausschöpfung seiner zumutbaren Erkenntnismöglichkeiten nicht erkennbar, dass es sich bei dem Zahlungsempfänger um eine Domizilgesellschaft handeln könnte, ist es ermessensfehlerhaft, ihn aufzufordern, die "hinter" dem Zahlungsempfänger stehenden Personen zu benennen.
 

Normenkette

AO 1977 § 160

 

Verfahrensgang

FG Berlin (EFG 2001, 330)

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, betreibt im Rahmen eines Bauunternehmens insbesondere das Fliesengewerbe. Sie hat im Streitjahr 1996 Banküberweisungen an ein englisches Unternehmen, die X-Ltd., vorgenommen und die überwiesenen Beträge als Betriebsausgaben verbucht. Die entsprechenden Rechnungen der X-Ltd. enthielten im Kopf unter der Angabe der Firma den Zusatz "Registered Company No. …" und die Anschrift "…" in England. Die X-Ltd. erbrachte Leistungen als Subunternehmerin der Klägerin aufgrund eines zwischen beiden per Telefax geschlossenen schriftlichen Werkvertrages vom 10. April 1996, der die jeweiligen im Inland belegenen Baustellen als vereinbarte Leistungsorte auswies.

Vor Vertragsabschluss hatte die Klägerin Erkundigungen über die X-Ltd. angestellt. Sie ließ sich von dieser diverse Unterlagen zum Nachweis der Identität vorlegen, so die Urkunde über die Eintragung einer "Private Limited Company", die Handwerkskarte der zuständigen deutschen Handwerkskammer vom 2. September 1995 nebst Bescheinigung über die Eintragung der X-Ltd. in die Handwerksrolle, wonach die X-Ltd. als Inhaberin eines Bau‐, Dachdecker‐ und Klempnereibetriebes im Handelsregister eingetragen und in der als Betriebssitz die Adresse in England angegeben und ein Betriebsleiter namentlich genannt ist, den britischen Umsatzsteuereintragungsbescheid der X-Ltd. vom 13. September 1995 und die Versicherungsbestätigung über den Abschluss einer Betriebshaftpflichtversicherung.

Auf Nachfrage teilte das Bundesamt für Finanzen (BfF) dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt ―FA―) mit, bei der X-Ltd. handele es sich ―wohl― um eine Sitz- oder Domizilgesellschaft: Es sei weder eine Geschäftsadresse noch ein Telefonanschluss unter ihrem Namen in Großbritannien ersichtlich. Die X-Ltd. verfüge lediglich über ein für Briefkastenfirmen typisches "Büroservice‐Domizil" bzw. eine "Korrespondenzadresse" unter der Anschrift einer Agentur für Büro‐ und Sekretariatsdienste, welche vorgebe, die X-Ltd. nicht zu kennen. Deren eingezahltes Kapital betrage nur 2 britische Pfund. Sie habe keine Mitarbeiter, sei im Streitjahr im Telefonbuch nicht verzeichnet und in den einschlägigen Branchen‐ und Wirtschaftsführern nicht auffindbar. Ihr Direktor (Geschäftsführer) sei schon bei weiteren Firmen als Funktionsträger in Erscheinung getreten, die auch als Domizilgesellschaften bekannt seien. Eine wirkungsvolle, auf den Geschäftszweck der X-Ltd. ausgerichtete Geschäftsleitung durch ihn in Großbritannien sei nicht möglich. Als Gesellschafter seien zwei Personen eingetragen, die auch an weiteren diversen Briefkastenfirmen beteiligt seien. Vermutlich würden die Anteile an der angefragten Firma nur treuhänderisch gehalten. Die tatsächlichen Anteilseigner seien somit nicht bekannt. In Großbritannien, das aus gesellschafts‐ und steuerrechtlichen Gründen als "de facto Steueroase" zu klassifizieren sei, würden Briefkastengesellschaften üblicherweise durch örtlich ansässige Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer oder spezielle Gesellschaftsgründungsfirmen (sog. Registrierungsgesellschaften) gegründet, in deutschen Tageszeitungen zum Verkauf angeboten und auf Wunsch vor Ort verwaltet.

Aufgrund dieser Angaben versagte das FA unter Hinweis auf § 160 der Abgabenordnung (AO 1977) den von der Klägerin für die Zahlungen an die X-Ltd. beanspruchten Betriebsausgabenabzug. Die Klägerin habe die hinter der Gesellschaft stehenden Zahlungsempfänger nicht benannt.

Das Finanzgericht (FG) gab der dagegen gerichteten Klage statt. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2001, 330 veröffentlicht.

Das FA rügt mit seiner Revision Verletzung von § 160 AO 1977. Es beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet.

1. Gemäß § 160 AO 1977 können die Finanzbehörden im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens einen Steuerpflichtigen auffordern, den Empfänger von Betriebsausgaben zu benennen. Empfänger im Sinne der Norm ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) derjenige, dem der in der Betriebsausgabe enthaltene wirtschaftliche Wert übertragen wurde. Ist eine natürliche oder juristische Person, die die Zahlungen unmittelbar entgegennahm, lediglich zwischengeschaltet, weil sie entweder mangels eigener wirtschaftlicher Betätigung die ausbedungenen Leistungen nicht erbringen konnte oder weil sie aus anderen Gründen die ihr erteilten Aufträge und die empfangenen Gelder an Dritte weiterleitete, so ist sie nicht Empfänger i.S. des § 160 Abs. 1 Satz 1 AO 1977, so dass die hinter ihr stehenden Personen, an die die Gelder letztlich gelangt sind, zu benennen sind (vgl. im Einzelnen z.B. BFH-Urteil vom 10. März 1999 XI R 10/98, BFHE 188, 280, BStBl II 1999, 434; Senatsurteil vom 10. November 1998 I R 108/97, BFHE 187, 211, BStBl II 1999, 121, jeweils m.w.N.). Dies gilt auch und gerade dann, wenn es sich bei dem Zahlungsempfänger um eine sog. Domizilgesellschaft handelt (vgl. im Einzelnen Senatsurteil in BFHE 187, 211, BStBl II 1999, 121).

2. Ein Benennungsverlangen ist grundsätzlich rechtmäßig, wenn aufgrund der Lebenserfahrung die Vermutung naheliegt, dass der Empfänger einer Zahlung den Bezug zu Unrecht nicht versteuert hat (BFH-Urteil in BFHE 188, 280, BStBl II 1999, 434; Senatsurteil vom 9. August 1989 I R 66/86, BFHE 158, 7, BStBl II 1989, 995, jeweils m.w.N.). Das ist regelmäßig der Fall, wenn anzunehmen ist, dass die Angaben über den Empfänger einer Zahlung (Name und Anschrift) in der Buchführung unzutreffend oder nicht vollständig sind. Mit dem Ziel einer zutreffenden und gleichmäßigen Steuererhebung hat die Finanzbehörde dann ein berechtigtes Interesse an der Bekanntgabe des zutreffenden Namens und der richtigen Adresse, um ohne besondere Schwierigkeiten und Zeitaufwand in der Lage zu sein, den Empfänger zu ermitteln und die Beträge bei ihm zu erfassen (BFH-Urteil vom 15. März 1995 I R 46/94, BFHE 178, 99, BStBl II 1996, 51).

Allerdings steht das Benennungsverlangen in besonderem Maße unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit (BFH-Urteil in BFHE 188, 280, BStBl II 1999, 434, m.w.N.). Das bedeutet, dass das Verlangen nicht unverhältnismäßig sein darf und die für den Steuerpflichtigen zu befürchtenden Nachteile (z.B. wirtschaftliche Existenzgefährdung) nicht außer Verhältnis zum beabsichtigten Aufklärungserfolg (z.B. geringfügige Steuernachholung bei den Empfängern) stehen dürfen (BFH-Beschluss vom 25. August 1986 IV B 76/86, BFHE 149, 381, BStBl II 1987, 481). Da es um den Abzug einzelner Betriebsausgaben geht, ist die Frage der Verhältnismäßigkeit eines Benennungsverlangens nicht für alle Geschäftsvorfälle einheitlich, vielmehr im Hinblick auf den jeweiligen einzelnen Geschäftsvorfall zu beurteilen. Dabei kann nur auf den Zeitpunkt der entsprechenden Zahlung abgestellt werden (BFH-Beschluss vom 6. April 1993 XI B 94/92, BFH/NV 1993, 633). Entscheidend ist, inwieweit für den Steuerpflichtigen zu diesem Zeitpunkt zumutbar war, sich nach den Gepflogenheiten eines ordnungsmäßigen Geschäftsverkehrs der Identität seines jeweiligen Geschäftspartners zu vergewissern, um so in der Lage zu sein, ihn als Empfänger von Zahlungen zutreffend zu bezeichnen (BFH-Urteile in BFHE 188, 280, BStBl II 1999, 434; vom 17. Dezember 1980 I R 148/76, BFHE 132, 211, BStBl II 1981, 333).

3. Im Streitfall ist das FG von diesen Grundsätzen der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ausgegangen. Es hat sie jedenfalls im Ergebnis zutreffend und für den Senat bindend (vgl. § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) angewandt. Zumindest sind keine Verstöße gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze erkennbar oder vom FA geltend gemacht worden, die es rechtfertigen könnten, dass der Senat eine andere Sachverhaltswürdigung an die Stelle jener des FG stellt.

Nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz hat die Klägerin bei Anbahnung des Geschäftskontaktes mit der X-Ltd. zwar Gründe dafür gehabt, Erkundungen und Nachforschungen anzustellen, um sich der Identität und Solidität der X-Ltd. zu vergewissern. Es sind dies letztlich jene Gründe und Erwägungen, die vom FA mit seiner Revision angeführt werden, so der Umstand, dass es sich um eine ihr bislang fremde Gesellschaft mit ausländischer Rechtsform und Sitz im Ausland handelte, die für ein englisches Unternehmen vielleicht ungewöhnliche Firmenbezeichnung unter Verwendung des deutschen Wortes "Bau" oder der Telefax-Anschluss in den Niederlanden. Sich hiernach aufdrängende Identitätsprüfungen wurden von der Klägerin indes vorgenommen. Sie erhielt auf ihre Aufklärungsbemühungen eine Reihe von Auskünften ―solche der X-Ltd., aber auch dritter Stellen wie der Handwerkskammer―, die nach revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Einschätzung der Vorinstanz durchaus geeignet sein konnten, etwaige Ungewissheiten zu beseitigen. Die der X-Ltd. übertragenen Aufträge wurden in der Folgezeit auch ordnungsgemäß und nach unwidersprochenem Vorbringen der Klägerin mit englisch sprechenden Arbeitnehmern erfüllt.

Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der X-Ltd. dessen ungeachtet um eine Domizil- oder Briefkastenfirma ohne Funktion und ohne eigenes Personal handeln könnte, waren hiernach zumindest aus der insoweit maßgeblichen Sicht der Klägerin bei vernünftiger Beurteilung der Gegebenheiten (vgl. dazu Senatsurteil in BFHE 187, 211, BStBl II 1999, 121) nicht erkennbar. Solche Vermutungen wurden jedenfalls nicht bereits dadurch genährt, dass der Vertragsschluss über einen Telefax-Anschluss in den Niederlanden erfolgte und dass die X-Ltd. in Großbritannien residierte. Großbritannien und die Niederlande sind ―anders als z.B. Liechtenstein (vgl. das vorgenannte Senatsurteil) oder auch die Kanalinseln― gemeinhin nicht als typische sog. Steueroasen bekannt. Es entspricht auch der durch die gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten, insbesondere der Freiheit des Warenverkehrs, der Niederlassungsfreiheit und der Freizügigkeit geschützten Normalität und ist als solches unverdächtig, dass ein englisches Unternehmen in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft tätig wird. Die Klägerin musste sich von daher also nicht der Gefahr bewusst sein, dass die Gesellschaft "zur Umgehung der Steuerpflicht von Inländern eingeschaltet" (vgl. Senatsurteil in BFHE 187, 211, BStBl II 1999, 121, 123) worden wäre. In diesem Zusammenhang bleibt zu berücksichtigen, dass das BfF und das FA sich bis heute nicht abschließend sicher darüber sind, ob es sich bei der X-Ltd. überhaupt um eine Domizilgesellschaft handelt. Es können dem Steuerpflichtigen im Geschäftsverkehr aber keine Erkundungen aufgebürdet werden, zu denen selbst die Finanzbehörden nicht in der Lage sind.

Nach allem ist mit der Vorinstanz davon auszugehen, dass die Klägerin ihre Erkenntnismöglichkeiten zur Ermittlung der zutreffenden Identität der X-Ltd., soweit diese unter den gegebenen Umständen nahelagen, im Zeitpunkt der Zahlungen in hinnehmbarer Weise ausgeschöpft hat. Darauf, ob ihr weitere Erkundungen zumutbar gewesen wären, kommt es nicht mehr an. In Anbetracht dessen war das weitergehende Benennungsverlangen des FA ermessenswidrig.

 

Fundstellen

Haufe-Index 705698

BFH/NV 2002, 609

DStRE 2002, 395

HFR 2002, 673

NWB 2002, 1079

IStR 2002, 274

KÖSDI 2002, 13302

AO-StB 2002, 150

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