Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Der BFH tritt dem Urteil V A 1011/29 vom 18. Juli 1930 (Slg. Bd. 27 S. 56) bei, wonach die Haftungsbeschränkung des § 109 Abs. 2 (früher § 90 Abs. 2) AO auch für den Fall gilt, daß ein Rechtsanwalt als Konkursverwalter tätig ist. Die entgegengesetzte Ansicht des RFH in dem Urteil II e A 55/36 vom 24. September 1936 (Slg. Bd. 40 S. 75) wird abgelehnt.

 

Normenkette

AO § 109 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Steuerpflichtige (Stpfl.) ist Rechtsanwalt. Er war durch Beschluß des Amtsgerichts seines Wohnorts zum Konkursverwalter über das Vermögen eines Kaufmanns bestimmt worden und hat in dieser Eigenschaft verschiedene zur Konkursmasse gehörende Gegenstände veräußert, jedoch die dadurch entstandene Umsatzsteuerschuld aus den Erlösen nur teilweise getilgt. Hinsichtlich des fehlenden Steuerbetrags hat das Finanzamt gegen ihn unter Berufung auf die §§ 103 ff. der Reichsabgabenordnung (AO) einen Haftungsbescheid erlassen. Das Finanzgericht hat auf die Berufung des Stpfl. hin den Haftungsbescheid für unzulässig erklärt, weil die Verfahrensvoraussetzung des § 109 Abs. 2 Satz 2 AO, nämlich die ehrengerichtliche Feststellung, daß der Stpfl. als Rechtsanwalt seine Berufspflicht verletzt habe, fehle.

Der Vorsteher des Finanzamts macht mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) geltend, § 109 Abs. 2 AO betreffe nur die Fälle von Handlungen eines Rechtsanwaltes, die er in Ausübung seines Berufes bei der Beratung in Steuersachen vornehme. Der Stpfl. habe aber als gesetzlicher Vertreter einer Konkursmasse gehandelt, also als Unternehmer, für den die Umsatzsteuerschuld eine eigene Schuld sei. Es sei nicht einzusehen, warum ein Rechtsanwalt insoweit besser als andere Unternehmer, insbesondere als andere Konkursverwalter, gestellt werden solle.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. kann keinen Erfolg haben.

§ 109 Abs. 2 AO hat den Sinn, Rechtsanwälten gegenüber der in § 109 Abs. 1 AO ausgesprochenen Haftung eine Vergünstigung zu gewähren. § 109 Abs. 1 AO begründet eine Haftung jedoch nur bei schuldhafter Verletzung der in den §§ 103 bis 108 AO auferlegten Pflichten. Zu diesen Pflichten gehört nicht die Beratung in Steuersachen. Wenn also § 109 Abs. 2 AO nur eine Vergünstigung für Rechtsanwälte wegen der Handlungen schaffen würde, die bei der Beratung in Steuersachen vorgenommen worden sind, so wäre damit im Endergebnis keine Vergünstigung geschaffen worden. Die Kommentatoren der AO sind darum einhellig der Ansicht, daß die Fassung des § 109 Abs. 2 AO fehlgegangen ist und der Absicht des Gesetzgebers nicht entspricht. Soviel jedenfalls steht fest, daß § 109 Abs. 1 AO durch den Abs. 2 zugunsten der Rechtsanwälte eingeschränkt werden soll (vgl. insbesondere die Ausführungen von Becker in Steuer und Wirtschaft 1928, Sp. 473 und 482).

Wenn es sich um die eigenen Steuerpflichten eines Rechtsanwaltes handelt, kann § 109 Abs. 2 AO nicht angewandt werden. Daraus läßt sich aber nicht herleiten, daß auf einen Rechtsanwalt in seiner Eigenschaft als Konkursverwalter § 109 Abs. 2 AO nicht anwendbar sei. Es trifft zwar zu, daß der Rechtsanwalt, der Gegenstände einer Konkursmasse veräußert, umsatzsteuerlich nach Art eines Unternehmers handelt. Es ist aber nicht zu verkennen, daß sich der vom Amtsgericht als Konkursverwalter bestellte Rechtsanwalt nicht freiwillig der Konkursverwalteraufgabe unterzieht. Er wird z. B. als Konkursverwalter über das Vermögen eines Kaufmanns nicht selbst zum Kaufmann im Sinne des HGB. Die Konkursmasse, die, wie hier, einen gewerblichen Betrieb mit umfassen kann, ist ein dem Rechtsanwalt fremdes Vermögen. Auch wenn der Konkursverwalter anläßlich der Verwertung der Konkursmasse Umsatzsteuer zu entrichten hat, entrichtet er sie nicht als eine eigene Steuerverbindlichkeit.

Konkursverfahren führen ebenso wie Testamentsvollstreckungen, Nachlaßverwaltungen und dergleichen erfahrungsgemäß häufig zu Rechtsstreitigkeiten. Deshalb werden gerade Rechtsanwälte vielfach zu Konkursverwaltern, Testamentsvollstreckern usw. bestellt. Bisweilen ist ein Rechtsanwalt zum Konkursverwalter gleichzeitig für mehrere verschiedene Konkurse ernannt und hat daneben noch seine Praxis, die sich teilweise auf dem Gebiete der streitigen und teilweise auf dem Gebiete der freiwilligen Gerichtsbarkeit abspielen kann. Solchenfalls ist es durchaus möglich, daß bei der vorliegenden Arbeitsfülle einmal ein Versehen unterläuft, z. B. eine Vermögensmasse verteilt wird, ohne daß davon vorher eine fällige Steuer einbehalten und an das Finanzamt abgeführt worden ist. Für derartige Fälle die strenge Haftung nach § 109 Abs. 1 AO zu mildern, war die Absicht des Gesetzgebers bei Schaffung des § 109 Abs. 2 AO. Das Finanzgericht hat dies richtig erkannt und demgemäß über den Fall geurteilt, wobei es der Entscheidung des Reichsfinanzhofs V A 1011/29 vom 18. Juli 1930 (Slg. Bd. 28 S. 56) gefolgt ist. Den Ausführungen dieses Urteils des Reichsfinanzhofs tritt der Senat im Endergebnis bei, da eine Auslegung des § 109 Abs. 2 AO nach seinem Wortlaute zu einem sinnwidrigen Ergebnis führen würde, das vom Gesetzgeber nicht gewollt sein kann. Die Haftungsbeschränkung für Rechtsanwälte im § 109 Abs. 2 AO ist sonach auf alle Fälle anzuwenden, in denen nach Abs. 1 eine Haftung des Rechtsanwaltes gegeben wäre, also insbesondere in den Fällen, in denen ein Rechtsanwalt zum Konkursverwalter deshalb bestellt wird, weil er einen anwaltlichen Beruf ausübt. Die meisten Kommentare zur AO sprechen sich ebenfalls in diesem Sinne aus. Die Auffassung der auf § 1 des Steueranpassungsgesetzes und ausdrücklich auf die Auslegung der Steuergesetze nach nationalsozialistischer Weltanschauung gestützten Entscheidung des Reichsfinanzhofs III e A 55/36 vom 24. September 1936 (Slg. Bd. 40 S. 75) ist abzulehnen.

Der Vorentscheidung ist somit unter Zurückweisung der Rb. beizutreten. Dem Finanzamt bleibt es überlassen, bei der Oberfinanzdirektion den Antrag auf Einleitung eines ehrengerichtlichen Verfahrens anzuregen, falls es eine Verletzung der anwaltlichen Berufspflicht des Konkursverwalters durch eine grobe Fahrlässigkeit für gegeben und dementsprechend die Geltendmachung des Anspruchs nach Recht und Billigkeit für angebracht hält.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 309 AO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408895

BStBl III 1957, 453

BFHE 1958, 573

BFHE 65, 573

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