Entscheidungsstichwort (Thema)

Notwendige Beiladung bei Streit über den Einheitswert des Grundstücks einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts

 

Leitsatz (NV)

Erhebt der Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts gegen den Einheitswertbescheid für ein im Gesamthandseigentum aller Gesellschafter stehendes Grundstück Klage, so sind die zum maßgeblichen Bewertungsstichtag an der Grundstücksgesellschaft beteiligten Gesellschafter -- im Falle ihres Todes deren Rechtsnachfolger (Erben) -- notwendig zum Verfahren beizuladen.

 

Normenkette

FGO §§ 48, 60 Abs. 3

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte zu 1 (Kläger zu 1) und die Klägerin und Revisionsbeklagte zu 2 (Klägerin zu 2) hatten ein unbebautes Grundstück in eine Grundstücksgesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) eingebracht, an der seit April 1982 auch Frau S als Gesellschafterin beteiligt war. Nach der Bebauung des Grundstücks mit einem Gebäude im Jahre 1982 führte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) durch Bescheid vom 5. März 1985 auf den 1. Januar 1983 eine Art-, Wert- und Zurechnungsfortschreibung durch; es bewertete das Grundstück als Zweifamilienhaus, für das es den Wert im Sachwertverfahren gemäß § 76 Abs. 3 Nr. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) ermittelte. Das FA rechnete nach Maßgabe des Gesellschaftsvertrags dem Kläger zu 1 einen Grundstücksanteil von 4/10, der Klägerin zu 2 einen Grundstücksanteil von 5/10 und Frau S einen Grundstücksanteil von 1/10 zu.

Mit seinem Einspruch wandte sich der Kläger zu 1 sowohl gegen die Artfortschreibung zum Zweifamilienhaus, da ein gemischtgenutztes Grundstück vorliege, als auch gegen die Wertfortschreibung, da erhebliche Wertminderungen zu berücksichtigen seien. Der Einspruch hatte teilweise Erfolg. Das FA, das die Klägerin zu 2 und Frau S gemäß § 360 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) hinzugezogen hatte, hat durch Einspruchsentscheidung "auf den Einspruch (des Klägers zu 1) gegen den Einheitswertbescheid auf den 1. 1. 1983 (Wertfortschreibung)" den Einheitswert für das Grundstück auf ... DM herabgesetzt, im übrigen aber den Einspruch zurückgewiesen. Je eine Ausfertigung der Einspruchsentscheidung wurde dem Kläger zu 1 und der Klägerin zu 2 durch die Post mit Zustellungsurkunde am 20. Juni 1990 zugestellt. Gegenüber Frau S unterblieb die Zustellung, da Frau S am 29. Januar 1990 verstorben war.

Mit der Klage wandten sich die Kläger gegen den vom FA im Sachwertverfahren zugrunde gelegten Bodenwert, die Ermittlung des umbauten Raumes sowie den angesetzten Raummeterpreis und beantragten, unter teilweiser Aufhebung der Einspruchsentscheidung sowie des Einheitswertbescheides den Einheitswert für das Grundstück zum 1. Januar 1983 auf ... DM herabzusetzen.

Die Klage führte zur Aufhebung des angefochtenen Einheitswertbescheids sowie der Einspruchsentscheidung.

Das Finanzgericht (FG) vertritt -- unter Hinweis auf sein in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1992, 390 veröffentlichtes Urteil vom 17. Dezember 1991 5 K 1064/91 -- die Auffassung, daß die Einheitswerte des Grundvermögens, gleichgültig ob sie im Ertragswertverfahren oder im Sachwertverfahren festgestellt worden seien, gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verstoßen, weil sie in willkürlicher Weise um ein Mehrfaches niedriger als nicht einheitswertgebundenes Vermögen in die Besteuerung eingingen. Unter Berufung auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 27. Juni 1991 2 BvR 1493/89 (BStBl II 1991, 654), wonach der Gleichheitssatz für das Steuerrecht die rechtliche und tatsächliche Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen auch im Umfeld bis hin zum tatsächlichen Erfolg verlange, bejahte das FG einen Gleichheitsverstoß durch die Verordnung zur Durchführung des § 90 des Bewertungsgesetzes vom 2. September 1966 -- sog. Wertzahlverordnung (WertzahlVO) -- (BGBl I 1966, 553, BStBl I 1966, 885) i. d. F. der Änderungsverordnung vom 25. Februar 1970 (BGBl I 1970, 216, BStBl I 1970, 252) und stellte deren Nichtigkeit fest. Da damit die Einheitsbewertung "blockiert" sei, folge hieraus -- so das FG --, "daß der Senat den Beklagten nicht zur Bewertung des streitigen Grundstücks im Ertragswertverfahren verpflichten kann, wie es der Kläger sinngemäß begehrt".

Das FG hat am 28. Mai 1991 beschlossen, Frau S als "Miteigentümerin des Grundstücks" zum Verfahren beizuladen. Der Beschluß konnte jedoch der bereits am 29. Januar 1990 verstorbenen Frau S nicht zugestellt werden.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 90 Abs. 1 und 2 BewG i. V. m. der WertzahlVO. Das FA weist zur Begründung auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 8. März 1989 II R 239/81 (BFHE 156, 239, BStBl II 1989, 495) hin, in dem der BFH inzident von der Verfassungsmäßigkeit der WertzahlVO ausgegangen sei. Das FG habe daher zu Unrecht die WertzahlVO als nichtig angesehen und den darauf gestützten Einheitswertbescheid aufgehoben.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt aus verfahrensrechtlichen Gründen zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Denn das FG hat die an der Grundstücksgesellschaft weiter beteiligte Mitgesellschafterin Frau S bzw. deren Erben als Rechtsnachfolger nicht zu dem Verfahren beigeladen.

Nach § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO müssen Dritte notwendig beigeladen werden, wenn sie an einem Rechtsstreit derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Erhebt ein Gesellschafter einer GbR gegen den Einheitswertbescheid für ein im Gesamthandseigentum aller Gesellschafter stehendes Grundstück Klage, so ist diese Voraussetzung bezüglich der übrigen Gesellschafter erfüllt. Denn die gesonderte Feststellung des Einheitswerts wird gemäß § 179 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 180 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 gegenüber allen Beteiligten zur gesamten Hand, denen nach § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 das Grundstück anteilig zuzurechnen ist, einheitlich vorgenommen (vgl. hierzu Kühn/Hofmann, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, 17. Aufl., § 60 FGO Anm. 3, § 360 AO 1977 Anm. 2 b, aa); dem steht auch § 60 Abs. 3 Satz 2 FGO im Streitfall nicht entgegen, da die Klagebefugnis der Frau S als Gesellschafterin der GbR nicht nach § 48 FGO ausgeschlossen ist. Auch die Vorinstanz ist offensichtlich zunächst von der Notwendigkeit der Beiladung der Frau S ausgegangen. Doch wurde der Beiladungsbeschluß vom 28. Mai 1991 mangels ordnungsgemäßer Zustellung an alle Beteiligten gemäß § 60 Abs. 4 FGO nicht wirksam. Da die Beigeladene zu jenem Zeitpunkt bereits verstorben war, hätte das FG deren Erben als Rechtsnachfolger der Verstorbenen notwendig zum Verfahren beiladen müssen (vgl. BFH- Urteil vom 23. Mai 1973 I R 121/71, BFHE 110, 1, BStBl II 1973, 746). Davon durfte das FG nicht deshalb absehen, weil Frau S, wie der Kläger zu 1 in der mündlichen Verhandlung vor dem FG geltend gemacht hat, vor ihrem Tod aus der Gesamthandsgemeinschaft ausgeschieden ist. Entscheidend ist vielmehr, daß Frau S an dem hier maßgeblichen Bewertungsstichtag 1. Januar 1983 noch an der Grundstücksgesellschaft beteiligt war. Die Notwendigkeit, einen ausgeschiedenen Gesellschafter (bzw. dessen Rechtsnachfolger) beizuladen, besteht selbst dann, wenn er während des finanzgerichtlichen Verfahrens ausgeschieden ist (vgl. BFH-Beschluß vom 19. Juni 1990 VIII B 3/89, BFHE 161, 404, BStBl II 1990, 1068). Auch der Umstand, daß dem FG die Erben der Frau S (noch) nicht bekannt waren, entbindet das FG nicht von seiner Verpflichtung, diese beizuladen.

Die Unterlassung einer notwendigen Beiladung stellt einen von Amts wegen zu beachtenden Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens dar (vgl. BFH-Urteil vom 28. Januar 1966 III 96/62, BFHE 85, 327, BStBl III 1966, 327). Auf die notwendige Beiladung kann weder verzichtet noch kann sie in der Revisionsinstanz nachgeholt werden (§ 123 FGO; BFH-Urteil vom 28. November 1974 I R 62/74, BFHE 114, 167, BStBl II 1975, 209). Ist eine notwendige Beiladung unterblieben, muß die Entscheidung des FG aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen werden, damit die Beiladung nachgeholt werden kann (BFH-Urteil vom 21. Juni 1988 VIII R 93/87, BFH/NV 1989, 589).

Da auch die Einspruchsentscheidung des FA aufgrund des Todes der Frau S nicht wirksam zugestellt wurde, wird das FG vor einer Nachholung der Beiladung prüfen müssen, inwieweit gemäß § 74 FGO eine Aussetzung des Verfahrens angezeigt ist, um dem FA Gelegenheit zu geben, die wirksame Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung an die Erben der Frau S als deren Rechtsnachfolger nachzuholen.

Im weiteren Verfahren muß sich das FG mit den Einwendungen der Kläger gegen die Wertansätze zur Feststellung des Einheitswerts im Sachwertverfahren auseinandersetzen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420750

BFH/NV 1996, 49

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