Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit kommt bei der Möglichkeit eines Rechtsirrtums nicht in Betracht.

Die Tatbestände des § 92 Abs. 3 und des § 222 Abs. 1 Ziffern 3 und 4 AO sind verschieden.

 

Normenkette

AO § 92 Abs. 3, § 92/2, §§ 214, 216 Abs. 1 Nr. 1, § 222/1/3, § 222/1/4

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der nichtangefochtene Einheitswertbescheid für das Betriebsvermögen auf den 21. Juni 1948 nach § 92 Abs. 3 AO zu berichtigen ist.

Der Bg. betreibt eine Bäckerei und ein Lebensmittelgeschäft. Das ihm gehörige Haus, das die Wohnung, die Backstube und den Laden enthält, wurde bei der Einheitswertfeststellung des Grundstückes auf den 1. Januar 1935 als Betriebsgrundstück mit einem Einheitswert von 9.400 RM bewertet. Bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1940 wurde es dem Betriebsvermögen zugerechnet. In dem "Anhang Gew zur Vermögenserklärung 1946" vom April 1946 führte es der Bg. als Betriebsgrundstück an. Diese Angabe wurde vom Finanzamt gestrichen; die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1946 erfolgte ohne das Grundstück. Bei einer Betriebsprüfung im Jahre 1952 blieb das Grundstück bei der Ermittlung des Betriebsvermögens auf den 21. Juni 1948, den 1. Januar 1950 und den 1. Januar 1951 unberücksichtigt. Dementsprechend reichte der Bg. im Jahre 1953 Vermögenserklärungen zu den genannten Stichtagen ein, in denen er das Grundstück dem Grundvermögen zurechnete. In dem Einheitswertbescheide vom 25. September 1953 betreffend Feststellung des Betriebsvermögens auf den 21. Juni 1948 sowie in den Bescheiden auf den 1. Januar 1950 und den 1. Januar 1953 war das Grundstück nicht enthalten. Bei der Einheitsbewertung des gewerblichen Betriebes auf den 1. Januar 1954 setzte das Finanzamt das Grundstück mit dem inzwischen auf 9.900 DM fortgeschriebenen Einheitswerte als Betriebsgrundstück an. Den Einheitswertbescheid auf den 21. Juni 1948 vom 25. September 1953 berichtigte es durch Bescheid vom 4. Dezember 1958 nach § 92 Abs. 3 AO dahin, daß es den Einheitswert des Grundstückes in das Betriebsvermögen einbezog. Gegen die Berichtigung legte der Bg. Sprungberufung mit der Begründung ein, es liege keine offenbare Unrichtigkeit vor; außerdem verstoße die Berichtigung gegen Treu und Glauben, da er den Sachverhalt genügend unterbreitet habe, und das Finanzamt von sich aus seit dem 1. Januar 1946 das Grundstück nicht mehr zum Betriebsvermögen gerechnet habe.

Das Finanzamt führte dagegen aus, das Grundstück sei bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens auf den 21. Juni 1948 versehentlich nicht erfaßt worden. Die rechtliche Entscheidung über die Zurechnung des Grundstückes zum Betriebsvermögen sei bei der Einheitsbewertung des Grundstückes im Jahre 1935 rechtskräftig getroffen worden. Bei der Feststellung des Einheitswertes des Betriebsvermögens auf den 21. Juni 1948 sei diese Frage nicht erneut zu entscheiden gewesen. Es könne daher auch kein Fehler im Entscheidungswillen vorliegen. Die Berichtigung eines Fehlers verstoße nicht gegen Treu und Glauben.

Die Berufung hatte Erfolg. Das Finanzgericht setzte unter Aufhebung des Berichtigungsbescheides den Bescheid vom 25. September 1953 wieder in Kraft. Infolge der unterschiedlichen Behandlung des Grundstückes in den vorangegangenen Jahren bestehe die Möglichkeit eines Rechtsirrtums. Die Veranlagungsdienststelle habe bei der ersten Festsetzung des Einheitswertes des Betriebsvermögens auf den 21. Juni 1948 die Zugehörigkeit des Grundstückes zum Betriebsvermögen im Anschluß an den Betriebsprüfungsbericht offensichtlich verneint. Wenn diese Auffassung des Finanzamts unrichtig sei, könne nicht gesagt werden, "es sei keinesfalls ein Rechtsirrtum unterlaufen".

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts ist nicht begründet.

Ein Betriebsgrundstück ist nach § 57 des Bewertungsgesetzes (BewG) der Grundbesitz, der zu einem gewerblichen Betriebe gehört. Ob ein Grundstück dem Grundvermögen oder dem Betriebsvermögen zugehört, wird bei der gemäß § 214 AO erforderlichen gesonderten Feststellung des Einheitswertes des Grundstückes entschieden. Der festgestellte Einheitswert eines Betriebsgrundstückes bildet eine Untereinheit für den Einheitswert des Betriebsvermögens. Die Frage der Zugehörigkeit zum Betriebsvermögen gehört nach § 216 Abs. 1 Ziff. 1 AO in das Verfahren über den Einheitswert des Grundstückes. Diese Entscheidung ist für den Einheitswert des Betriebsvermögens bindend (vgl. hierzu Urteil des Bundesfinanzhofs III 153/58 S vom 24. Oktober 1958, BStBl 1959 III S. 2, Slg. Bd. 68 S. 1).

Diese Feststellungswirkung des das Grundstück betreffenden Einheitswertbescheides hat offensichtlich der Veranlagungsbeamte nicht richtig gewürdigt. Wenn das Finanzamt jahrelang in übereinstimmung mit der Betriebsprüfung unter Abänderung der gegenteiligen Erklärung des Bg. das Grundstück in Abweichung von der Einheitswertfeststellung auf den 1. Januar 1935 nicht zum Betriebsvermögen gerechnet hat, dann liegt darin keine offenbare Unrichtigkeit, die nach § 92 Abs. 3 AO zu berichtigen wäre. Der Akteninhalt spricht dafür, daß dem Veranlagungsbeamten nicht bekannt war, daß die Frage, ob ein Betriebsgrundstück gegeben ist, in dem Verfahren über die Einheitsbewertung des Grundstückes auszutragen ist, und daher die Eigenschaft als Betriebsgrundstück bis zur Abänderung des Einheitswertbescheides auf den 1. Januar 1935 zu beachten war. Hier ist bei der Bildung des Entscheidungswillens ein Fehler unterlaufen, während grundsätzlich nur Fehler bei der Erklärung des Entscheidungswillens durch Berichtigung nach § 92 Abs. 3 AO behoben werden können (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 320/53 U vom 18. Februar 1954, BStBl 1954 III S. 133, Slg. Bd. 58 S. 585). Wenn auch nicht immer diese Abgrenzung zu einem eindeutigen Ergebnis zu führen braucht (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 270/60 U vom 17. Januar 1961, BStBl 1961 III S. 144), so ist in jedem Falle daran festzuhalten, daß die Möglichkeit eines Rechtsirrtums die Anwendung des § 92 Abs. 3 AO ausschließt. Ein vorhandener oder möglicher Rechtsirrtum kann unter den Voraussetzungen des § 222 Abs. 1 Ziff. 3 oder 4 AO berichtigt werden.

Das Urteil des Reichsfinanzhofs III A 357/33 vom 22. Februar 1934 (RStBl 1934 S. 261), wonach in dem übersehen eines maßgeblichen Feststellungsbescheides eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 92 Abs. 3 AO liegen soll, paßt nicht auf den vorliegenden Fall. Denn es steht hier nicht fest, daß der Veranlagungsbeamte die bindende Wirkung des das Grundstück betreffenden Einheitswertbescheides auf das Betriebsvermögen kannte. Der erkennende Senat hat die Klarstellung der Bedeutung der Einheitsbewertung des Grundstückes noch im Jahre 1958 in der oben genannten Entscheidung III 153/58 S für notwendig gehalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410027

BStBl III 1961, 229

BFHE 1961, 625

BFHE 72, 625

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