Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine straf- und steuerbefreiende Erklärung von Kapitaleinkünften bei Entdeckung einer vor 1986 begangenen Steuerverkürzung

 

Leitsatz (NV)

Eine straf- und steuerbefreiende Erklärung (§ 1 Abs. 1, § 2 StrbEG) ist auch dann gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 3 StrbEG ausgeschlossen, wenn die Einkommensteuer 1983 -- 1985 verkürzt und dies durch eine diesen Zeitraum betreffende Außenprüfung entdeckt wurde.

 

Normenkette

AO 1977 § 164 Abs. 2, § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 370 Abs. 1, 4; StrbEG § 1 Abs. 1, 3 Nrn. 1, 3, § 2; EStG § 20 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die zur Einkommensteuer zusammen veranlagt werden. Aufgrund einer bei ihnen u. a. wegen der Einkommensteuer für die Streitjahre 1983 bis 1985 ab 31. August 1987 durchgeführten Außenprüfung (Betriebsprüfungsbericht vom 19. Oktober 1987) wurde festgestellt, daß sie in ihren Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre Einnahmen aus Kapitalvermögen in Höhe von 13 086 DM (1983) bzw. 9 979 DM (1984) bzw. 6 382 DM (1985) nicht angegeben hatten. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) änderte dementsprechend am 8. Februar 1988 die für die Streitjahre ergangenen Einkommensteuerbescheide nach § 173 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) bzw. § 164 Abs. 2 AO 1977 (für 1985). Die zutreffende Einkommensteuererklärung für 1986 hatten die Kläger am 18. Januar 1988 abgegeben; die Einkommensteuererklärung für 1987 reichten sie am 16. Mai 1989 ein.

Die nach erfolglosem Einspruch gegen die Änderungsbescheide erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1992, 466 veröffentlichtem Urteil als unbegründet ab.

Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision rügen die Kläger Verletzung materiellen Rechts, insbesondere des § 1 Abs. 3 Nr. 3 des Gesetzes über die strafbefreiende Erklärung von Einkünften aus Kapitalvermögen und von Kapitalvermögen (StrbEG). Bei verfassungskonformer Auslegung müsse die Anwendung der Vorschrift auf Veranlagungszeiträume nach 1985 beschränkt werden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Der Senat tritt der Vorentscheidung bei.

Das FG ist zu Recht mit den Beteiligten stillschweigend davon ausgegangen, daß die strittigen Änderungsbescheide aufgrund der bei der Außenprüfung getroffenen Feststellungen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 bzw. § 164 Abs. 2 AO 1977 ergehen konnten.

Die Vorentscheidung ist auch rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, daß § 2 StrbEG der nachträglichen Erfassung der Einkünfte aus Kapitalvermögen für die Streitjahre nicht entgegensteht. Nach dieser Vorschrift wird die auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen entfallende Einkommensteuer für Veranlagungszeiträume vor 1986 nicht festgesetzt, wenn insoweit nach § 1 StrbEG Straf- oder Bußgeldfreiheit eintritt. Letztere setzt eine strafbefreiende Erklärung i. S. des § 1 Abs. 1 StrbEG voraus, die jedoch nach Abs. 3 der Vorschrift auch für zurückliegende Zeiträume ausgeschlossen ist, falls -- so Nr. 1 -- vor der strafbe- freienden Erklärung ein Amtsträger der Finanzbehörde zur Prüfung der Einkommen- oder Vermögensteuer -- oder zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit -- erschienen ist bzw. -- so Nr. 3 -- die Tat im Zeitpunkt der straf befreienden Erklärung ganz oder zum Teil bereits entdeckt war und der Täter dies wußte oder damit rechnen mußte.

Insbesondere hinsichtlich des Prüfungszeitraums im Rahmen des § 1 Abs. 3 Nr. 1 StrbEG geht die überwiegende Meinung davon aus, daß sich die Außenprüfung nicht auf die Jahre ab 1986 zu beziehen braucht, sondern -- wie es hier geschehen ist -- vorhergegangene Veranlagungszeiträume betreffen kann (so Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen -- BMF -- vom 9. Dezember 1988, BStBl I 1988, 524, Tz. 2.10.2; Engelhardt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., AO 1977, Anh. § 371 Rdnr. 38; von Hugo, Betriebs-Berater -- BB -- 1990, 1031, 1036; anderer Ansicht Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 4. Aufl., Anh. 2 Anm. 7 a; L. Müller, Deutsches Steuerrecht -- DStR -- 1988, 700, 703; zweifelnd Heinike in L. Schmidt, Einkommensteuergesetz, 9. Aufl., § 20 Anm. 65 b -- aa bis bb). Nach einer vermittelnden Auffassung hängt die Sperrwirkung -- wie nach der herrschenden Meinung zum Ausschluß der Selbstanzeige gemäß § 371 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 (Koch/Scholtz, Abgabenordnung, Kommentar, 4. Aufl., § 371 Tz. 28 m.w.N.) -- von dem in der Prüfungsanordnung erfaßten Zeitraum ab (so z. B. Dumke in Schwarz, Abgabenordnung, Kommentar, Anh. zu § 371 Tz. 114). Ein ähnlicher Meinungsstreit besteht hinsichtlich der Auslegung des § 1 Abs. 3 Nr. 3 StrbEG hinsichtlich des Zeitpunkts der "Tat".

Der erkennende Senat braucht hierzu nur insoweit zu entscheiden, als es darum geht, ob sich die Betriebsprüfung auf die Jahre 1986 und 1987 beziehen oder die "Tat" in diesem Zeitraum begangen sein muß. Die Frage ist zu verneinen. Aus dem für die Auslegung (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 5. Mai 1982 VII R 96/78, BFHE 136, 319, 325 f., und Senatsurteil vom 20. Juni 1989 VIII R 82/86, BFHE 156, 543, 553, BStBl II 1989, 836, 841, Ziff. C II 2 der Gründe, ständige Rechtsprechung) maßgebenden Wortlaut des § 1 Abs. 3 Nr. 1 StrbEG ergibt sich eine solche Einschränkung nicht. Vielmehr spricht schon die Fassung des Satzes 1 von § 1 Abs. 3 für das Gegenteil, wonach eine strafbefreiende Erklärung i. S. des Abs. 1 der Vorschrift "auch für zurückliegende Zeiträume ausgeschlossen" ist, wenn die Voraussetzungen der folgenden Nrn. 1 bis 3 vorliegen. Mit diesen "zurückliegenden Zeiträumen" können nur Veranlagungszeiträume vor den Jahren 1986 und 1987 gemeint sein. Die bezeichnete Einschränkung läßt sich auch nicht -- durch sog. teleologische Reduktion -- aus dem Zweck des Gesetzes ableiten. Der Zweck von § 2 Abs. 1 i.V.m. § 1 StrbEG bestand, wie der Senat bereits im Grundsatzurteil in BFHE 156, 543, 555, BStBl II 1989, 836, 842, Buchst. c, ausgeführt und das Bundesverfassungsgericht -- BVerfG -- im Urteil vom 27. Juni 1991 2 BvL 3/89 (BVerfGE 84, 233, BStBl II 1991, 652) bestätigt hat, darin, dem Steuerbürger die Offenbarung bisher verschwiegener Einkünfte aus Kapitalvermögen gegenüber dem FA durch richtige und vollständige Erklärungen für 1986 und 1987 dadurch zu erleichtern, daß deshalb auch für zurückliegende Veranlagungszeiträume weder steuerstraf- oder bußgeldrechtliche Folgerungen gezogen noch Steuernachforderungen entstehen sollten. Der Tatbestand des § 2 Abs. 1 Satz 2 StrbEG erfaßt daher nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. noch Urteil vom 20. Juni 1989 VIII R 57/85, BFHE 156, 563, 566, BStBl II 1989, 835, 836) nur solche Steuerpflichtige, die hinsichtlich der Besteuerung ihrer Einkünfte aus Kapitalvermögen für die Veranlagungszeiträume vor 1986 den objektiven Tatbestand der Steuerverkürzung erfüllt haben und für die aufgrund vollständiger und richtiger Steuer- oder Berichtigungserklärungen betreffend die Veranlagungszeiträume ab 1986 die Gefahr der Aufdeckung der in den Vorjahren verwirklichten Steuerverkürzungen bestünde. Denn "mit der strafbefreienden Erklärung offenbart der Steuerpflichtige ... " wegen der Kontinuität der Erwerbsgrundlage des deklarierten Kapitalvermögens zugleich die tatsächlichen Voraussetzungen einer früheren Steuerverkürzung (BVerfG in BVerfGE 84, 233, 238, BStBl II 1991, 652, 654). Diese Brücke braucht nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht, wer bereits ordnungsgemäß veranlagt ist. Ebensowenig braucht sie, wie das FG zutreffend ausspricht, derjenige, dessen in den Jahren vor 1986 erfolgte Steuerverkürzung bereits entdeckt ist.

Soweit sich die Revision demgegenüber auf das Gebot einer verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 3 StrbEG beruft, entbehrt sie bereits der näheren Darlegung des angeblichen Verfassungsverstoßes. Zudem hat das FG insoweit, durch die Kläger nicht substantiiert angegriffen, rechtsfehlerfrei darauf hingewiesen, daß es für ein Abwarten bis zum Inkrafttreten der Steuer amnestie durch steuerunehrliche Bürger keinen verfassungsrechtlich gewährleisteten Vertrauensschutz gibt. Im übrigen hat das BVerfG mit Urteil vom 27. Juni 1991 2 BvR 1493/89 (BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654) die Verfassungsbeschwerde gegen das Senatsurteil in BFHE 156, 543, BStBl II 1989, 836 als unbegründet zurückgewiesen und die Verfassungsbeschwerde gegen das Senatsurteil in BFHE 156, 563, BStBl II 1989, 835 nicht angenommen (Beschluß vom 8. Juli 1991 2 BvR 1494/89, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1992, 426; Steuerrechtsprechung in Karteiform, Einkommensteuergesetz ab 1975, § 20 Abs. 1 Nr. 7, Rechtsspruch 16 a).

Der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 3 StrbEG ist auch im einzelnen gegeben. Bei der im Zeitpunkt der strafbefreienden Erklärung bereits entdeckten "Tat" müssen im Anwendungsbereich des § 2 StrbEG nach der BFH-Rechtsprechung nur die objektiven Voraussetzungen der Steuerverkürzung erfüllt sein (vgl. Senatsbeschluß vom 24. März 1993 VIII B 152/91, BFH/NV 1994, 303 mit nach Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs abgekürzter Begründung). Das ist hier gemäß § 370 Abs. 1 und Abs. 4 AO 1977 der Fall, weil die Kläger die Erklärung ihrer in den Streitjahren erzielten Einkünfte aus Kapitalvermögen unterlassen hatten. Sie wußten auch unstreitig von der Entdeckung dieser Steuerverkürzung durch die Außenprüfung, als sie die Steuererklärungen für die Veranlagungszeiträume 1986 und 1987 abgaben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419769

BFH/NV 1995, 296

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