Leitsatz (amtlich)

1. Stellt eine Organgesellschaft ohne förmlichen Auflösungsbeschluß ihre gewerbliche Tätigkeit ein und setzt sie ihr Vermögen in Geld um, so fällt der Gewinn, den sie während der (tatsächlichen) Abwicklung erzielt, nicht unter die Ergebnisabführungsverpflichtung.

2. Haben beide Beteiligte Revision eingelegt und ist eine Revision unzulässig, die andere zulässig, so hat der BFH über beide Revisionen durch Urteil und in der Besetzung von fünf Richtern zu entscheiden.

 

Normenkette

KStG § 6 Abs. 1; FGO §§ 10, 126

 

Tatbestand

Die Revisionsklägerin II und Revisionsbeklagte I (Steuerpflichtige), eine GmbH, wurde im Jahr 1958 gegründet. Zwischen ihr als Organgesellschaft und ihrer Gesellschafterin (einer OHG) bestand eine Organschaft mit Ergebnisabführungsvertrag, die steuerrechtlich bis einschließlich 1961 anerkannt wurde. Im Streitjahr 1962 verkaufte die OHG das Anlagevermögen der Steuerpflichtigen zum Preis von 300 000 DM. Die Steuerpflichtige stellte daraufhin am 1. April 1962 ihren Geschäftsbetrieb ein. In Höhe von 217 735 DM verblieb der Kaufpreis, der bei der Veräußerung des Anlagevermögens der Steuerpflichtigen erzielt wurde, der OHG. Damit tilgte die Steuerpflichtige Schulden gegenüber der OHG. Die restliche Forderung der Steuerpflichtigen gegen die OHG von 82 265 DM schrieb die Steuerpflichtige in der Bilanz für das Streitjahr ab. In dieser Bilanz wurde ein Verlust von 28 530 DM ausgewiesen.

Der Revisionskläger I und Revisionsbeklagte II (das FA) setzte gegen die Steuerpflichtige für das Streitjahr eine Körperschaftsteuer nach einem geschätzten Einkommen von 90 000 DM fest. Auf den Einspruch hin erkannte das FA den ausgewiesenen Bilanzverlust von 28 530 DM an, rechnete aber - neben den nichtabzugsfähigen Ausgaben von 381 DM - eine verdeckte Gewinnausschüttung von 82 265 DM hinzu, weil die Steuerpflichtige auf eine Forderung gegen die OHG in Höhe dieses Betrags verzichtet habe. Das zu versteuernde Einkommen betrug danach 54 110 DM, die Körperschaftsteuer 26 514 DM.

Die Anfechtungsklage, mit der die Steuerpflichtige begehrte, der Körperschaftsteuer ein Einkommen von 381 DM zugrunde zu legen, führte zur Herabsetzung der Körperschaftsteuer auf 12 666 DM. Das FG hat ausgeführt: Für das Streitjahr sei vom Weiterbestehen der Organschaft zwischen der Steuerpflichtigen und der OHG auszugehen. Denn bis zum 1. April 1962 seien alle Voraussetzungen der Organschaft erfüllt gewesen. Eine Abschreibung der Forderung von 82 265 DM sei nicht möglich gewesen. Die OHG habe aus der Veräußerung ihres eigenen Anlagevermögens fast 2 Mill. DM vereinnahmt. Die Gesellschafter der OHG hafteten unbeschränkt mit ihrem Vermögen für die Schulden der OHG. Die Steuerpflichtige habe nicht einwandfrei klären können, wieso bei dieser Sachlage die Forderung uneinbringlich gewesen sei. Lasse man die Abschreibung der Forderung außer Betracht, so habe die Steuerpflichtige einen Gewinn von 53 734 DM erzielt. Diesen Gewinn habe sie durch die Abschreibung der Forderung an die OHG abgeführt. In Höhe des Verlustes von 28 530 DM habe dagegen die Steuerpflichtige Stammkapital an die OHG zurückgezahlt, obwohl die handelsrechtlichen Voraussetzungen dafür gefehlt hätten. Insoweit liege eine verdeckte Gewinnausschüttung vor.

Gegen dieses Urteil haben das FA und die Steuerpflichtige Revision eingelegt.

I. Revision des FA:

Das FA rügt, das Urteil des FG widerspreche der zur Organschaft mit Ergebnisabführungsvertrag ergangenen Rechtsprechung, insbesondere dem Urteil des BFH I 262/63 vom 18. Oktober 1967 (BFH 90, 370, BStBl II 1968, 105). Die Aufgabe der wirtschaftlichen Tätigkeit durch die Steuerpflichtige nach Veräußerung des gesamten Anlagevermögens habe die Organschaft beendet. Denn der Ergebnisabführungsvertrag sei nur auf die Abführung des Gewinns einer Erwerbsgesellschaft gerichtet. Am Ende des Streitjahres habe eine Organschaft unstreitig nicht mehr bestanden. Die Beteiligten hätten außerdem den Ergebnisabführungsvertrag im Streitjahr nicht mehr vollzogen, wie der Ausweis des Verlustes in der Bilanz der Steuerpflichtigen zeige.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Einspruchsentscheidung wiederherzustellen.

II. Revision der Steuerpflichtigen:

Die Steuerpflichtige hat rechtzeitig Revision eingelegt. Die Revisionsbegründungsfrist lief am 9. Dezember 1968 ab. Die Revisionsbegründung ging am 3. Januar 1969 ein. Am 13./15. Januar 1969 beantragte die Steuerpflichtige Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung, durch ein Büroversehen sei dem Sachbearbeiter die Begründungsfrist erst am 2. Januar 1969 bekanntgeworden.

In der Sache selbst beantragt die Steuerpflichtige, die im Urteil des FG angenommene verdeckte Gewinnausschüttung von 28 530 DM außer Ansatz zu lassen und das Einkommen auf 381 DM festzustellen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision des FA führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage. Die Revision der Steuerpflichtigen ist unzulässig.

I. Revision des FA:

1. Die Rüge des FA, das FG habe zu Unrecht die Organschaft mit Ergebnisabführungsvertrag für das Streitjahr anerkannt, ist begründet.

Es kann auf sich beruhen, ob die Voraussetzungen der Organschaft während des ganzen Wirtschaftsjahrs bis zum Ende dieses Wirtschaftsjahrs erfüllt sein müssen und ob die Beteiligten im Streitfall den Ergebnisabführungsvertrag durchgeführt haben. Die steuerrechtliche Anerkennung der Organschaft scheitert im Streitfall daran, daß der Gewinn, den die Steuerpflichtige im Streitjahr erzielt hat, der Ergebnisabführungsverpflichtung nicht unterliegt. Der Senat hat durch das Urteil I 262/63 (a. a. O.), dem sich der II. Senat des BFH angeschlossen hat (BFH-Urteil II 206/65 vom 21. April 1970, BFH 99, 498, BStBl II 1970, 689), entschieden, daß der Ergebnisabführungsvertrag im Rahmen einer Organschaft nicht zur Abführung des Abwicklungsgewinns verpflichtet. Die Erwägungen, die dieser Entscheidung zugrunde liegen, führen auch im Streitfall dazu, daß sich der Ergebnisabführungsvertrag nicht auf den Gewinn der Steuerpflichtigen im Streitjahr erstreckt. Die Steuerpflichtige hat zwar nach ihrem Vorbringen die Auflösung der Gesellschaft nicht beschlossen und nicht in das Handelsregister eintragen lassen. Es ist auch richtig, daß die Einstellung des Geschäftsbetriebs und die Veräußerung des Vermögens der Gesellschaft für sich allein die Auflösung der Gesellschaft nicht herbeiführen (Hachenburg-Schmidt, Kommentar zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 6. Aufl., § 60 Anm. 30). Andererseits kann die Auflösung der Gesellschaft auch formlos beschlossen werden, wenn in der Auflösung keine Satzungsänderung liegt. Sie bedarf in diesem Fall zu ihrer Wirksamkeit nicht der Eintragung in das Handelsregister (Hachenburg-Schmidt, a. a. O., § 60 Anm. 15, 16). Im Streitfall spricht einiges für die Annahme eines formlosen Auflösungsbeschlusses, da die Steuerpflichtige im Einvernehmen mit der OHG, ihrer Gesellschafterin, im Streitjahr das Anlagevermögen veräußert und den Geschäftsbetrieb - offensichtlich nicht nur vorübergehend - eingestellt hat, ein Verhalten, das den Willen zur Auflösung und Abwicklung der Gesellschaft erkennen läßt. Der Senat braucht indes diese handelsrechtliche Frage nicht abschließend zu beurteilen. Er hat in dem Urteil I 262/63 (a. a. O.) ausgeführt, der Ergebnisabführungsvertrag sei so auszulegen, daß er auf die Abführung des Gewinns einer Erwerbsgesellschaft gerichtet sei. Eine Gesellschaft ist wirtschaftlich gesehen auch dann keine Erwerbsgesellschaft mehr, wenn sie ohne Auflösungsbeschluß ihre gewerbliche Tätigkeit einstellt und ihr Vermögen in Geld umsetzt (vgl. § 70 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung). Auf diese Tätigkeit hat sich die Steuerpflichtige im Streitjahr im wesentlichen beschränkt. Daher kann sie mit steuerrechtlicher Wirkung keinen Gewinn des Streitjahrs an die OHG abführen.

2. Ein solcher Gewinn ist entgegen dem Ausweis in der Bilanz der Steuerpflichtigen tatsächlich entstanden. Denn die Abschreibung der Forderung gegen die OHG in Höhe von 82 265 DM wegen Uneinbringlichkeit ist nach den zutreffenden Ausführungen des FG nicht möglich. Ohne diese Abschreibung wäre nach den tatsächlichen Feststellungen des FG ein Gewinn von 53 734 DM entstanden, dessen Abführung an die OHG nach den Ausführungen unter 1. steuerrechtlich nicht anerkannt wird. Es verbleibt daher dabei, daß dem erklärten Bilanzverlust der Steuerpflichtigen neben den nichtabzugsfähigen Ausgaben von 381 DM der Betrag von 82 265 DM hinzuzurechnen ist (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG, § 6 Abs. 1 Satz 2 KStG). Im Ergebnis erweist sich damit die Anfechtungsklage gegen den Körperschaftsteuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung als unbegründet.

II. Revision der Steuerpflichtigen:

Die Revision der Steuerpflichtigen ist unzulässig, da sie nicht in der gesetzlichen Frist begründet wurde (§§ 120, 124 FGO). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist kann der Steuerpflichtigen nicht gewährt werden, da sie nicht ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten (§ 56 FGO). Die Steuerpflichtige hat sich zwar auf ein Büroversehen berufen. Sie hat aber nicht schlüssig dargetan, daß sie daran kein Verschulden trifft, und im übrigen ihre Angaben auch nicht glaubhaft gemacht.

Nach § 126 Abs. 1, § 10 Abs. 3 FGO hat der BFH eine unzulässige Revision durch Beschluß in der Besetzung von drei Richtern zu verwerfen. Das gilt nicht im Streitfall. Denn die Entscheidung über die zulässige Revision des FA und über die unzulässige Revision der Steuerpflichtigen muß, da es sich um ein Verfahren handelt, in einheitlicher Form ergehen. Über die zulässige Revision des FA hat der Senat durch Urteil in der Besetzung von fünf Richtern zu entscheiden (§§ 121, 95, 10 Abs. 3 FGO). In dieser Form und in dieser Besetzung muß auch über die unzulässige Revision der Steuerpflichtigen entschieden werden, da die höhere Form des Urteils und die volle Besetzung des Senats mit fünf Richtern die geringere Form des Beschlusses und die Besetzung des Senats mit drei Richtern verdrängen (vgl. BFH-Urteil IV 126/64 vom 15. Dezember 1966, BFH 88, 13, BStBl III 1967, 252).

 

Fundstellen

Haufe-Index 69438

BStBl II 1971, 411

BFHE 1971, 509

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