Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Handelsrecht Gesellschaftsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Der Handelsvertreter hat den Anspruch auf Provision in der Regel auch dann im Zeitpunkt der Ausführung des Geschäfts durch den Geschäftsherrn zu aktivieren, wenn sein Provisionsanspruch vereinbarungsgemäß erst nach Maßgabe der Zahlung des Kunden entstehen soll. Der Senat hält an dem Grundsatz seiner Entscheidung IV 206/55 U vom 29. November 1956 (BStBl 1957 III S. 234, Slg. Bd. 65 S. 1) fest. 2. Hat der Handelsvertreter über seine Vermittlungs- oder Abschlußtätigkeit hinaus noch weitere Verpflichtungen übernommen, so kann die Pflicht zur Aktivierung nur dann später als in dem unter Ziffer 1 bezeichneten Zeitpunkt eintreten, wenn es sich um erhebliche, die Realisierbarkeit des Anspruchs wesentlich bestimmende Verpflichtungen handelt.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 1, § 6/1/2; HGB § 87 Abs. 1, § 87a/1

 

Tatbestand

Streitig ist die Pflicht zur Aktivierung von Provisionsansprüchen.

Der Steuerpflichtige (Stpfl.) war als Handelsvertreter für eine Maschinenfabrik auf Grund des Vertretervertrages vom 1. Juli 1948 tätig. Er ermittelte den Gewinn für die Veranlagungszeiträume II/1948 bis 1951 im Wege der überschußrechnung, ab 1952 durch Vermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG. Im Mai 1955 wurde beim Stpfl. eine Betriebsprüfung durchgeführt. Abgesehen von anderen jetzt nicht mehr streitigen Punkten war der Prüfer der Ansicht, daß die Provisionsforderungen des Stpfl. bei der notwendigen Ermittlung des Gewinns durch Vermögensvergleich zu aktivieren seien, während der Stpfl. die Aktivierungspflicht bestritt.

Das Finanzamt folgte der Auffassung des Betriebsprüfers.

Die gegen die Bescheide eingelegten Einsprüche blieben, soweit es sich um die Aktivierung der Provisionsforderungen handelte, ohne Erfolg. Die Berufung hatte Erfolg.

Das Finanzgericht führte aus, der Bundesfinanzhof habe im Urteil IV 206/55 U vom 29. November 1956 (BStBl 1957 III S. 234, Slg. Bd. 65 S. 1) ausgesprochen, eine Aktivierung von Provisionsforderungen könne vom Handelsvertreter nicht verlangt werden, solange über die Vermittlung des Geschäftes hinaus noch wesentliche weitere Aufgaben von dem Vertreter zu erfüllen seien, die mit dem vermittelten Geschäft zusammenhingen. Das sei nach einer Auskunft der Maschinenfabrik hier der Fall (Aufstellung und Kontrolle der gelieferten Maschinen, Erledigung von Beanstandungen usw.). Eine Aktivierung der Provisionsforderungen komme deshalb nicht in Betracht.

 

Entscheidungsgründe

Die hiergegen vom Vorsteher des Finanzamts eingelegte Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Der Senat hält im Einvernehmen mit dem I. und dem VI. Senat des Bundesfinanzhofs an den Grundsätzen seiner Entscheidung IV 206/55 U vom 29. November 1956 (a. a. O.) fest; vgl. auch die Entscheidung des I. Senats I 259/61 S vom 15. Januar 1963 (BStBl 1963 III S. 256). Nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Bundesfinanzhofs werden Ansprüche und Verpflichtungen aus schwebenden gegenseitigen Verträgen in der Bilanz des Kaufmanns in der Regel nicht ausgewiesen. Entscheidende Bedeutung für den Ausweis in der Bilanz mißt die Rechtsprechung erst dem Zeitpunkt der Vertragserfüllung des einen Vertragsteils in Verbindung mit der Abnahme von dessen Leistung durch den anderen Vertragsteil bei (vgl. besonders Urteil des Reichsfinanzhofs VI 744/38 vom 11. Januar 1939, RStBl 1939 S. 323; Urteile des Bundesfinanzhofs 84/56 U vom 18. Dezember 1956, BStBl 1957 III S. 27, Slg. Bd. 64 S. 70; IV 226/58 S vom 28. Januar 1960, BStBl 1960 III S. 291, Slg. Bd. 71 S. 111). Für die Aktivierung des Provisionsanspruchs des Handelsvertreters ist deshalb entscheidend, in welchem Zeitpunkt der Handelsvertreter seine eigene vertragliche Verpflichtung erfüllt, und wann der Geschäftsherr sie abnimmt. Ansprüche, die dem Leistenden wegen mangelhafter Vertragserfüllung aus vertraglicher oder gesetzlicher Gewährleistung drohen, sind bei der Bewertung des Anspruchs oder durch Rückstellungen, z. B. Garantierückstellungen, zu berücksichtigen.

Dieser Auffassung steht auch die ab 1953 an die Stelle des § 88 HGB alter Fassung getretene Neuregelung über den Provisionsanspruch des Handelsvertreters nach §§ 87 ff. HGB neuer Fassung nicht entgegen.

Aus § 87 Abs. 1 HGB neuer Fassung ergibt sich, daß die Leistung des Handelsvertreters grundsätzlich mit dem Abschluß des vermittelten Geschäfts vom Geschäftsherrn abgenommen ist. Nach dieser Vorschrift hat der Handelsvertreter einen Provisionsanspruch für jedes von ihm vermittelte und vom Geschäftsherrn abgeschlossene Geschäft. Der Geschäftsherr seinerseits gibt durch Abschluß des Geschäftes zu erkennen, daß er die Vermittlungstätigkeit des Handelsvertreters als die diesem vertragsgemäß obliegende Leistungen abnimmt. Hiervon kann im Regelfall ausgegangen werden. Gleichwohl erscheint gerechtfertigt, die Pflicht zur Aktivierung des Provisionsanspruchs in der Bilanz des Handelsvertreters noch nicht für den Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses durch den Geschäftsherrn, sondern erst für den Zeitpunkt der Ausführung des Geschäfts durch den Geschäftsherrn, in der Regel also der Lieferung der Ware an den Kunden anzunehmen. Durch den Abschluß des Geschäfts mit dem Kunden wird zwar der Geschäftsherr verpflichtet, die Ware dem Kunden zu liefern. Es wird in aller Regel auch zur Ausführung des Geschäfts durch den Geschäftsherrn kommen. Unter dem Gesichtspunkt der kaufmännischen Vorsicht aber läßt sich die Auffassung vertreten, daß der Provisionsanspruch des Handelsvertreters vor Ausführung des Geschäfts durch den Geschäftsherrn als mit so beachtlichen Risiken belastet anzunehmen ist, daß die Aktivierungspflicht vorher noch nicht bejaht zu werden braucht. Mit der Ausführung des Geschäftes ist in der Regel auch die übersendung einer entsprechenden Mitteilung (Rechnungsdurchschrift u. ä.) durch den Geschäftsherrn an den Vertreter verbunden. Auch dieser Umstand legt es nahe, die Aktivierungspflicht des Provisionsanspruchs erst für den Zeitpunkt der Ausführung des Geschäfts, nicht schon für den Zeitpunkt des Abschlusses des Geschäfts durch den Geschäftsherrn zu bejahen.

An dieser Beurteilung vermag auch nichts zu ändern, daß im Einzelfall der Vertreter nach § 87 a Abs. 1 HGB neuer Fassung den Provisionsanspruch erst haben soll, wenn der Kunde die ihm gelieferte Ware bezahlt. Es kann dahingestellt bleiben, welche bürgerlich-rechtliche Bedeutung eine solche Vereinbarung der Beteiligten hat. Es ist steuerlich gleichgültig, ob man sie als eine Fälligkeitsregelung oder als eine Regelung ansieht, die das dem Handelsvertreter nicht mehr streitig zu machende Entstehen des Provisionsanspruchs in der Schwebe hält. Denn in jedem Fall ist der Provisionsanspruch auch bürgerlich-rechtlich im Zeitpunkt der Durchführung des Geschäfts durch den Geschäftsherrn in ein sehr weitgehendes Stadium seiner Entstehung getreten. Die Frage aber, ob ein noch in der Entstehung begriffener Anspruch in der Steuerbilanz des Kaufmanns zu aktivieren ist, betrifft den Begriff des Wirtschaftsguts und ist nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu beantworten. Hierbei ist entscheidend, ob die Realisierungsfähigkeit des Anspruchs noch mit so wesentlichen Risiken behaftet ist, daß er nicht vertretbar ist. Solche ins Gewicht fallenden Risiken können jedenfalls in der Regel von dem Zeitpunkt ab, in dem der Geschäftsherr das vermittelte Geschäft abschließt und tatsächlich ausführt, nicht mehr anerkannt werden. Mit der Abnahme der Leistung des Vertreters durch den Geschäftsherrn geht diese in dessen Vermögen über. Beim Vertreter tritt an ihre Stelle der Provisionsanspruch. In Höhe des Unterschieds zwischen den Buchwerten der Leistung des Vertreters und dessen Provisionsanspruch in der Bilanz tritt die Gewinnrealisierung beim Vertreter ein. Selbst wenn man die Vereinbarung, daß der Handelsvertreter den Provisionsanspruch erst nach Maßgabe der Bezahlung des Kunden erwirbt, in dem Sinne deutet, daß die Abnahme durch den Geschäftsherrn in der Schwebe gehalten werden soll. So kann diesem Schwebezustand jedenfalls wirtschaftlich keine andere Bedeutung beigemessen werden, als der Gefahr der Nichtzahlung des Kunden für die Aktivierungspflicht der Kundenforderung in der Bilanz des Geschäftsherrn zukommt. Es besteht kein Zweifel, daß der Geschäftsherr trotz dieser Gefahr den Anspruch gegen seinen Kunden im Zeitpunkt der Lieferung der Ware zu aktivieren hat. Es ist deshalb kein Grund ersichtlich, die Pflicht zur Aktivierung des Provisionsanspruchs des Handelsvertreters, dessen Realisierbarkeit mit der Abwicklung des vermittelten Geschäfts zwischen Geschäftsherrn und Kunden rechtlich und wirtschaftlich aufs engste zusammenhängt, von der Zahlung des Kunden abhängig zu machen. Auch ohne die Vereinbarung, daß der Provisionsanspruch von der Zahlung des Kunden abhängen soll, steht dem Handelsvertreter ein Provisionsanspruch nach § 87 a Abs. 2 HGB neuer Fassung nicht mehr zu, wenn feststeht, daß der Kunde nicht bezahlt. Für die ertragsteuerliche Beurteilung ist es gleichgültig, ob dem bürgerlich-rechtlichen Anspruch je nach der Rechtsgestaltung noch ein wirtschaftlich nicht ins Gewicht fallender Umstand der Realisierbarkeit fehlt oder ob der Anspruch nach seinem endgültigen Entstehen wieder wegfällt.

Dieser Beurteilung steht das Urteil des Bundesfinanzhofs III 287/56 S vom 22. Februar 1957 (BStBl 1957 III S. 182, Slg. Bd. 64 S. 487) nicht entgegen. In dieser Entscheidung ging der III. Senat bei der Prüfung des Abzugs der Provisionsverpflichtung bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens des Geschäftsherrn davon aus, daß der Provisionsanspruch des Handelsvertreters aufschiebend bedingt ist. Aufschiebend bedingte Schulden aber sind nach § 4 BewG bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens nicht zu berücksichtigen. Für die Ertragsteuerbilanzen indessen ist entscheidend, daß auch ein aufschiebend bedingter oder aus sonstigen Gründen in der Schwebe befindlicher Anspruch ein aktivierungspflichtiges Wirtschaftsgut darstellt, wenn er nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten im Einzelfall hinreichend realisierbar erscheint.

Auch die Passivierung der Provisionsverpflichtung des Geschäftsherrn kann in diesem Zusammenhang nicht unbeachtet bleiben. Die Provisionsverbindlichkeit des Geschäftsherrn ist nach den Ausführungen im Urteil des Bundesfinanzhofs I 79/53 U vom 21. Juli 1953 (BStBl 1953 III S. 247, Slg. Bd. 57 S. 646) spätestens zu passivieren, wenn der Geschäftsherr den Gewinn aus dem Geschäft mit dem Kunden in seiner Bilanz durch Aktivierung der Kundenforderung realisiert. Der Verbindlichkeit des Geschäftsherrn entspricht der Anspruch des Vertreters auf Provision. Auch diese Zusammenhänge sprechen dafür, die Aktivierungspflicht des Provisionsanspruchs des Handelsvertreters für den gleichen Zeitpunkt zu bejahen, für den die Provisionsschuld des Geschäftsherrn passivierungspflichtig ist.

Sind nach diesen Grundsätzen die Provisionsansprüche des Stpfl. für die Streitjahre aktivierungspflichtig, so kann diese Pflicht nicht mit der Begründung beseitigt werden, der Stpfl. habe über die Vermittlung des Geschäftes hinaus noch wesentliche weitere Aufgaben zu erfüllen gehabt, die mit dem vermittelten Geschäfte zusammenhingen. Solche über die Vermittlungstätigkeit des Handelsvertreters hinausgehenden Sonderverpflichtungen können zwar in bestimmten Fällen die Aktivierung des Provisionsanspruches hinausschieben. Die Sonderverpflichtungen müssen dann aber über den üblichen Umfang weit hinausgehen und auch bei wirtschaftlicher Betrachtung die Realisierbarkeit der Provisionsforderungen wesentlich beeinträchtigen. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

Die Vorentscheidung wird aufgehoben. Die Berufung des Stpfl. gegen die Einspruchsentscheidung des Finanzamts vom 11. Juli 1957 wird als unbegründet zurückgewiesen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410728

BStBl III 1963, 257

BFHE 1963, 702

BFHE 76, 702

BB 1963, 548

DB 1963, 607

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