Leitsatz (amtlich)

Zur Steuerbefreiung einer land- und forstwirtschaftlichen Nutzungsgenossenschaft, der eine Erzeugergemeinschaft nach dem Marktstrukturgesetz vom 16. Mai 1969 als Mitglied angehört.

 

Normenkette

VStG §§ 21, 9 VStDV i.d.F. vor VStRG 1974

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine landwirtschaftliche Nutzungsgenossenschaft, die ein Obstlagerhaus unterhält. Ihre Mitglieder sind Landwirte (Obsterzeuger), die das Obstkühllager entsprechend der von ihnen erworbenen Geschäftsanteile nutzen. Die Genossenschaft war bis zum Geschäftsjahr 1970/1971 steuerfrei.

Am 1. September 1971 trat der X-e. V. der Genossenschaft als Mitglied bei. Bei dem X-e. V. handelt es sich um eine Erzeugergemeinschaft nach dem Gesetz zur Anpassung der landwirtschaftlichen Erzeugung an die Erfordernisse des Marktes (Marktstrukturgesetz) vom 16. Mai 1969 (BGBl I 1969, 423). 57 von insgesamt 60 Mitgliedern der Klägerin gehören auch dem X-e. V. an. Seit Bestehen dieses Vereins lagern diese Mitglieder ihr Obst nicht mehr selbst bei der Klägerin ein, sondern überlassen es dem X-e. V. zur Bearbeitung und Verwertung. Dadurch entstand bei der Klägerin eine ungenutzte Lagerkapazität, die sie dem X-e. V. gegen eine Jahrespacht von 7 000 DM auf 30 Jahre überließ. Außer den 57 Mitgliedern der Klägerin gehören dem X-e. V. noch mehrere hundert Landwirte (Obsterzeuger) an, die nicht gleichzeitig Mitglied der Klägerin sind.

Nach Auffassung des Beklagten und Revisionsbeklagten (FA) hat die Klägerin durch den Beitritt des X-e. V. ihre Steuerfreiheit verloren. Denn die Steuerfreiheit einer land- und forstwirtschaftlichen Nutzungs- und Verwertungsgenossenschaft setze voraus, daß ihr nur solche Mitglieder angehören, die selbst land- und forstwirtschaftliche Erzeugnisse gewinnen, die also selbst Land- und Forstwirte sind. Der X-e. V. gewinne aber selbst keine land- und forstwirtschaftlichen Erzeugnisse, sondern verwerte lediglich diejenigen seiner Mitglieder.

Das FA stellte deshalb den Einheitswert des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1972 fest und veranlagte die Klägerin zur Vermögensteuer. Die Auffassung der Klägerin, daß sie - wenn überhaupt - frühestens ab dem 1. Januar 1973 vermögensteuerpflichtig sei, weil ihr Pachtzahlungen erstmals im Jahre 1973 zugeflossen seien, ließ das FA nicht gelten. Während des Revisionsverfahrens wurde die Vermögensteuer erhöht. Die Klägerin machte den Änderungsbescheid vom 29. März 1977 gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens.

Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Auch die Klage blieb erfolglos. Das FG war ebenfalls der Auffassung, daß an einer steuerbefreiten land- und forstwirtschaftlichen Nutzungs- und Verwertungsgenossenschaft nur selbständige Land- und Forstwirte beteiligt sein könnten. Es war ferner der Meinung, daß die Steuerbefreiung bereits ab dem 1. Januar 1972 weggefallen sei, weil der X-e. V. am 1. September 1971 der Klägerin beigetreten sei.

Dagegen macht die Klägerin mit der Revision geltend:

Seit dem Bestehen der Befreiungsvorschriften seien in der Landwirtschaft und insbesondere in der landwirtschaftlichen Vermarktung Veränderungen eingetreten, die bei der Auslegung berücksichtigt werden müßten. So müßten die auf Grund des Marktstrukturgesetzes vom 16. Mai 1969 gegründeten Erzeugergemeinschaften mit den land- und forstwirtschaftlichen Nutzungs- und Vertriebsgemeinschaften zusammenarbeiten, wenn die gesetzlichen Ziele erreicht werden sollten. Dadurch könnten aber nicht die steuerlichen Vergünstigungen wegfallen, weil sonst die im Marktstrukturgesetz vorgesehenen staatlichen Subventionen wieder teilweise rückgängig gemacht würden. Das FG habe auch zu einseitig darauf abgestellt, daß Mitglieder einer steuerbefreiten Nutzungs- und Verwertungsgenossenschaft nur Land- und Forstwirte sein könnten und daß eine Genossenschaft nur mit diesen sogenannte Zweckgeschäfte vornehmen dürfe. Es müsse vielmehr genügen, daß die Mitglieder der Erzeugergemeinschaft, die sämtlich Obsterzeuger seien, mittelbare Mitglieder der Genossenschaft wären. Die Problematik sei hier ähnlich wie bei den Zentralgenossenschaften. § 21 VStG i. V. m. § 9 VStDV (§ 23 KStG i. V. m. § 31 KStDV) bezweckten, kleine landwirtschaftliche Betriebe durch Steuerfreiheit in der Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Dieses Ziel sei hier erreicht. Denn der Klägerin gehörten unmittelbar oder mittelbar nur selbständig tätige Landwirte an. Unschädlich müsse auch sein, daß der X-e. V. in der Form eines rechtsfähigen Vereins und nicht in der Form einer Genossenschaft organisiert sei. Denn nach der Neufassung der Befreiungsvorschriften im Jahre 1974 seien auch Vereine steuerfrei. Es könne schließlich nicht unberücksichtigt bleiben, daß 57 von 60 Mitgliedern der Klägerin auch dem X-e. V. angehörten. An der Auffassung, daß die Klägerin allenfalls erst ab 1. Januar 1973 steuerpflichtig sei, werde weiterhin festgehalten.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und sie weiterhin von der Vermögensteuer freizustellen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Eine land- und forstwirtschaftliche Nutzungs- oder Verwertungsgenossenschaft ist nur dann vermögensteuerfrei, wenn sich ihr Geschäftsbetrieb auf den Kreis ihrer Mitglieder beschränkt und wenn die Nutzung, Bearbeitung oder Verwertung im Bereich der Land- und Forstwirtschaft liegt (§ 21 VStG i. V. m. § 9 VStDV in der für das Streitjahr geltenden Fassung). Die gleiche Regelung gilt nach § 23 KStG i. V. m. § 31 KStDV für die Körperschaftsteuer, eine ähnliche Regelung galt nach § 3 Nr. 8 GewStG für die Gewerbesteuer.

Durch Art. 3 Nr. 2 Buchst. f des Vermögensteuerreformgesetzes vom 17. April 1974 (BGBl I 1974, 949) und Art. 2 Nr. 2 des Zweiten Steueränderungsgesetzes 1973 - 2. StÄndG 1973 - vom 18. Juli 1974 (BGBl I 1974, 1489) wurden diese Befreiungsvorschriften mit Wirkung vom 1. Januar 1974 geändert. Sie wurden nunmehr sämtlich in das Gesetz selbst übernommen (§ 3 Nr. 7 VStG 1974, § 4 Nr. 11 KStG - jetzt § 5 Nr. 14 KStG 1977 -, § 3 Nr. 8 GewStG) und gleichzeitig erweitert. Befreit sind künftig nicht mehr nur Genossenschaften, sondern auch Vereine. Außerdem wurde der steuerbefreite Geschäftsbereich auf Leistungen im Rahmen von Dienst- und Werkverträgen für die Produktion der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugnisse und auf die Beratung für die Produktion oder Verwertung dieser Erzeugnisse ausgedehnt (vgl. dazu Deutscher Bundestag - BT -, 7. Wahlperiode, Drucksache 7/1871 S. 4).

2. Eine Beschränkung auf den Kreis der Mitglieder liegt vor, wenn die Genossenschaft (bzw. ab 1. Januar 1974 der Verein) ihre satzungsmäßigen Geschäfte (sogenannte Zweckgeschäfte) ausschließlich mit ihren Mitgliedern betreibt. Außerdem sind unschädlich die sogenannten Hilfs- und Gegengeschäfte. Dagegen sind Zweckgeschäfte mit Nichtmitgliedern und sogenannte Nebengeschäfte steuerschädlich.

Es ist zweifelhaft, ob die Verpachtung einer Teilfläche des Obstlagerhauses durch die Klägerin an den X-e. V. nicht bereits ein steuerschädliches Nebengeschäft ist. Zwar besteht der satzungsmäßige Zweck der Klägerin in der Errichtung und Unterhaltung eines Obstkühllagers für ihre Mitglieder; das Kühllagerhaus wird vom X-e. V. auch zur Einlagerung von Obst verwendet. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 VStDV ist eine Nutzungsgenossenschaft aber nur steuerfrei, wenn ihre Betriebseinrichtungen oder Betriebsgegenstände von den Mitgliedern gemeinschaftlich genutzt werden. Man wird darunter nur eine Nutzung im Rahmen und nach den Vorschriften der Satzung zu verstehen haben. Das hätte jedoch zur Folge, daß steuerunschädliche Mitgliedergeschäfte nur vorliegen, wenn der Umfang der Einlagerung sich nach der Anzahl der erworbenen Geschäftsanteile richtet. Daran fehlt es hier aber. Denn der X-e. V. lagert sein Obst nicht auf Grund und im Umfang der von ihm erworbenen Geschäftsanteile ein, sondern auf Grund eines besonderen mit ihm geschlossenen Pachtvertrages. Der Senat hat deshalb Zweifel, ob hier noch von einer gemeinsamen Nutzung des Obstkühllagers gesprochen werden kann. Die Verpachtung von Anlagevermögen durch eine Genossenschaft wird im Schrifttum im allgemeinen als steuerschädliches Nebengeschäft angesehen. Dies wird auch dann angenommen, wenn die Verpachtung auf Grund einer Überkapazität sich als notwendig erweist. Diese Frage braucht aber hier nicht abschließend entschieden zu werden, weil die Steuerfreiheit der Klägerin aus einem anderen Grunde entfällt.

3. Die Mitglieder, mit denen die Genossenschaft Zweckgeschäfte abschließt (sogenannte Mitgliedergeschäfte), müssen unmittelbar selbst Land- und Forstwirte sein (Gutachten des BFH vom 2. Dezember 1950 I D 3/50 S, BFHE 55, 65, BStBl III 1951, 26, und Urteil vom 28. Juli 1959 I 150/58 U, BFHE 69, 296, BStBl III 1959, 372). Das ergibt sich für die Verwertungsgenossenschaften aus § 9 Abs. 1 Nr. 2 VStDV (§ 31 Abs. 1 Nr. 2 KStDV), wonach sich der Geschäftsbetrieb auf die Bearbeitung oder Verwertung der von den Mitgliedern "selbst gewonnenen land- und forstwirtschaftlichen Erzeugnisse" beschränkt. Für die Nutzungsgenossenschaften kann nichts anderes gelten. Das folgt aber auch aus dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung. Der genossenschaftliche Zusammenschluß bezweckt die Förderung der Betriebe der Genossen. Die Genossenschaft in ihrer Betätigung wirkt sich für den einzelnen Betrieb des Genossen als Hilfsbetrieb aus. Eine land- und forstwirtschaftliche Genossenschaft setzt demgemäß voraus, daß die Genossen Inhaber land- und forstwirtschaftlicher Betriebe, also selbst Land- und Forstwirte sind (so auch Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 23 KStG, Anm. 42, sowie Zülow-Henze-Schubert, Die Besteuerung der Genossenschaften, 5. Aufl., S. 87).

4. Von diesem Grundsatz sind aber Ausnahmen zugelassen. Die Klägerin hat in diesem Zusammenhang die Zentralgenossenschaften bereits erwähnt. Auch die Anschluß- und Lieferungsgenossenschaften gehören hierher (vgl. Abschn. 66 Abs. 5 KStR 1969). In diesen Fällen genügt es, wenn die Land- und Forstwirte unmittelbar Mitglied einer Anschluß- oder Lieferungsgenossenschaft sind, die ihrerseits Mitglied der Verwertungsgenossenschaft ist. Ebenso sind Mitglieder von Zentralgenossenschaften nur Genossenschaften. Eine (steuerunschädliche) Mitgliedschaft einer Anschlußgenossenschaft ist auch bei einer Nutzungsgenossenschaft denkbar (vgl. Erlaß des BdF vom 14. April 1953 IV S 2515 - 51/53, Finanz-Rundschau 1953 S. 164). Hierbei handelt es sich aber um eng begrenzte Ausnahmen. Erforderlich ist stets, daß die Anschluß- und Lieferungsgenossenschaften ebenfalls sämtliche Vorausetzungen der Steuerfreiheit nach § 9 VStDV bzw. § 31 KStDV erfüllen. Daran fehlt es hier aber bei dem X-e. V. Der BFH hat in seinem Gutachten I D 3/50 S die Zentralgenossenschaften, deren Mitglieder ebenfalls Genossenschaften und nicht Land- und Forstwirte sind, unter dem Gesichtspunkt als steuerfrei anerkannt, daß Zweck und Aufgaben sowohl der zentralen als auch der angeschlossenen Genossenschaften grundsätzlich die gleichen sind. Auch daran kann es bei den Erzeugergemeinschaften nach dem Marktstrukturgesetz im Verhältnis zu den land- und forstwirtschaftlichen Nutzungs- und Verwertungsgenossenschaften fehlen. So sind Mitglieder des X-e. V. zwar ausschließlich Obsterzeuger. Der X-e. V. erfüllte aber bis einschließlich 1973 nicht die Voraussetzungen des § 9 VStDV. Denn er war als Verein nicht steuerfrei. Die Erzeugergemeinschaften nach dem Marktstrukturgesetz erfüllen darüber hinaus vielfältigere Aufgaben als die herkömmlichen Nutzungs- und Verwertungsgenossenschaften (vgl. Bendel-Reuter, Kommentar zum Marktstrukturgesetz, unter 5 der Einleitung). Das schließt nicht aus, daß Erzeugergemeinschaften im Einzelfall steuerfrei sein können, wenn sie sich auf die Durchführung der in § 9 VStDV (bzw. ab 1974 § 3 Nr. 7 VStG 1974) genannten Geschäfte beschränken (vgl. Josten, Die Information 1976 S. 241). Ob der X-e. V. ab 1974 steuerfrei behandelt wird, ist unbekannt. Die Vorinstanz hat dazu keine Feststellungen getroffen. Die Klägerin hat auch nicht vorgetragen, welchen Tätigkeitsbereich der X-e. V. im einzelnen hat. Darauf kommt es aber auch nicht an, weil der X-e. V. im Streitjahr 1972 jedenfalls keine steuerbefreite Genossenschaft nach § 9 VStDV war.

5. Der Senat verkennt nicht die Schwierigkeiten, die sich für die Klägerin dadurch ergeben haben, daß sich ein Großteil ihrer Genossen auf Grund des Marktstrukturgesetzes - mit vielen anderen Obsterzeugern - zu einer Erzeugergemeinschaft zusammengeschlossen hat mit der Folge, daß diese Landwirte ihr Obst nicht mehr selbst bei der Klägerin einlagern, sondern es der Erzeugergemeinschaft zur Bearbeitung und Verwertung überlassen, mit der weiteren Folge, daß bei der Klägerin eine ungenutzte Lagerkapazität entstand, die sie sinnvoll nur durch eine Verpachtung an die Erzeugergemeinschaft nutzen konnte. Indessen hat der Gesetzgeber die steuerlichen Hemmnisse, die weitergehenden überbetrieblichen Zusammenschlüssen in der Land- und Forstwirtschaft bis dahin entgegenstanden, erst mit Wirkung ab dem 1. Januar 1974 beseitigt. Erst ab diesem Zeitpunkt können auch Erzeugergemeinschaften in der Form rechtsfähiger Vereine, soweit sich ihr Geschäftsbetrieb auf die in § 3 Nr. 7 VStG 1974 genannten Tätigkeiten beschränkt, steuerfrei bleiben. Für die Zeit davor galt dies nicht. Der Senat sieht sich nicht in der Lage, etwa gestützt auf die bereits vor dem 1. Januar 1974 bestehenden Verhältnisse (§ 1 Abs. 2 des Steueranpassungsgesetzes) diese kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung erst ab 1. Januar 1974 gültige Rechtslage im Wege der Gesetzesauslegung auf Veranlagungszeiträume vor dem 1. Januar 1974 auszudehnen. Eine solche rückwirkende Anwendung der genannten Vorschriften hätte nur der Gesetzgeber anordnen können.

6. Das FA hat die Klägerin auch zu Recht bereits auf den 1. Januar 1972 zur Vermögensteuer veranlagt. Die Vermögensbesteuerung wird vom Stichtagsprinzip beherrscht. Das bedeutet, daß die Vermögensteuer nach den Verhältnissen jeweils zu Beginn des Kalenderjahres festgesetzt wird (so jetzt ausdrücklich § 5 Abs. 1 VStG 1974). Nachdem der X-e. V. der Klägerin bereits am 1. September 1971 als Mitglied beigetreten ist, war der Wegfall der persönlichen Steuerbefreiung ab dem 1. Januar 1972 zu berücksichtigen. Daß der Klägerin Pachtzahlungen erstmals im Jahre 1973 zugeflossen sind und daß sie ihre jährlichen Abschlüsse nicht auf den 31. Dezember, sondern auf den 30. Juni eines jeden Jahres vornimmt, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung.

Anm.: Zahlenangaben wurden geändert.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72703

BStBl II 1978, 285

BFHE 1978, 360

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge