Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Bei der Ermittlung des Steuersatzes im Rahmen des § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG 1953 sind die besonderen persönlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen gebührend zu berücksichtigen. Die im Abschn. 157 (215) EStR 1953 aufgestellten Grundsätze gelten nur für den Regelfall.

 

Normenkette

EStG § 24/1/a, § 34 Abs. 1; EStR Abschn. 157/2; EStG § 34 Abs. 2 Ziff. 2; EStR Abschn. 199; StAnpG § 2 Abs. 1

 

Tatbestand

Der Bf. betreibt einen Textileinzelhandel. Am 19. Juli 1952 wurde sein von ihm gesteuerter Personenkraftwagen an einem schienengleichen Bahnübergang von einer Lokomotive erfaßt und der Bf. schwer verletzt. Durch Vergleich vom 30. August 1954 verpflichtete sich die Deutsche Bundesbahn, zur Abfindung der Schäden aus dem Unfall insgesamt einen Betrag von 26.000 DM an den Bf. zu zahlen. Dieser Betrag setzte sich nach dem Schreiben der Deutschen Bundesbahn vom 14. Juli 1956 aus

6.000 DM für Arzt- und Heilungskosten und 20.000 DM für Verdienstausfall zusammen. Ein Schmerzensgeld war im Vergleich nicht vorgesehen.

Die Vorinstanzen gingen davon aus, daß der von der Deutschen Bundesbahn gezahlte Betrag von 20.000 DM eine Entschädigung für entgangene und entgehende gewerbliche Einnahmen darstelle, die gemäß § 24 Ziff. 2 a EStG 1953 zu den Einkünften im Sinne des § 2 Abs. 3 Ziff. 2 gehöre und daher als einkommensteuerpflichtiger Gewinn anzusehen sei. Der Betrag wurde aus "außerordentliche Einkünfte" unter Anwendung der in Abschn. 157 (215) Abs. 2 EStR 1953 für den Regelfall aufgestellten Grundsätze mit einem ermäßigten Steuersatz von 17 v. H. (Finanzamt) bzw. 16 v. H. (Finanzgericht) belegt.

Hiergegen richtet sich die Rb., mit der wie im Vorverfahren geltend gemacht wird, daß es sich bei der an den Bf. gezahlten Entschädigung um reine Schadensersatzleistung für den erlittenen Körperschaden und die dauernde Invalidität handle, die nicht der Einkommensteuer unterworfen werden könne. Es könne nicht als der im § 24 EStG zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers angesehen werden, daß die Kapitalabfindung eines zum lebenslänglichen Krüppel umgewandelten Menschen steuerlich erfaßt werde und der Staat aus einer menschlichen Tragödie auch noch steuerliche Vorteile ziehe. Entgegen dem Wortlaut des § 24 EStG müsse daher die Einkommensteuerpflicht verneint werden. Nach § 3 a des Haftpflichtgesetzes ersetze die Deutsche Bundesbahn im Fall einer Körperverletzung die Kosten der Heilung sowie den Vermögensnachteil, den der Verletzte durch Aufhebung oder Minderung seiner Erwerbsfähigkeit oder durch Vermehrung seiner Bedürfnisse erleide. Trotz der Auskunft der Deutschen Bundesbahn müsse davon ausgegangen werden, daß der wesentliche Teil der gezahlten Entschädigung darauf entfalle, daß der Bf. zeit seines Lebens erhöhte Aufwendungen für ärzte, Medikamente und vermehrte Pflege haben werde.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen.

Nach § 24 Ziff. 1 a EStG gehören zu den Einkünften im Sinne des § 2 Abs. 3 Entschädigungen für entgangene oder entgehende Einnahmen. Sie sind als Einkünfte der Einkunftsart anzusehen, für die sie einen Ersatz bilden. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts und nach dem Wortlaut des Vergleichs vom 30. August 1954 sowie nach der Auskunft der Deutschen Bundesbahn vom 14. Juli 1956 handelt es sich bei dem hier streitigen Betrag von 20.000 DM um einen Schadensersatz für die durch den Unfall hervorgerufene verminderte Erwerbsfähigkeit des Bf. Für die dem Bf. erwachsenen Arzt- und Heilungskosten und für die Mehraufwendungen während seiner Krankheit, wie insbesondere vermehrte Pflege, Bedienung, Krankenkost usw., ist ihm Schadensersatz durch Zahlung eines Betrages von 6.000 DM geleistet worden. Dafür, daß dem Bf. noch ein weiterer Vermögensnachteil durch Vermehrung seiner Bedürfnisse entstanden sei, liegt nach den Feststellungen des Finanzgerichts kein Anhaltspunkt vor. Diese tatsächlichen Feststellungen, die das Finanzgericht auf Grund der mündlichen Verhandlung getroffen hat, sind für den Senat bindend, so daß insoweit dem Begehren des Bf., den streitigen Betrag in vollem Umfange oder wenigstens zum Teil auf seine vermehrten Bedürfnisse zu verrechnen, nicht entsprochen werden kann.

Daß eine derartige Abfindung in vollem Umfang der Einkommensteuer unterliegt, hat der erkennende Senat durch Urteil IV 630/55 U vom 21. Februar 1957 (BStBl 1957 III S. 164, Slg. Bd. 64 S. 437) ausdrücklich bejaht. Hiernach sind Rentenzahlungen - das gleiche muß auch für die Kapitalabfindung gelten -, die ein Gewerbetreibender als Ausgleich für den durch einen Unfall verminderten gewerblichen Gewinn erhält, gewerbliche Einkünfte. Dieses Urteil ist zwar zur Gewerbesteuerpflicht derartiger Einkünfte ergangen, hat aber auch die Einkommensteuerpflicht ausdrücklich bejaht.

Die Vorinstanzen haben mit Recht auf die streitige Abfindung § 34 Abs. 2 Ziff. 2 EStG 1953 angewendet, obwohl nach der Rechtsprechung des früheren Reichsfinanzhofs (vgl. Urteil VI 349/43 vom 5. Juli 1944, RStBl 1944 S. 641) die Anwendung des Vorzugstarifs auf Entschädigungen, die zu den gewerblichen Einkünften zu rechnen sind, nicht zulässig war (vgl. hierzu die Entscheidung des erkennenden Senats IV 223/58 S vom 17. Dezember 1959, BStBl 1960 III S. 72, Slg. Bd. 70 S. 195, wonach der Vorzugstarif des § 34 auf alle Entschädigungen im Sinne des § 24 Ziff. 1 EStG anwendbar ist, gleichgültig im Rahmen welcher der Einkunftsarten des § 2 Abs. 3 EStG sie angefallen sind).

Die Vorinstanzen sind bei der Ermittlung des für den streitigen Betrag in Frage kommenden ermäßigten Steuersatzes vor den in Abschn. 157 (215) EStR 1953 aufgestellten Grundsätzen ausgegangen. Diese Grundsätze sind aber nur für den Regelfall anzuwenden. Die Frage, welcher ermäßigte Steuersatz innerhalb des gesetzlichen Rahmens (10 bis 40 v. H.) auf außerordentliche Einkünfte im Einzelfall anzuwenden ist, unterliegt dem Ermessen der Steuerbehörde.

Da der Bf. durch den nicht von ihm verschuldeten Unfall schwere körperliche Schäden für sein Leben davongetragen hat, so daß er nach dem glaubhaften Vorbringen seines Vertreters schon nach geringfügigen körperlichen Belastungen den Eindruck eines menschlichen Wracks macht, bedeutet die Anwendung der nur für den Regelfall gedachten Grundsätze in dem besonderen Ausnahmefall des Bf. eine unrichtige Anwendung des Ermessens und damit eine Rechtsverletzung, die zur Aufhebung der Vorentscheidung führen muß. Die Sache ist spruchreif. Im vorliegenden Falle erscheint im Hinblick auf die bei dem Bf. vorliegenden besonderen Verhältnisse die Anwendung eines Steuersatzes von nur 10 v. H. angebracht. Durch die Anwendung dieses Steuersatzes wird in gewissem Umfang den Einwendungen Rechnung getragen werden, daß der Bf. nicht nur in seinen beruflichen, sondern auch in seinen persönlichen Lebensverhältnissen durch die Folgen des schweren Unfalls in erheblichem Masse beeinträchtigt worden ist. Anmerkung: Die DM-Beträge entsprechen nicht den tatsächlichen Zahlen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409921

BStBl III 1961, 101

BFHE 1961, 268

BFHE 72, 268

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