Leitsatz (amtlich)

1. Die Rechtsprechung über den Schuldabzug für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften kann nicht auf einen Ergebnisabführungsvertrag übertragen werden.

2. Die Verpflichtung des Organträgers zur Übernahme des Verlustes der Organgesellschaft entsteht nicht vor Ablauf des verlustbringenden Wirtschaftsjahrs der Organgesellschaft.

 

Normenkette

BewG 1965 § 103 Abs. 1; AktG § 302 Abs. 1

 

Tatbestand

Zwischen der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) als Obergesellschaft und der GmbH als Organgesellschaft - im folgenden Organgesellschaft - besteht seit 1957 ein Organschaftsverhältnis mit Ergebnisabführungsvertrag (EAV). Das Wirtschaftsjahr der Klägerin deckt sich mit dem Kalenderjahr; das Wirtschaftsjahr der Organgesellschaft endet am 30. Juni eines Kalenderjahrs.

Gemäß § 3 EAV handelt die Organgesellschaft seit 1. Juli 1963 im Innenverhältnis ausschließlich für Rechnung der Klägerin. Sie ist verpflichtet, den Jahresüberschuß jeweils nach Abschluß des Geschäftsjahres an die Klägerin abzuführen; die Klägerin übernimmt einen etwa sich ergebenden Fehlbetrag der Organgesellschaft. Als Überschuß oder Fehlbetrag ist das jährliche Ergebnis gemäß der Handelsbilanz der Organgesellschaft zu verstehen mit der Maßgabe, daß in der Handelsbilanz gebildete offene oder stille Rücklagen bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung wirtschaftlich begründet sein müssen.

Die Handelsbilanz der Organgesellschaft wies im Wirtschaftsjahr 1965/66 einen Verlust von 7 099 417 DM aus. Auch in den Vorjahren entstanden Verluste. Die Klägerin machte in der Vermögensaufstellung für die Einheitsbewertung ihres Betriebsvermögens zum 1. Januar 1966 einen Schuldabzug von 7 Mio. DM geltend mit der Begründung, daß sie den Verlust des Wirtschaftsjahrs 1965/66 der Organgesellschaft zu tragen habe. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erkannte diesen Schuldposten bei der endgültigen Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens nicht an.

Der Einspruch war insoweit erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage als unbegründet abgewiesen.

Mit der Revision beantragt die Klägerin, die Vorentscheidung sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben und den Einheitswert des Betriebsvermögens zum 1. Januar 1966 auf ... DM festzustellen.

Die Klägerin rügt, das FG habe dadurch § 103 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) 1965 verletzt, daß es die drohende Schuld aus dem schwebenden EAV mit der Organgesellschaft nicht zum Abzug zugelassen habe. Aus § 302 des Aktiengesetzes (AktG) ergebe sich, daß die herrschende Gesellschaft jeden während der Vertragsdauer entstehenden Fehlbetrag auszugleichen habe. Der Erfolg der Organgesellschaft beträfe somit handelsrechtlich unmittelbar die Klägerin. Er sei aber das Ergebnis der Tätigkeit eines bestimmten Zeitraumes. Gewinn oder Verlust würden nicht erst durch die Feststellung des Jahresergebnisses begründet. Damit sei die Schuld der Klägerin, den verlust der Organgesellschaft zu übernehmen, am 1. Januar 1966 entgegen der Auffassung des FG nicht aufschiebend bedingt gewesen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg.

1. Nach § 103 BewG 1965 werden zur Ermittlung des Einheitswerts eines gewerblichen Betriebs die Schulden vom Rohvermögen abgezogen, die mit der Gesamtheit oder mit Teilen des gewerblichen Betriebs in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Rückstellungen der Steuerbilanz können einen Schuldabzug bei der Einheitsbewertung nur begründen, soweit auf Grund des Sachverhalts, der zur Rückstellung führte, im maßgebenden Feststellungszeitpunkt eine Leistungsverpflichtung dem Grunde nach besteht. Deshalb wird z. B. ein Schuldabzug für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften anerkannt (vgl. Gürsching-Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 7. Aufl., § 103 BewG Anm. 39). Auch für die Berücksichtigung von Verlusten aus schwebenden Geschäften ist die Einzelbewertung der Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens maßgebend, d. h. es muß dargelegt werden, aus welchen einzelnen Geschäften nach dem Stand der Abwicklung im Feststellungszeitpunkt Verluste zu erwarten sind.

2. Anders als im Umsatzsteuerrecht (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes - UStG -) und im Gewerbesteuerrecht (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Gewerbesteuergesetzes - GewStG -) bilden im Bewertungsrecht ebenso wie im Körperschaftsteuerrecht die Betriebe des Organträgers und der Organgesellschaft keinen einheitlichen Gewerbebetrieb (vgl. auch Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 6. Juli 1978 IV R 24/73, BFHE 126, 102, BStBl II 1979, 18). Organträger und Organgesellschaft stehen sich, auch wenn ein EAV abgeschlossen wurde, bewertungsrechtlich als zwei selbständige Rechtspersönlichkeiten gegenüber. Daraus folgt, daß der Organträger trotz eines EAV für einzelne schwebende Geschäfte der Organgesellschaft, die nach den Verhältnissen des für die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens des Organträgers maßgebenden Feststellungszeitpunkts zu Verlusten führen werden, keine Schuld abziehen kann.

Entgegen der Auffassung der Klägerin war der begehrte Schuldabzug für den Gesamtverlust der Organgesellschaft am 1. Januar 1966 weder bürgerlich-rechtlich (3.) noch steuerrechtlich (4.) begründet.

3. Nach Handelsrecht hat der Organträger jeden während der Dauer des EAV entstehenden "Jahresfehlbetrag" auszugleichen (§ 302 Abs. 1 AktG). Dieser Vorschrift entspricht § 4 des zwischen der Klägerin und der Organgesellschaft abgeschlossenen EAV. Danach ist die Klägerin verpflichtet, einen etwaigen Jahresfehlbetrag der Organgesellschaft zu übernehmen. Der Senat stimmt dem FA zu, daß diese Verpflichtung zum Verlustausgleich nach Handelsrecht frühestens mit dem Abschluß des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft entsteht. In der Literatur wird sogar die Auffassung vertreten, daß der Anspruch auf Ausgleich des Jahresfehlbetrags erst mit der Feststellung des Jahresergebnisses entstehe (vgl. Geßler-Hefermehl-Eckardt-Kropff, Kommentar zum Aktiengesetz, § 302 Randnr. 41). Es mag durchaus sein, daß Gewinn oder Verlust nicht erst mit dem Ablauf eines Wirtschaftsjahres entstehen; davon ist der Senat allerdings in seiner Entscheidung vom 11. Oktober 1968 III 246/64 (BFHE 94, 261, BStBl II 1969, 123) ausgegangen, in der es jedoch entscheidend darauf ankam, ob der Gewinnanspruch des stillen Gesellschafters mit Ablauf des Geschäftsjahres schon entstanden ist. Nach Handelsrecht entsteht jedenfalls die Verpflichtung des Organträgers zur Übernahme des Verlustes der Organgesellschaft nicht vor Ablauf des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft. Der Ausnahmefall, daß bei vorzeitiger Kündigung des EAV auch während eines Wirtschaftsjahrs eine Verlustübernahmeverpflichtung entstehen könnte (vgl. Geßler-Hefermehl-Eckardt-Kropff, a. a. O., Randnr. 14), ist für die Entscheidung dieses Rechtsstreits ohne Bedeutung, weil diese Ausnahme nicht gegeben ist.

4. Der begehrte Schuldabzug ist auch nicht aufgrund von Vorschriften des Steuerrechts begründet. Insbesondere ist der EAV als solcher nicht ein schwebendes Geschäft im Sinn der Rechtsprechung, die einen Schuldabzug für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften anerkennt.

Ein schwebendes Geschäft ist ein schuldrechtlicher gegenseitiger Vertrag, der noch nicht abgewickelt ist (vgl. BFH-Entscheidung vom 27. Februar 1976 III R 64/74, BFHE 119, 77, BStBl II 1976, 529). Ein EAV ist dagegen, wie die Klägerin selbst vorträgt, nicht in erster Linie ein schuldrechtlicher Vertrag, der auf Leistungsaustausch gerichtet ist, sondern vorwiegend ein Vertrag gesellschaftsrechtlicher Natur, der nicht durch Leistung und Gegenleistung gekennzeichnet wird. Dem entspricht auch die von der Klägerin zitierte Auffassung in der Literatur (vgl. Schaumburg, Steuer und Wirtschaft 1971, S. 123 f.) und des I. Senats des BFH (vgl. Urteil vom 30. Januar 1974 I R 104/72, BFHE 111, 410, BStBl II 1974, 323), wonach durch den EAV von seiten der Organgesellschaft eine Verpflichtung erfüllt wird, die den Ausweis eines verteilbaren Bilanzgewinns verhindert.

Damit steht aber der Charakter des EAV der Übertragung der Rechtsprechung über einen Schuldabzug aufgrund drohender Verluste aus einem schwebenden Vertrag entgegen (vgl. auch v. Wallis, Deutsche Steuer-Zeitung, Ausgabe A 1975, S. 81).

5. Die Entscheidung des FG entspricht auch bei Berücksichtigung des Revisionsvorbringens der Klägerin im Ergebnis der Rechtslage. Die Revision konnte deshalb keinen Erfolg haben (§ 126 Abs. 2 und 4 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

 

Fundstellen

Haufe-Index 73054

BStBl II 1979, 278

BFHE 1979, 56

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge