Leitsatz (amtlich)

Wechselt bei einer Organgesellschaft der Organträger, so liegt darin kein Ende der Gewerbesteuerpflicht und kein Beginn einer Gewerbesteuerpflicht der Organgesellschaft.

 

Normenkette

GewStG 1968 §§ 10-11

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine rechtsfähige Stiftung des bürgerlichen Rechts, wurde mit Wirkung vom 1. April 1970 mit dem Gewerbebetrieb des Einzelunternehmers A ausgestattet. Zu dessen Betriebsvermögen gehörten auch die Geschäftsanteile der A-GmbH (GmbH), die Organgesellschaft des Einzelunternehmers war und mit der Übertragung des Gewerbebetriebs auf die Klägerin Organgesellschaft der Klägerin wurde. Die Geschäftsjahre der Unternehmen liefen vom 1. April bis 31. März des folgenden Jahres.

Bei der vorläufigen Festsetzung des Gewerbesteuermeßbetrags 1970 ermittelte der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) die Gewerbeerträge der Klägerin und der GmbH für das Wirtschaftsjahr 1970/71 getrennt, zählte aber bei der Festsetzung des Gewerbesteuermeßbetrags nach dem Gewerbeertrag bei der Klägerin die Gewerbeerträge beider Unternehmen zusammen. Den so ermittelten Gewerbesteuermeßbetrag rechnete das FA gem. § 11 Abs. 5 GewStG 1968 auf die Dauer der Steuerpflicht der Klägerin im Erhebungszeitraum 1970 um.

Die Sprungklage, mit der sich die Klägerin gegen die Einbeziehung des Gewerbeertrags der GmbH aus dem Wirtschaftsjahr 1970/71 in den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag der Klägerin wandte, hatte keinen Erfolg. Das FG hat ausgeführt, § 10 Abs. 2 Satz 2 GewStG 1968 (Gewerbeertrag bei Beginn der Steuerpflicht) sei auch auf Organgesellschaften anzuwenden. Die Ausstattung der Klägerin mit dem Gewerbebetrieb des Einzelunternehmers gelte gem. § 2 Abs. 5 GewStG 1968 als Neugründung des Gewerbebetriebs, mit der Folge, daß bei der Festsetzung des Gewerbesteuermeßbetrags von § 10 Abs. 2 Satz 2 GewStG auszugehen sei. Der gewerbesteuerrechtliche Begriff der Organschaft lasse es nicht zu, den Gewerbeertrag der GmbH im Erhebungszeitraum 1970 überhaupt nicht zu erfassen. Ein Ausgleich dieses Vorteils, spätestens bei Beendigung der Steuerpflicht, finde nicht statt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin, mit der Verletzung der § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2, § 2 Abs. 5 und § 10 Abs. 2 GewStG gerügt wird. Nach Auffassung der Klägerin ergibt sich aus der rechtlichen Selbständigkeit der Organgesellschaft und des herrschenden Unternehmens im Streitfall folgende steuerrechtliche Behandlung:

a) Durch die Übertragung des Gewerbebetriebs vom Einzelunternehmer auf die Klägerin sei gem. § 2 Abs. 5 Satz 2 GewStG 1968 zum 1. April 1970 bei der Klägerin ein neu gegründeter Gewerbebetrieb zu erfassen. Für den Gewerbeertrag der Klägerin im Erhebungszeitraum 1970 sei daher nach § 10 Abs. 2 Satz 2 GewStG der Gewerbeertrag der Klägerin zum 31. März 1971 maßgebend.

b) Für die GmbH habe am 1. April 1970 keine Steuerpflicht begonnen, für sie sei lediglich eine Änderung des Organkreises eingetreten. Daher sei für sie nicht § 10 Abs. 2 Satz 2 GewStG 1968, sondern § 10 Abs. 2 Satz 1 GewStG 1968 maßgebend. Der Gewerbeertrag des Wirtschaftsjahres vom 1. April 1970 bis 31. März 1971 werde ausschließlich im Erhebungszeitraum 1971 versteuert.

Entgegen der Auffassung des FG finde bei Beendigung der Organschaft ein Ausgleich statt.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und den Gewerbesteuermeßbescheid 1970 dahin zu ändern, daß die Gewerbeerträge der GmbH nicht in die Veranlagung einbezogen werden.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Bei der Festsetzung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrags der Klägerin für den Erhebungszeitraum 1970 ist der Gewerbeertrag der GmbH des Wirtschaftsjahrs 1970/71 nicht einzubeziehen (§§ 14, 10, § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 GewStG 1968).

1. Die gewerbesteuerrechtliche Organschaft, die im Streitfall zwichen der Klägerin und der GmbH seit 1. April 1970 bestand, hat die rechtliche Selbständigkeit und Bilanzierungspflicht der beiden Unternehmen nicht beseitigt. Die Gewerbeerträge der beiden Unternehmen sind getrennt nach den für das einzelne Unternehmen maßgeblichen Vorschriften zu ermitteln und dann zur Festsetzung eines einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrags der Klägerin zusammenzurechnen. Dabei ist darauf zu achten, daß die Gewerbeerträge der beiden Unternehmen nur einmal der Gewerbesteuer unterliegen (Urteil des BFH vom 26. Januar 1972 I R 171/68, BFHE 104, 361, BStBl II 1972, 358; vgl. auch BFH-Urteil vom 30. Juli 1969 I R 21/67, BFHE 96, 362, BStBl II 1969, 629).

Aus dieser Rechtslage folgt entgegen der Auffassung des FG nicht, daß § 10 Abs. 2 Satz 2 GewStG 1968 im Streitfall auf die GmbH anzuwenden ist. Nach dieser Vorschrift ist, wenn das Wirtschaftsjahr vom Kalenderjahr abweicht, bei Beginn der Steuerpflicht für den ersten Erhebungszeitraum der Gewerbeertrag des ersten Wirtschaftsjahrs maßgebend. Das führt dazu, daß bei Eintritt in die Steuerpflicht derselbe Gewerbeertrag Bemessungsgrundlage der steuerrechtlichen Gewerbeerträge zweier Erhebungszeiträume ist (BFH-Urteil vom 4. Dezember 1969 IV 122/65, BFHE 98, 183, BStBl II 1970, 256). Die Anwendung dieser Vorschrift auf die GmbH scheitert im Streitfall daran, daß für die GmbH am 1. April 1970 keine Steuerpflicht begonnen hat, gleich, ob man diesen Ausdruck i. S. der subjektiven oder objektiven Steuerpflicht versteht. Subjektiv war die Klägerin als Organgesellschaft vor dem 1. April 1970 und nach dem 1. April 1970 nicht gewerbesteuerpflichtig. Objektiv unterlag der Gewerbeertrag der GmbH vor und nach dem 1. April 1970 der Gewerbesteuer, subjektiv allerdings beim jeweiligen Organträger. Auf den 1. April 1970 fiel daher kein Beginn einer Steuerpflicht der GmbH.

Daher ist auf den Gewerbeertrag der GmbH nicht § 10 Abs. 2 Satz 2 GewStG 1968, sondern § 10 Abs. 2 Satz 1 GewStG 1968 anzuwenden. Danach gilt der Gewerbeertrag als in dem Erhebungszeitraum bezogen, in dem das Wirtschaftsjahr endet. Der Gewerbeertrag der GmbH des Wirtschaftsjahrs 1970/71 gilt daher als im Erhebungszeitraum 1971 bezogen und ist bei der Festsetzung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrags 1971 zum Gewerbeertrag der Klägerin hinzuzurechnen.

Für die Klägerin selbst gilt allerdings § 10 Abs. 2 Satz 2 GewStG 1968. Für sie begann die Gewerbesteuerpflicht (§ 2 Abs. 3 GewStG 1968) am 1. April 1970. Für den ersten Erhebungszeitraum - das war der Erhebungszeitraum 1970 - ist der Gewerbeertrag des Wirtschaftsjahrs 1970/71 maßgebend, allerdings nach § 11 Abs. 5 GewStG 1968 nur zu 9/12. Für den Erhebungszeitraum 1971 greift wieder die Vorschrift des § 10 Abs. 2 Satz 1 GewStG 1968 ein. Nach dieser gilt der Gewerbeertrag 1970/71 als im Erhebungszeitraum 1971 bezogen. Das führt zu der bereits erwähnten, durch das BFH-Urteil IV 122/65 gebilligten Rechtsfolge, daß derselbe Gewerbeertrag bei der Ermittlung der Gewerbeerträge zweier Erhebungszeiträume berücksichtigt wird.

Diese Rechtsfolge tritt jedoch nur ein für den eigenen Gewerbeertrag der Klägerin. Nur für sie begann die Steuerpflicht am 1. April 1970. Es wäre ein weiterer Schritt zu der vom BFH bisher nicht gebilligten Filialtheorie, wollte man den Eintritt des herrschenden Unternehmens in die Steuerpflicht mit allen gewerbesteuerrechtlichen Folgen auch der Organgesellschaft zurechnen.

Durch die Entscheidung des Senats entsteht keine zeitliche Besteuerungslücke. Der Gewerbeertrag der GmbH aus dem Wirtschaftsjahr 1969/1970 war nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2, § 10 Abs. 2 Satz 1 GewStG bei der Ermittlung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrags 1970 des Einzelunternehmers, dessen Betrieb am 1. April 1970 auf die Klägerin übergegangen ist, zu berücksichtigen. Eine Beschränkung auf 3/12 nach § 11 Abs. 5 GewStG 1968 kommt nicht in Betracht, da die Steuerpflicht der GmbH am 1. April 1970 weder subjektiv noch objektiv endete. Der Gewerbeertrag der GmbH aus dem Wirtschaftsjahr 1970/71 ist bei der Ermittlung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrags 1971 der Klägerin zu erfassen. Bei dieser Rechtslage besteht auch kein "ungerechtfertigter Vorteil", wie das FG meint, der irgendwann auszugleichen wäre.

Der einheitliche Gewerbesteuermeßbetrag 1970 ist danach wie folgt zu berechnen: ...

 

Fundstellen

Haufe-Index 72342

BStBl II 1977, 560

BFHE 1978, 127

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