Leitsatz (amtlich)

Die Aufwendungen, die einem Apotheker durch ausschließliche Teilnahme an einer im nahegelegenen Ausland am stets gleichen Ort und außerhalb der dortigen Saison durchgeführten, straff organisierten internationalen Fachtagung entstanden sind, sind Betriebsausgaben.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 4-5, § 12 Nr. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Apotheker in einem Badeort. Seine Ehefrau ist ebenfalls approbierte Apothekerin. Sie arbeitet als leitende Angestellte im Betrieb ihres Ehemannes. Die Eheleute haben an dem IV. Internationalen Fortbildungskurs für praktische und wissenschaftliche Pharmazie der Deutschen Bundesapothekerkammer teilgenommen, der vom 6. Juni bis 13. Juni 1960 wie in den Vorjahren in Meran veranstaltet wurde. Nach dem Tagungsprogramm wurden an den Werktagen je zwei Fachvorträge am Vormittag und zwei Vorträge am Nachmittag (am Sonnabend, dem 11. Juni 1960, drei Vorträge) gehalten. An dem in diese Woche fallenden Fronleichnamstag wurden botanische Exkursionen zur Seiser Alpe oder zum Monte Baldo durchgeführt. Der Sonntag stand zur freien Verfügung. Vor den Vorträgen am Vormittag, welche um 10,15 Uhr angesetzt waren, bestand um 8,00 Uhr Gelegenheit zur Teilnahme an botanischen Führungen in Meran und der nahen Umgebung oder an Industriebesichtigungen. Vor den Nachmittagsvorträgen, welche um 17,00 Uhr begannen, bestand um 14,30 Uhr Gelegenheit zur Teilnahme an Besichtigungen von Kunstdenkmälern in Meran und der nahen Umgebung. Abends waren ein Opernkonzert, ein Gesellschaftsabend und Lichtbildervorträge vorgesehen.

Der Kläger hat bei der Einkommensteuerveranlagung neben den Teilnehmergebühren für sich und seine Ehefrau und den in den allgemeinen Kraftfahrzeugkosten enthaltenen Kosten der Fahrt mit dem eigenen Pkw insgesamt 960 DM als Betriebsausgaben geltend gemacht. Dieser Betrag entfiel in Höhe von 500 DM auf Verpflegungsaufwand für zwei Personen in 10 Tagen, 300 DM für Übernachtungen, 60 DM für Übernachtungen auf der Hin- und Rückreise und 100 DM für Verpflegung auf der Hin- und Rückreise.

Der Beklagte und Revisionskläger (FA), der bei der Einkommensteuerveranlagung den Betrag von 960 DM zunächst in vollem Umfange als nichtabzugsfähige Lebenshaltungskosten (§ 12 des EStG) behandelt hatte, gab im Einspruchsverfahren dem Begehren des Klägers insoweit statt, als er einen Teilbetrag von 202 DM als Betriebsausgaben absetzte. Dieser Teilbetrag ergab sich u. a. daraus, daß das FA die auf die Ehefrau des Klägers entfallende Hälfte des geltend gemachten Betrages nicht zum Abzug zuließ und von dem auf den Ehemann entfallenden Gesamtbetrag nur die Hälfte als Betriebsausgaben anerkannte.

Das FG gab der Klage statt. Es führte aus, daß die Kosten der Teilnahme an dem Fortbildungslehrgang in Meran in voller Höhe Betriebsausgaben seien. Ein privater Reisezweck erscheine nahezu ausgeschlossen. Die Reise habe dem Besuch eines straff organisierten Fachkurses gedient. Insbesondere die Dauer der Reise im Verhältnis zu der mit beruflichen Veranstaltungen ausgefüllten Zeit lasse den Schluß auf einen privaten Reisezweck nicht zu. Die an dem Feiertag veranstaltete botanische Exkursion könne nicht als eine der üblichen Wanderungen qualifiziert werden, wie das FA behaupte. Das Fachprogramm habe nicht auf einen kürzeren Zeitraum zusammengedrängt werden können. Hinzu komme, daß der Aufenthalt für den Kläger nicht den Erlebnisreiz einer fremden Gegend versprochen habe, weil der Kläger schon früher an Tagungen in Meran teilgenommen habe. Außerdem habe er seinen Jahresurlaub zu einer anderen Zeit genommen. Ebensowenig könne aus der Mitnahme der Ehefrau auf einen privaten Charakter der Reise geschlossen werden. Der Kläger habe auch in denjenigen Jahren an den Fortbildungskursen regelmäßig teilgenommen, in welchen seine Ehefrau verhindert gewesen sei. Im Streitfalle rechtfertigten die besonderen Umstände den Schluß, daß die Teilnahme der Ehefrau durch betriebliche Gründe veranlaßt gewesen sei. Ihre Teilnahme an dem Fortbildungslehrgang habe dem Interesse des Klägers an einer vollwertigen Vertreterin in seinem Betriebe gedient. Deshalb zwinge auch der vom FA hervorgehobene Umstand, daß der Kläger anderen angestellten Apothekern ähnliche Vergünstigungen nicht gewährt habe, nicht zu der Annahme, für die Tragung dieser Kosten seien private Gründe maßgebend gewesen. Hinzu komme, daß der Kläger wegen eines Leidens immer wieder in seinem Betrieb für Wochen ausfalle und dann von seiner Ehefrau vertreten werden müsse.

Das FA beantragt in seiner Revision die Aufhebung der Vorentscheidung. Es rügt unrichtige Anwendung des § 4 Abs. 4 EStG. Das FA erkennt an, daß die Aufwendungen des Klägers für die Teilnahme an dem Fortbildungskurs als im überwiegend beruflichen Interesse liegend anzuerkennen seien. Das schließe aber nicht aus, daß für einen Teil der Aufwendungen der Abzug als Betriebsausgaben versagt werden müsse (vgl. Urteil des BFH vom 28. August 1958 IV 229/57 U, BFHE 68, 113, BStBl III 1959, 44). Entgegen der Vorentscheidung sei davon auszugehen, daß bei Straffung des Programms der Fortbildungskurs in der Hälfte der Zeit hätte durchgeführt werden können, mit der Folge, daß nur die Hälfte der Aufwendungen als Betriebsausgaben anzuerkennen sei. Die botanischen Führungen durch Meran und Umgebung, für die eine Teilnahmeverpflichtung nicht bestanden habe, seien - entgegen der Auffassung der Vorentscheidung - als übliche Wanderungen einzustufen. Im übrigen seien die Nebenveranstaltungen gesellschaftlicher und kultureller Art so geplant gewesen, daß nicht nur die berufsfremden Angehörigen, sondern auch die Kursusteilnehmer daran hätten teilnehmen können. Dies lasse den Schluß zu, daß für die Teilnahme an den Kursen nicht nur betriebliche Gründe maßgebend gewesen seien. Die Übernahme der Teilnahmekosten für die Ehefrau sei überwiegend aus privaten Gründen geschehen, was daraus hervorgehe, daß fremden Angestellten nicht die Teilnahme an einem solchen Fortbildungskursus ermöglicht worden sei.

Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Betriebsausgaben können begrifflich auch dann vorliegen, wenn sie "die Lebensführung des Steuerpflichtigen oder anderer Personen berühren" (§ 4 Abs. 4 und 5 Satz 2 EStG). Sie scheiden in diesem Falle bei der Gewinnermittlung nur insoweit aus, als sie nach der allgemeinen Verkehrsauffassung als unangemessen anzusehen sind (§ 4 Abs. 5 Satz 2 EStG). Dagegen sind Aufwendungen für die Lebensführung, die die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt, auch dann nicht abzugsfähig, wenn sie zur Förderung des Berufs oder der Tätigkeit des Steuerpflichtigen erfolgen (§ 12 Nr. 1 EStG). Unternimmt der Steuerpflichtige eine betrieblich veranlaßte Reise auch aus privaten Gründen, so liegen, falls die Reise in nicht nur unwesentlichem Maße privat veranlaßt ist, grundsätzlich in vollem Umfang Aufwendungen für die Lebensführung vor und nur die nachweisbar auf die Teilnahme an beruflichen Veranstaltungen entfallenden Mehrkosten sind dann als Betriebsausgaben abzugsfähig (vgl. BFH-Urteil vom 18. Februar 1965 IV 36/64 U, BFHE 82, 88, BStBl III 1965, 279, mit weiteren Nachweisen). Reisekosten sind grundsätzlich nicht aufteilungsfähig (vgl. BFH-Urteil vom 1. April 1971 IV R 72/70, BFHE 102, 90, BStBl II 1971, 524, mit weiteren Nachweisen). Andererseits sind Aufwendungen für Studienreisen, vor allem zum Besuch von Fachtagungen, im ganzen als Betriebsausgaben anzuerkennen, wenn die Reise zumindest weitaus überwiegend im betrieblichen oder beruflichen Interesse unternommen wird (vgl. BFH-Urteile IV 36/64 U; vom 22. Juli 1965 IV 269/64 U, BFHE 83, 401, BStBl III 1965, 644; vom 5. Dezember 1968 IV R 46/67, BFHE 94, 484, BStBl II 1969, 235; vom 20. März 1969 IV R 157/68, BFHE 95, 187, BStBl II 1969, 338; vom 10. April 1969 IV R 187/68, BFHE 96, 24, BStBl II 1969, 522; vom 1. April 1971 IV R 195/69, BFHE 102, 85, BStBl II 1971, 522; IV R 72/70). Nach der angeführten ständigen Rechtsprechung gilt eine Reise in der Regel dann als betrieblich veranlaßt, wenn sie dem Besuch eines straff organisierten Fachkurses dient. Der BFH hat indessen wiederholt darauf hingewiesen, daß nicht ein einzelnes Merkmal für die Beurteilung entscheidend sein könne, sondern daß es auf alle Umstände des Einzelfalls ankomme (vgl. z. B. BFH-Urteile IV R 195/69; IV R 72/70).

Das FG ist von diesen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Es hat in rechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, daß es sich um den Besuch eines straff organisierten Fachkongresses gehandelt habe und daß ein privater Reisezweck nahezu ausgeschlossen erscheine. Das FA hat gegen die Feststellungen des FG keine Verfahrensrügen erhoben. Der Senat ist an diese Feststellungen gebunden, sofern nicht - was von Amts wegen zu prüfen ist - in ihnen Würdigungen liegen, die mit den Denkgesetzen oder mit Erfahrungssätzen unvereinbar sind (§ 118 Abs. 2 FGO). Ein solcher Verstoß liegt nicht vor.

Zu Unrecht wendet sich das FA gegen die Würdigung des FG, der Kongreß sei "straff organisiert" gewesen; das Programm hätte in der Hälfte der Zeit abgewickelt werden können. Das FG hat unwidersprochen und durch das bei den Akten befindliche, vom FG in Bezug genommene Tagungsprogramm bestätigt, dargelegt, daß an den insgesamt sechs Werktagen (einschließlich Samstag) 22 Fachvorträge gehalten worden sind. Es haben regelmäßig vier Vorträge an den Werktagen, drei Vorträge an dem Samstag stattgefunden. Das FG konnte bei dieser Sachlage zu dem Schluß gelangen, daß das Programm nicht wesentlich hätte gestrafft werden können. Denn bei der Beurteilung des Programms mußte das FG berücksichtigen, daß erfahrungsgemäß bei wissenschaftlichen Vorträgen nach mehreren Stunden die Aufnahmefähigkeit der Hörer nachläßt. Bei gut organisierten Tagungen pflegt deshalb auch für eine gewisse Auflockerung des Programms gesorgt zu werden, in deren Genuß nicht nur etwa mitreisende Angehörige der Teilnehmer, sondern gerade die Tagungsteilnehmer selbst kommen sollen. Mit Recht hat deshalb das FG das gesellschaftliche und kulturelle Rahmenprogramm des Fortbildungskurses und die zwischen den Vortragsfolgen vorgesehenen freien Stunden nicht als steuerschädlich angesehen. Das FG konnte das außerfachliche Programm so würdigen, weil der fachliche Teil eine verhältnismäßig große Zahl von Veranstaltungen aufwies.

Die Sache lag hier anders als in dem vom FA angeführten Fall des BFH-Urteils IV 229/57 U, welches die Teilnahme an einem Fortbildungskurs der Westdeutschen Ärztekammer in Meran betraf. Dort hat der BFH einen Teil der Aufwendungen als nichtabzugsfähige Kosten der Lebensführung behandelt, weil sich aus der Wahl des Tagungsorts und der Dauer des Kurses - 13 Tage mit nur 17 Fachvorträgen - ergab, daß die Tagung zugleich der persönlichen Annehmlichkeit, insbesondere der Erholung der Teilnehmer dienen sollte. Dafür sprach auch die Tatsache, daß jene Veranstaltung im September, also in der Hochsaison der Kurzeit in Meran, stattgefunden hatte. Die Grundsätze jenes Urteils sind auf den Streitfall nicht anwendbar. Im Streitfall war das Tagungsprogramm umfangreicher und es stand nur eine wesentlich kürzere Zeit zur Verfügung. Auch fand diese Tagung nicht in der Hauptreisezeit statt.

Die betriebliche Bedingtheit der geltend gemachten Aufwendungen des Klägers kann hier auch nicht deshalb in Frage gestellt werden, weil die Tagung im Ausland stattgefunden hat. Es ist auf Grund der Feststellungen des FG davon auszugehen, daß es sich um eine Fachtagung internationalen Gepräges handelte, wenngleich Veranstalter die Deutsche Bundesapothekerkammer war und das Programm nur deutschsprachige Vorträge vorsah. Unstreitig ist vor allem, daß die Tagung auch für österreichische und italienische Teilnehmer bestimmt war. Aus dem Programm ergibt sich, daß ein wesentlicher Teil der Vorträge von ausländischen Dozenten gehalten wurde. Zutreffend hat das FG auch dem Umstand Bedeutung beigemessen, daß die vom Kläger alljährlich besuchten Internationalen Fortbildungskurse der Bundesapothekerkammer regelmäßig am selben Orte stattgefunden haben. Dabei fällt nach Auffassung des erkennenden Senats ins Gewicht, daß es sich um eine Veranstaltung im verkehrsgünstig nahegelegenen Ausland handelte, so daß ein Mißverhältnis zwischen der Kursusdauer einerseits und der für die Hin- und Rückreise benötigten Zeiten andererseits nicht entstehen konnte. Nach alledem können aus dem Umstand, daß die Fachtagung nicht im Inland stattgefunden hat - anders als im Falle des BFH-Urteils IV 229/57 U -, hier keine steuerlich nachteiligen Folgerungen gezogen werden. - Wie zu entscheiden wäre, wenn der Kläger mit der Tagung einen privaten Aufenthalt verbunden hätte, kann unerörtert bleiben.

2. Nicht zu beanstanden ist auch die Behandlung der Aufwendungen des Klägers für die Teilnahme seiner Ehefrau als Betriebsausgaben. Die Ehefrau ist selbst Apothekerin. Sie ist die ständige Vertreterin des Klägers im Betrieb. Die Kosten ihrer Kursteilnahme müssen in der gleichen Weise als abzugsfähig angesehen werden, wie dies bei entsprechenden Aufwendungen für eine fremde Angestellte des Klägers der Fall wäre. Der Umstand, daß der Kläger nicht auch einer fremden Angestellten, sondern nur seiner Ehefrau die Teilnahme ermöglicht hat, ließe eine andere Beurteilung dann in Betracht ziehen, wenn der Kläger regelmäßig (nur) seine Ehefrau zu den Tagungen mitgenommen hätte. Das war aber, wie das FG festgestellt hat, nicht der Fall. Die Teilnahme der Ehefrau war im Streitjahr erstmalig. Entgegen der sonst bei einer Reisebegleitung durch die Ehefrau naheliegenden Beurteilung (vgl. BFH-Urteil vom 18. Februar 1965 IV 209/63 U, BFHE 92, 96, BStBl III 1965, 282) konnte deshalb das FG im Streitfall auch in bezug auf die Aufwendungen für die Teilnahme der Ehefrau betriebliche Veranlassung annehmen. Da hiernach die Übernahme der Kosten im betrieblichen Interesse des Klägers lag, sind diese Beträge nicht als Einnahmen der Ehefrau im Rahmen ihrer Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bei der Zusammenveranlagung zu erfassen (vgl. BFH-Urteil vom 11. August 1972 VI R 274/70, BFHE 107, 24, BStBl II 1972, 917).

3. Gegen die Höhe der geltend gemachten Betriebsausgaben hat das FA keine Einwendungen erhoben. Der Senat sieht keinen Anlaß, die Betriebsausgaben für unangemessen im Sinn des § 4 Abs. 5 Satz 2 EStG zu halten. Auch besteht kein Anlaß, daß Vorliegen der formellen Voraussetzungen des Betriebsausgabenabzugs nach § 4 Abs. 6 EStG in Zweifel zu ziehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70805

BStBl II 1974, 291

BFHE 1974, 312

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge