Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht, Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Bestreitet ein Arbeitgeber, der für Lohnsteuer und Kirchenlohnsteuer seiner Arbeitnehmer in Anspruch genommen wird, die Steuernachforderungen, so ist im Rechtsmittelverfahren Streitwert die Summe der streitigen Lohnsteuer und Kirchenlohnsteuer.

Die Eröffnung einer Zweigniederlassung, die später ein selbständiges Unternehmen wird, ist nicht als Gründung dieses Unternehmens für die Gewährung von Lohnsteuerfreiheit für Jubiläumszuwendungen an Arbeitnehmer nach § 5 Ziff. 2 LStDV anzusehen.

 

Normenkette

AO § 286 Abs. 1; FGO § 115/1; AO § 320; FGO § 146/2; LStDV § 5 Ziff. 2, § 46

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Zuwendungen, die die Bfin. einigen Arbeitnehmern im März 1959 gemacht hat, als Jubiläumsgeschenke zum 75jährigen Firmenjubiläum lohnsteuerfrei sind.

Die Bfin. geht zurück auf die Firma H., die im Jahre 1844 in A. gegründet und später in eine OHG umgewandelt wurde. Im Jahre 1884 wurde in B. eine Zweigniederlassung dieses Unternehmens eröffnet, die nach 1900 Hauptniederlassung wurde, während der Betrieb in A. Zweigniederlassung wurde und im gleichen Jahr in andere Hände überging. Als die nunmehr als selbständige Firma in B. geführte Unternehmung nach 192O in finanzielle Schwierigkeiten geriet, wurde ihr gesamtes Vermögen auf die H.-GmbH übertragen, deren Gesellschafter die gleichen Personen waren, denen das nunmehr als OHG betriebene Unternehmen in A. gehörte. Die Bfin. ist der Auffassung, daß sie im Jahre 1884 gegründet worden sei, somit im Jahre 1959 75 Jahre bestanden habe und aus diesem Anlaß ihren Arbeitnehmern lohnsteuerfreie Jubiläumszuwendungen habe machen können. Das Finanzamt teilte diese Auffassung nicht und zog die Bfin. durch Haftungsbescheid zu einer Lohnsteuer von 941 DM heran. Der Einspruch und die Berufung dagegen hatten keinen Erfolg.

Das Finanzgericht führte aus: Geschenke eines Arbeitgebers bis zur Höhe eines Monatslohns seien nach § 5 Ziff. 2 LStDV 1959 nicht zum Arbeitslohn zu rechnen, wenn sie von dem Arbeitgeber gegeben worden seien, weil sein Unternehmen 25 Jahre oder ein Vielfaches davon bestanden habe. Die Bfin. gehe aber offenbar davon aus, daß sie bereits im Jahre 1844 gegründet worden sei; denn sonst sei der Hinweis auf ihren Briefbogen "gegründet 1844" nicht verständlich. Die Entwicklung des Unternehmens spreche auch dafür, daß im Jahre 1844 das Gründungsjahr sei. Das Jahr 1884, in dem die Bfin. als Zweigniederlassung des ursprünglichen Unternehmens in A. entstanden sei, komme jedenfalls als Gründungsjahr im Sinn des § 5 Ziff. 2 LStDV 1959 nicht in Betracht. Eine Zweigniederlassung sei keine selbständige Rechtsperson und habe kein eigenes Vermögen. Eine Zweigniederlassung könne daher auch kein eigenes Firmenjubiläum begehen. Ob das Jahr, in dem die ursprüngliche Zweigniederlassung in eine Hauptniederlassung umgewandelt worden sei, das Gründungsjahr sei, könne dahingestellt bleiben, da auch dann kein begünstigtes Firmenjubiläum vorliege. Das gleiche gelte für das Jahr, in dem die Bfin. in die heute bestehende GmbH umgewandelt worden sei. Dieses Jahr sei vielleicht als das eigentliche Gründungsjahr zu betrachten.

Die Bfin. vertritt auch in ihrer Rb. die Auffassung, die Eröffnung der Zweigniederlassung in B. im Jahre 1884 bedeute nach der Verkehrsauffassung ihre Gründung, so daß sie im Jahre 1959 75 Jahre bestanden habe. Daß ihre Firmenbezeichnung einem seit dem Jahre 1844 bestehenden Unternehmen entnommen sei, ändere hieran nichts. Die Beziehungen zu diesem Unternehmen seien später völlig gelöst worden und erst nach 1920 wieder angeknüpft worden, als Gesellschafter des Unternehmens in A. eine GmbH als Auffanggesellschaft für das in Schwierigkeiten geratene Unternehmen in B. gegründet hätten. Diese Verbindung sei jedoch bereits nach etwa 10 Jahren wieder gelöst worden, als der letzte auch bei dem Unternehmen in A. beteiligte Gesellschafter ausgeschieden sei. Für den Gründungszeitpunkt komme es nur auf den Betrieb in B. an. Daß dieser zunächst eine Zweigniederlassung gewesen sei und er erst nach dem Jahre 1920 seine jetzige Rechtsform erhalten habe, sei für diese Frage ohne Bedeutung. Entscheidend sei allein, wann die gewerbliche Tätigkeit in B. begonnen habe. Da dies im Jahre 1884 geschehen sei, habe sie im Jahre 1959 75 Jahre bestanden und könne demgemäß die Zuwendungen an ihre Arbeitnehmer wegen ihres 75jährigen Jubiläums lohnsteuerfrei behandeln.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist zulässig, aber nicht begründet.

Das Finanzgericht hat den Streitwert in der angefochtenen Entscheidung nach der streitigen Lohnsteuer auf 94l DM festgestellt. Da die Berufung nach dem 31. August 1961, nämlich am 27. Oktober 1961, bei dem Finanzgericht anhängig wurde, ist die Rb. nach § 286 Abs. 1 AO in der Fassung des Art. 17 Ziff. 14 in Verbindung mit Art. 18 des Steueränderungsgesetzes (StändG) 1961 (BGBl 1961 I S. 981, BStBl 1961 I S. 444) nur zulässig, wenn der Streitwert den Betrag von 1.000 DM übersteigt oder die Rb. wegen grundsätzlicher Bedeutung vom Finanzgericht zugelassen wurde (Urteil des Senats VI 121/62 U vom 13. Juli 1962, BStBl 1962 III S. 378, Slg. Bd. 75 S. 308). Da die Zulassung der Rb. vom Finanzgericht nicht ausgesprochen wurde und der Bundesfinanzhof an diese Entscheidung gebunden ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs III 268/62 U vom 11. Januar 1963, BStBl 1963 III S. 165, Slg. Bd. 76 S. 452), hängt die Zulässigkeit der Rb. nur von der Höhe des Streitwerts ab.

Der Bundesfinanzhof ist an die Streitwertfestsetzung des Finanzgerichts nicht gebunden, sondern hat den Streitwert für die Feststellung der Zulässigkeit der Rb. selbst zu ermitteln (Urteil des Bundesfinanzhofs III 414/58 U vom 14. Juni 1960, BStBl 1960 III S. 370, Slg. Bd. 71 S. 324). Die Bfin. weist in ihrer Rb. darauf hin, daß das Finanzamt sie in dem Lohnsteuerhaftungsbescheid nicht nur für 941 DM Lohnsteuer, sondern auch für 74,48 DM Kirchensteuer in Anspruch genommen habe. Diese Kirchensteueranforderung, die sie gleichfalls nicht anerkennt, sei in den Streitwert einzubeziehen. Der Vorsteher des Finanzamts will eine Einbeziehung der Kirchenlohnsteuer in den Streitwert nur zulassen, "wenn im Rechtsmittelverfahren noch eine besondere Entscheidung über die Kirchenlohnsteuer zu treffen ist", was jedoch im Streitfall nicht in Betracht komme.

Der Reichsfinanzhof hat im Gutachten Gr. S. D 3/38 vom 28. Mai 1938 (Reichssteuerblatt 1938 S. 554, Slg. Bd. 44 S. 77) entschieden, daß in einem Rechtsstreit gegen einen Einkommensteuerbescheid die Kirchensteuer bei der Bemessung des Streitwerts nicht zu berücksichtigen ist. Der Bundesfinanzhof hat sich dieser Beurteilung angeschlossen, z. B. im Urteil IV 410/55 U vom 25. August 1955 (BStBl 1955 III S. 298, Slg. Bd. 61 S. 261). Bei diesen Entscheidungen handelte es sich aber um Streitwertfeststellungen bei einem Rechtsstreit über die Höhe der veranlagten Einkommensteuer. In diesen Fällen ist die Kirchensteuer, selbst wenn sie vom Finanzamt zusammen mit der Einkommensteuer festgesetzt wird, in der Regel eine Art Zuschlag zur Einkommensteuer, über den im allgemeinen nicht besonders entschieden wird. Es bestehen dann keine Bedenken, die Kirchensteuer bei einem Rechtsstreit über die Höhe der veranlagten Einkommensteuer bei der Streitwertfestsetzung außer Betracht zu lassen. Die Rechtslage ist jedoch anders, wenn in einem Lohnsteuerhaftungsverfahren der Arbeitgeber für Lohnsteuer seiner Arbeitnehmer nach § 46 LStDV in Anspruch genommen wird und dabei auch Kirchensteuer von ihm angefordert wird. Dann ist es für den Arbeitgeber nicht wesentlich, ob der Betrag, den er an das Finanzamt als Haftender abführen soll, Lohnsteuer oder Kirchenlohnsteuer ist. Bedeutung hat für ihn allein der im Haftungsbescheid genannte Steuerbetrag. Wendet er sich im Rechtsmittelverfahren gegen diese Inanspruchnahme, so kann er unter Umständen gegen die Kirchenlohnsteuer sogar andere Einwendungen erheben als gegen die Lohnsteuer, z. B. den Einwand, daß seine Arbeitnehmer keiner der hebeberechtigten Religionsgemeinschaften angehören. Da der Wert des Streitgegenstands sich immer nach dem Steuerbetrag bemißt, um den im Rechtsstreit unmittelbar gestritten wird (vgl. Urteil des Senats VI 195/56 U vom 24. Januar 158, BStBl 1958 III S. 122, Slg. Bd. 66 S. 318), umfaßt hier der Streitwert neben der angeforderten Lohnsteuer auch die vom Arbeitgeber angeforderte Kirchenlohnsteuer seiner Arbeitnehmer.

Da die Bfin. außer für Lohnsteuer von 941 DM auch für 74,48 DM Kirchenlohnsteuer in Anspruch genommen wurde, beträgt der Streitwert demnach 1.015 DM. Die Rb. ist daher zulässig.

In der sachlichen Streitfrage könnte das Rechtsmittel nur Erfolg haben, wenn man annähme, daß die Bfin. im Jahre 1884 gegründet wurde, da sie dann im Streitjahr 1959 ein Jubiläum hätte feiern können, das durch 25 teilbar ist. Unter dieser Voraussetzung wären die ihren Arbeitnehmern gemachten Zuwendungen nach § 5 Ziff. 2 LStDV lohnsteuerfrei und die Nachforderung von Lohnsteuer und Kirchenlohnsteuer unberechtigt. Welches Jahr man als Gründungsjahr der Bfin. ansieht, liegt auf dem Gebiet der Tatsachenwürdigung. Das Finanzgericht hat jedenfalls das Jahr 1884 nicht als Gründungsjahr angesehen. Hieran ist der Senat gemäß §§ 288 Abs. 1 AO gebunden, da diese Feststellung weder auf einem Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten noch auf einer Verletzung des geltenden Rechts beruht. Das Finanzgericht hat insbesondere zutreffend das Jahr 1884 als Gründungszeitpunkt deshalb abgelehnt, weil die Errichtung einer Zweigniederlassung keine "Geschäftsgründung" ist, auch wenn sich daraus in späteren Jahren ein selbständiges Unternehmen entwickelt. Außerdem muß sich die Bfin. ihre eigene Angabe auf ihren Briefbogen, die eine Gründung im Jahre 1844 ausweisen, entgegenhalten lassen. Welches der anderen Jahre als Gründungsjahr anzusehen ist, braucht nicht entschieden zu werden, da sich daraus für den vorliegenden Rechtsstreit keine für die Bfin. günstigen Folgerungen ergeben können.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411392

BStBl III 1965, 56

BFHE 1965, 157

BFHE 81, 157

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