Leitsatz (amtlich)

Errichtet ein Unternehmer auf einem bereits bebauten Grundstück weitere Bauwerke und nimmt er diese schrittweise nach Maßgabe ihrer Fertigstellung in Gebrauch, so greift die stufenweise Besteuerung nach dem Selbstverbrauch (Urteil vom 18. August 1977 V R 33/75 1) nur ein, wenn die weiteren Bauwerke selbständige körperliche Wirtschaftsgüter sind oder die Entstehung eines Wirtschaftsgutes bewirkt haben, dem die Neubauteile das Gepräge geben. Diese Entscheidung ist nach dem Zustand zu treffen, wie er sich nach Abschluß der zur Fertigstellung notwendigen Baumaßnahmen ergibt.

 

Normenkette

UStG 1967 § 30

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betreibt ein Hotel. Im Rahmen einer in zwei Bauabschnitten vorgesehenen Ausbaumaßnahme baute er zunächst in den Jahren 1966/67 an das bisherige Hauptgebäude einen zweigeschossigen Hoteltrakt mit Fremdenzimmern, Speiseraum, Gaststube usw. an. Die Herstellungskosten betrugen rund 499 000 DM. Der Hoteltrakt wurde bis auf das im Kellergeschoß vorgesehene Schwimmbad vor dem 1. Januar 1968 in Betrieb genommen. Die Fertigstellung des Schwimmbades war aus finanziellen Gründen zurückgestellt und der dafür vorgesehene Raum im Kellergeschoß im Rohbauzustand belassen worden. Im Zuge des ersten Bauabschnittes wurde ferner der einige Meter vom Hauptgebäude entfernt stehende und für die Einrichtung von Fremdenzimmern in den Jahren 1965/66 aufgestockte Garagentrakt im Obergeschoß durch einen Gang mit dem Hauptgebäude verbunden. Im Jahre 1968 wurde das Schwimmbad mit einem Kostenaufwand (netto) von insgesamt 115 490 DM eingerichtet und in Betrieb genommen. Von den Gesamtaufwendungen entfielen auf die Heizungsanlage für das Schwimmbad 21 241,43 DM, auf die Filteranlage 15 270,46 DM und 78 979,01 DM auf die übrigen Herstellungskosten (Fenster, Türen, Plattierung, Vertäfelungen usw.). Für die Benutzung des Schwimmbades wurde von den Hotelgästen ein besonderes Entgelt erhoben.

In den Jahren 1969/70 errichtete der Kläger im zweiten Bauabschnitt ein sog. Bettenhaus (Herstellungskosten rund 436 000 DM), das im Jahre 1970 in Betrieb genommen wurde. Dieses Bettenhaus steht in der Verlängerung des im 1. Bauabschnitt errichteten Hoteltrakts. Es handelt sich um ein freistehendes Gebäude mit einem schmalen, zum Durchgang geeigneten Verbindungstrakt.

Nach einer Betriebsprüfung vertrat der Beklagte und Revisionskläger (FA) zunächst die Auffassung, daß der Kläger mit der Inbetriebnahme des Schwimmbades ein selbständiges Wirtschaftsgut (nämlich eine Betriebsvorrichtung) der Verwendung als Anlagevermögen zugeführt habe. Als Bemessungsgrundlage der Selbstverbrauchsteuer legte das FA die gesamten Aufwendungen für die Errichtung des Schwimmbades zugrunde und setzte in dem nach § 225 AO berichtigten Umsatzsteuerbescheid 1968 vom 2. Februar 1972 die Selbstverbrauchsteuer um 8 018,96 DM höher als vom Kläger erklärt fest. Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos.

Der hiergegen gerichteten Klage hat das FG stattgegeben. In Übereinstimmung mit den während des Klageverfahrens von den Beteiligten vertretenen Rechtsauffassungen ist es davon ausgegangen, daß es sich bei dem Schwimmbad nicht um eine Betriebsvorrichtung handelt und daß aus diesem Grunde dem Schwimmbad nicht die Eigenschaft eines selbständigen Wirtschaftsgutes i. S. des § 30 Abs. 2 UStG 1967 zuerkannt werden könne. Des weiteren hat das FG die Auffassung vertreten, daß es sich bei den Aufwendungen für das Schwimmbad um nachträgliche Herstellungskosten für ein Gebäude handle, das bereits vor dem 1. Januar 1968 der Verwendung als Anlagevermögen zugeführt worden sei. Unterliege das Gebäude als selbständiges Wirtschaftsgut wegen seiner Zuführung zum Anlagevermögen vor dem maßgeblichen Zeitpunkt des 1. Januar 1968 nicht der Selbstverbrauchsteuerpflicht, so könne den nachträglichen Herstellungskosten keine andere rechtliche Beurteilung zuteil werden. Die Selbstverbrauchsteuerpflicht könne aber auch nicht damit begründet werden, daß durch die in den Jahren 1967 bis 1970 abschnittsweise durchgeführten Baumaßnahmen ein neues, Alt- und Neuteile umfassendes Wirtschaftsgut entstanden sei und das Schwimmbekken sich hierbei als Teilbaumaßnahme darstelle. Für die Beurteilung, ob der Selbstverbrauchsteuertatbestand i. S. des § 30 Abs. 2 UStG 1967 erfüllt worden sei, müsse allein auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Ingebrauchnahme des Wirtschaftsgutes abgestellt werden. Stelle sich deshalb die Errichtung des Schwimmbeckens in diesem Zeitpunkt lediglich als unselbständiger Gebäudeinnenausbau eines im übrigen vor dem 1. Januar 1968 in Gebrauch genommenen Gebäudes dar, so entfalle damit die Selbstverbrauchsteuerpflicht. Von späteren, im Zeitpunkt der Ingebrauchnahme des Schwimmbeckens noch nicht konkretisierten Baumaßnahmen des zweiten Bauabschnittes könne die Frage der Selbstverbrauchsteuerpflicht bezüglich des Schwimmbeckens nicht abhängig gemacht werden. Die gegenteilige Auffassung des FA hätte zur Folge, daß über die Selbstverbrauchsteuerpflicht von unselbständigen Gebäudeausbauten erst dann entschieden werden könne, wenn die geplanten Ausbaumaßnahmen abgeschlossen seien. Denn erst dann könne beurteilt werden, ob die in mehreren Bauabschnitten durchgeführte Baumaßnahme wirtschaftlich zu einem neuen Wirtschaftsgut geführt habe. Diese Prüfung müsse demjenigen Veranlagungszeitraum vorbehalten bleiben, in dem die Gesamtheit der Baumaßnahmen abgeschlossen worden sei. Erst für diesen Veranlagungszeitraum stelle sich die Frage einer Selbstverbrauchsteuerpflicht bezüglich des eingebauten Schwimmbeckens.

Dagegen richtet sich die - durch den Beschluß des BFH vom 20. Mai 1976 V B 94/75 (UStR 1976, 159) wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zugelassene - Revision des FA, die auf die Verletzung materiellen Rechts (§ 30 Abs. 1 UStG 1967) gestützt wird. Das FA trägt zur Begründung im wesentlichen vor: Der Kläger habe in den Jahren 1966 bis 1970 nach einem Gesamtplan aufeinanderfolgende Baumaßnahmen (Errichtung des neuen Hoteltraktes einschließlich des Schwimmbeckens sowie des Bettenhauses) abschnittsweise durchgeführt. Der nach Abschluß aller Baumaßnahmen vorhandene Gebäudekomplex sei nach den Grundsätzen der BFH-Rechtsprechung (vgl. das Urteil vom 13. April 1972 V R 151/71, BFHE 105, 198, BStBl II 1972, 654) als neues - den Altbau umfassendes - Wirtschaftsgut anzusehen; denn die Neubauteile seien größen- und wertmäßig den Altbauteilen übergeordnet. Der Altbau weise keine Besonderheiten auf, die den Gesamteindruck des Gebäudekomplexes prägen könnten.

Zu Unrecht habe das FG nicht die Gesamtheit aller planmäßig durchgeführten Baumaßnahmen seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Den Tatbestand des Selbstverbrauchs habe der Kläger im Veranlagungszeitraum 1968 erfüllt, da er mit dem Hotelschwimmbad - während der Geltungsdauer der Selbstverbrauchsteuer nach § 30 UStG 1967 - einen betrieblich nutzbaren Teil des Gesamtgebäudes (der durch einen gesonderten Bauabschnitt errichtet worden sei) der Nutzung als Anlagevermögen zugeführt habe (Hinweis auf den Erlaß des BdF vom 30. Januar 1968 Abschn. B Nr. 4 Abs. 2, BStBl I 1968, 310). Daß es sich dabei erst um einen (fertigen) Teil eines noch unfertigen Ganzen gehandelt habe, spreche nach dem Urteil des BFH vom 19. August 1971 V R 48/71 (BFHE 103, 286, BStBl II 1972, 76) nicht gegen die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 30 Abs. 2 UStG 1967. Die Vorentscheidung stehe zu diesen Grundsätzen in Widerspruch. Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger tritt der Revision entgegen. Er trägt vor, die in den Jahren 1966 bis 1970 am Altbau durchgeführten Baumaßnahmen seien nach den jeweils angefallenen betrieblichen Bedürfnissen, nicht aber aufgrund eines sog. Gesamtplanes durchgeführt worden. Dementsprechend werde der äußere Eindruck des Gesamtkomplexes wesentlich vom Hauptgebäude (Altbau) bestimmt. Auch nach Größe und Wert überwiege der Altbau - dem auch das 1965 errichtete Bettenhaus mit Garagen zugehöre - gegenüber den Neubauten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.

Selbstverbrauch liegt nach § 30 Abs. 2 UStG 1967 vor, wenn - neben anderen Voraussetzungen, die hier erfüllt sind - ein körperliches Wirtschaftsgut der Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen zugeführt wird.

1. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß das im Jahre 1968 eingerichtete und in Betrieb genommene Hotelschwimmbad kein selbständiges Wirtschaftsgut nach Maßgabe der einkommensteuerrechtlichen Abgrenzung des Begriffs in § 30 Abs. 2 UStG 1967 ist. Bei dem durch die Ausbaumaßnahme entstandenen Schwimmbad handelt es sich insgesamt um einen unselbständigen Gebäudebestandteil, der in einheitlichem Nutzungs- und Funktionszusammenhang mit der eigentlichen Gebäudenutzung steht (vgl. die Entscheidungen des BFH vom 26. November 1973 GrS 5/71, BFHE 111, 242, BStBl II 1974, 132, und vom 30. Mai 1974 V R 141/73, BFHE 112, 536, BStBl II 1974, 621).

2. Die Vorentscheidung wird von der rechtlichen Überlegung getragen, daß die Inbetriebnahme des Schwimmbades - selbst wenn sie Teil einer selbstverbrauchsteuerbaren Gesamtbaumaßnahme sei - erst nach Fertigstellung des gesamten Baues und dessen Inbetriebnahme, also mit Zuführung dieses fertigen Wirtschaftsguts zur Verwendung als Anlagevermögen den Tatbestand des Selbstverbrauchs erfülle. Dieser Begründung liegt die rechtliche Vorstellung zugrunde, daß der Tatbestand des Selbstverbrauchs in bezug auf ein Wirtschaftsgut nur in Form einer Zuführungsbehandlung verwirklicht werden kann. Dem vermag der Senat nicht beizutreten. Er hat in seinem Urteil vom 18. August 1977 V R 33/75 (BStBl II 1977, 883) entschieden, daß in den Fällen, in denen sich die Herstellung eines Wirtschaftsguts über einen Besteuerungszeitraum hinaus ausdehnt, der Herstellungsvorgang erst abgeschlossen ist, wenn das Wirtschaftsgut den Zustand erreicht hat, der seine bestimmungsgemäße Nutzung ermöglicht. Der in den Jahren 1966/67 angebaute Hoteltrakt, dessen Kellergeschoß zum Einbau des Schwimmbades vorgesehen war, ist nicht vor dem im Jahre 1968 durchgeführten Einbau des vorgesehenen Schwimmbades fertiggestellt worden. Vorher konnte der Anbau seiner bestimmungsgemäßen Nutzung nicht (uneingeschränkt) zugeführt werden. In Fällen dieser Art kann die Zuführung des Wirtschaftsguts zum Anlagevermögen stufenweise mit mehreren Zuführungshandlungen vorgenommen werden. Fällt diese Zuführungskette insgesamt unter den zeitlichen Geltungsbereich der Selbstverbrauchsteuer nach § 30 UStG 1967, so wird der Tatbestand des Selbstverbrauchs stufenweise mit den einzelnen Zuführungshandlungen verwirklicht, die mit der Inbetriebnahme des fertigen Wirtschaftsguts ihren Abschluß finden (vgl. Urteil V R 33/75). Der Umstand, daß die Zuführung des ersten Bauabschnitts erst mit der Inbetriebnahme des Gebäudeteils "Schwimmbad" im Veranlagungszeitraum 1968 abgeschlossen wurde, besagt nach vorstehenden Grundsätzen nicht, daß der damit verwirklichte Tatbestand des Selbstverbrauchs zurückwirkt auf diejenigen Bauabschnitte, die vor dem zeitlichen Geltungsbereich der Selbstverbrauchsteuer nach § 30 UStG 1967, d. h. vor dem 1. Januar 1968, der Nutzung als Anlagevermögen zugeführt wurden. Der selbstverbrauchsteuerbare Tatbestand beschränkt sich in diesem Fall - was sich auch unter Berücksichtigung des in § 30 Abs. 9 UStG 1967 zum Ausdruck gekommenen Rechtsgedankens ergibt - auf diejenigen Teile des (bei rückblickender Betrachtung) einheitlichen Wirtschaftsguts, die nach dem 31. Dezember 1967 der Nutzung als Anlagevermögen zugeführt worden sind. Da das FG von anderen Auslegungsgrundsätzen ausgegangen ist, war seine Entscheidung aufzuheben.

3. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat aufgrund seines Rechtsstandpunktes keine Feststellungen zu der vorgreiflichen Frage getroffen, ob der Hotelanbau (erster Bauabschnitt der Jahre 1966 bis 1968) vom Altbau (bautechnisch) unabhängig und damit nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des Senats als selbständiges Wirtschaftsgut zu beurteilen ist (vgl. zuletzt das Urteil vom 9. August 1974 VR 11/74, BFHE 114, 569, BStBl II 1975, 342). Denn die Inbetriebnahme des Schwimmbeckens kann nur dann als eine die Selbstverbrauchsteuer auslösende Zuführungshandlung beurteilt werden, wenn der Hoteltrakt ein selbständiges körperliches Wirtschaftsgut i. S. des § 30 Abs. 2 UStG 1967 darstellt. Die Beurteilungsmaßstäbe, die der Senat entwickelt hat, um insbesondere bei Baumaßnahmen die Erweiterungsinvestitionen von den Neuinvestitionen abzugrenzen, setzen einen Abschluß der Baumaßnahmen voraus. Insbesondere die Frage, ob der Altbau oder der Neubau dem Gesamtkomplex das Gepräge gibt, kann erst nach der Fertigstellung des Ganzen oder nach Abschluß der zur Fertigstellung notwendigen Baumaßnahmen zutreffend beurteilt werden. Das FG wird demgemäß bei erneuter Entscheidung zu prüfen haben, ob der im Bauabschnitt I erstellte Hoteltrakt (mit Hotelschwimmbad) im Verhältnis zum Altbau sich als selbständiger (mit dem Altbau nicht baulich verschachtelter) Neubau oder als unselbständiger Erweiterungsbau des Altbaus darstellt oder ob ein neues, aus beiden Gebäudeteilen bestehendes Hotelgebäude, dem der Neubau das Gepräge gibt (vgl. hierzu auch das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil vom 18. August 1977 V R 164/75), entstanden ist.

Sollte das FG genötigt sein, in eine Prüfung der dritten Möglichkeit einzutreten, wird es aus diesem Grunde vorweg zu prüfen haben, ob der Hoteltrakt und das Bettenhaus als ein Wirtschaftsgut dem bisherigen Altbau gegenüberzustellen sind oder nicht.

1) BStBl II 1977, 883

 

Fundstellen

Haufe-Index 72504

BStBl II 1977, 887

BFHE 1978, 214

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