Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausfuhrerstattung: Einhaltung der Tierschutzvorschriften beim Transport lebender Rinder

 

Leitsatz (amtlich)

Die beim Transport lebender Rinder gemäß Art. 3 VO Nr. 615/98 erforderliche tierärztliche Kontrolle der ersten Entladung der Tiere im Bestimmungsland hat jedenfalls im unmittelbaren Anschluss an den Entladevorgang zu erfolgen. Eine tierärztliche Kontrolle erst zwölf Tage nach dem Entladen erfüllt diese Voraussetzung nicht.

 

Normenkette

EGV 615/98 Art. 3, 5 Abs. 6; EWGV 805/68 Art. 13 Abs. 9 Unterabs. 2

 

Verfahrensgang

FG Hamburg (Entscheidung vom 10.06.2004; Aktenzeichen IV 313/01)

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) führte im Juni 1999 unter Inanspruchnahme als Vorschuss gewährter Ausfuhrerstattungen 253 Zuchtrinder nach Libyen aus, die zunächst per LKW nach Koper/Slowenien und von dort per Schiff weiterbefördert wurden. Im Erstattungsverfahren legte die Klägerin ein Gesundheitszeugnis eines libyschen Tierarztes mit einer Zusatzerklärung der Kontroll- und Überwachungsgesellschaft vor, woraus sich ergab, dass die Rinder im libyschen Hafen Bengazi am 28. Juni 1999 entladen worden waren, die tierärztliche Kontrolle ihres Gesundheitszustandes aber erst am 10. Juli 1999 während des Aufenthalts der Tiere in der Quarantänestation durchgeführt worden war. Der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt --HZA--) forderte daraufhin mit mehreren Änderungsbescheiden die gewährten Erstattungen zuzüglich eines Zuschlags von 15 % zurück; der Einspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) hob die Änderungsbescheide auf und urteilte, dass die tierärztliche Kontrolle der ersten Entladung der Tiere im Bestimmungsdrittland gemäß Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 Anstrich 1 der Verordnung (EG) Nr. 615/98 (VO Nr. 615/98) der Kommission vom 18. März 1998 mit Durchführungsbestimmungen zur Ausfuhrerstattungsregelung in Bezug auf den Schutz lebender Rinder beim Transport (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 82/19) zwar entweder noch auf dem Transportmittel oder zeitnah im unmittelbaren Anschluss an die Entladung habe durchgeführt werden müssen, dass aber im Streitfall der zwischen der Entladung und der Untersuchung liegende Zeitraum nicht so groß gewesen sei, dass verlässliche Feststellungen über den Zustand der Tiere und die Einhaltung der tierschutzrechtlichen Bestimmungen nicht mehr hätten getroffen werden können.

Mit seiner Revision macht das HZA geltend, dass die Auffassung des FG, dass eine zwölf Tage nach der Entladung durchgeführte Kontrolle der Tiere den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften entspreche, mit dem Wortlaut des Art. 3 VO Nr. 615/98 nicht zu vereinbaren sei und sowohl einer systematischen Auslegung der gemeinschaftsrechtlichen Tierschutzvorschriften als auch einer Auslegung nach ihrem Sinn und Zweck widerspreche.

Die Klägerin schließt sich der Ansicht des FG an, dass bei der im Streitfall durchgeführten Kontrolle noch Rückschlüsse auf den Zustand der Tiere zur Zeit ihrer Entladung möglich gewesen seien. Auch ergebe sich aus Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der (Nachfolge-)Verordnung (EG) Nr. 639/2003 (VO Nr. 639/2003) der Kommission vom 9. April 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 1254/1999 des Rates hinsichtlich des Schutzes lebender Rinder beim Transport als Voraussetzung für die Gewährung von Ausfuhrerstattungen (Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 93/10) lediglich, dass die Tiere am Ort der ersten Entladung zu kontrollieren seien; es gebe keine Regelung, wann diese Kontrolle stattzufinden habe.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des HZA ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die angefochtenen Änderungsbescheide sind rechtmäßig (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

Nach Art. 13 Abs. 9 Unterabs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 805/68 (VO Nr. 805/68) des Rates vom 27. Juni 1968 über die gemeinsame Marktorganisation für Rindfleisch (ABlEG Nr. L 148/24) i.d.F. der Verordnung (EG) Nr. 2634/97 (VO Nr. 2634/97) des Rates vom 18. Dezember 1997 (ABlEG Nr. L 356/13) setzt die Gewährung von Erstattungen bei der Ausfuhr lebender Tiere die Einhaltung der Vorschriften des Gemeinschaftsrechts zum Wohlbefinden der Tiere, insbesondere zum Schutz der Tiere während des Transports, voraus. Hierzu gehören, wie sich auch aus dem 1. Erwägungsgrund zur VO Nr. 2634/97 ergibt, insbesondere die Regelungen der Richtlinie 91/628/EWG (RL 91/628/EWG) des Rates vom 19. November 1991 über den Schutz von Tieren beim Transport sowie zur Änderung der Richtlinien 90/425/EWG und 91/496/EWG (ABlEG Nr. L 340/17). Dementsprechend macht Art. 1 VO Nr. 615/98 die Zahlung der Ausfuhrerstattungen für lebende Rinder davon abhängig, dass während des Transports der Tiere bis zu ihrer ersten Entladung im Bestimmungsdrittland die Vorschriften der RL 91/628/EWG sowie der VO Nr. 615/98 eingehalten werden. Bedenken gegen die Gültigkeit dieser Vorschrift bestehen nicht (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften --EuGH-- vom 17. Januar 2008 Rs. C-37/06 und C-58/06, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern --ZfZ-- 2008, 42; so bereits Senatsurteil vom 17. Mai 2005 VII R 76/04, BFHE 210, 70, ZfZ 2005, 341).

Gemäß Art. 3 Abs. 3 Anstrich 1 VO Nr. 615/98 hatte somit die Klägerin wegen des Wechsels des Transportmittels in Koper zur Begründung ihres Erstattungsanspruchs die in Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 615/98 vorgeschriebene Kontrolle vornehmen zu lassen und nach Art. 5 Abs. 2 Unterabs. 2 Anstrich 2 VO Nr. 615/98 den in Art. 3 Abs. 2 VO Nr. 615/98 vorgesehenen Kontrollbericht eines Tierarztes vorzulegen, der von einer internationalen Kontroll- und Überwachungsgesellschaft, die von einem Mitgliedstaat oder von der Kommission zu diesem Zweck zugelassen wurde, oder von einer amtlichen Stelle eines Mitgliedstaats beauftragt worden ist (Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 VO Nr. 615/98). Dies ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit. Streitig ist allein, wann diese tierärztliche Kontrolle im Bestimmungsdrittland zu erfolgen hat.

Nach dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 VO Nr. 615/98, wonach "die erste Entladung im Bestimmungsdrittland" zu kontrollieren ist, ist davon auszugehen, dass die Kontrolle der Tiere beim Entladungsvorgang zu erfolgen hat; eine Kontrolle, die erst zu einem späteren Zeitpunkt und an einem anderen Aufenthaltsort der Tiere erfolgt, kann keine Kontrolle der "Entladung" sein. Aus der englischen und der französischen Fassung der VO Nr. 615/98 ergibt sich nichts anderes: Danach ist der Gegenstand der Kontrolle the "first unloading" bzw. "le premier déchargement".

Für diese Auslegung nach ihrem Wortlaut sprechen auch die bei der Auslegung zu berücksichtigenden Ziele der Vorschrift (vgl. zur Auslegung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften: EuGH-Urteil vom 23. November 2006 Rs. C-300/05, EuGHE 2006, I-11169, ZfZ 2007, 132). Nach dem 1. Erwägungsgrund der VO Nr. 615/98 sowie nach Art. 13 Abs. 9 Unterabs. 2 VO Nr. 805/68 und Art. 1 VO Nr. 615/98 dienen die Vorschriften der VO Nr. 615/98 der Einhaltung der tierschutzrechtlichen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts und damit dem Schutz der Tiere während des Transports bis zu ihrer ersten Entladung im Bestimmungsdrittland. Nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 91/628/EWG ist der "Transport" jegliche Beförderung von Tieren mit einem Transportmittel, einschließlich Ver- und Entladen (vgl. EuGH-Urteil in EuGHE 2006, I-11169, ZfZ 2007, 132). Es ist daher folgerichtig, dass die abschließende Kontrolle, ob die tierschutzrechtlichen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts "während des Transports der Tiere" (Art. 1 VO Nr. 615/98) eingehalten worden sind, beim Entladevorgang stattzufinden hat.

Ob tierärztliche Feststellungen etwaiger gesundheitlicher Beeinträchtigungen oder eines ansonsten mangelhaften Zustandes der transportierten Tiere auf die an Bord des Transportmittels herrschenden unzureichenden Bedingungen zurückzuführen sind (vgl. Art. 3 Abs. 2 Anstrich 2 VO Nr. 615/98), wird sich im Übrigen nur vor Ort beim Entladevorgang selbst feststellen lassen, wenn auch das Transportmittel für eine Inaugenscheinnahme noch zur Verfügung steht und sich damit z.B. bestimmte Verletzungen der Tiere auf bestimmte Gegebenheiten der Unterbringung an Bord zurückführen lassen. Außerdem wird sich die Frage, ob überhaupt transportbedingte gesundheitliche Beeinträchtigungen festgestellt werden können, nur dann auf einer sicheren Grundlage beantworten lassen, wenn die tierärztliche Kontrolle während des Entladevorgangs oder jedenfalls im unmittelbaren Anschluss daran stattfindet.

Zwar kann angenommen werden, dass die bei der Auslegung der Vorschrift zu berücksichtigenden tierschutzrechtlichen Ziele hinsichtlich der Frage, wie lang die Zeit zwischen dem Abschluss des Entladevorgangs und der tierärztlichen Kontrolle der Tiere bemessen sein darf, um noch von einer Kontrolle im unmittelbaren Anschluss an das Entladen der Tiere sprechen zu können, einen gewissen Spielraum erlauben. Bei einem Abstand von zwölf Tagen zwischen dem Entladen der Tiere am Ende des Transports und ihrer tierärztlichen Kontrolle besteht aber der aus Gründen einer wirksamen tierschutzrechtlichen Kontrolle zu fordernde zeitliche Zusammenhang jedenfalls nicht mehr. Innerhalb eines solchen Zeitraums können transportbedingte Verletzungen verheilt und Beeinträchtigungen durch unzureichendes Füttern oder Tränken oder mangelnde hygienische Verhältnisse während des Transports wieder ausgeglichen sein oder es können sogar --entsprechend umgekehrt-- gesundheitliche Beeinträchtigungen hinzugekommen sein, die auf eine unzureichende Behandlung der Tiere erst im Bestimmungsdrittland zurückzuführen sind. Das FG hat auch keine im Streitfall vorliegenden Besonderheiten festgestellt, welche seine Annahme rechtfertigen könnten, dass trotz der im Abstand von zwölf Tagen durchgeführten tierärztlichen Kontrolle verlässliche Feststellungen über den Zustand der Tiere und die Einhaltung der tierschutzrechtlichen Bestimmungen getroffen werden konnten.

Die Erwägung des FG, dass eine tierärztliche Kontrolle der Tiere bereits bei ihrer Entladung aufgrund der Gegebenheiten an Bord häufig nicht möglich sein dürfte und dass die Untersuchung deshalb "zwangsläufig" erst nach Sortierung und Verbringung der Tiere in eine Quarantänestation erfolgen könne, lässt den Bezug zum Streitfall vermissen, weil das FG zum einen solche seinerzeit bestehenden tatsächlichen Hindernisse nicht festgestellt, sondern sie offenbar allein aufgrund der Anzahl der transportierten Tiere unterstellt hat, und weil zum anderen diese Erwägungen nicht den im Streitfall zwölftägigen Zeitraum zwischen Entladung und tierärztlicher Kontrolle erklären können. Auch wenn es im Einzelfall derartige --auch von Seiten der Klägerin als denkbar angeführte-- Umstände im Bestimmungsland geben mag, welche einer tierärztlichen Kontrolle beim Entladen der Tiere oder im unmittelbaren Anschluss daran entgegenstehen, so rechtfertigt dies gleichwohl nicht eine Auslegung des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 VO Nr. 615/98, die einen Abstand von zwölf Tagen zwischen dem Entladen der Tiere und ihrer tierärztlichen Kontrolle erlaubt. Vielmehr sieht Art. 5 Abs. 6 VO Nr. 615/98 (jetzt: Art. 4 Abs. 3 VO Nr. 639/2003) für solche Fälle vor, dass der Ausführer Gründe, die einer Kontrolle bei der Entladung nach Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 615/98 entgegenstanden und die ihm nicht anzulasten sind, geltend machen und beantragen kann, die Einhaltung der Tierschutzrichtlinie während des Transports mit Hilfe anderer Dokumente nachweisen zu können. Von dieser Möglichkeit hat die Klägerin im Streitfall aber offenbar keinen Gebrauch gemacht.

Die Auslegung durch das FG lässt sich schließlich auch nicht damit rechtfertigen, dass nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der (Nachfolge-)VO Nr. 639/2003 die Kontrolle der Tiere "am Ort der ersten Entladung" zu erfolgen hat. In Anbetracht der sich aus dem 1. und 3. Erwägungsgrund der VO Nr. 639/2003 ergebenden Ziele der Verordnung und des gegenüber Art. 1 VO Nr. 615/98 im Wesentlichen unverändert gebliebenen Art. 1 VO Nr. 639/2003 ("während des Transports der Tiere bis zu ihrer ersten Entladung im Bestimmungsdrittland") ist nicht der Schluss gerechtfertigt, dass wegen der Formulierung "am Ort der ersten Entladung" nunmehr eine tierärztliche Kontrolle erlaubt ist, die nicht direkt an der konkreten Entladestelle und damit jedenfalls im unmittelbaren Anschluss an den Transport, sondern zu einem späteren Zeitpunkt in einer Quarantänestation durchgeführt wird. Aufgrund einer solchen Kontrolle könnte der Tierarzt im Übrigen die im Anhang III der VO Nr. 639/2003 vorgeschriebenen Feststellungen schwerlich vollständig treffen.

Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 615/98 einen Abstand von zwölf Tagen zwischen der Entladung der Tiere im Bestimmungsland und ihrer tierärztlichen Kontrolle nicht erlaubt, und sieht deshalb keine Verpflichtung, die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen (vgl. EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3415, 3430).

Für den streitigen Tiertransport ist nach alledem die Vorschrift des Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 615/98 nicht eingehalten worden, weshalb der Klägerin gemäß Art. 1 VO Nr. 615/98 kein Anspruch auf Ausfuhrerstattung zusteht und die ihr als Vorschuss gewährte Erstattung somit zu Recht mit einem Zuschlag von 15 % zurückgefordert worden ist (Art. 23 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 der Kommission vom 27. November 1987 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen, ABlEG Nr. L 351/1).

 

Fundstellen

Haufe-Index 2050241

BFH/NV 2008, 1973

BFH/PR 2008, 531

BFHE 2009, 350

BFHE 221, 350

DB 2008, 2522

DStRE 2008, 1474

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge