Entscheidungsstichwort (Thema)

Zahlungen der Sozialhilfeverwaltung an sog. BehindertenWerkstatt als Zuschuß oder Entgelt; Voraussetzung der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 18 UStG 1967 für Verbände

 

Leitsatz (NV)

1. Zahlungen der Sozialhilfeträger an die Träger von Werkstätten für Behinderte (§ 57 SchwbG 1986) im Hinblick auf Maßnahmen der Eingliederungshilfe sind keine Zuschüsse an diese Einrichtungen, sondern Entgelt für die Leistungen der Eingliederungshilfe, auf die die Behinderten gemäß § 39 BSHG Anspruch haben.

2. § 4 Nr. 18 UStG 1967 knüpft nicht nur an die Wohlfahrtspflegetätigkeit von Verbänden und Einrichtungen an, sondern verlangt auch, daß diese rechtlich an einen amtlich anerkannten Verband der freien Wohlfahrtspflege angebunden sind.

 

Normenkette

UStG 1967 §§ 10, 4 Nr. 18; BSHG § 39

 

Verfahrensgang

FG Nürnberg

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war in den Streitjahren 1972 bis 1975 Mitglied des auf Bundesebene errichteten eingetragenen Vereins ,,Lebenshilfe für das geistig behinderte Kind" und der ,,Bundesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für Behinderte e. V. N." - beides keine amtlich anerkannten Verbände der freien Wohlfahrtspflege im Sinn des § 4 Nr. 18 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1967/1973), § 1 der Dritten Verordnung zur Durchführung des Umsatzsteuergesetzes (3. UStDV) -. Die Gemeinnützigkeit ist ihm seit 1966 zuerkannt. Er betrieb in B. u. a. eine sog. Werkstatt für Behinderte, die als solche nach § 55 des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) in der Fassung vor 1986 (jetzt § 57 SchwbG 1986) anerkannt ist. Diese übernahm Zuarbeiten für die Industrie im Rahmen der therapeutischen Behandlung und Beschäftigung Behinderter. Die im Teilbereich ,,beschützende Werkstatt" untergebrachten Behinderten konnten auf dem freien Arbeitsmarkt nicht unterkommen. Sie wurden dem Kläger durch die Sozialhilfeträger zugewiesen und von ihm im Rahmen des Werkstattbetriebs betreut und verköstigt. Die Sozialhilfeträger wurden dabei im Rahmen der sog. Eingliederungshilfe gemäß § 39 ff. des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) tätig. Für diese teilstationäre Betreuung Behinderter in der ,,beschützenden Werkstatt" (Betreuung und Verpflegung ohne Unterbringung) erhielt der Kläger nach entsprechender Festsetzung durch den Bezirk . . . - Sozialhilfeverwaltung - auf der Grundlage sog. Pflegesatzvereinbarungen (vgl. ,,Pflegesatzvereinbarung 1976" der Mitgliedsverbände der Arbeitsgemeinschaften der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege in Bayern, Art. 14 AGBSHG, § 10 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 BSHG, § 93 Abs. 2 BSHG, § 84 Abs. 1 des Jugendwohlfahrtsgesetzes - JWG -) sog. Pflegesätze. Diese dienten der vollen Kostenabdeckung.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) beurteilte die Zahlungen an den Kläger durch die Sozialhilfeträger im Rahmen der Eingliederungshilfe als Entgelt für die Betreuung der Behinderten durch den Kläger und errechnete aus den gezahlten Beträgen unter Anwendung des ermäßigten Steuersatzes von 5,5 v. H. gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG 1967/1973 die Umsatzsteuer.

Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 18 und § 4 Nr. 23 UStG 1967/1973 verneinte das FA insoweit.

Einspruch und Klage gegen die entsprechenden Umsatzsteuerbescheide 1972 bis 1975 hatten keinen Erfolg. Der Kläger hatte damit insbesondere Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 18 UStG 1967/1973 beansprucht mit der Begründung, aufgrund seiner Tätigkeit sei er den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege gleichzustellen.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts.

a) Vorrangig vertritt er die Auffassung, die Zahlungen der Sozialhilfeverwaltung seien nicht Leistungsentgelt, sondern Zuschüsse für ihn. Bei den Leistungen, zu deren Gewährung die Sozialhilfeverwaltung dem Behinderten nach §§ 39/40 i.V.m. § 93 BSHG verpflichtet sei, handle es sich nicht um Geldleistungen, sondern um Maßnahmen zur Eingliederung Behinderter. Über die Abdeckung der Kosten für die Betreuungsmaßnahmen in Einrichtungen wie den Werkstätten würden zwischen Sozialhilfeverwaltung und Arbeitsverwaltung sog. Pflegesatzvereinbarungen getroffen. Die (entsprechenden) Geldbeträge würden unabhängig von bestimmten Leistungen hingegeben, lediglich um der Behindertenwerkstätte die Mittel zu verschaffen, die sie zur Erfüllung der im öffentlichen Interesse liegenden Aufgaben benötige, denn die Werkstätte übernehme Pflichten der Sozialhilfeverwaltung. Ein Leistungsaustausch sei nicht gegeben. Seine (des Klägers) Leistungen würden nicht um einer Gegenleistung willen erbracht. Grundlage der Zuschußzahlungen an ihn seien nicht die Betreuungsleistungen, sondern die (teilweise) Übernahme der Deckung seiner Kosten durch die Sozialhilfeverwaltung. Die Zuschußhöhe richte sich nach den angefallenen bzw. anfallenden Kosten und nicht - wie das Urteil des Finanzgerichts (FG) ausführe - nach dem Umfang der bewirkten Leistungen. Auch die Umsatzsteuerreferenten der Länder nähmen hier Zuschüsse an (Hinweis auf Diers, Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 1981, 117 - ohne Angabe einer die Behauptung stützenden Fundstelle -). Schließlich liefe es dem Wesen der Sozialhilfe zuwider, die Leistungen aus öffentlichen Haushalten, die der Abdeckung eines Mindestbedarfs dienten, zu besteuern.

b) Nehme man entgeltliche Leistungen an, seien diese steuerfrei nach § 4 Nr. 18 UStG 1967/1973, auch wenn die Voraussetzungen der Vorschrift nach dem Wortlaut nicht erfüllt seien. Die Bundesarbeitsgemeinschaft ,,Hilfe für Behinderte" in D, der der Kläger jetzt angeschlossen sei, sei erst 1980 in den Katalog der amtlich anerkannten Verbände der freien Wohlfahrtspflege aufgenommen worden. Der Gesetzgeber habe die Dringlichkeit einer klaren gesetzlichen Regelung, die das UStG 1967/1973 nicht eindeutig habe erkennen lassen, gesehen. Die vorbezeichnete Bundesarbeitsgemeinschaft habe bereits 1967 sämtliche Voraussetzungen eines amtlich anerkannten Verbands der freien Wohlfahrtspflege erfüllt. Behindertenhilfe durch freie Träger sei der freien Wohlfahrtspflege zuzuordnen. Das sei auch der Grundbefreiungstatbestand des § 4 Nr. 18 UStG 1967/1973. Die Bundesarbeitsgemeinschaft sei in ihrer Struktur dem Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband, einem der steuerbegünstigten anerkannten Verbände, ähnlich.

Auch habe die vorbezeichnete Bundesarbeitsgemeinschaft dem Verordnungsgeber (der 3. UStDV) 1967 noch nicht bekannt sein können, weil sie erst gegründet, aber noch nicht im Vereinsregister eingetragen gewesen sei. Die damalige Nichtaufnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft in den Katalog der steuerbegünstigten Verbände könne nicht bewirken, daß trotz gleicher Tätigkeit auf dem Gebiet der freien Wohlfahrtspflege die Leistungen auch der angeschlossenen Mitglieder steuerpflichtig sein sollten. Das widerspreche dem Zweck des Gesetzes. Eine Besteuerung verstoße gegen den Gleichheitssatz.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide dahingehend zu ändern, daß aus den Kostenerstattungen Umsatzsteuer nicht festgesetzt werde.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet.

1. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Zahlungen der Sozialhilfeträger nach Maßgabe der mit dem Kläger vereinbarten Pflegesätze Entgelt im Sinn des § 10 Abs. 1 UStG 1967/1973 für die Leistungen des Klägers an die Behinderten sind. Die Behinderten können Maßnahmen der sog. Eingliederungshilfe gemäß § 39 BSHG beanspruchen (vgl. z. B. Knopp/Fichtner, Bundessozialhilfegesetz, 5. Aufl. 1983, § 39 Rdnr. 8). Nach § 39 BSHG ist Personen, die nicht nur vorübergehend körperlich, geistig oder seelisch wesentlich behindert sind, Eingliederungshilfe zu gewähren. Zu den Maßnahmen der Eingliederungshilfe gehört nach § 40 Abs. 2 bis 4 BSHG, daß bestimmten Behinderten nach Möglichkeit Gelegenheit zur Ausübung einer der Behinderung entsprechenden Beschäftigung, insbesondere in einer Werkstatt für Behinderte (im Sinn des § 52 SchwbG a. F.) gegeben werden soll.

An dieser Rechtsstellung der Behinderten ändert sich nichts, wenn der Träger der Sozialhilfe diese (in Gestalt der Eingliederungshilfe) nicht in eigenen Einrichtungen gewährt, sondern Einrichtungen anderer Träger (hier des Klägers) in Anspruch nimmt und aufgrund einer Vereinbarung diesem die Kosten erstattet (vgl. § 93 Abs. 1 und 2 BSHG vor der Neufassung durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984, BGBl I 1983, 1532). Auch in diesem Fall bleibt der Benutzer der Einrichtung Empfänger der Sozialhilfe. Sein Anspruch gegen den Sozialhilfeträger geht dahin, daß dieser die Kosten der Hilfe in der Einrichtung sicherstellt, regelmäßig (wie auch hier) in der Weise, daß der Sozialhilfeträger die erforderlichen Geldleistungen aufgrund einer Kostenzusage oder Kostenvereinbarung unmittelbar dem Träger der Einrichtung zuweist (vgl. zu den Rechtsbeziehungen Gottschick/Giese, Bundessozialhilfegesetz, Kommentar, 9. Aufl. 1985, § 93 Anm. 7, insbesondere 7.3; und Mergler/Zink, Bundessozialhilfegesetz, Kommentar, 4. Aufl. 1987, § 93 Rdnr. 48).

Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 25. November 1986 V R 109/79, BFHE 148, 351, BStBl II 1987, 228, unter II. 2. - mit Nachweisen -) scheidet damit eine Beurteilung der Zahlungen des Sozialhilfeträgers als sog. ,,Zuschuß" eines Dritten zur Förderung des leistenden Unternehmers (Kläger) aus; denn auf die Zahlung der Sozialhilfeträger hatten die Behinderten als Empfänger der Betreuungsleistungen des Klägers einen Rechtsanspruch; die Zahlung erfolgte ferner zumindest im überwiegenden Interesse der Behinderten. Unbeschadet des verkürzten Zahlungswegs handelt es sich somit um Entgeltszahlungen für die Leistungen des Klägers an die Behinderten.

2. Zutreffend hat das FG auch die Anwendung des § 4 Nr. 18 UStG 1967/1973 verneint. Die Vorschrift erfaßt ,,Leistungen der amtlich anerkannten Verbände der freien Wohlfahrtspflege und der der freien Wohlfahrtspflege dienenden Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die einem Wohlfahrtsverband als Mitglied angeschlossen sind".

Unstreitig war der Kläger in den Streitjahren weder selbst ein amtlich anerkannter Verband der freien Wohlfahrtspflege - bzw. ein unselbständiger Zweig eines dieser Verbände - (§ 1 der 3. UStDV) noch war er als rechtlich selbständige Personenvereinigung einem Wohlfahrtsverband als Mitglied angeschlossen.

Die Zweiteilung der begünstigten Unternehmer in § 4 Nr. 18 UStG 1967/1973 beruht auf der vergleichbaren Regelung in § 4 Nr. 16 UStG 1951 i.V.m. § 43 Abs. 1 und 2 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz (UStDB 1951). Wie der Bundesfinanzhof (BFH) im Urteil vom 26. Juli 1956 V 90/53 U (BFHE 63, 169, BStBl III 1956, 261) ausführte, ergeben sich daraus folgende Unterschiede: Bei den amtlich anerkannten Verbänden der freien Wohlfahrtspflege ist ohne weiteres davon auszugehen, daß sie der freien Wohlfahrtspflege dienen; eine entsprechende Nachprüfung dieser Voraussetzung durch die Steuerbehörden und Steuergerichte entfällt. Das gilt auch für die unselbständigen Zweige dieser Verbände. Anders ist es bei den rechtlich selbständigen Körperschaften, Vereinigungen und Vermögensmassen, die einem anerkannten Wohlfahrtsverband lediglich als Mitglied angeschlossen sind und der freien Wohlfahrtspflege dienen. Durch den Anschluß als Mitglied an einen amtlich anerkannten Wohlfahrtsverband ist noch nicht gewährleistet, daß sie der Wohlfahrtspflege dienen; es bedarf für jeden Einzelfall einer Prüfung, ob eine Betätigung im Dienste der freien Wohlfahrtspflege vorliegt.

Selbst wenn man mit dem Kläger davon ausgeht, daß er mit seiner satzungsgemäßen Tätigkeit der freien Wohlfahrtspflege dient, kann nicht darüber hinweggegangen werden, daß er nicht einem amtlich anerkannten Wohlfahrtsverband als Mitglied angeschlossen ist.

Der Gesetz- und Verordnungsgeber zu § 4 Nr. 16 UStG 1951 i.V.m. § 43 Abs. 2 UStDB 1951 hat diese Voraussetzung im wesentlichen aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung aufgestellt: Die Steuerbefreiung sollte nur solchen Verbänden oder Einrichtungen zugute kommen, die eine mehr oder weniger rechtliche Bindung an die amtlich anerkannten Wohlfahrtsverbände hatten. Alle Verbände und Einrichtungen, die keine derartigen rechtlichen Bindungen haben, können bei der umsatzsteuerrechtlichen Prüfung von vornherein ausgeschieden werden (vgl. Knopp, Deutsche Steuer-Zeitung - DStZ - 1952, 163). Verbände und Einrichtungen, die für ihre Tätigkeit die hier angesprochene Umsatzsteuerbefreiung anstreben, haben eine der geforderten rechtlichen Bindungen an einen amtlich anerkannten Wohlfahrtsverband einzugehen.

Wenn der Gesetzgeber somit die Steuerbefreiung nicht nur an die Wohlfahrtspflege-Tätigkeit anknüpft, sondern zusätzlich verlangt, daß eine rechtliche Anbindung an einen amtlich anerkannten Wohlfahrtsverband vorliegt, um ein zusätzliches ,,Vorprüfungs"-Kriterium einzuschalten, so liegt darin kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), soweit nicht (rechtlich) angeschlossene Verbände oder Einrichtungen sich im Dienst der freien Wohlfahrtspflege betätigen. Art. 3 Abs. 1 GG wäre nur dann verletzt, wenn für die Differenzierung des Gesetzgebers sachlich einleuchtende Gründe schlechthin nicht erkennbar wären, so daß ihre Aufrechterhaltung als willkürlich beurteilt werden müßte (vgl. u. a. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 18. Januar 1979 1 BvR 531/77, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Umsatzsteuergesetz 1967, § 4 Nr. 14 Rechtsspruch 11; UR 1979, 63). Das ist bei dem angeführten, erkennbaren Zweck der Vorschrift nicht der Fall.

 

Fundstellen

BFH/NV 1989, 263

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