Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Herstellungskosten im Sinne des § 7 b EStG 1950.

 

Normenkette

EStG § 7b; StAnpG § 11; EStG § 46 Abs. 1 Ziff. 4, § 46/2/8/b

 

Tatbestand

Die gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsbaugenossenschaft eGmbH hat im Jahre 1950 auf eigenem Grund ein Zweifamilienhaus gebaut, das nach Erfüllung gewisser vertraglich festgelegter Werkleistungen in das Eigentum des Steuerpflichtigen (Stpfl.) - Bg - übergehen soll. Die Finanzierung ist im wesentlichen durch hypothekarisch gesicherte Darlehen erfolgt, die zum größten Teil durch die Genossenschaft besorgt wurden. Sowohl der Bg. als der Mieter der zweiten Wohnung haben noch im Streitjahr, in dem die Auflassung nicht stattgefunden hat, und auch danach Miete an die Baugenossenschaft gezahlt. Aus dem vom Bg. zu zahlenden monatlichen Pauschalbetrag waren außerdem sämtliche Lasten zu decken. Mieten und evtl. überschüsse sollten nach der Auflassung mit dem Bg. verrechnet bzw. zurückvergütet werden. Die Genossenschaft hat das Gebäude in ihrer Bilanz zum 31. Dezember 1950 aktiviert. Sie hat erklärt, daß sie Absetzung für Abnutzung und erhöhte Absetzung nach § 7 b EStG nicht beanspruche. Dagegen machte der Bg., ein Lohnsteuerpflichtiger, die letzteren in einem Antrag auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses geltend. Er begehrte Berücksichtigung von 10 % der Herstellungskosten als Werbungskosten aus Vermietung und Verpachtung. Das Finanzamt lehnte den Antrag durch Bescheid vom 24. September 1951 ab, der dagegen erhobene Einspruch war erfolglos. Das Finanzgericht gab hingegen der Berufung des Bg. statt und setzte die Einkommensteuer auf 0 DM fest.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts ist unbegründet.

Das Recht, Absetzung für Abnutzung (ß 7 des Einkommensteuergesetzes - EStG -) geltend zu machen, steht demjenigen zu, der die Abnutzung wirtschaftlich trägt. Das gleiche gilt für die erhöhte Abschreibung nach § 7 EStG mit der Einschränkung, daß sie nur vom Bauherrn, dem Hersteller, nicht aber vom Erwerber eines Wohngebäudes vorgenommen werden darf. Die Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) 1950 Abschn. 64 Abs. 5 bestimmen in übereinstimmung mit Gesetz (ß 11 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -) und den Grundsätzen der Rechtsprechung, daß die erhöhte Absetzung nach § 7 b EStG im Zweifel dem wirtschaftlichen Eigentümer zustehe. Ein häufiges Beispiel für wirtschaftliches Eigentum ist der Eigenbesitz. Wirtschaftsgüter, die jemand im Eigenbesitz hat, werden dem Eigenbesitzer zugerechnet. Eigenbesitzer ist, wer ein Wirtschaftsgut als ihm gehörig besitzt (ß 11 Ziff. 4 StAnpG). Demgegenüber ist Fremdbesitz der in Anerkennung fremden Eigentums ausgeübte Besitz. Typischer Fremdbesitzer ist der Mieter oder Pächter einer Sache. Jedoch ist nach der im Steuerrecht geltenden wirtschaftlichen Betrachtungsweise stets der tatsächliche wirtschaftliche Gehalt einer Vertragsbeziehung maßgebend, nicht die äußere Gestaltungsform. So kann auch ein Pächter wirtschaftlicher Eigentümer sein, wenn er die Gefahr der Verschlechterung des gepachteten Wirtschaftsguts trägt (Blümich 6. Aufl. Anm. 11 zu § 4 EStG). Ein Siedlungsgrundstück kann u. U. auch schon vor Bestellung eines Erbbaurechts oder des Eigentums dem Siedler als wirtschaftlichem Eigentümer zuzurechnen sein (siehe Urteil des Reichsfinanzhofs III 35/42 vom 31. März 1942, Slg. Bd. 51 S. 306 Reichssteuerblatt - RStBl. - 1942 S. 500).

Nach der Auffassung des Vorstehers des Finanzamts (Beschwerdeführer - Bf. -) kann dem Stpfl., da er nicht Hersteller und wirtschaftlicher Eigentümer des Wohnhauses sei, dieses erst mit der bürgerlich-rechtlichen Eigentumsübertragung zugerechnet werden, wonach ihm wohl die gewöhnliche Absetzung für Abnutzung nach § 7 EStG, nicht aber die erhöhte Absetzung nach § 7 b EStG zustehe. Diese Meinung erscheint zunächst nicht als abwegig. Für sie spricht nicht nur die äußere Rechtsgestaltung (bürgerlich-rechtliche Eigentümerstellung der Baugenossenschaft), sondern bei oberflächlicher Betrachtung auch der wirtschaftliche Tatbestand. Vor allem aus der Aktivierung des Gebäudes in der Schlußbilanz der Baugenossenschaft und aus dem Mietverhältnis mit dem Bg. und dem zweiten Bewohner des Hauses schließt die Rb., daß die Nutzungen und Lasten des Gebäudes im streitigen Zeitabschnitt nicht auf den Bg. übergegangen seien, und dieser deshalb nicht als wirtschaftlicher Eigentümer angesehen werden könne.

Eine genaue Prüfung ergibt jedoch die Richtigkeit der gegenteiligen Auffassung des Finanzgerichts. Laut Abschn. 64 Abs. 5 EStR 1950 richtet es sich nach den tatsächlichen Verhältnissen des Einzelfalles, ob Kaufanwärter im Sinne des Erlasses des Bundesministers der Finanzen vom 17. November 1949 III S 2120 - 209/49 (Ministerialblatt des Bundesministeriums der Finanzen - MinBlFin. - 1949/1950 S. 7) - zu denen der Bg. nach den Feststellungen der Vorbehörden gehört als wirtschaftliche Eigentümer anzusehen sind. Auf die Eintragung in das Grundbuch komme es dabei nicht an. Vielmehr sei die Frage zu prüfen, ob der Kaufvertrag mit dem Kaufanwärter abgeschlossen worden sei, und die Nutzungen und Lasten auf ihn übergegangen seien. Wenn das Wohngebäude von dem Wohnungsunternehmen aktiviert werde, und die Absetzung für Abnutzung und die erhöhte Absetzung nach § 7 b vom Wohnungsunternehmen beansprucht werde, so werde der Kaufanwärter nicht als wirtschaftlicher Eigentümer anzusehen sein. Diese Grundsätze stellen in zutreffender Weise wesentliche Punkte heraus. Danach kann der Aktivierung des Wohngebäudes allein keine entscheidende Bedeutung zukommen, wenn nach dem Gesamtbild des Falles die Baugenossenschaft nicht als Eigenbesitzerin in Erscheinung tritt. Die Baugenossenschaft will nicht für eigene Zwecke bauen; sie baut entsprechend dem Zweck, zu dem sie geschaffen wurde, für ihre Genossen Wohnhäuser. Bis diese entsprechend den Musterverträgen bürgerlich-rechtlich Eigentümer werden können, besteht ein übergangszustand, der mit einem Treuhandverhältnis vergleichbar ist, bei dem die Treuhänderschaft der Wohnbauunternehmung an dem Gebäude mit dessen Entstehen begründet wird. Da dem Treuhänder ein Wirtschaftsgut nicht zugerechnet wird (ß 11 Ziff. 2 StAnpG), kann der Aktivierung desselben in der Bilanz des Treuhänders nur formale Bedeutung zukommen. Wirtschaftlich stellt das Wohngebäude für die Baugenossenschaft keinen Anlagewert dar, weshalb sie auch kein Interesse an Abschreibungen haben kann. Es dient ihr nur zur Sicherung, bis der Siedler seine Leistungen erfüllt hat, und das Grundstück auch formal übernimmt, dessen Eigenbesitzer er bereits ist. Der Siedler, hier der Bg., kann deshalb von vornherein als Bauherr angesehen werden, in dessen Auftrag die Baugenossenschaft baut und - wie das Finanzgericht festgestellt hat - sich dabei nach dessen Wünschen richtet. Deshalb entspricht auch der "Kaufpreis" genau den Bauaufwendungen. Es stand schon bei Baubeginn nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge mit Bestimmtheit zu erwarten, daß der Bg. Eigentümer werden würde. Fraglich war nur der Zeitpunkt dieses rechtsförmigen Ereignisses, das wirtschaftlich den bestehenden Zustand (Eigenbesitz) nicht wesentlich ändern würde. Danach ist dem Finanzgericht auch darin beizutreten, daß es die Mietzahlungen des Bg. und des anderen Hausbewohners an die Baugenossenschaft nicht als von dieser gezogene Nutzungen angesehen hat, sondern als für den Bg. vereinnahmte und treuhänderisch verwaltete Beträge. Hierfür spricht auch, daß aus den pauschalen Zahlungen des Bg. sämtliche Lasten gedeckt werden sollten und nach der Auflassung abzurechnen war. Die Baugenossenschaft, die eine wichtige Aufgabe damit erfüllt, dem im allgemeinen wirtschaftlich gewandten Siedler die formellen und verfahrensmäßigen Schwierigkeiten abzunehmen, die mit einem Bau verbunden sind, betätigt sich in diesem Sinne in der übergangszeit durch Verwaltung der Einnahmen und Abführung der Lasten als Wahrerin der Interessen des Genossen. Eigene wirtschaftliche Ziele verfolgt sie nicht. Es erscheint deshalb unbedenklich, dem Bg. als Hersteller eines Wohngebäudes die erhöhte Absetzung gemäß § 7 b EStG in Höhe von 10 % der Herstellungskosten zu gewähren. Der Bg. hat demnach ein berechtigtes Interesse an der Veranlagung gemäß § 46 Abs. 1 Ziff. 4 EStG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407672

BStBl III 1953, 198

BFHE 1954, 515

BFHE 57, 515

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