Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Verfassungsmäßigkeit der Nachversteuerung von Mineralöl bei Erhöhung der Mineralölsteuer

 

Leitsatz (NV)

1. Die aufgrund einer Nachversteuerung zu erhebende Steuer hat den Charakter der Steuer, deren Erhöhung der Grund für die Nachversteuerung ist.

2. Das Merkmal der Abwälzbarkeit einer Verbrauchsteuer verliert seine Bedeutung nicht, wenn der Verbraucher unmittelbar der Betroffene der Steuererhebung ist. Die als Übergangsmaßnahme zur Durchführung der Steuererhöhung anzusehende Nachversteuerung ist nicht geeignet, die Abwälzbarkeit der Verbrauchsteuer schlechthin zu beseitigen.

3. Als Vermögensteuer kann die aufgrund einer Nachversteuerung zu erhebende Verbrauchsteuer deshalb nicht angesehen werden, weil Gegenstand der Besteuerung ein spezielles Erzeugnis (Mineralöl) und nicht das in dem Erzeugnis verkörperte Vermögen ist.

4. Die Steuererhebung aufgrund einer Nachversteuerung verstößt nicht gegen das Verbot der Rückwirkung.

5. Zur Frage der Zwecktauglichkeit der Nachversteuerung als Voraussetzung für die Rechtsstaatlichkeit der Nachversteuerung.

 

Normenkette

MinöBranntwStÄndG Art. 1 Abs. 2; GG Art. 3, 20, 105 Abs. 3, Art. 106 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2-3

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) meldete mit Steueranmeldungen vom 30. April 1981, die nach § 168 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) einer Steuerfestsetzung gleichstehen, aufgrund Art. 1 Abs. 2 Nr. 6 des Gesetzes zur Änderung des Mineralöl- und Branntweinsteuergesetzes 1981 (MinöBranntwStÄndG) vom 20. März 1981 (BGBl I 1981, 301) Mineralöle zur Nachversteuerung an und berechnete eine Steuer in der Gesamthöhe von 12 334,80 DM. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

Ihre Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts (FG) begründet die Klägerin wie folgt:

Die Vorentscheidung verstoße gegen die Art. 3, 20, 77, 78, 100, 105, 106 des Grundgesetzes (GG) sowie gegen die §§ 3, 19, 20, 23, 38 AO 1977. Das MinöBranntwStÄndG sei nicht ordnungsgemäß zustande gekommen. Es sei als Zustimmungsgesetz allein aufgrund des Beschlusses des Bundestages verkündet worden. Die Besteuerung der Klägerin finde demgemäß unter Verstoß gegen Art. 20 GG, §§ 3, 38 AO 1977 ohne gesetzliche Grundlage statt. Dieses Ergebnis stelle sich auch dann ein, wenn das Gesetz wegen seiner materiellen Regelung verfassungswidrig sei.

Es sei zweifelhaft, ob die bei der Klägerin als Endverbraucherin erhobene (Mineralöl-)Nachsteuer eine Verbrauchsteuer i.S. der Art. 105, 106 GG sei. Die Nachsteuer sei nicht durch die aufgrund der gesicherten Rechtsprechung und Praxis für Verbrauchsteuern als maßgebend anzusehenden herkömmlichen Merkmale gekennzeichnet, da sie an den Besitz der Ware beim Endverbraucher, nicht jedoch an einen Verbrauchsgütervorgang anknüpfe, vom Endverbraucher als Steuerpflichtigen erhoben werde und nicht abgewälzt werden könne. Das FG habe vor allem übersehen, daß eine Verbrauchsteuer nur dann vorliege, wenn durch die Steuer die Leistungsfähigkeit im Zeitpunkt der Einkommensverwendung belastet werden solle und nicht der tatsächliche Verbrauch einer Ware. Die Abwälzbarkeit sei ein Wesensmerkmal der Verbrauchsteuer. Sie entspreche dem Ziel, die Einkommensverwendung des Verbrauchers zu belasten. Aus dieser Sicht sei die nacherhobene Steuer eine rückwirkend in Kraft gesetzte Verbrauchsteuer.

Da die Nachsteuer den Warenvorrat des Endverbrauchers als Teil seines Vermögens ohne Abwälzungsmöglichkeit belaste, sei sie materiell eine Vermögensteuer i.S. des Art. 106 Abs. 2 Nr. 1 GG.

Der Finanzverwaltung sei es praktisch schon personalmäßig verwehrt, auch nur stichprobenweise bei potentiellen Steuerpflichtigen die Bestände zum Stichtag zu kontrollieren. Endverbraucher seien nicht nur buchführungspflichtige Besitzer. Außerdem sei bemerkenswert, daß die Finanzverwaltung im gesamten Bereich der öffentlichen Hand als potentiellem Nachsteuerpflichtigen mit großen Beständen keine Kontrollen durchgeführt habe und daß das tatsächliche Mineralölsteueraufkommen nach Inkrafttreten des MinöBranntwStÄndG nicht den Erwartungen der Bundesregierung entsprochen habe. Das rechtfertige den Einwand, daß aufgrund der gesetzlichen Konzeption eine gleichmäßige Erhebung der Steuer unter Berücksichtigung des Rechtsstaatsgedankens nicht gewährleistet sein könne. Der Zweck, die Steuererhöhung möglichst schnell greifen zu lassen, rechtfertige die Einführung der Nachsteuer durch das Gesetz nicht.

Die Klägerin hat Rechtsgutachten der Professoren Dr. T und Dr. B vorgelegt, in denen zu den für den Streitfall maßgebenden verfassungsrechtlichen Fragen Stellung genommen wird.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt - HZA -) beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das FG hat ohne Rechtsfehler entschieden, daß die nach § 168 Satz 1 AO 1977 einer Steuerfestsetzung gleichstehenden Anmeldungen vom 30. April 1981 rechtmäßig sind.

Die Klägerin wendet sich zwar nicht dagegen, daß die angemeldeten Mineralölsteuern durch Nachversteuerung nach Art. 1 Abs. 2 MinöBranntwStÄndG entstanden sind und daß sie - die Klägerin - nach Art. 1 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 MinöBranntwStÄndG Steuerschuldnerin geworden ist, weil sie die nachzuversteuernden Mineralöle am 1. April 1981 in Besitz gehabt hat. Sie ist aber der Auffassung, daß die für die Nachversteuerung maßgebenden Vorschriften verfassungswidrig seien. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden.

1. Das MinöBranntwStÄndG bedurfte nicht deshalb der Zustimmung des Bundesrates, weil es in Art. 1 Abs. 2 die Nachversteuerung auch solcher Mineralöle vorsieht, die sich am 1. April 1981 in Besitz des Endverwenders (Endverbrauchers) befunden haben, und zwar unabhängig davon, ob für diese Mineralöle eine bedingte oder unbedingte Steuerschuld entstanden oder ob die Steuer schon entrichtet war (vgl. Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 und 2 MinöBranntwStÄndG). Die Zustimmung des Bundesrates war nach Art. 105 Abs. 3 GG deshalb nicht erforderlich, weil auch die Steuern aufgrund der vorgenannten Nachversteuerung in vollem Umfang dem Bund zufließen (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 2. Mai 1985 2 BvR 285/85, Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern - ZfZ - 1985, 364).

a) Die aufgrund der Nachversteuerung nach Art. 1 Abs. 2 MinöBranntwStÄndG zu erhebende Steuer ist eine Mineralölsteuer und damit eine Verbrauchsteuer i.S. des Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 GG, die nicht nach Art. 106 Abs. 2 und 3 GG den Ländern oder Bund und Ländern gemeinsam zusteht. Die aufgrund einer Nachversteuerung zu erhebende Steuer hat den Charakter der Steuer, deren Erhöhung der Grund für die Nachversteuerung ist (vgl. Beschlüsse des BVerfG vom 28. Januar 1970 1 BvL 4/67, BverfGE 27, 375, 383 f.; in ZfZ 1985, 364; Beschluß des Senats vom 26. Juni 1984 VII R 60/83, BFHE 141, 369, 376).

Dem steht nicht entgegen, daß die Steuer, da sie beim Endverbraucher erhoben wird, nicht mehr abgewälzt werden kann. Auch wenn der Senat der Auffassung folgt, daß die Abwälzbarkeit ein Wesensmerkmal der Verbrauchsteuern ist, so folgt daraus nicht, daß die aufgrund der Nachversteuerung beim Endverwender zu erhebende Steuer mangels Abwälzbarkeit keine Verbrauchsteuer sein kann.

aa) Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, daß die Abwälzbarkeit dem Ziel dient, den Endverbraucher des steuerbaren Erzeugnisses mit der Steuer zu belasten. Mit Rücksicht auf dieses Ziel verliert der Mangel der Abwälzbarkeit als Merkmal der Verbrauchsteuer seine Bedeutung, wenn der Verbraucher unmittelbar der Betroffene der Steuererhebung ist. Denn es wäre sinnwidrig, die Abwälzbarkeit auch dann noch zu fordern (vgl. BFHE 141, 369, 376).

Dagegen spricht nicht ohne weiteres die Auffassung, Ziel der Verbrauchsbesteuerung sei die Verwendung des Einkommens für den Erwerb des Verbrauchsguts. Auch wenn die Einkommensverwendung als Ziel der Besteuerung angesehen wird, folgt daraus allein noch nicht, daß die Besteuerung nicht auch nachträglich erfolgen darf.

bb) Außerdem ist zu beachten, daß die Nachversteuerung nur eine die normale Verbrauchsbesteuerung ergänzende Maßnahme (vgl. BVerfGE 27, 375, 383 f.) ist, die dazu dienen soll, einer Gefährdung des Eingangs der erhöhten Steuer sowie ungerechtfertigten Steuervorteilen für Unternehmen mit großen Lagerkapazitäten durch Vorratskäufe und Vorausversteuerungen vorzubeugen (vgl. Begründung zu Art. 1 Abs. 2 des Entwurfs eines MinöBranntwStÄndG, BTDrucks 9/81 S. 9). Die Nachversteuerung ist also auf eine den Verbraucher nur einmal treffende und die Einnahmen aus der Steuererhöhung sichernde Besteuerung ausgerichtet. Die Steuererhebung aus der Nachversteuerung ist folglich nur eine Übergangsmaßnahme zur Durchführung der Erhöhung einer Verbrauchsteuer. Diese Auswirkung der Nachversteuerung ist einerseits nicht geeignet, die Abwälzbarkeit der Mineralölsteuer schlechthin zu beseitigen. Andererseits verhindert sie, daß die aufgrund der Nachversteuerung zu erhebende Steuer als solche neben der Mineralölsteuer Eigenständigkeit erlangt. Unter Beachtung des aufgezeigten erkennbaren Ziels stellt sie sich demnach nicht als selbständige Einnahmequelle dar, wie sie für Steuern kennzeichnend ist (vgl. § 3 Abs. 1 AO 1977).

b) Als Vermögensteuer i.S. des Art. 106 Abs. 2 Nr. 1 GG kann die aufgrund der Nachversteuerung zu erhebende Steuer deshalb nicht angesehen werden, weil Gegenstand der Besteuerung Mineralöl als ein spezielles Erzeugnis und nicht das im Mineralöl verkörperte Vermögen ist (vgl. Beschluß des BVerfG in ZfZ 1985, 364; Senatsbeschluß in BFHE 141, 369, 377).

2. Die Steuererhebung aufgrund der Nachversteuerung verstößt auch nicht gegen das Verbot der Rückwirkung.

Nachversteuerungsregelungen, die auf eine einmalige Verbrauchsbesteuerung ausgerichtet sind, gehören zum typischen Instrumentarium des Gesetzgebers in Verbrauchsteuersachen und sind auch sonst bei Erhöhungen des Steuersatzes mit dem gleichen Ziel praktiziert worden. Die Erwartung, daß das geltende Steuerrecht fortbestehen und infolgedessen eine Nachversteuerung zur Sicherung der Einnahmen aus einer Steuererhöhung nicht vorgenommen werde, wird von der Verfassung nicht geschützt (vgl. BVerfG-Beschlüsse in ZfZ 1985, 364; in BVerfGE 27, 375, 385 f.).

3. Auch das Rechtsstaatsprinzip wird durch die Nachversteuerung nicht verletzt.

Die Klägerin ist offenbar der Auffassung, ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip ergebe sich daraus, daß eine gleichmäßige Nachversteuerung nicht durchführbar sei, weil die Erfüllung der Anmeldepflicht mangels hinreichenden Personals der Finanzverwaltung nicht überwacht werden könne. Dieser Auffassung kann jedoch nicht gefolgt werden.

Der Einwand der Klägerin berührt die Zwecktauglichkeit der Nachversteuerung. Sie ist danach zu beurteilen, ob der Gesetzgeber aus seiner Sicht davon ausgehen durfte, daß die Nachversteuerung zur Erreichung des aufgezeigten, damit angestrebten Ziels geeignet war. Diese Frage kann nur selten in besonders gelagerten Fällen aus dem Gesichtpunkt der objektiven Zweckuntauglichkeit dann verneint werden, wenn die Nachversteuerung schlechthin zur Erreichung des gesetzlichen Ziels ungeeignet ist (vgl. Beschluß des BVerfG vom 9. März 1971 2 BvR 326, 327, 341, 342, 343, 344, 345/69, BVerfGE 30, 250, 263). Wie bereits ausgeführt, ist die Nachversteuerung ein in Verbrauchsteuersachen typisches, auch sonst bei Steuererhöhungen praktiziertes Mittel des Gesetzgebers. Schon daraus muß gefolgert werden, daß der Gesetzgeber es schlechthin auch als ein bewährtes und folglich geeignetes Mittel ansehen darf. Auch die Klägerin hat nicht dargelegt, daß der Gesetzgeber aus seiner Sicht davon nicht hätte ausgehen dürfen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415098

BFH/NV 1988, 132

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