Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung von Prozeßerklärungen; Klagebefugnis des Rechtsnachfolgers; Frist für Anschlußrevision

 

Leitsatz (NV)

1. Die Auslegung einer Klage darf nicht zu einem Erklärungsinhalt führen, für den sich in der Erklärung selbst keine Anhaltspunkte finden lassen.

2. Nach Vollbeendigung einer Sozietät ist der Rechtsnachfolger im eigenen Namen klagebefugt.

3. Die Anschlußrevision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung der Revisionsbegründung einzulegen und zu begründen.

 

Normenkette

FGO §§ 56, 143 Abs. 2, § 155; ZPO § 556

 

Tatbestand

Die Anschlußrevisionsklägerin und Revisionsbeklagte (im folgenden: Sozietät) ist eine von den Rechtsanwälten A und B in den Streitjahren (1979 bis 1981) gebildete Sozietät. Die Sozietät war tätig in Räumen, die sie mit schriftlichem Mietvertrag vom 13. August 1979 von der Ehefrau des B angemietet hatte. Die Miete war auf ein Konto des B zu entrichten, über das dessen Ehefrau mitverfügungsberechtigt war. Zum 31. Dezember 1981 schied A aus der Sozietät aus.

Der Revisionskläger und Anschlußrevisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erließ nach einer Außenprüfung geänderte Umsatzsteuerbescheide, mit denen er den Vorsteuerabzug für die Mietzahlungen versagte. Das FA gab die Bescheide den Rechtsanwälten A und B in je einer Ausfertigung für die Sozietät bekannt. Hiergegen erhob die Sozietät Einspruch. Das FA erhöhte in dem Einspruchsbescheid vom 28. Januar 1987, in dem es die Sozietät als Einspruchsführerin bezeichnete, nach vorherigem Hinweis die für die Streitjahre festgesetzte Umsatzsteuer.

Die Klage dagegen vom 2. März 1987 wurde unter dem Betreff Sozietät A/B namens des als Kläger bezeichneten B erhoben. Mit Schreiben vom 22. März 1987 übersandte der Verfahrensbevollmächtigte unter dem Betreff B gegen Finanzamt ... eine von B unterzeichnete Prozeßvollmacht. Unter dem Betreff B ./.Finanzamt... trug der Verfahrensbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 24. Juni 1988 vor, die Sozietät sei zum 31. Dezember 1981 dadurch erloschen, daß B ihr Gesamthandsvermögen ohne Liquidation übernommen habe. Die Steuerbescheide hätten daher der Sozietät nicht mehr wirksam bekanntgegeben werden können und seien demzufolge nichtig.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) wurde ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 5. Juli 1988 klargestellt, daß in der Sache ... die Klage von der Sozietät A/B erhoben worden ist. Der Verfahrensbevollmächtigte beantragte die Feststellung der Nichtigkeit der angefochtenen Änderungsbescheide, hilfsweise den Abzug näher bezeichneter Vorsteuerbeträge.

Das FG behandelte in der Vorentscheidung nur die Sozietät als Klagepartei. Es setzte die Umsatzsteuer für die Streitjahre um die für die Mietzahlungen gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuerbeträge herab und wies die Klage im übrigen ab. Die Kosten erlegte es zu 19/20 der Sozietät, zu 1/20 dem FA auf. Zur Begründung führte es aus, der Sozietät stehe der begehrte Vorsteuerabzug zu. Der Feststellungsantrag könne jedoch keinen Erfolg haben. Die angefochtenen Steuerbescheide seien wirksam bekanntgegeben worden. Zwar könne ein Umsatzsteuerbescheid einer vollbeendeten Personengesellschaft nicht mehr wirksam bekanntgegeben werden. Die Adressaten der angefochtenen Bescheide seien aber die ehemaligen Gesellschafter der Sozietät und nicht diese selbst gewesen. Das FA habe in den Steuerbescheiden hinreichend zum Ausdruck gebracht, daß es die Sozietät und nicht deren ehemalige Gesellschafter als Steuerschuldner in Anspruch nehme.

Nach Durchführung der mündlichen Verhandlung wurde eine von A unterzeichnete Prozeßvollmacht nachgereicht.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung von § 1 Abs. 1 Nr. 1 und § 15 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG). Aus den Mietzahlungen könne - so bringt es vor - der Vorsteuerabzug nicht in Anspruch genommen werden. Das Mietverhältnis könne steuerrechtlich nicht anerkannt werden, weil die Miete nicht in den Machtbereich der Vermieterin gelangt sei.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Der Bundesfinanzhof (BFH) übermittelte die Revisionsbegründung des FA dem Verfahrensbevollmächtigten mit Einschreiben vom 9. Oktober 1989.

Die Sozietät beantragt, die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen.

Mit Schreiben vom 13. September 1990 legte die Sozietät Anschlußrevision ein mit dem Antrag, die Vorentscheidung insoweit aufzuheben, als sie ihr 19/20 der Kosten auferlegte. Zur Begründung führt die Sozietät aus, die Kostenentscheidung sei nicht gerechtfertigt. Das FG sei in den Kostenbeschlüssen vom 23. Juni 1989 und 20. April 1990 ... von dieser Kostenentscheidung ausgegangen. Eine Frist für die Anschlußrevision könne nicht zum Tragen kommen, weil nicht sicher gewesen sei, ob das FG nicht statt dessen die Kostenverteilung ändern würde.

Das FA hält die Anschlußrevision für unzulässig.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Anschlußrevision ist unzulässig.

1. Die Vorentscheidung ist auf die Revision des FA schon deshalb aufzuheben, weil das FG die Sozietät zu Unrecht als Klägerin behandelt hat. Die Klagepartei ist vielmehr B, in dessen Namen die Klage erhoben wurde. Die von einem Rechtsanwalt als Prozeßbevollmächtigten verfaßte Klageschrift kann nicht dahin ausgelegt werden, die Klage sei nicht im Namen des ausdrücklich als Kläger bezeichneten B, sondern für die Sozietät erhoben worden. Die Auslegung einer Klage darf nicht zur Annahme eines Erklärungsinhalts führen, für den sich in der Erklärung selbst keine Anhaltspunkte finden lassen (BFH-Urteile vom 10. Mai 1989 II R 196/85, BFHE 157, 217, BStBl II 1989, 822; vom 2. Oktober 1990 VIII R 118/85, BFH/NV 1991, 429). Zudem wurde B in den weiteren Schriftsätzen des Verfahrensbevollmächtigten ebenfalls als Kläger behandelt; auch wurde zunächst nur eine von B unterzeichnete Prozeßvollmacht vorgelegt.

Die Klarstellung in der mündlichen Verhandlung, die Sozietät sei Klägerin, kann nicht als Klageänderung (Beteiligtenwechsel) beurteilt werden. Die Erklärung bringt nur die Ansicht der Beteiligten zum Ausdruck, die Sozietät sei von Anfang an Klagepartei gewesen. Eine Erklärung mit dem Willen, durch Beteiligtenänderung auf das Verfahren einzuwirken, kann darin nicht gesehen werden. Zudem wäre ein Klägerwechel nur hinsichtlich der Feststellungsklage, nicht aber für die fristgebundene Anfechtungsklage möglich gewesen (BFH-Urteile vom 26. Februar 1980 VII R 60/78, BFHE 130, 12, BStBl II 1980, 331; in BFH/NV 1991, 429).

2. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, daß der Klageerfolg davon abhängt, ob die Sozietät tatsächlich zum 31. Dezember 1981 vollbeendet wurde. Nur in diesem Fall ist B im eigenen Namen als Rechtsnachfolger der Sozietät klagebefugt (Senatsurteile vom 18. September 1980 V R175/74, BFHE 132, 348, BStBl II 1981, 293; vom 17. Juli 1986 V R 37/77, BFH/NV 1987, 111).

3. Die Anschlußrevision der Klägerin wurde verspätet erhoben und ist daher unzulässig.

a) Sie wurde nicht innerhalb der dafür bestimmten Frist von einem Monat nach Zustellung der Revisionsbegründung eingelegt und begründet (§ 155 FGO i.V.m. § 556 Abs. 1 und Abs. 2 Sätze 1 und 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -; BFH-Urteile vom 8. April 1981 II R 4/78, BFHE 133, 155, BStBl II 1981, 534; vom 19. September 1990 X R 44/89, BFHE 162, 77, BStBl II 1991, 97, unter II.1.).

b) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist für die Anschlußrevision (§ 56 FGO) kommt nicht in Betracht.

Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 56 Abs. 1 FGO). Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 FGO). Wird innerhalb der Antragsfrist die versäumte Rechtshandlung nachgeholt, kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (§ 56 Abs. 2 Satz 4 FGO).

Das Betreiben des Kostenfestsetzungsverfahrens stand der Einlegung der Anschlußrevision gegen die Kostenentscheidung des FG nicht entgegen. Zudem wurde erst mit Schreiben vom 13. September 1990 Anschlußrevision erhoben, obwohl dem Verfahrensbevollmächtigten nach seinen Angaben der Beschluß vom 20. April 1990, auf den er sich stützt, bereits am 7. Juli 1990 zugegangen ist. Die Antragsfrist für die Wiedereinsetzung war somit auf jeden Fall längst abgelaufen.

4. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens wird gemäß § 143 Abs. 2 FGO dem FG übertragen. Diese Vorschrift ist auch bei teilweiser Zurückverweisung anwendbar (BFH-Beschluß vom 14. Juni 1972 I B 16/72, BFHE 106, 19, BStBl II 1972, 707; BFH-Urteil vom 24. Februar 1988 I R 69/84, BFHE 153, 30, BStBl II 1989, 290).

 

Fundstellen

BFH/NV 1994, 636

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