Leitsatz (amtlich)

1. Der Senat schließt sich der Auffassung des BVerwG an, daß in der Störung einer schriftlichen Prüfung durch Lärm ein Mangel des Prüfungsverfahrens liegen und der Prüfling diesen Mangel auch noch nach Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses geltend machen kann.

2. In der mündlichen Steuerberaterprüfung sind an den Bewerber Fragen aus sämtlichen Prüfungsgebieten zu stellen. Dabei genügt u. U. die Stellung einer Frage, es sei denn, daß sie ersichtlich nur gestellt worden ist, um der Form Genüge zu tun (Anschluß an BFHE 119, 364).

 

Normenkette

StBerG § 4 Abs. 1 a. F; DVStBerG § 10 Abs. 3, § 11

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hat an der Steuerberaterprüfung 1974 teilgenommen und die Prüfung nicht bestanden. Streitig ist, ob die Prüfung zu Recht für nichtbestanden erklärt wurde.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Das FG hat zu Unrecht unaufgeklärt gelassen, ob dem Kläger in der mündlichen Prüfung Fragen aus dem Prüfungsgebiet "Finanzwissenschaft und Volkswirtschaftslehre" gestellt worden sind. Wie der erkennende Senat im Urteil vom 22. Juni 1976 VII R 110/75 (BFHE 119, 364, BStBl II 1976, 735) entschieden hat, sind nach §§ 10 Abs. 3, 11 DVStBerG in der mündlichen Prüfung an den Bewerber Fragen aus sämtlichen Prüfungsgebieten zu stellen. Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest. Trifft also die Behauptung des Klägers zu - was das FG im zweiten Rechtsgang wird aufzuklären haben -, so ist die Prüfungsentscheidung aufzuheben, da nicht auszuschließen ist, daß sie auf dem Mangel beruht. Ferner könnte dann - bei einem entsprechenden Antrag des Klägers - der Finanzminister (FM) für verpflichtet erklärt werden, den mündlichen Teil der Steuerberaterprüfung für den Kläger erneut durchzuführen. Dagegen ergäbe sich auch dann, wenn sich die Behauptung des Klägers im zweiten Rechtsgang bestätigte, keine Rechtsgrundlage für eine Verpflichtung des FM, die Prüfung für bestanden zu erklären, weil dies eine Vorwegnahme des Ergebnisses einer noch nicht ordnungsgemäß durchgeführten Prüfung wäre.

Das FG hat zu Unrecht Ermittlungen in der Frage der Lärmbelästigung unterlassen. Es stellt einen Mangel im Prüfungsverfahren dar, wenn die schriftliche Prüfung während eines nicht unerheblichen Zeitraums durch erhebliche Lärmeinwirkung erschwert worden ist. Dem Bewerber ist es auch nicht grundsätzlich verwehrt, einen solchen Mangel noch nach Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses zu rügen. Der erkennende Senat schließt sich insoweit der ständigen Rechtsprechung des BVerwG an (vgl. Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Januar 1969 VII C 77.67, BVerwGE 31, 190; vom 18. September 1970 VII C 26.70 und vom 11. November 1975 VII B 72.74; Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 421.0 Prüfungswesen Nr. 42 und Nr. 68). Das FG wird durch Erhebung von Beweisen zu klären haben, ob die Lärmbeeinträchtigung objektiv so erheblich war, daß einem durchschnittlichen Prüfungskandidaten die für die Lösung von schriftlichen Prüfungsaufgaben erforderliche geistige Konzentration nicht mehr möglich war. Entgegen der Auffassung des FG in der Vorentscheidung kann allein das Verhalten der Mitbewerber des Klägers noch kein genügender Anhaltspunkt dafür sein, daß die Lärmbelästigung die noch tolerierbare Schwelle nicht überschritten hat, wenn auch dieses Verhalten der Mitbewerber bei der Beweiswürdigung mit zu berücksichtigen sein wird. Auch der Umstand, daß es schwierig ist, durch Vernehmung von Zeugen verläßliche Erkenntnisse über die objektive Höhe des Lärmpegels zu gewinnen, genügt noch nicht, auf jede Aufklärungsmaßnahme in dieser Richtung zu verzichten. Jedenfalls ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, daß durch Vernehmung der Aufsichtspersonen während der Klausurarbeiten, von Mitbewerbern des Klägers sowie durch die Feststellung, welcher Art die Lärmquellen waren und in welcher Entfernung vom Ort der Erstellung der Klausurarbeiten sie sich befanden, die objektive Stärke der Lärmbelästigung wenigstens annähernd festgestellt werden kann. Allerdings wird selbst dann, wenn sich die Behauptung des Klägers über eine erhebliche Lärmbelästigung durch die Beweisaufnahme bestätigen sollte, sich keine Rechtsgrundlage für den Klageantrag, die Prüfung für bestanden zu erklären, ergeben, sondern allenfalls für die Aufhebung der Prüfungsentscheidung und die Verpflichtung des FM, dem Kläger Gelegenheit zu geben, den durch die Lärmbelästigung beeinträchtigten schriftlichen Teil der Prüfung zu wiederholen.

Bei der weiteren Sachbehandlung wird das FG die Prüfung des Vorbringens des Klägers, 50 % der Kandidaten hätten die erste Klausur schlechter als ausreichend geschrieben, nicht mit der Begründung ablehnen können, der Kläger habe dieses Vorbringen nicht substantiiert. In seinem Schriftsatz vom 1. Juli 1975 an das FG hat sich der Kläger ausdrücklich auf seinen Erfahrungsaustausch mit anderen Prüfungskandidaten bezogen, also seine Behauptung genügend substantiiert. Auch kann der FM ohne Schwierigkeiten Angaben über den Ausgang dieser Klausur machen. Allerdings kann aus dem vom Kläger behaupteten Ausgang der Klausur allein noch nicht auf eine Überspannung der Prüfungsanforderungen - die der Kläger mit seinem Vorbringen wohl geltend machen will - geschlossen werden. Das könnte allenfalls dann angenommen werden, wenn der Prozentsatz derjenigen, die keine ausreichende Note in dieser Klausur erhalten haben, wesentlich über 50 % gelegen hätte.

Im übrigen bestehen gegen die Vorentscheidung aus revisionsrechtlichen Gesichtspunkten keine Bedenken. Das FG konnte durchaus zu seinem Ergebnis kommen, daß die Darstellungsform der ersten Klausur keinen Anlaß bot, sie rechtlich zu beanstanden; auf einen Vergleich mit den in anderen Bundesländern ausgegebenen Klausurarbeiten konnte es verzichten. Auch daß dem Kläger aus dem Prüfungsgebiet Abgabenordnung und Umsatzsteuer nur wenige Fragen gestellt worden sind, hat das FG zu Recht nicht als Fehler des Prüfungsverfahrens angesehen. Zwar sind, wie ausgeführt, an den Bewerber Fragen aus sämtlichen Prüfungsgebieten zu richten. Es steht aber im Ermessen des Prüfers bzw. des Prüfungsausschusses, die im Einzelfall zu stellenden Fragen auszuwählen und ihre Anzahl zu bestimmen. Es kann sogar genügen, wenn nur eine Frage aus einem Prüfungsgebiet gestellt wird, wenn diese nicht ganz einfach zu beantworten und nicht ersichtlich nur gestellt worden ist, um der Form Genüge zu tun.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72295

BStBl II 1977, 447

BFHE 1978, 214

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