Leitsatz (amtlich)

Aufwendungen für den Umbau oder die Neuanschaffung von Gasgeräten, die infolge der Umstellung der Gasversorgung auf Erdgas anfallen, können nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden.

 

Normenkette

EStG 1965 § 33

 

Tatbestand

Am Wohnort des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) begann das zuständige Versorgungsunternehmen im Streitjahr mit der planmäßigen Umstellung der Gasversorgung von Kokereigas auf Erdgas. Da das Erdgas andere Brenneigenschaften besitzt als das Kokereigas, mußten die vorhandenen Gasgeräte auf die neue Gasart umgestellt oder, soweit das nicht möglich, nicht lohnend oder nicht zweckmäßig war, durch neue Geräte ersetzt werden. Die Kosten der Umstellung oder der Neuanschaffung hatten nach den Verträgen über die Gasversorgung die Abnehmer zu tragen. Zu den Umstellungskosten leistete das Versorgungsunternehmen aus Gründen der Kulanz einen Zuschuß von 30 bis 70 v. H. Für die Neubeschaffung von Geräten wurden keine Zuschüsse gewährt; das Versorgungsunternehmen erreichte aber, daß der Groß- und Einzelhandel neue Gasgeräte zu günstigen Sonderpreisen lieferte.

Wegen der Gasumstellung hat der Kläger im Streitjahr neue Gasgeräte für insgesamt 857 DM angeschafft.

Seinen im Lohnsteuer-Jahresausgleich gestellten Antrag, die Anschaffungskosten als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen, lehnte der Beklagte und Revisionskläger (FA) ab. Der Einspruch wurde zurückgewiesen.

Die Klage hatte Erfolg.

Das FG hielt die Voraussetzungen des § 33 EStG in Höhe der Anschaffungskosten für gegeben. Der BFH lehne dies zwar in ständiger Rechtsprechung ab, wenn der Steuerpflichtige für seine Aufwendungen einen Gegenwert erhalte. Der Gegenwertgedanke dürfe aber nach der Rechtsprechung des BFH auch nicht überspannt werden. Er solle insbesondere dann nicht gelten, wenn der Steuerpflichtige Aufwendungen zur Wiederbeschaffung von Hausrat und Kleidung machen müsse, die ihm durch Brand, Diebstahl, Hochwasser, Kriegseinflüsse, Vertreibung, Beschlagnahme der Besatzungsmacht, also durch unausweichliche Ereignisse, die auf höherer Gewalt beruhen, verlorengegangen seien, wenn also die Aufwendungen dem Steuerpflichtigen aus einer ihm aufgezwungenen Schadenslage heraushelfen und den vor dem Schaden bestehenden Zustand in angemessenen Grenzen wiederherstellen sollten (vgl. BFH-Urteil vom 16. Oktober 1952 IV 376/51 S. BFHE 56, 773, BStBl III 1952, 298, sowie mehrere Literaturstellen).

Bei Anwendung dieser vom BFH herausgearbeiteten Grundsätze auf den Streitfall könne nach Ansicht des FG dem steuerpflichtigen Kläger eine Steuerermäßigung nicht versagt werden. Es handele sich hier um die Neuanschaffung von Hausrat, wo nach der Rechtsprechung des BFH ein Zurücktreten des Gegenwertgedankens in Betracht komme. Das Unbrauchbarwerden der alten, bisher benutzten Geräte müsse einem völligen Verlust gleichgestellt werden; die Unbrauchbarkeit bedeute für den Steuerpflichtigen im wirtschaftlichen Sinne einen Totalverlust, zumal ein Weiterverkauf der alten Geräte von vornherein ausscheide.

Gegen das Urteil hat das FA Revision eingelegt und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben. Zur Begründung führt es aus, das FG habe zu Unrecht den Vorgang des Streitfalls mit dem Verlust von Sachwerten infolge höherer Gewalt gleichgestellt. Die Umstellungsmaßnahmen stellten Rationalisierungsmaßnahmen dar, die dem allgemeinen wirtschaftlichen und technischen Fortschritt dienten und der Masse der Gaskonsumenten auf die Dauer erhebliche Vorteile bringe (z. B. höhere Heizkraft, niedrigere Preise, Geruchlosigkeit, Ungiftigkeit). Daraus ergebe sich, daß die Umstellungsmaßnahmen nicht einer Katastrophe wie Brand, Diebstahl, Hochwasser, Kriegseinflüsse usw. gleichzusetzen seien.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.

Das FG hat die Rechtsprechung des BFH, wonach die Annahme einer außergewöhnlichen Belastung grundsätzlich ausscheidet, wenn der Steuerpflichtige für seine Aufwendungen einen Gegenwert erhält (vgl. das Urteil des Senats vom 23. Februar 1968 VI R 97/67, BFHE 92, 199 und die dort angeführte weitere Rechtsprechung des BFH) zutreffend wiedergegeben. Diese sog. Gegenwertlehre verstößt nach dem Beschluß des BVerfG vom 13. Dezember 1966 1 BvR 512/65 (BStBl III 1967, 106) nicht gegen das GG. Das FG hat auch die Rechtsprechung zu den Ausnahmen von der Gegenwerttheorie zutreffend wiedergegeben. Erstmals im Urteil IV 376/51 S und dann in ständiger Rechtsprechung (vgl. u. a. Urteil vom 8. August 1958 VI 194/57 U, BFHE 67, 273, BStBl III 1958, 378, und die dort angeführten weiteren Urteile sowie das Urteil vom 23. September 1960 VI 90/60 S, BFHE 71, 637, BStBl III 1960, 488) hat der BFH entschieden, daß von der Anwendung der Gegenwerttheorie bei Aufwendungen für die Wiederbeschaffung von Hausrat und Kleidung abgesehen werden kann, wenn der Verlust auf einem "unabwendbaren Ereignis" beruht und es sich um Gegenstände handelt, die zur angemessenen Auffüllung von Hausrat und Kleidung üblicherweise notwendig sind.

Diese Rechtsprechung ist aus den besonderen Verhältnissen entstanden, wie sie sich nach dem Zweiten Weltkrieg für weite Bevölkerungsteile ergaben, die Hausrat und Kleidung durch Kriegsereignisse oder infolge des verlorenen Kriegs eingetretener Ereignisse eingebüßt hatten. Diesen Verhältnissen wurde zunächst durch besondere Steuervergünstigungen Rechnung getragen, die zunächst nur für die am schwersten Betroffenen galten (vgl. die Darstellung der Rechtsentwicklung im BFH-Urteil IV 376/51 S). Diese Steuervergünstigungen wurden in beschränktem Umfange beibehalten (vgl. § 52 Abs. 21 EStG 1965, § 25b LStDV 1965); statt dessen - u. a. auch daneben für einen Zeitraum, für den diese Vergünstigungen nicht galten - wurde auch die Berücksichtigung der Wiederbeschaffungsaufwendungen im Rahmen des § 33 EStG zugelassen. Das wurde dadurch ermöglicht, daß man die Gegenwertlehre außer acht ließ. Dies wurde schon im Urteil IV 376/51 S damit begründet, daß ein starres Festhalten an dieser allgemeinen Regel nicht angängig sei, daß vielmehr von Fall zu Fall zu entscheiden sei, ob die Erlangung eines Gegenwerts der Anwendung des § 33 EStG entgegenstehe.

Von Anfang an war aber erkennbar, daß sich die Außerachtlassung des Gegenwertgedankens nur auf einen engen Kreis von besonders schwerwiegenden, aus dem normalen Geschehensablauf weit herausragenden Ereignissen beschränken sollte, die man unter den Begriff der "höheren Gewalt" im engeren Sinne bringen kann. Außer den gesetzlich besonders geregelten Fällen (vgl. die Aufzählung in § 25b LStDV 1965) wurde im Urteil IV 376/51 S der Verlust von Hausrat und Kleidung durch Brand oder Überschwemmung als Beispiel erwähnt. Die Außerachtlassung der Gegenwertlehre in diesen Fällen ermöglicht es, dem Steuerpflichtigen aus einer "ihm aufgezwungenen Schadenslage herauszuhelfen" (Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 10. Aufl. § 33 EStG Rdnr. 19).

Dieser Entwicklung trägt auch der Katalog der Beispiele für "unabwendbare Ereignisse" in Abschn. 39 Abs. 7 LStR 1966 (Abschn. 189 EStR 1965) im wesentlichen Rechnung. Er enthält Fälle von Katastrophen sowie eines besonders starken Zwangs, wie Vertreibung und politische Verfolgung. Einzig die uneingeschränkte Erwähnung des Diebstahls von Hausrat oder Kleidung fällt aus dem Rahmen. Wie weit der Senat einer solchen Gleichstellung folgen könnte, müßte nach den Umständen des einzelnen Falles entschieden werden.

Es entspricht nicht den in jahrzehntelanger Rechtsprechung entwickelten Möglichkeiten zur Außerachtlassung des Gegenwertgedankens, diese Handhabung auch dort zuzulassen, wo Eingriffe in den Bestand des Hausrats eines Steuerpflichtigen durch Maßnahmen ausgelöst werden, die mit den Fällen von Katastrophen oder katastrophenähnlichen Sachverhalten nicht verglichen werden können. Es erscheint dem Senat daher als eine zu weitgehende Einschränkung der Gegenwertlehre, sie auch dort außer acht zu lassen, wo es sich nur um andere von außen kommende, aus wirtschaftlichen oder ähnlichen Gründen oder etwa durch behördliche Anordnung ausgelöste Maßnahmen handelt. Das müßte im Ergebnis zu einer Aushöhlung der wohlbegründeten Gegenwertlehre und damit zu einer nicht vertretbaren Ausweitung des § 33 EStG führen.

Bei der Umstellung der Gasversorgung von Kokereigas auf Erdgas handelt es sich um eine Aktion im Zuge der modernen Wirtschaftsentwicklung. Es handelt sich um die Erschließung und Verwertung einer verhältnismäßig neuartigen Energiequelle, die insgesamt als technischer Fortschritt angesprochen werden kann und zu Vorteilen sowohl für die Allgemeinheit (Umweltfreundlichkeit) als auch für den einzelnen Gasabnehmer führt. Eine solche Maßnahme ist mit den erwähnten Katastrophen oder katastrophenähnlichen Ereignissen nicht zu vergleichen. Wenn sie auch für die Gasverbraucher mit Aufwendungen (Kosten für den Umbau von Gasgeräten oder Neuanschaffung von solchen Geräten) verbunden sein kann, so kann man doch nicht von einer "aufgezwungenen Schadenslage" sprechen. Bei diesen Aufwendungen, für die die Steuerpflichtigen in jedem Fall einen Gegenwert erhalten, ist mit Rücksicht auf die Gegenwertlehre die Anwendung des § 33 EStG abzulehnen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70834

BStBl II 1974, 335

BFHE 1974, 491

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