Entscheidungsstichwort (Thema)

Öffentlichkeit der Verhandlung; Zeugnisverweigerungsrecht eines Steuerberaters; Unternehmereigenschaft; Schätzung von Umsätzen

 

Leitsatz (NV)

1. Die Beeinträchtigung der Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung stellt nur dann einen Revisionsgrund dar, wenn die Beeinträchtigung dem Gericht wegen Kenntnis oder verschuldeter Unkenntnis zuzurechnen ist (vgl. BFH, BVerwG).

2. Ein Steuerberater hat kein Zeugnisverweigerungsrecht bezüglich solcher Tatsachen, die ihm bei Gelegenheit seiner Berufsausübung bekanntgeworden sind und die keinen inhaltlichen Bezug zu seiner beruflichen Tätigkeit haben.

3. Zur Frage der Unternehmereigenschaft eines sog. Telefonverkäufers.

4. Zur Schätzung der Höhe von Umsätzen bei fehlenden Aufzeichnungen.

 

Normenkette

FGO §§ 52, 84 Abs. 1; GVG § 169 S. 1; AO 1977 § 102 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b; UStG 1967/1973 § 3 Abs. 1 S. 1; UStG 1967/1973 § 3 Abs. 2 Nr. 1; GewStG § 2 Abs. 1

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger und Revisionskläger (Kläger) als Vermittler von Warentermingeschäften (,,Telefonverkäufer" bzw. ,,Broker") umsatzsteuerrechtlich Unternehmer war.

In den Jahren 1975 und 1976 betätigte sich die Firma Z GmbH in F, als Generalvertreterin für die in London registrierte Limited (Z L). Die Z GmbH schloß als Vertreterin der Z L mit Dritten ,,Warenterminoptionsverträge".

Die Kunden zahlten hierfür sog. Optionsprämien. Z L und Z GmbH bedienten sich bei ihrer Geschäftstätigkeit sog. Broker (Telefonverkäufer), deren Aufgabe es war, Kunden zu werben und sodann zu betreuen. Die Z GmbH stellte den Telefonverkäufern in ihren Geschäftsräumen je einen Schreibtisch mit einem Telefonanschluß zur Verfügung und informierte sie über die jeweils aktuellen Optionsprämien und über eingetretene und erwartete Entwicklungen auf dem Warenterminmarkt. Die Broker - so auch der Kläger - erhielten als Vergütung für ihre Tätigkeit einen bestimmten Prozentsatz der Optionsprämien als Grundprovision, unter bestimmten Voraussetzungen darüber hinaus Sonderprämien bzw. ,,Superprovisionen".

Auf diesbezügliche Hinweise der Staatsanwaltschaft beim Landgericht F hin wertete das Finanzamt (FA) B - Steuerfahndungsstelle - bei der Z GmbH beschlagnahmte Unterlagen unter dem Gesichtspunkt der steuerrechtlichen Verhältnisse des Klägers aus. Aufgrund des Prüfungsberichts erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) den angefochtenen Umsatzsteuerbescheid für 1976 vom 31. Mai 1979. Dieser wurde dem Kläger unter der Postanschrift seiner getrenntlebenden Ehefrau zugestellt. Der eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hat die hiergegen erhobene Klage abgewiesen, nachdem es in der mündlichen Verhandlung die Einkommensteuer, Gewerbesteuermeßbeträge und Umsatzsteuer betreffenden Klagen ,,zur gemeinsamen Verhandlung verbunden" hatte.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen und formellen Rechts.

Er beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Umsatzsteuerbescheid für 1976 vom 31. Mai 1979 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 28. Januar 1980 ersatzlos aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Über die Behauptung des Klägers, das FG habe die Vorschriften über die Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung verletzt, hat der Senat Beweis erhoben durch Vernehmung der Steuerberater B und C, des Vorsitzenden Richters am FG D des Richters am FG E und des Regierungsoberrats H vom FA F als Zeugen sowie durch Einholung einer amtlichen Auskunft des Präsidenten des FG.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

I. Die vom Kläger erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.

1. Eine Beeinträchtigung der Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung stellt nur dann einen Revisionsgrund dar, wenn die Beeinträchtigung dem Gericht wegen Kenntnis oder verschuldeter Unkenntnis zuzurechnen ist (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. März 1985 IV S 21/84, BFHE 143, 487, BStBl II 1985, 551 m. w. N.; Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 26. März 1981 5 C 89/79, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 310, § 133 VwGO Nr. 31 = Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1983, 76; vom 18. Januar 1984 9 CB 444/81, Die Öffentliche Verwaltung - DÖV - 1984, 889 = HFR 1985, 47; Hanack in Loewe / Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Großkommentar, 24. Aufl. 1986, § 338 StPO Rdnr. 113). Es steht nicht zur Überzeugung des Senats fest, daß das FG die Vorschriften über die Öffentlichkeit des finanzgerichtlichen Verfahrens (§ 52 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i.V.m. § 169 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes - GVG -) verletzt hat. Die prozeßrechtliche Rechtsfolge der Nichterweislichkeit von Tatsachen, die zur Rüge eines Verfahrensmangels vorgetragen werden (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO) - sog. Feststellungs- oder objektive Beweislast - trägt der Kläger (vgl. BFH-Urteile vom 26. Februar 1975 II R 120/73, BFHE 115, 185, 193, BStBl II 1975, 489, 493; vom 9. Oktober 1985 I R 163/82, BFH / NV 1986, 288).

Die in der Revisionsbegründungsschrift aufgestellte Behauptung, nach Schluß der mündlichen Verhandlung in Sachen L gegen FA F habe ,,der Berichterstatter" zu dem Zeugen C gesagt, er müsse mit ihm nach unten fahren, weil die Haupteingangstür ,,abgeschlossen sei", hat der Prozeßbevollmächtigte bei seiner Vernehmung als Zeuge nicht bestätigt: Er hat ausgesagt, ,,irgendeiner der Richter" habe von der ,,Möglichkeit gesprochen, daß die Tür verschlossen sein könne". Der Zeuge H hat diese Bemerkung dem Zeugen E zugeschrieben. Was den Zeugen E zu einer etwaigen Bemerkung diesen Inhalts veranlaßt haben könnte, konnte nicht aufgeklärt werden. Jedenfalls ist die Bekundung des Zeugen H, daß nach Schluß der mündlichen Verhandlung in Sachen L gegen FA F die Haupteingangstür des Gerichts nicht verschlossen war, durch die weitere Beweisaufnahme nicht widerlegt worden. Die Feststellung, daß es zu diesem Zeitpunkt zu einem Verstoß gegen Verfahrensrecht und die Organisationsverfügungen der Gerichtsverwaltung betreffend die Wahrung der Öffentlichkeit gekommen war, kann daher nicht getroffen werden.

Die in der Revisionsbegründung aufgestellte Behauptung des Prozeßbevollmächtigten, nach der mündlichen Verhandlung in Sachen des Klägers sei von einer ihm unbekannten Person die Haupteingangstür ,,aufgeschlossen und wieder abgeschlossen worden", hat dieser bei seiner Vernehmung als Zeuge nicht wiederholt. Er hat vielmehr bekundet, er wisse heute nicht mehr, ob ihm die Tür ,,aufgeschlossen" worden sei. Nach der Aussage des Zeugen E ist es nicht unwahrscheinlich, daß er selbst nach Ende der mündlichen Verhandlung dem Zeugen C die Haupteingangstür aufgeschlossen hat. Die Beweisaufnahme hat aber keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß, nachdem der Zeuge H das Gerichtsgebäude mutmaßlich ungehindert verlassen konnte, eine etwa zwischenzeitlich eingetretene Hinderung des Zugangs zur mündlichen Verhandlung vom Gericht bemerkt worden wäre oder bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte bemerkt werden können.

Daß allgemein Vorsorge dafür getragen war, auch nach 17.30 Uhr die Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung zu gewährleisten, ergibt sich sowohl aus der amtlichen Auskunft des Präsidenten des FG als auch aus der Bekundung des Zeugen D. Nach der amtlichen Auskunft besteht mit der Hausverwaltung eine Regelung, wonach der Hausmeister die Haustür nicht abschließen wird, wenn an dieser das Schild ,,Öffentliche Sitzung des . . . (FG) - Tür bitte nicht abschließen" angebracht ist. Ergänzend dazu sind die Vorsitzenden eines Senats, der voraussichtlich über 17.30 Uhr hinaus öffentlich verhandelt, gehalten, dieses Schild anzubringen. Der Vorsitzende des für den Streitfall zuständigen Senats des FG, der Zeuge D, hat bekundet, er könne sich nicht mehr daran erinnern, ob er das Schild habe anbringen oder nicht anbringen lassen. Es stehe jedenfalls fest, daß er während seiner damals 10jährigen Dienstzeit als Senatsvorsitzender stets dafür gesorgt habe, daß die Haupteingangstür unverschlossen gewesen sei. Der von ihm geleitete Senat habe zudem in den letzten Jahren oft sehr spät am Abend noch verhandelt.

Der Senat hat den Prozeßbevollmächtigten, Steuerberater B, als Zeugen vernommen und dessen Aussage verwertet. Ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 84 Abs. 1 FGO i. V. m. § 102 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b der Abgabenordnung (AO 1977) stand dem Prozeßbevollmächtigten nicht zu. Die zum Beweisthema gehörenden Tatsachen sind diesem nicht ,,in seiner Eigenschaft als Steuerberater" bekanntgeworden, da sie keinen inhaltlichen Bezug zu seiner beruflichen Tätigkeit haben. Der ,,Schutz bestimmter Berufsgeheimnisse" (vgl. die amtliche Überschrift zu § 102 AO 1977) wird nicht dadurch berührt, daß eine der in § 102 AO 1977 genannten Personen zu Tatsachen aussagen muß, die sie bei Gelegenheit ihrer Berufsausübung beobachtet hat und deren Wahrnehmung jedem Unbeteiligten möglich war.

2. a) Die Rüge, das erkennende Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, ist unbegründet. Nach dem Geschäftsverteilungsplan des FG für das Geschäftsjahr 1982 war der . . . Senat als ,,Spezialsenat" zuständig für ,,Umsatzsteuer, sofern streitig ist, ob der Kläger als Unternehmer gewerblich tätig ist". Eine solche Frage war im Streitfall zu entscheiden.

b) Die Rüge des Klägers, Finanzbehörden hätten ihm Akteneinsicht und rechtliches Gehör verweigert, führt schon deswegen nicht zum Erfolg, weil etwaige Verstöße im finanzgerichtlichen Verfahren geheilt werden konnten (vgl. Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 96 FGO Tz. 23). Die mit Schriftsatz vom 5. November 1982 - außerhalb der Revisionsbegründungsfrist - vorgetragene Rüge, das FG habe ihm den vollständigen Inhalt des vom Zeugen S am 22. März 1982 überreichten Heftes verschwiegen, ist verspätet und damit unzulässig. Soweit der Kläger rügt, die auf der Rechtsgrundlage des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) gesetzte Ausschlußfrist sei zu kurz bemessen gewesen, hat er nicht substantiiert dargelegt, was er bei Gewährung einer längeren Frist vorgetragen hätte und daß bei Beachtung weiteren Sachvortrags eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre. Der Kläger hat nicht einmal behauptet, daß er niedrigere Umsätze als die vom FG festgestellten getätigt hätte. Auch diese Rüge geht daher fehl. Die weitere Rüge, das FG habe die beantragte Akteneinsicht verweigert, führt deswegen nicht zum Erfolg, weil der Kläger nicht dargelegt hat, was er den Gerichtsakten und den dem Gericht vorgelegten Akten (§ 78 Abs. 1 Satz 1 FGO) für die Frage nach der Höhe der Umsätze hätte entnehmen können.

Zudem hat der Kläger nicht vorgetragen, daß er eine etwaige Versagung rechtlichen Gehörs bereits in der ersten Instanz beanstandet hätte (vgl. Gräber / Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., 1987, § 119 Rdnr. 12).

c) Auch die weiteren Verfahrensrügen des Klägers,

- das FG habe die als Zeugen benannten Rechtsanwälte Dr. W und H nicht vernommen,

- das FG habe drei Klagen entgegen § 73 Abs. 1 Satz 1 FGO nur ,,zu gemeinsamer Verhandlung" und nicht zugleich auch zu gemeinsamer Entscheidung verbunden, hält der Senat nicht für durchgreifend. Von einer Begründung sieht er gemäß Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) ab.

II. Die Auffassung des FG, der Kläger sei bei seiner Tätigkeit als Telefonverkäufer selbständig (§ 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes - UStG -) tätig geworden, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

1. Das FG hat bei der Beurteilung des verfahrensfehlerfrei festgestellten Sachverhalts zutreffend diejenigen rechtlichen Maßstäbe angelegt, die im Umsatzsteuer-, Einkommensteuer- und Gewerbesteuerrecht jeweils inhaltsgleich (ständige Rechtsprechung, BFH-Urteil vom 27. Juli 1972 V R 136/71, BFHE 106, 389, BStBl II 1972, 810, 812) für die Abgrenzung der Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit von solchen aus nichtselbständiger Arbeit maßgebend sind.

a) Unternehmer ist nach § 2 Abs. 1 UStG, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Eine solche Tätigkeit wird nicht selbständig ausgeübt, soweit eine natürliche Person einem Unternehmen derart eingegliedert ist, daß sie den Weisungen des Unternehmers zu folgen verpflichtet ist (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG). Diese negative Abgrenzung des umsatzsteuerrechtlichen Steuergegenstandes entspricht nach der ständigen Rechtsprechung des BFH der Begriffsbestimmung des Dienstverhältnisses in § 1 Abs. 2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung - LStDV - (BFH-Urteil vom 14. Oktober 1976 V R 137/73, BFHE 120, 301, BStBl II 1977, 50 m. w. N.). Nach der auch für das Umsatzsteuerrecht maßgeblichen Definition des Begriffs ,,Selbständigkeit" in § 2 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) durch § 1 Abs. 1 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung (GewStDV) ist selbständig, wer auf eigene Rechnung und Gefahr tätig wird (BFH-Urteil vom 13. Februar 1980 I R 17/78, BFHE 129, 565, BStBl II 1980, 303; vom 26. März 1985 VIII R 138/81, BFH / NV 1985, 38). Nicht ausschlaggebend ist die sozial- und arbeitsrechtliche Einordnung der Tätigkeit (Urteil in BFHE 129, 565, BStBl II 1980, 303; zur Eigenständigkeit des Komplementärbegriffs ,,Arbeitnehmer" auf den verschiedenen Rechtsgebieten, vgl. auch Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 15. Dezember 1986 StbSt (R) 2/86, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1987, 2751).

b) Zu Recht hat das FG seine Entscheidung nach dem Gesamtbild der Verhältnisse unter besonderer Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten getroffen (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 20. April 1988 X R 40/81, BFHE 153, 437, BStBl II 1988, 804 m. w. N.). Eine Würdigung nach dem Gesamtbild bedeutet, daß die für und gegen die Unternehmereigenschaft sprechenden Merkmale (zusammenfassend BFH-Urteile vom 24. November 1961 VI 183/59 S, BFHE 74, 97, BStBl III 1962, 37; vom 14. Juni 1985 VI R 150-152/82, BFHE 144, 225, BStBl II 1985, 661), die im Einzelfall unterschiedlich gewichtet werden können, gegeneinander abgewogen werden.

Der Kläger hat trotz mehrfacher Aufforderung durch das Gericht keine Angaben darüber gemacht, welche tatsächlichen Vereinbarungen zwischen ihm und der Z L getroffen waren. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des FG hat der Kläger insbesondere dessen Fragen nach der Vereinbarung eines festen Grundgehalts, der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle und der Urlaubsregelung nicht beantwortet. Soweit der Kläger damit seine verfahrensrechtliche Mitwirkungspflicht verletzt hat, war das FG berechtigt, seiner rechtlichen Beurteilung einen von ihm für wahrscheinlich gehaltenen Sachverhalt zugrunde zu legen (Herabsetzung des Beweismaßes; § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 162 AO 1977). Das FG ist danach zutreffend zum Ergebnis gelangt, daß der Kläger seine Tätigkeit nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses, sondern selbständig ausgeübt hat.

c) Zu Recht hat das FG das den Kläger treffende Vergütungsrisiko als besonders gewichtiges Merkmal selbständiger Tätigkeit hervorgehoben. Es hat zutreffend ausgeführt, daß der Kläger, obwohl die Z GmbH - mutmaßlich - die Kosten für Büro und Werbung übernommen habe, ein unternehmerisches Risiko getragen habe; dies deshalb, weil der Kläger Provisionszahlungen nur dann erhielt, wenn seine Vermittlungsbemühungen Erfolg hatten. Der Kläger trug mithin das Erfolgsrisiko der eigenen Betätigung (vgl. hierzu Schmidt, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 7. Aufl. 1988, § 15 Anm. 5 a m. w. N.). Zwar kann die Übernahme der Kosten durch den Auftraggeber für nichtselbständige Tätigkeit sprechen (BFH-Urteil vom 14. Dezember 1978 I R 121/76, BFHE 126, 311, BStBl II 1979, 188; BFHE 129, 565, BStBl II 1980, 303). In rechtlicher Hinsicht ist indes mitentscheidend, daß der Kläger bei persönlicher Verhinderung keine Einnahmen erzielen konnte. Wird eine Vergütung für Ausfallzeiten nicht gezahlt, spricht dies für Selbständigkeit (BFH-Urteile vom 4. Mai 1972 IV R 35/69, BFHE 105, 380, BStBl II 1972, 618; vom 4. Dezember 1975 IV R 180/72, BFHE 117, 550, BStBl II 1976, 292; vom 3. August 1978 VI R 212/75, BFHE 126, 271, BStBl II 1979, 131; BFHE 126, 311, BStBl II 1979, 188, 190). Arbeitnehmer haben - anders als der Kläger - kraft Gesetzes einen Urlaubsanspruch und Anspruch auf Weiterzahlung des Arbeitslohnes im Krankheitsfalle. Es ist unerheblich, daß der Kläger sein eigenes geschäftliches Risiko auch deswegen für gering erachtete, weil ihm in Anbetracht der geschäftlichen und organisatorischen Umstände ein sicheres Einkommen garantiert schien.

Zwar werden auch an Arbeitnehmer erfolgsabhängige Entlohnungen gezahlt (vgl. BFH-Urteile vom 30. Oktober 1969 V R 150/66, BFHE 98, 302, BStBl II 1970, 474, 476; BFHE 126, 311, BStBl II 1979, 188). Das BFH-Urteil vom 7. Dezember 1961 V 139/59 U (BFHE 74, 396, BStBl II 1962, 149) hat einen Reisenden, der nur Provision (kein Fixum) erhielt, als Arbeitnehmer angesehen, weil andere gewichtige Merkmale (Fehlen eines geschäftlichen Risikos wegen Betreuung eines festen Kundenkreises für ein eingeführtes Produkt, Zahlung von Urlaubsgeld im Krankheitsfalle, Teilnahme an den sozialen Einrichtungen des Geschäftsherrn) für seine Angestellteneigenschaft sprachen. Diese Entscheidung betraf einen Fall, der nach seiner tatsächlichen Gestaltung mit dem vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt nicht vergleichbar ist. Das Urteil in BFHE 129, 565, BStBl II 1980, 303 hat ein Vergütungsrisiko nur deswegen verneint, weil die Klägerin die ihr während der Fehlzeiten entstandenen Entgeltsausfälle dadurch ausgleichen konnte, daß ihr vom Arbeitgeber zuvor oder danach eine entsprechend größere Arbeitsmenge - zur Bearbeitung gegen Stücklohn - überlassen wurde. Das FG hat im Streitfall zu Recht darauf abgestellt, daß der Kläger mangels eines - auch für sog. Fehlzeiten garantierten - Mindestverdienstes (vgl. ferner Urteil in BFHE 98, 302, BStBl II 1970, 474) ein eigenes unternehmerisches Risiko trug. Zudem konnte der Kläger dadurch eigene Unternehmerinitiative entfalten, daß er durch einen größeren oder geringeren Arbeitseinsatz den Erfolg seiner Tätigkeit zu beeinflussen versuchte (vgl. hierzu Urteile in BFHE 126, 311, BStBl II 1979, 188; BFHE 129, 565, BStBl II 1980, 303).

d) Das FG ist verfahrensfehlerfrei zu der Auffassung gelangt, daß die Vertragspartner ein Arbeitsverhältnis übereinstimmend nicht gewollt haben. Dieser Parteiwille ist zu beachten (vgl. Urteile in BFHE 117, 550, BStBl II 1976, 292). Ungeachtet dessen, daß die steuerrechtlichen Begriffe der Selbständigkeit / Unselbständigkeit gegenüber anderen Rechtsgebieten eigenständig geregelt sind, ist die Vereinbarung darüber, daß das Rechtsverhältnis nicht den Bestimmungen des Sozialversicherungsrechts unterstellt werden solle, ein Indiz gegen den Abschluß eines Arbeitsverhältnisses (vgl. Urteile in BFHE 105, 380, BStBl II 1972, 618; BFHE 117, 550, BStBl II 1976, 292).

e) Demgegenüber hat das FG zu Recht den Tatsachen keine ausschlaggebende Bedeutung zugemessen, daß die Z GmbH dem Kläger ein Büro einschließlich eines eigenen Telefonanschlusses zur Verfügung gestellt hatte und der Kläger seine Tätigkeit nur in diesen Geschäftsräumen ausüben konnte. Entscheidend ist die Feststellung des FG, daß der Kläger weder verpflichtet war, bestimmte Arbeitszeiten einzuhalten noch eine vorgegebene Mindestzeit zu arbeiten. Diese Würdigung des FG ist möglich; die Angriffe des Klägers gegen die diesbezügliche Beweiswürdigung greifen nicht durch. Auch selbständig Tätige haben nicht selten ihre Leistung zu bestimmter Zeit und an einem bestimmten Ort zu erbringen (vgl. Urteil in BFHE 105, 380, BStBl II 1972, 618).

Dieses Tätigkeitsmerkmal ist für die gebotene Beurteilung nach dem Gesamtbild der Verhältnisse (oben zu b) weniger gewichtig (vgl. Urteil in BFHE 144, 225, BStBl II 1985, 661, 664).

f) In gleicher Weise ist der vom FG festgestellte Umstand zu werten, daß der Kläger bei der Ausübung seiner Tätigkeit Weisungen der Z L bzw. der Z GmbH unterworfen war. Die Bedeutung der ,,Weisungsgebundenheit" hat das FG zu Recht relativiert durch die Überlegung, daß auch selbständige Handelsvertreter an Weisungen gebunden sein können (vgl. Urteil in BFHE 126, 311, BStBl II 1979, 188). Selbst ein ,,Direktionsrecht" schließt für sich allein die Beurteilung eines Dienstverhältnisses als selbständige Berufs- oder Gewerbetätigkeit nicht aus (Urteil in BFHE 120, 301, BStBl II 1977, 50).

g) Auf die Festsetzung der Umsatzsteuer hat es keinen Einfluß, daß das FA gemäß § 42 d Abs. 3 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) Lohnsteuer nachgefordert hat. Gleichfalls ist für die Umsatzsteuer ohne Belang, daß das FA unter dem 5. März 1979 die Nichtveranlagung zur Einkommensteuer 1976 verfügt hatte.

2. Das FG hat den Jahresumsatz dem Grunde und der Höhe nach revisionsrechtlich einwandfrei geschätzt. Seine Feststellungen beruhen auf einer eingehenden Beweiswürdigung. Die dabei gezogenen tatsächlichen Schlüsse sind möglich; zwingend brauchen sie nicht zu sein. Der Kläger kann diese Schlüsse für die revisionsrechtliche Prüfung nicht durch eigene ersetzen.

a) Zum Grund der Schätzung hat das FG ausgeführt, der Kläger habe Bücher und Aufzeichnungen, die er nach dem Gesetz zu führen habe, nicht vorgelegt; seine Behauptung, Aufzeichnungen und Unterlagen seien von Beamten des Landeskriminalamts beschlagnahmt worden, sei durch die Beweisaufnahme widerlegt worden. Im Hinblick hierauf konnte das FG rechtsfehlerfrei davon ausgehen, daß der Kläger seine Mitwirkungspflicht verletzt hat, und daß es daher nicht verpflichtet war, Geschäftsunterlagen der Z L und anderer Unternehmen dieser Firmengruppe beizuziehen. Dies hätte nach der - aufgrund der Aussage des Zeugen Oberstaatsanwalt R gewonnenen - Überzeugung des FG einen erheblichen Zeit- und Kostenaufwand erfordert.

b) Entgegen der Auffassung des Klägers ist unerheblich, ob seiner Ansicht nach das ,,Ermittlungsergebnis der Steuerfahndungsstelle erwiesenermaßen falsch" ist, aus welchen Gründen das FG die Schätzung der Steuerfahndungsstelle als zutreffend angesehen und ob es von der ihm zustehenden Schätzungsbefugnis zutreffend Gebrauch gemacht hat. Denn das FG ist - innerhalb der durch das Verböserungsverbot gezogenen Grenzen - berechtigt und verpflichtet, seine eigene Überzeugung zu bilden und ggf. die Höhe der Umsätze zu schätzen (§ 96 Abs. 1 FGO).

c) Die Schätzung des FG ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Der Kläger hat nicht erklärt, wie hoch seine Umsätze im Streitjahr waren. Seine eigene, auf Provisionslisten und Schadensfeststellungen gestützte Darlegung ist nur eine an Durchschnittswerten orientierte Schätzung. Seine Einlassung, ,,unter Berücksichtigung eines Sicherheitszuschlages von 10 v. H." dürfte (er) Provisionen in Höhe von 70 518 DM ausgezahlt erhalten haben, kann die Feststellungen des FG nicht erschüttern. Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, daß das FG diesen Unterlagen keinen nennenswerten Beweiswert beigemessen hat. Hinsichtlich der Höhe der Schätzung hat sich das FG gestützt auf die Aussage des Zeugen N und auf die von ihm vorgelegten Auszüge aus den Konten der Z L und die vom Kläger ausgestellten Quittungen. Den Beweisantrag des Klägers, die Originale dieser Unterlagen beizuziehen, konnte das FG zu Recht mit der Begründung ablehnen, der Kläger habe noch nicht einmal behauptet, daß er die vom Zeugen N ermittelten Provisionszahlungen nicht erhalten habe. Die Feststellungen des FG, nach der Bekundung des Zeugen N ließen sich die Umsätze des Klägers für die Zeit vom 15. November 1975 bis etwa Ende Februar 1976 nicht feststellen, ist nicht allein deswegen revisionsrechtlich anfechtbar, weil dieser Teil der Aussage im Protokoll über die Zeugenvernehmung nicht vermerkt ist (vgl. Tipke / Kruse, a.a.O., § 94 FGO zu § 160 ZPO).

3. Der angefochtene Steuerbescheid ist rechtswirksam ergangen. Die Verfügung bedurfte keiner Unterschrift. Das vom Kläger als fehlend beanstandete Dienstsiegel gehört nicht zu dem durch § 157 AO 1977 vorgeschriebenen wesentlichen Inhalt des Steuerbescheides.

4. Der angefochtene Steuerbescheid ist ferner nicht rechtsunwirksam, weil er an die Anschrift der vom Kläger getrenntlebenden Ehefrau versandt worden ist. Der Kläger hat zu keinem Zeitpunkt bestritten, daß er den Steuerbescheid tatsächlich erhalten hat. Der Steuerbescheid ist auch nicht deswegen unwirksam, weil er nicht dem Steuerberater V als Zustellungsbevollmächtigten bekanntgegeben worden ist. Der Zustellungsbevollmächtigte ist in den Besitz des Steuerbescheides gelangt und hat die Einspruchsfrist gewahrt. Unter dieser Voraussetzung ist ein möglicher Bekanntgabemangel geheilt (vgl. Tipke / Kruse, a.a.O., § 122 AO 1977 Tz. 21 a. E.; vgl. BFH-Urteil vom 9. Dezember 1980 VIII R 122/78, BFHE 132, 380, BStBl II 1981, 450).

5. Entgegen der Auffassung des Klägers durfte das FA die ihm von der Steuerfahndungsstelle mitgeteilten Tatsachen verwerten. Zu Recht hat das FG darauf abgestellt, daß die Steuerfahndungsstelle bei ihren Ermittlungen nicht in die Rechtssphäre des Klägers eingegriffen hat. Das FA konnte sich dieser Ermittlungsergebnisse und der entsprechenden Beweismittel bedienen (§ 92 AO 1977).

 

Fundstellen

Haufe-Index 62372

BFH/NV 1989, 541

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