Entscheidungsstichwort (Thema)

Korrektur eines rechtsfehlerhaft gewährten Verlustvortrags

 

Leitsatz (amtlich)

Die Korrekturvorschrift des § 10d Sätze 2 und 3 EStG 1979 ist auf den in § 10d Satz 4 EStG 1979 geregelten Verlustvortrag entsprechend anwendbar. Danach kann ein bereits gewährter Verlustabzug im Vortragsjahr wegen eines Rechtsfehlers berichtigt werden.

 

Normenkette

EStG 1979 § 10d Sätze 2-4

 

Verfahrensgang

FG Nürnberg (Entscheidung vom 05.02.1988; Aktenzeichen VII 127/86)

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute und werden zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. In dem Einkommensteuerbescheid für 1979 vom 15.Januar 1982 ergab sich ein Gesamtbetrag der Einkünfte von 20 502 DM, ein Einkommen von 8 494 DM und eine festzusetzende Einkommensteuer von 0 DM. In dem Einkommensteuerbescheid für 1980 vom 22.November 1983 belief sich der negative Gesamtbetrag der Einkünfte auf ./. 103 459 DM. In dem bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1981 vom 3.September 1984 zog der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) den negativen Gesamtbetrag der Einkünfte aus 1980 von ./. 103 459 DM wie Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der Einkünfte ab. Ein Verlustrücktrag nach 1979 unterblieb, weil dieser nach Auffassung des zuständigen Beamten bei einer Einkommensteuer von 0 DM nicht möglich war. In dem nach § 10d Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geänderten Einkommensteuerbescheid für 1981 vom 15.Juli 1985 minderte das FA den Verlustvortrag aus 1980 um 8 494 DM auf 94 965 DM, weil der Verlust aus 1980 zunächst nach 1979 zurückzutragen sei. Gegen diesen Einkommensteuerbescheid für 1981 legten die Kläger erfolglos Einspruch ein.

Das Finanzgericht (FG) gab ihrer Klage mit im wesentlichen folgender Begründung statt:

Eine entsprechende Anwendung des § 10d Satz 2 EStG in Fällen der Änderung des Verlustvortrags zu Ungunsten des Steuerpflichtigen scheide als Analogie zu Lasten des Steuerpflichtigen aus. Im übrigen sei der Rechtsfehler nicht bei der Verlustberechnung unterlaufen.

Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung des § 10d EStG. § 10d Sätze 2 und 3 EStG seien entsprechend auf den Verlustvortrag anzuwenden, damit der materiell-rechtlich richtige Verlustabzug vorgenommen werde. Zu den berichtigungsfähigen Rechtsfehlern, die bei der Verlustberechnung unterlaufen seien, gehörten auch Fehler hinsichtlich der Höhe der bereits verbrauchten Verlustabzugsbeträge.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Das FA hat den Einkommensteuerbescheid für 1981 vom 3.September 1984 zu Recht durch den Bescheid vom 15.Juli 1985 geändert. Es kann offenbleiben, ob es dazu auch aufgrund der Vorschriften der Abgabenordnung (AO 1977) befugt gewesen wäre. Unabhängig davon bietet § 10d Sätze 2 und 3 EStG die Grundlage für eine derartige Änderung.

Der Wortlaut dieser Vorschrift erwähnt allerdings nur die Korrektur des Steuerbescheides des dem Verlustjahr "vorangegangenen Veranlagungszeitraums". Daraus wird von einem Teil des Schrifttums geschlossen, daß Korrekturen der Steuerbescheide nach dem Verlustjahr nur entsprechend den Vorschriften der AO 1977 möglich seien (Horlemann in Blümich, Einkommensteuergesetz, 13.Aufl., § 10d Rdnr.172; Orth in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19.Aufl., § 10d EStG Rdnr.219; Borggreve in Littmann/Bitz/Meincke, Einkommensteuerrecht, 15.Aufl., § 10d EStG Rdnr.31; Richter, abc Verlustvortrag, Verlustrücktrag, 2.Aufl., 1980, S.10; Cirsovius, Der Verlustrücktrag, S.30; el, Der Betrieb --DB-- 1976, 1035). Der Senat vermag sich dem nicht anzuschließen. Mit Urteil vom heutigen Tage (VIII R 209/85, BFHE 160, 219) hat er entschieden, daß § 10d Sätze 2 und 3 EStG die Korrektur des Verlustrücktrags auch dann ermöglicht, wenn dem FA ein Rechtsfehler unterlaufen ist. Die Vorschrift sei dahin auszulegen, daß der Gesetzgeber der Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids Vorrang vor der Rechtssicherheit eingeräumt habe.

Für die Korrektur des Verlustvortrags kann nichts anderes gelten. Besonders in den Fällen, in denen es darum geht, den Verlustvortrag zu "berichtigen" (vgl. § 10d Satz 2 EStG), unterscheidet sich die Situation beim Verlustrücktrag nicht von der des Verlustvortrags. Entfällt z.B. der Verlust im Verlustentstehungsjahr, der sowohl zurückgetragen als auch vorgetragen worden war, ist kein vernünftiger Grund ersichtlich, warum der Verlustrücktrag zu korrigieren ist, der Verlustvortrag aber nicht. Die Interessen des Steuerpflichtigen und der Verwaltung sind im ersteren Fall die gleichen wie im letzteren. Deshalb ist für diesen Fall das FG Münster (Urteil vom 4.April 1989 XII 1660/88 E, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1989, 513, Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt), die Verwaltung (vgl. Abschn.115 Abs.9 Sätze 7 und 8 der Einkommensteuer-Richtlinien 1981) und ein Teil des Schrifttums (Fichtelmann in Frotscher, Einkommensteuergesetz, § 10d Anm.36; Sommer in Hartmann/ Böttcher/Nissen/Bordewin, Einkommensteuergesetz, § 10d Rdnr.29; Kellerbach, Die steuerliche Betriebsprüfung 1976, 249, 252; Stuhrmann, Neues Steuerrecht von A bis Z --NSt--, Verlustabzug, S.13) mit Recht der Ansicht, daß der Verlustvortrag in gleicher Weise wie der Verlustrücktrag berichtigt werden kann. Mangels irgendwelcher Anhaltspunkte dafür, daß der Gesetzgeber die Korrekturmöglichkeit auf den Verlustrücktrag beschränken wollte (die Gesetzesmaterialien machen dazu keine Aussagen), ist der Senat der Ansicht, daß es sich jedenfalls um eine planwidrige Lücke handelt, die entsprechend der Systematik der Vorschrift auszufüllen ist (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20.Oktober 1983 IV R 175/79, BFHE 139, 561, BStBl II 1984, 221; vom 2.November 1982 VII R 61/80, BFHE 137, 107, 112).

Die Korrekturmöglichkeit des Verlustvortrags muß auch hinsichtlich des Umfangs der beim Verlustrücktrag entsprechen. Ist die Berichtigung von Steuerbescheiden, in denen ein Verlust zurückgetragen ist, wegen eines Rechtsfehlers möglich (vgl. Urteil VIII R 209/85, BFHE 160, 219), so muß die Berichtigung eines Steuerbescheids, in dem ein Verlust vorgetragen ist, aus dem gleichen Grunde ebenfalls möglich sein. Auch insoweit ist der Rechtmäßigkeit des Bescheids Vorrang vor der Rechtssicherheit zu geben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 62540

BFH/NV 1990, 51

BStBl II 1990, 618

BFHE 160, 217

BFHE 1991, 217

BB 1990, 1533 (LT)

DB 1990, 1543 (LT)

HFR 1990, 491 (LT)

StE 1990, 234 (K)

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