Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Gewerbesteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die Tätigkeit eines Kompaßkompensierers auf Seeschiffen ist eine freiberufliche im Sinne von § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG.

 

Normenkette

EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1, § 15/1; GewStG § 2 Abs. 1

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Tätigkeit des Beschwerdeführers (Bf.) als Kompaßkompensierer eine freiberufliche im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ist.

Der Bf. übt seit 1951 die selbständige Tätigkeit eines Kompaßkompensierers auf deutschen Seeschiffen aus. Im Jahre 1924 hatte er von der Seeberufsgenossenschaft die Erlaubnis zur selbständigen Vornahme von Kompaßkompensierungen erhalten und diese Tätigkeit zunächst im privaten Angestelltenverhältnis ausgeübt. Die Kompensierung und regelmäßige Nachkompensierung der Magnetkompasse an Bord eiserner Schiffe ist durch die Unfallverhütungsvorschriften der Seeberufsgenossenschaft (§ 147) vorgeschrieben. Zuständig für die Durchführung von Kompensierungen sind das Deutsche Hydrographische Institut oder andere von der Seeberufsgenossenschaft anerkannte Stellen oder Personen. Nach einer vom Finanzamt eingeholten Auskunft des Deutschen Hydrographischen Instituts hat der Kompaßkompensierer die Aufgabe, die durch die Eisenmassen des Schiffes hervorgerufenen Abweichungen des Schiffskompasses durch Magnete möglichst weitgehend zu beseitigen. Im Anschluß hieran hat er die verbliebenen Restablenkungen zu ermitteln, in einer Tabelle zusammenzustellen und diese dem Kapitän als Unterlage für die Navigation seines Schiffes auszuhändigen. Die Prüfung und Reparatur an Kompassen gehört nicht zu den Aufgaben des Kompaßkompensierers. Nach der Auffassung des Deutschen Hydrographischen Instituts kann zu einem Vergleich der Tätigkeit des Kompaßkompensierers mit der eines Landmessers lediglich das Winkelmessen herangezogen werden; bezüglich der Auswertung der Meßergebnisse bestehe keine Vergleichsmöglichkeit.

Für das Streitjahr haben die Vorinstanzen die Gewerbesteuerpflicht des Bf. bejaht. Das Finanzgericht war der Auffassung, daß die Tätigkeit des Bf. keinem der in § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG aufgezählten Berufe ähnlich sei. Die dort genannten Berufe lägen außerhalb des eigentlichen Wirtschaftsablaufes; ihr Gegenstand seien vorwiegend geistige Leistungen höherer Art. Die Regulierung von Kompassen sei, volkswirtschaftlich gesehen, ein Gewerbe. Sie bilde die Voraussetzung für den reibungslosen Seeverkehr und diene damit unmittelbar einem wirtschaftlichen Bedürfnis. Mit der Tätigkeit des Landmessers sei diese Tätigkeit nicht vergleichbar. Die Berichtigung eines Kompasses erfordere vor allem technische Fähigkeiten und sei eher der Regierung von Präzisionsinstrumenten verwandt, wenn sie auch die Kenntnis von erd- und elektromagnetischen sowie nautischen Zusammenhängen erfordere. Vergleichbare Tätigkeiten würden auch von anderen gewerblichen Berufen, z. B. den Lotsen, verlangt. Lediglich die Nutzung wissenschaftlicher Kenntnisse führe zu einer Technisierung dieser Tätigkeit und schließe die eigene geistige Leistung aus. Diese Auffassung werde auch dadurch bestätigt, daß die vom Bf. ausgeübte Tätigkeit regelmäßig innerhalb gewerblicher Betriebe anfalle und der Bf. selbst diese Tätigkeit in den früheren Jahren in einem solchen gewerblichen Betriebe ausgeübt habe.

In der Rechtsbeschwerde (Rb.) wird gerügt, die Vorentscheidung sei nicht im Namen des Volkes (§ 283 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung - AO -) ergangen, so daß ein Urteil im Sinne des Gesetzes nicht vorliege; auch sei das Finanzgericht nicht ordnungsmäßig besetzt gewesen, da den ehrenamtlichen Beisitzern offensichtlich die erforderliche Sachkunde gefehlt habe. Das Finanzgericht habe auch den Sachverhalt nicht hinreichend geklärt; es hätte zweckmäßig auf Grund mündlicher Verhandlung entscheiden müssen, um dem Bf. ausreichendes rechtliches Gehör zu gewähren. Es handele sich praktisch um eine Entscheidung nach § 265 AO, die bei diesem Streitwert nicht zulässig gewesen sei. Bei ordnungsmäßiger Ermittlung des Sachverhalts hätte das Finanzgericht feststellen müssen, daß die Kompensationen vielfach durch Beamte der Seewarte oder durch Navigationslehrer ausgeführt werden und daß Voraussetzung für diese Tätigkeit die große Prüfung im Kompaßwesen sei. Weder die Beamten der Seewarte noch die Navigationslehrer würden durch diese Tätigkeit zu Gewerbetreibenden. Wenn gewerbliche Betriebe ebenfalls die Kompensierung von Kompassen durchführten, so sei bei ihnen diese Tätigkeit nur deswegen eine gewerbliche, weil sie im Rahmen ihres übrigen Gewerbebetriebes, nämlich der Herstellung und Reparatur von Kompassen, anfalle. Die Kompensierung der Kompasse könne auch nicht mit der Regulierung von Präzisionsinstrumenten verglichen werden, da es sich bei diesen nur um eine Regulierung der Mechanik handele. Die heute notwendige Spezialisierung einer Berufsgruppe schließe die eigene geistige Leistung im Sinne einer Technisierung nicht aus. Die Tätigkeit des Bf. diene in erster Linie der Sicherheit des Seeverkehrs und nicht den wirtschaftlichen Bedürfnissen. Seine Tätigkeit werde laufend von der Seeberufsgenossenschaft überwacht, die auf Grund des Gesetzes über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiete der Seeschiffahrt vom 22. November 1950 mit der Sicherung der Seeschiffahrt beauftragt sei. Dieser habe er sämtliche Atteste über die durchgeführten Kompensationen einzureichen; seine Tätigkeit liege damit im öffentlichen Interesse.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist begründet.

Das Finanzgericht hat das Gesamtbild der beruflichen Tätigkeit des Bf. verkannt, die als freiberufliche im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG anzusehen ist. Die Vorentscheidung war deshalb wegen Rechtsirrtums aufzuheben. Da die Vorentscheidung aus sachlichen Gründen aufzuheben war, braucht nicht erörtert zu werden, ob auch eine Aufhebung wegen wesentlicher Verfahrensmängel in Betracht gekommen wäre.

Das Finanzgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß eine freiberufliche Tätigkeit des Bf. nur dann in Betracht kommt, wenn seine Tätigkeit entweder einem der in § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG angeführten Berufe ähnlich ist, oder wenn eine "wissenschaftliche" Tätigkeit vorliegt. Ist die ähnlichkeit mit einem der angeführten Berufe zu bejahen, dann ist es nicht erforderlich, daß es sich um eine gehobene wissenschaftliche Tätigkeit handelt. Der Senat hat bereits im Urteil IV 601/55 U vom 27. September 1956 (Slg. Bd. 63 S. 357, Bundessteuerblatt - BStBl - 1956 III S. 334) ausgesprochen, daß ein allgemeiner Grundsatz aus der Vorschrift des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG nicht hergeleitet werden kann. Die in dieser Vorschrift angeführten freien Berufe haben gegenüber der entsprechenden Vorschrift im EStG 1925 eine erhebliche Erweiterung erfahren; sie führt nicht mehr nur akademische Berufe an, sondern auch Heilpraktiker, Dentisten und Buchsachverständige. Soweit "ähnliche" Berufe in Betracht kommen, muß zwar, wenn der zu vergleichende angeführte Beruf ein wissenschaftlicher Beruf ist, auch der andere Beruf auf einer wissenschaftlichen Grundlage beruhen. Das besagt aber nicht, daß in einem solchen Fall beide Berufe eine akademische Ausbildung voraussetzen, weil etwa der im Gesetz angeführte Vergleichsberuf ein akademischer ist.

Für die Berufstätigkeit des Bf. kommt ein Vergleich mit den im Gesetze angeführten Berufen eines Landmessers und eines Ingenieurs in Betracht. In beiden angeführten Berufen sind mathematische Kenntnisse wesentliche Voraussetzung für die Ausübung der beruflichen Tätigkeit. Insbesondere ist die Tätigkeit des Bf. mit der eines Elektroingenieurs insoweit verwandt, als elektromagnetische Kenntnisse vorhanden sein und praktisch angewendet werden müssen. Auch die Tätigkeit eines Ingenieurs beschränkt sich nicht auf konstruktive Arbeiten, sondern ist zum Teil eine überwachende und regulierende auf Grund der von ihm erworbenen fachwissenschaftlichen Kenntnisse. Sie muß auch insoweit als eine freiberufliche Tätigkeit anerkannt werden, wenn sie sich in den dem Träger eines freien Berufs gezogenen allgemeinen Grenzen hält.

Für die Annahme einer freiberuflichen Tätigkeit des Bf. spricht insbesondere auch der Umstand, daß seine Tätigkeit unmittelbar der allgemeinen Sicherheit im Schiffsverkehr dient und damit im öffentlichen Interesse liegt. Der Wahrung dieser Sicherheit dienen die von der Seeberufsgenossenschaft als einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erlassenen Unfallverhütungsvorschriften, auf denen die Tätigkeit des Bf. und seine Zulassung für seinen Beruf beruhen. Auch der Umstand, daß durch diese Vorschriften die Kompensierung von Kompassen in erster Linie dem Deutschen Hydrographischen Institut und erst zusätzlich auch anderen von der Seeberufsgenossenschaft anerkannten Stellen und Personen übertragen worden ist, spricht gegen die Annahme einer gewerblichen Betätigung. Soweit das Kompensieren von Kompassen durch Angehörige des Deutschen Hydrographischen Instituts ausgeübt wird, kann von einer gewerblichen Tätigkeit nicht die Rede sein. Soweit diese aber durch andere Personen ausgeübt wird, kann sie nur dann als eine solche angesehen werden, wenn sie unter Ausnutzung kaufmännischer oder handwerklicher Kenntnisse oder Fähigkeiten erfolgt (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 696 - 697/54 U vom 24. Januar 1957, Slg. Bd. 64 S. 279, BStBl 1957 III S. 106; vgl. auch Finanz-Rundschau 1954 S. 63). Eine handwerkliche Tätigkeit liegt bei dem Bf. jedenfalls nicht vor, da er weder mit der Aufstellung noch mit der Reparatur von Kompassen befaßt ist. Schließlich kann der Umstand, daß auch gewerblichen Betrieben diese Kompensierungen übertragen worden sind, zu keiner anderen Bedeutung führen. Einer freiberuflichen Tätigkeit kann ihre Anerkennung als solche nicht deshalb versagt werden, weil sie auch im Rahmen einer aus anderen Gründen gewerblichen Tätigkeit ausgeübt werden kann.

Unter Berücksichtigung aller Umstände muß deshalb die Tätigkeit des Bf. insbesondere als der eines Ingenieurs ähnlich beurteilt werden. Auch die Ausbildung eines Ingenieurs (mit Ausnahme der des Diplom-Ingenieurs) ist vielfach keine akademische; in einem gewissen Umfang ist nicht einmal die Ausbildung auf einer Fachschule erforderlich. § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG verlangt auch weder einen akademischen Beruf noch eine gehobene Tätigkeit (vgl. Information 1957 S. 130). Daneben ist, soweit bei der beruflichen Tätigkeit des Bf. ein Vermessen von Winkeln erforderlich ist, seine Tätigkeit der eines Landmessers ähnlich. Ein "ähnlicher Beruf" im Sinne der genannten Vorschrift ist immer dann gegeben, wenn dieser in wesentlichen Punkten mit einem oder mehreren der hier angeführten Berufe verglichen werden kann. Dies ist im Streitfall zu bejahen. Der Bf. war daher unter Aufhebung des Gewerbesteuermeßbescheides und des Gewerbesteuerbescheides für 1954 von der Gewerbesteuer freizustellen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408925

BStBl III 1958, 3

BFHE 1958, 4

BFHE 66, 4

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