Entscheidungsstichwort (Thema)

Vermögensmehrungen durch Anwachsung - keine Einstellung der freiberuflichen Tätigkeit bei Übertragung eines Teils eines Sozietätsanteils

 

Leitsatz (amtlich)

1. Steuerrechtlich sind die durch Anwachsungen eintretenden Vermögensmehrungen wie eine Anteilsübertragung zu behandeln.

2. § 18 Abs. 3 EStG findet auch Anwendung, wenn ein Freiberufler einen "Teil" seines Mitunternehmeranteils an einer freiberuflich tätigen Personengesellschaft veräußert.

3. In den unter Nr. 2 genannten Fällen ist die Einstellung der freiberuflichen Tätigkeit in dem bisherigen Wirkungskreis wenigstens für eine gewisse Zeit keine Voraussetzung für die Anwendung des § 18 Abs. 3 EStG.

 

Orientierungssatz

Abweichung von BFH-Urteil vom 7.11.1985 IV R 44/83.

 

Normenkette

EStG § 16 Abs. 1 Nr. 2, § 18 Abs. 3 S. 1, § 34 Abs. 1, 2 Nr. 1

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf (Entscheidung vom 29.09.1993; Aktenzeichen 11 K 543/89 F)

 

Tatbestand

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist von Beruf Wirtschaftsprüfer und Steuerberater. Er führte bis Ende 1984 eine Einzelpraxis. Zum 1. Januar 1985 begründete er mit dem Wirtschaftsprüfer und Steuerberater B eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), in der beide ihre freiberufliche Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungstätigkeit ausübten. Der Kläger hielt zunächst einen Gesellschaftsanteil im Umfang von 95 v.H. und B einen solchen in Höhe von 5 v.H. Zum 1. Juli 1987 veränderten der Kläger und B ihre Gesellschaftsanteile an der GbR dahingehend, daß der Kläger zu 2/3 und B zu 1/3 beteiligt waren. Für die Veränderung zahlte B an den Kläger ein Entgelt, das beim Kläger einen Veräußerungsgewinn in Höhe von 323 578 DM auslöste. Für diesen Gewinn beantragte er die Tarifermäßigung gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 1 des Einkommensteuerbescheids (EStG). Dem folgte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) nach Durchführung einer Betriebsprüfung nicht. Der Einspruch des Klägers gegen den Gewinnfeststellungsbescheid 1987 vom 28. Juni 1989 blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 30. August 1989).

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1994, 295, veröffentlicht.

Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung des § 18 Abs. 3 EStG.

Es beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Nach § 18 Abs. 3 Satz 1 EStG gehört zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit u.a. der Gewinn, der bei der Veräußerung eines Anteils am Vermögen erzielt wird, das der selbständigen Arbeit dient. Die Vorschrift ist dem § 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG nachgebildet (vgl. Stuhrmann in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 18 Rdnr.D 1). Sie bezieht sich deshalb auf Beteiligungen an freiberuflich tätigen Personengesellschaften (vgl. Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, 13. Aufl., § 18 Anm. 36; Sommer in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 18 Rdnr.217; Fitsch in Lademann/ Söffing, Einkommensteuergesetz, § 18 Rdnr.202; Frotscher, Einkommensteuergesetz, § 18 Rdnr.95; Stuhrmann, a.a.0., Rdnr.D 45 ff.). Dazu hat das FG in tatsächlicher Hinsicht und den erkennenden Senat bindend festgestellt (§ 118 Abs. 2 FGO), daß der Kläger bis zum 30. Juni 1987 an der GbR mit einem 95 v.H. umfassenden Gesellschaftsanteil beteiligt war. B hielt einen weiteren Anteil im Umfang von 5 v.H. Zum 1. Juli 1987 regelten der Kläger und B den Inhalt ihrer Gesellschaftsrechte an der GbR neu. Nach der Neuregelung machten die beiden Gesellschaftsanteile fortan 2/3 bzw. 1/3 aus. Dafür zahlte B an den Kläger ein Entgelt. Dieser Vorgang ist wirtschaftlich mit der Veräußerung eines Bruchteils am Anteil an einem Vermögen vergleichbar. Es handelt sich deshalb um eine Anteilsveräußerung i.S. des § 18 Abs. 3 Satz 1 EStG.

2. Der Gesellschafter einer Personengesellschaft hält gemäß § 718 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches gesellschaftsrechtlich gesehen immer nur einen Anteil am Gesellschaftsvermögen (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 24. August 1988 I R 216/84, BFHE 155, 146, BStBl II 1989, 48; vom 9. August 1989 I R 88/85, BFHE 158, 456, BStBl II 1990, 224). Dieser eine Anteil wird zwar nicht übertragen, wenn die Gesellschafter einer Personengesellschaft ihre künftige Beteiligung am Vermögen, am Gewinn und an den stillen Reserven der Personengesellschaft abweichend von dem bisher geltenden Gesellschaftsvertrag regeln. Vielmehr treten die mit der Neuregelung verbundenen Vermögensmehrungen und -minderungen bei den Gesellschaftern nach den Grundsätzen der An- und Abwachsung ein. Steuerrechtlich sind jedoch die durch Anwachsungen eintretenden Vermögensmehrungen wie eine Anteilsübertragung zu behandeln, weil die Anwachsung wirtschaftlich gesehen der Anteilsübertragung entspricht. Dies gilt unbeschadet der Tatsache, daß § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG auf Mitunternehmeranteile abstellt. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG hat auch jeder Mitunternehmer nur einen Mitunternehmeranteil. Der Mitunternehmer, der in die Abwachsung seiner Beteiligung einwilligt, verliert in der Regel Teile seiner bisherigen Vermögensposition. Dieser Vorgang ist steuerrechtlich wie eine Veräußerung zu behandeln, wenn er zu einer Vermögensanwachsung bei einem anderen Gesellschafter führt und dieser dafür ein Entgelt zahlt. § 18 Abs. 3 EStG findet auch auf einen solchen Vorgang Anwendung. Zwar setzt die Vorschrift voraus, daß ein Mitunternehmeranteil veräußert wird. Die Rechtsprechung hat sie aber auch dann angewendet, wenn nur der "Teil" eines Mitunternehmeranteils auf einen neu eintretenden Gesellschafter übertragen wird oder im Wege der Anwachsung auf einen "Alt"-Gesellschafter übergeht (vgl. BFH-Urteile vom 27. Mai 1981 I R 123/77, BFHE 133, 412, BStBl II 1982, 211; vom 15. Juli 1986 VIII R 154/85, BFHE 147, 334, BStBl II 1986, 896; vom 24. August 1989 IV R 67/86, BFHE 158, 329, BStBl II 1990, 132; vom 6. November 1991 XI R 41/88, BFHE 166, 212, BStBl II 1992, 335). An dieser Rechtsprechung wird zwar Kritik geübt (vgl. Mittmann, Deutsche Steuer-Zeitung 1989, 473). Der Senat hält an ihr aber schon aus Gründen der Rechtssicherheit fest.

3. Zwar hat der IV.Senat in seinem Urteil vom 7. November 1985 IV R 44/83 (BFHE 145, 522, BStBl II 1986, 335) entschieden, daß § 18 Abs. 3 EStG die Einstellung der freiberuflichen Tätigkeit in dem bisherigen örtlichen Wirkungskreis wenigstens für eine gewisse Zeit voraussetzt. An dieser Rechtsauffassung kann jedoch nicht festgehalten werden. Der erkennende Senat hat schon im Urteil in BFHE 133, 412, BStBl II 1982, 211 entschieden, daß dann, wenn die Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft einen Bruchteil ihres Festkapitalkontos an einen neu eintretenden Gesellschafter übertragen, § 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG anzuwenden ist. Im Urteil vom 23. Mai 1985 IV R 210/83 (BFHE 144, 220, BStBl II 1985, 695) hat der IV.Senat des BFH diese Rechtsauffassung auf § 18 Abs. 3 EStG übertragen. Er hat die entgeltliche Aufnahme eines weiteren Gesellschafters in eine bereits bestehende und freiberuflich tätige Personengesellschaft unter dem Gesichtspunkt des § 22 Abs. 3 des Gesetzes über steuerliche Maßnahmen bei Änderung der Unternehmensform (UmwStG) 1969 i.V.m. § 34 Abs. 1 EStG beurteilt und ausdrücklich anerkannt, daß ein auszuweisender Buchgewinn unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Veräußerung eines "Mitunternehmeranteils" tarifbegünstigt ist (§ 18 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 1 Nr. 2 und § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 1 EStG). In der Entscheidung wird die Einstellung der freiberuflichen Tätigkeit nicht gefordert. In ähnlicher Weise hat der IV.Senat im Urteil vom 13. Dezember 1979 IV R 69/74 (BFHE 129, 380, BStBl II 1980, 239) auf die Einbringung einer freiberuflichen Praxis in eine Personengesellschaft § 22 UmwStG 1969 (= § 24 UmwStG 1977) angewendet. Er hat einen steuerbegünstigten Veräußerungsgewinn i.S. des § 18 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 2 Satz 2 EStG angenommen, weil die übernehmende Personengesellschaft das eingebrachte Betriebsvermögen mit dem Teilwert bewertet hatte. Dann aber muß Entsprechendes gelten, wenn innerhalb einer bereits bestehenden Personengesellschaft (Sozietät) "Teile von Mitunternehmeranteilen" durch Anwachsung entgeltlich übertragen werden. Die Übertragung muß in allen denkbaren Fallgestaltungen steuerlich gleichbehandelt werden. Dann aber kann in diesen Fällen auf die Einstellung der freiberuflichen Tätigkeit in dem bisherigen örtlich begrenzten Wirkungskreis nicht abgestellt werden. Die Überleitung des Mandantenvertrauens innerhalb einer Personengesellschaft ist auch dann sichergestellt, wenn "Teile von Mitunternehmeranteilen" durch Anwachsung zwischen den Gesellschaftern übertragen werden. Der erwerbende Gesellschafter partizipiert in einem größeren Umfang als vorher an dem Mandantenvertrauen. Dies rechtfertigt die Anwendung des § 18 Abs. 3 EStG.

4. Zwar weicht der erkennende Senat mit seiner Entscheidung von dem Urteil in BFHE 145, 522, BStBl II 1986, 335 ab. Einer Anrufung des Großen Senats bedarf es jedoch nicht, weil der IV.Senat auf Anfrage erklärt hat, der Abweichung zuzustimmen (§ 11 Abs. 3 Satz 1 FGO).

Die Vorentscheidung entspricht im Ergebnis den hier wiedergegebenen Rechtsgrundsätzen. Sie verletzt deshalb kein Bundesrecht. Entsprechend ist die Revision unbegründet. Sie war zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 64937

BStBl II 1995, 407

BFHE 176, 520

BFHE 1995, 520

BB 1995, 910

BB 1995, 910-911 (LT)

DB 1995, 960-961 (LT)

DStR 1995, 641-642 (KT)

DStZ 1995, 440 (KT)

HFR 1995, 395 (LT)

StE 1995, 279 (K)

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