Entscheidungsstichwort (Thema)

Prozeßzinsen

 

Leitsatz (NV)

Wird ein Grundlagenbescheid, der während eines Klageverfahrens ergeht und der zur Herabsetzung der Folgesteuer führt, zum Gegenstand des Verfahrens erklärt, so sind noch keine Prozeßzinsen für den zu erstattenden Betrag festzusetzen.

 

Normenkette

AO 1977 § 236 Abs. 2 Nr. 2a

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betrieb bis 1985 gemeinsam mit dem Steuerberater X eine Steuerberatersozietät. Der Kläger und Herr X erhoben Klage gegen den Gewinnfeststellungsbescheid für 1985. Während des Klageverfahrens entsprach der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) teilweise dem Begehren des Klägers und stellte mit geändertem Gewinnfeststellungsbescheid für den Kläger einen Verlust fest, der zu Steuererstattungen von ca. 80000 DM führte. Den geänderten Gewinnfeststellungsbescheid machte der Kläger gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens.

Der Kläger beantragte die Festsetzung von Prozeßzinsen. Das FA lehnte diesen Antrag ab, weil der geänderte Gewinnfeststellungsbescheid zum Gegenstand des Klageverfahrens geworden und über ihn somit noch nicht endgültig entschieden sei.

Die vom Kläger erhobene Sprungklage hatte Erfolg. Die Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1993, 363 veröffentlicht.

Das FA hat Revision eingelegt und beantragt, das Urteil des Finanzgerichts (FG) aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Entscheidung des FG verletze § 236 der Abgabenordnung (AO 1977), weil der Rechtsstreit sich aufgrund des Antrags nach § 68 FGO noch nicht erledigt habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Ein Anspruch auf Prozeßzinsen setzt tatbestandsmäßig voraus, daß

- durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder aufgrund einer solchen Entscheidung eine festgesetzte Steuer herabgesetzt oder eine Steuervergütung gewährt wird (§ 236 Abs. 1 AO 1977)

oder

- sich der Rechtsstreit durch Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts oder durch Erlaß des beantragten Verwaltungsakts erledigt (§ 236 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977)

oder

- eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder ein unanfechtbarer Verwaltungsakt, durch den sich der Rechtsstreit erledigt hat, zur Herabsetzung der in einem Folgebescheid festgesetzten Steuer oder zur Herabsetzung der Gewerbesteuer nach Änderung des Gewerbesteuermeßbetrages führt (§ 236 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und b AO 1977)

und

- dem Kläger nicht die Kosten des Rechtsbehelfs nach § 137 Satz 1 FGO auferlegt worden sind (§ 236 Abs. 3 AO 1977).

Da Gegenstand des Hauptsacheverfahrens ein Grundlagenbescheid i.S. des § 171 Abs. 10 AO 1977 ist (vgl. § 182 Abs. 1 AO 1977), kommt als Rechtsgrundlage für eine Verzinsung ausschließlich § 236 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 in Betracht. Die Tatbestandsvoraussetzungen hierfür sind im Streitfall jedoch nicht erfüllt.

Eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung, die zur Herabsetzung der Einkommensteuer geführt hat, liegt (noch) nicht vor.

Es fehlt aber auch an einem unanfechtbaren Verwaltungsakt, durch den sich der Rechtsstreit in Sachen Gewinnfeststellung erledigt hat. Der Senat kann offenlassen, ob und unter welchen Voraussetzungen in Anlehnung an die Entscheidung des Großen Senats vom 23. Oktober 1989 GrS 2/87 (BFHE 159, 4, BStBl II 1990, 327) Teilabhilfebescheide, die während des Klageverfahrens ergehen, teilweise bestandskräftig und damit trotz der Regelung in § 157 Abs. 2 AO 1977 insoweit unanfechtbar werden können. Ein Teilabhilfebescheid, der nach § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens erklärt wird, erledigt - selbst wenn er teilweise unanfechtbar sein sollte - nicht den Rechtsstreit i.S. des § 236 Abs. 2 Nr. 2a AO 1977.

Der Begriff Erledigung des Rechtsstreits ist ein prozessualer (vgl. §§ 74, 79 Abs. 1, 138 FGO) und ist daher auch bei Auslegung des § 236 Abs. 2 AO 1977 prozeßrechtlich zu verstehen. Eine Erledigung des Rechtsstreits setzt die Beendigung der Rechtshängigkeit (§ 66 FGO) der Klage voraus. Diese endet mit der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung, der Erledigung der Hauptsache oder der Rücknahme der Klage (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 66 FGO Tz. 1 a.E.). Der Erlaß eines Teilabhilfebescheids beendet nicht den Rechtsstreit, wenn der Kläger diesen gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens erklärt. Nach Erlaß eines Teilabhilfebescheides ist der Rechtsstreit nur erledigt, wenn die Beteiligten übereinstimmend die Hauptsache für erledigt erklären (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 3. Mai 1990 VII R 91/89, BFH/NV 1991, 107 m.w.N.) oder der Änderungsbescheid mangels Erklärung nach § 68 FGO oder Einspruchseinlegung bestandskräftig wird (vgl. BFH-Urteil vom 29. Januar 1970 IV 162/65, BFHE 99, 157, BStBl II 1970, 623).

Von der Notwendigkeit einer prozessualen Erledigung des Klageverfahrens geht auch § 236 Abs. 3 AO 1977 aus. Danach wird ein zu erstattender oder zu vergütender Anspruch nicht verzinst, soweit den Beteiligten die Kosten des Verfahrens nach § 137 Satz 1 FGO auferlegt werden. § 236 Abs. 3 AO 1977 setzt daher eine Kostenentscheidung voraus. Eine Kostenentscheidung bezüglich eines erledigten Teils des Streitgegenstandes (vgl. hierzu § 65 Abs. 1 FGO: Gegenstand des Klagebegehrens) ist unzulässig (vgl. z.B. BFH-Beschluß vom 13. Juli 1989 IV B 44/88, BFH/NV 1990, 247).

Die gegenteilige vom FG vertretene Auffassung (vgl. auch Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 236 Anm. 3; Schwarz, Abgabenordnung, § 236 Rdnr. 6) verkennt die selbständige Bedeutung des Tatbestandmerkmals der Erledigung des Rechtsstreits. § 236 AO 1977 entspricht wörtlich § 4b des Steuersäumnisgesetzes (StSäumG), der wiederum an die Stelle des § 111 FGO i.d.F. vom 6. Oktober 1965 (BGBl I 1965, 1477, BStBl I 1965, 564) trat. Während es nach § 111 FGO a.F. für eine Verzinsung genügte, daß ein rechtskräftiger Verwaltungsakt oder eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung zu einer Herabsetzung der festgesetzten Abgabenschuld führten, setzen § 4b StSäumG und § 236 Abs. 2 AO 1977 neben dem Ergehen eines Verwaltungsaktes voraus, daß dieser den Rechtsstreit erledigt. Dieser Ergänzung des gesetzlichen Tatbestandes muß eine dem objektiven Wortlaut entsprechende Bedeutung beigemessen werden, auch wenn in der Gesetzesbegründung (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Dritten Gesetz zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes, BTDrucks 7/2852) die gegenüber § 111 FGO a.F. einschränkende Gesetzesfassung nicht besonders hervorgehoben wird.

Für eine Analogie des § 236 Abs. 2 AO 1977 ist mangels Gesetzeslücke kein Raum. Der zu erstattende oder zu vergütende Anspruch wird unter den gesetzlichen Voraussetzungen auch dann verzinst, wenn der Kläger den Teilabhilfebescheid zum Gegenstand des Verfahrens erklärt. Der Anspruch auf Prozeßzinsen entsteht allerdings erst, wenn ein rechtskräftiges Urteil über den nach § 68 FGO übergeleiteten Bescheid vorliegt oder sich der Rechtsstreit in anderer Weise gemäß § 236 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 erledigt. Dem Nachteil der zeitlich verzögerten Verzinsung steht der Vorteil einer beschleunigten Entscheidung über das gesamte Klagebegehren gegenüber.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419324

BFH/NV 1994, 438

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