Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung von Prozeßerklärungen; hier: Inhalt der Klageschrift

 

Leitsatz (NV)

1. Die Ermittlung derjenigen Person, die die Klage erhoben hat, ist eine Frage der Auslegung der in der Klageschrift verkörperten Prozeßhandlung. Auch Prozeßhandlungen sind der Auslegung grundsätzlich zugänglich, wobei die für die Auslegung von Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts entwickelten Grundsätze auf die Auslegung von Prozeßhandlungen der Parteien entsprechend anwendbar sind. Es ist analog § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks der Parteierklärungen zu haften, sondern es ist der in der Erklärung verkörperte Wille anhand der erkennbaren Umstände zu ermitteln (vgl. BFH-Urteile vom 6. Februar 1979 VII R 82/78, BFHE 127, 135, BStBl II 1979, 374, und in BFH/NV 1988, 503).

2. Erklärungen und Prozeßhandlungen, die erst nach Ablauf der Klagefrist abgegeben bzw. vorgenommen wurden, können auf ein zwischen zwei bestimmten Beteiligten einmal entstandenes Prozeßrechtsverhältnis keine Auswirkungen mehr haben und müssen deshalb bei der Auslegung der Klageschrift unberücksichtigt bleiben.

3. Das Revisionsgericht ist bei der Beurteilung von Prozeßerklärungen nicht an die Auffassung der Tatsacheninstanz gebunden; vielmehr gehört es zu den Aufgaben des Revisionsgerichts, Prozeßhandlungen, insbesondere Prozeßerklärungen auf ihren Inhalt und auf ihre Bedeutung nachzuprüfen (vgl. BFH-Urteile vom 20. Juni 1984 I R 22/80, BFHE 142, 32, BStBl II 1985, 5, und vom 13. Mai 1987 II R 196/84, BFH/NV 1988, 503).

 

Normenkette

AO 1977 § 122 Abs. 1; BGB § 133; VwZG § 7 Abs. 3

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf

 

Tatbestand

Die Revisionsbeklagten zu 1 bis 3 sowie A erwarben in Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) im Jahre 1981 vierzig Eigentumswohnungen zum Kaufpreis von ... DM. Wegen dieses Erwerbsvorgangs setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) gegen die GbR, bestehend aus den Revisionsbeklagten zu 1 bis 3 sowie A, durch Bescheid vom 3. Dezember 1984 Grunderwerbsteuer in Höhe von ... DM fest. Der an die GbR unter namentlicher Bezeichnung der vier Gesellschafter gerichtete Bescheid wurde den Revisionsbeklagten zu 1 bis 3, nicht jedoch A, der zwischenzeitlich ins Ausland verzogen war, bekanntgegeben.

Der Einspruch, mit dem die GbR geltend machte, der Kaufvertrag über die vierzig Eigentumswohnungen sei am 28. April 1983 aufgehoben worden, blieb ohne Erfolg. Das FA vertrat insoweit in seiner Einspruchsentscheidung vom 6. November 1985 die Auffassung, der Grundstückskaufvertrag sei nur formal aufgehoben, nicht aber i. S. von § 16 Abs. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) 1983 wirksam rückgängig gemacht worden. Die Verkäuferin der Eigentumswohnungen habe trotz formaler Aufhebung des Grundstückskaufvertrages ihr Verfügungsrecht nicht wiedererlangt, da noch am selben Tage (28. April 1983) erneut ein Kaufvertrag über die vierzig Eigentumswohnungen zu den gleichen Bedingungen mit den Revisionsbeklagten zu 1 bis 3 unter Hinweis auf den bereits gezahlten Kaufpreis abgeschlossen worden sei.

Hiergegen haben die Revisionsbeklagten zu 1 bis 3 sowie A "in Gesellschaft bürgerlichen Rechts" unter Hinweis auf die gegen die GbR ergangene Steuerfestsetzung sowie die an die GbR gerichtete Einspruchsentscheidung Klage erhoben. Verfasser der Klageschrift war der jetzige Prozeßbevollmächtigte der Revisionsbeklagten zu 1 bis 3. Dieser überreichte nach Ablauf der Klagefrist dem Finanzgericht (FG) eine Vollmacht der Revisionsbeklagten "zu 1. -- zu 3." zu und nahm "in Ansehung des Klägers zu 4" (A) die Klage zurück. Daraufhin beschloß das FG, die Klage des A verfahrensmäßig abzutrennen und das Verfahren insoweit einzustellen. Im weiteren Verlauf des finanzgerichtlichen Verfahrens behandelte das FG die Klage nicht mehr als Klage der GbR, sondern als persönliche Klage der Revisionsbeklagten zu 1 bis 3. In seinem Urteil, mit dem das FG den Grunderwerbsteuerbescheid vom 3. Dezember 1984 und die Einspruchsentscheidung vom 6. November 1985 aufgehoben hat, wird insoweit ausgeführt, die Klageschrift lasse eine Auslegung dahingehend zu, daß die Klage nicht ausschließlich für die GbR, sondern für alle ehemaligen Gesellschafter der GbR habe erhoben werden sollen. Denn im Text der Klageschrift sei "nur von den Klägern, aber nicht von der Klägerin die Rede". Eine solche Auslegung entspreche auch dem wirklichen Willen der Revisionsbeklagten zu 1 bis 3, der darin zum Ausdruck komme, daß die Klage des ehemaligen Gesellschafters A zurückgenommen worden sei.

Da die angefochtene Grunderwerbsteuerfestsetzung der GbR mangels Zustellung an alle Gesellschafter nicht wirksam bekanntgegeben worden sei, hätten die Revisionsbeklagten zu 1 bis 3 zur Beseitigung des durch die Bekanntgabe der unwirksamen Steuerfestsetzung an sie erzeugten Rechtsscheins einen Anspruch auf Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheides und der Einspruchsentscheidung.

Hiergegen richtet sich die Revision des FA. Dieses rügt fehlerhafte Anwendung von § 122 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) i. V. m. § 7 Abs. 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG). Das FG habe ferner die Grundsätze der fortbestehenden Grunderwerbsteuerrechtsfähigkeit einer GbR nicht beachtet.

Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Revisionsbeklagten zu 1 bis 3 beantragen, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben, weil das FG den Inhalt der Klageschrift falsch ausgelegt und rechtsfehlerhaft angenommen hat, Klägerin sei nicht die GbR, bestehend aus den Revisionsbeklagten zu 1 bis 3 und A, sondern die Revisionsbeklagten zu 1 bis 3 seien persönlich als Kläger anzusehen. Damit hat das FG über das tatsächliche Klagebegehren der GbR nicht entschieden. Das Revisionsgericht ist bei der Beurteilung von Prozeßerklärungen nicht an die Auffassung der Tatsacheninstanz gebunden; vielmehr gehört es zu den Aufgaben des Revisionsgerichts, Prozeßhandlungen, insbesondere Prozeßerklärungen, auf ihren Inhalt und auf ihre Bedeutung nachzuprüfen (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 20. Juni 1984 I R 22/80, BFHE 142, 32, BStBl II 1985, 5, und vom 13. Mai 1987 II R 196/84, BFH/NV 1988, 503).

Der Senat vermag der Auffassung des FG nicht zu folgen, die Klageschrift lasse eine Auslegung dahingehend zu, daß Kläger alle ehemaligen Gesellschafter der GbR sind. Die Ermittlung derjenigen Person, die die Klage erhoben hat, ist eine Frage der Auslegung der in der Klageschrift verkörperten Prozeßhandlung. Auch Prozeßhandlungen sind der Auslegung grundsätzlich zugänglich, wobei die für die Auslegung von Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts entwickelten Grundsätze auf die Auslegung von Prozeßhandlungen der Parteien entsprechend anwendbar sind. Es ist daher analog § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks der Parteierklärungen zu haften, sondern es ist der in der Erklärung verkörperte Wille anhand der erkennbaren Umstände zu ermitteln (vgl. BFH-Urteile vom 6. Februar 1979 VII R 82/78, BFHE 127, 135, BStBl II 1979, 374, und in BFH/NV 1988, 503).

Die Klageschrift läßt eine Auslegung im Sinne des FG schon ihrem Wortlaut nach nicht zu. Danach sollte es sich um eine "Klage der Revisionsbeklagten zu 1 bis 3 und A in Gesellschaft bürgerlichen Rechts" handeln. Die Revisionsbeklagten zu 1 bis 3 sowie A sollten somit nicht persönlich, sondern in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit, d. h. die GbR als Kläger, angesprochen werden. Daß die GbR und nicht die Gesellschafter als solche Kläger sein sollten, ergibt sich auch aus den erkennbaren Umständen, insbesondere aus dem Hinweis auf den Grunderwerbsteuerbescheid und die Einspruchsentscheidung, die beide an die GbR als Inhaltsadressaten gerichtet waren. Die Revisionsbeklagten zu 1 bis 3 als solche waren weder am vorangegangenen Besteuerungs- noch am Einspruchsverfahren beteiligt. Entgegen der Auffassung des FG spricht auch die Verwendung der Bezeichnung "Kläger" in der Klageschrift nicht dafür, daß als Kläger die Gesellschafter persönlich angesprochen werden sollten. Vielmehr ist dies nur die sprachliche Konsequenz aus dem Umstand, daß der Prozeßbevollmächtigte die Revisionsbeklagten zu 1 bis 3 und A als Kläger "in Gesellschaft bürgerlichen Rechts" bezeichnet und damit eindeutig zum Ausdruck gebracht hat, daß die Kläger eben nicht persönlich, sondern in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit, d. h. als GbR, angesprochen werden sollten.

Soweit das FG zur Ermittlung des wirklichen Willens der Revisionsbeklagten zu 1 bis 3 auf Erklärungen und Prozeßhandlungen zurückgegriffen hat, die erst nach Ablauf der Klagefrist abgegeben bzw. vorgenommen wurden, hat es verkannt, daß derartige Erklärungen -- nach Ablauf der Klagefrist -- auf ein zwischen zwei bestimmten Beteiligten einmal entstandenes Prozeßrechtsverhältnis keine Auswirkungen mehr haben können und deshalb bei der Auslegung der Klageschrift unberücksichtigt bleiben müssen. Die Rücknahme der für den Gesellschafter A erhobenen Klage durfte deshalb vom FG nicht zur Auslegung der Klageschrift herangezogen werden.

Da Klägerin die GbR bestehend aus den Revisionsbeklagten zu 1 bis 3 und A ist, und das FG auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung das Klagebegehren der GbR nicht rechtlich und tatsächlich geprüft hat, ist die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Das FG wird dabei im zweiten Rechtsgang zunächst zu prüfen haben, ob der Prozeßbevollmächtigte der Revisionsbeklagten zu 1 bis 3 durch die Vorlage der nur von den Revisionsbeklagten zu 1 bis 3 unterschriebenen Vollmacht als Prozeßbevollmächtigter der GbR, bestehend aus den Revisionsbeklagten zu 1 bis 3 und A, ausreichend legitimiert ist. Bei der Prüfung der Frage der Wirksamkeit der Bekanntgabe des Steuerbescheids hat das FG die Vorschriften über die Bekanntgabe von Verwaltungsakten an nicht rechtsfähige Personenvereinigungen (§ 122 Abs. 1 Satz 2, § 34 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 sowie § 7 Abs. 3 VwZG) zu beachten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420798

BFH/NV 1996, 142

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