Entscheidungsstichwort (Thema)

Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO

 

Leitsatz (NV)

Es ist regelmäßig geboten, daß das Finanzgericht den Streit um die Rechtmäßigkeit eines Folgebescheids aussetzt, solange noch unklar ist, ob und wie der angefochtene Grundlagenbescheid geändert wird.

 

Normenkette

FGO § 74; EStG § 10d

 

Tatbestand

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erkannte im Einkommensteuerbescheid 1973 vom 1. Dezember 1977 Werbungskosten aus Vermietung und Verpachtung, die der Kläger und Revisionskläger (Kläger) in seiner Einkommensteuererklärung geltend gemacht hatte, in Höhe eines Teilbetrags von 2 267,79 DM nicht an. Außerdem lehnte das FA den Abzug eines Verlusts aus selbständiger Arbeit in Höhe von 80 193 DM ab, den der Kläger im Jahre 1972 aus seiner Beteiligung an dem Ingenieurbüro E. und B. Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GdbR) erzielt hatte. Der Einspruch blieb erfolglos.

Das für die einheitliche und gesonderte Feststellung zuständige FA E hatte im Gewinnfeststellungsbescheid 1972 vom 16. September 1975 dem Kläger einen Verlust in Höhe von 88 126 DM zugewiesen. Der Bescheid enthielt weder Feststellungen über die Art der Gewinnermittlung noch über die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung.

Vor Abschluß des Klageverfahrens gegen den Einkommensteuerbescheid 1973 erließ das FA E am 5. März 1982 einen Ergänzungsbescheid, in dem festgestellt wird, daß die GdbR ihren Gewinn nicht nach § 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) oder § 5 EStG aufgrund ordnungsgemäßer Buchführung, sondern nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelte. Hiergegen erhob der Kläger am 27. März 1982 Einspruch.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 1973 mit Urteil vom 21. April 1982 ab. Im Hinblick auf die Versagung des Verlustabzugs führte es im wesentlichen aus, daß der Ergänzungsbescheid vom 5. März 1982 trotz des hiergegen vom Kläger erhobenen Einspruchs nach § 182 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) Bindungswirkung entfalte und deshalb den angefochtenen Einkommensteuerbescheid rechtfertige.

Mit der Revision macht der Kläger u. a. geltend, daß das FG gegen seine Pflicht zur Aussetzung der Verhandlung (§ 74 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) verstoßen habe. Da im Falle der Aufhebung des Ergänzungsbescheids nicht mehr eingewendet werden könne, daß die Gewinnermittlung der GdbR nicht auf ordnungsgemäßer Buchführug beruhe, handle es sich insoweit um einen vorgreiflichen Rechtsstreit.

Der Kläger beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Nach Rückfrage des Vorsitzenden des erkennenden Senats hat der Kläger mitgeteilt, daß das FG in der zwischenzeitlich anhängigen Streitsache betreffend den Ergänzungsbescheid vom 5. März 1982 das Ruhen des Verfahrens (§ 155 FGO i. V. m. § 251 der Zivilprozeßordnung - ZPO -) angeordnet habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Nach § 74 FGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei. Die Entscheidung über die Aussetzung steht grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. Da nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) die Klage gegen einen Folgebescheid jedoch auch insoweit zulässig ist, als Einwendungen gegen den Grundlagenbescheid erhoben werden und eine zunächst unbegründete Klage durch eine Änderung oder Ergänzung des Grundlagenbescheids begründet werden kann, ist es regelmäßig geboten und zweckmäßig, daß das FG den Streit um die Rechtmäßigkeit des Folgebescheids aussetzt, solange noch unklar ist, ob und wie der angefochtene Grundlagenbescheid geändert wird (Beschlüsse vom 27. September 1972 I B 27/72, BFHE 107, 8, BStBl II 1973, 24; vom 1. Juli 1977 III R 104-106/76, nicht veröffentlicht - NV -; Urteile vom 24. April 1979 VIII R 57/76, BFHE 128, 136, BStBl II 1979, 678, und vom 2. September 1987 I R 162/84, BFHE 151, 104, BStBl II 1988, 142). Dies gilt ungeachtet der Neuregelung des § 155 Abs. 2 AO 1977 (vgl. hierzu BFH-Beschluß vom 24. Februar 1981 VIII B 14/78, BFHE 132, 402, BStBl II 1981, 416; BFH-Urteil vom 26. Juli 1983 VIII R 28/79, BFHE 139, 335, BStBl II 1984, 290) auch dann, wenn die Finanzbehörde zunächst einen Steuerbescheid erlassen hat und in der Folge der Feststellungsbescheid nachgeholt oder - wie im Streitfall - ergänzt wird (BFH-Urteile vom 26. Juli 1984 IV R 13/84, BFHE 142, 96, BStBl II 1985, 3; vom 12. Dezember 1985 IV R 82/83, BFH/NV 1987, 549; vom 3. Februar 1976 VIII R 29/71, BFHE 118, 135, BStBl II 1976, 396).

2. Das FG hat die Vorgreiflichkeit des Verfahrens über die einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte aus selbständiger Arbeit (§ 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977) nicht beachtet, indem es über die Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 1973 entschied, bevor das Einspruchsverfahren und das sich daran anschließende finanzgerichtliche Klageverfahren gegen den Ergänzungsbescheid vom 5. März 1982 abgeschlossen war (BFHE 128, 136, BStBl II 1979, 678). Denn der Regelungsgehalt des Ergänzungsbescheids, in dem das FA E feststellte, daß der Gewinn der GdbR nicht aufgrund ordnungsgemäßer Buchführung nach den §§ 4 Abs. 1 oder 5 EStG, sondern nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt wurde, ist für die Entscheidung über die in der Revisionsinstanz anhängige Klage insoweit vorgreiflich, als im Falle seiner Geltungskraft dem Kläger ein Verlustabzug nach § 10 d EStG nicht zustünde.

Gemäß § 10 d EStG in der bis 1974 geltenden Fassung wird ein Verlustabzug nur Steuerpflichtigen gewährt, die ihren Gewinn nach den §§ 4 Abs. 1 oder 5 EStG aufgrund ordnungsgemäßer Buchführung ermittelten. War der Gewinn einheitlich und gesondert festzustellen, ist Gegenstand des Feststellungsverfahrens auch die Beurteilung der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung (BFH-Urteil vom 28. Oktober 1981 I R 115/78, BFHE 135, 1, BStBl II 1982, 485, m. w. N.). Gleiches gilt gegenüber der insofern vorrangigen Frage, ob eine GdbR, die Einkünfte aus selbständiger Arbeit erzielt (BFH-Beschluß vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751), den Gewinn nach Einnahme-Überschuß-Grundsätzen (§ 4 Abs. 3 EStG) oder auf der Grundlage eines Betriebsvermögensvergleichs (§ 4 Abs. 1 EStG) ermittelte. Zur Vermeidung widersprechender Entscheidungen kann auch diese Feststellung nur allen Beteiligten gegenüber einheitlich getroffen werden.

Sind Feststellungen über die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung oder die Gewinnermittlungsart unterblieben, so können sie gemäß § 179 Abs. 3 AO 1977 (= § 216 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung) Gegenstand eines Ergänzungsbescheids sein (Urteil in BFHE 135, 1, BStBl II 1982, 485). Ob dieser im Streitfall zu Recht erging, also insbesondere der Gewinnfeststellungsbescheid lückenhaft war (BFH-Urteile vom 24. Juli 1984 VIII R 304/81, BFHE 141, 485, BStBl II 1984, 785; vom 13. April 1978 IV R 91/74, BFHE 125, 29, BStBl II 1978, 479), ist nicht im anhängigen Rechtsstreit, sondern im Verfahren über den Ergänzungsbescheid zu entscheiden (BFH-Urteil vom 14. Oktober 1987 I R 381/83, NV).

 

Fundstellen

Haufe-Index 415836

BFH/NV 1989, 181

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