Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Sonstiges Arbeitsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Die Finanzämter und die Steuergerichte haben bei Abfindungen, die in Vergleichen zwischen einem Arbeitgeber und einem Arbeitnehmer über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschlossen werden, von sich aus nachzuprüfen, ob die Voraussetzungen für eine Abfindung nach §§ 7, 8 KSchG vorgelegen haben.

Erhält ein Arbeitnehmer auf Grund eines mit seinem Arbeitgeber geschlossenen Vergleichs den Betrag, der seinem laufenden Gehalt bis zur vertragsmäßigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses entspricht, so liegt keine steuerfreie Entlassungsentschädigung, sondern steuerpflichtiger Arbeitslohn vor.

 

Normenkette

EStG § 3 Ziff. 9; LStDV § 6 Ziff. 7; KSchG §§ 7-8

 

Tatbestand

Der Steuerpflichtige (Stpfl.) war seit dem 1. Januar 1957 Redakteur und Leiter der Lokal- und Bezirksredaktion einer Bezirksausgabe einer Zeitung mit einem Bruttogehalt von 1.191 DM monatlich. Am 20. Januar 1961 wurde die Redaktion in zwei selbständige Ressorts aufgeteilt, um Unzuträglichkeiten der internen Zusammenarbeit dieser Redaktion zu beenden. Der Stpfl. sollte nur noch eines der beiden Ressorts leiten. Hiergegen erhob er Klage beim Arbeitsgericht. Seine Arbeitgeberin, eine GmbH, suspendierte ihn daraufhin vom Dienst. Mit Schreiben vom 16. März 1961 forderte sie ihn auf, eine kleinere Redaktion in einem anderen Ort zu übernehmen. Der Stpfl. lehnte dies ab und erklärte sich zur Wiederaufnahme der Arbeit bei seiner bisherigen Arbeitsstelle bereit. Die Arbeitgeberin entliess ihn jedoch am 24. März 1961 fristlos. Auf die vom Stpfl. beim Arbeitsgericht erhobene Klage erklärte dieses die fristlose Entlassung für rechtsunwirksam, bestätigte aber gleichzeitig die Wirksamkeit der inzwischen ausgesprochenen fristgemäßen Kündigung zum 30. September 1961 mit der Begründung, der Stpfl. habe die Klage gegen diese Kündigung verspätet erhoben. Der Stpfl. und die GmbH fochten dieses Urteil an. Unter Widerrufsvorbehalt schlossen beide beim Landesarbeitsgericht einen Vergleich, in dem das Ausscheiden des Stpfl. zum 30. September 1961 und die Zahlung des rückständigen Gehalts in Gestalt einer Abfindung von 7.288,70 DM vereinbart wurden. Die GmbH widerrief diesen Vergleich. Am 4. Dezember 1961 kam beim Landesarbeitsgericht ein zweiter Vergleich zustande, in dem das Ausscheiden des Stpfl. zum 31. März 1961 vereinbart wurde und die GmbH sich zur Abgeltung aller gegenseitigen Ansprüche zur Zahlung einer Abfindung von 6.700 DM verpflichtete. Die GmbH behielt bei der Auszahlung dieses Betrags keine Lohnsteuer ein. Als das Finanzamt (FA) dies bei einer Lohnsteuerprüfung feststellte, forderte es vom Stpfl. 1.332 DM Lohnsteuer nach. Sein Einspruch hiergegen hatte keinen Erfolg.

Auf die Klage des Stpfl. hob das Finanzgericht (FG) den Lohnsteuernachforderungsbescheid auf bis auf einen Betrag von 24 DM. Das FG nahm an, daß es sich bei der streitigen Zahlung an den Stpfl. um eine nach § 3 Ziff. 9 EStG 1961 (§ 6 Ziff 6 LStDV steuerfreie Abfindung im Sinne von § 7 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) handle, die ihrer Natur nach kein Arbeitslohn, sondern eine Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes sei. Der Wortlaut des Vergleichs, nach dem die Zahlung zur Abgeltung aller gegenseitigen Ansprüche der Parteien aus dem beendeten Arbeitsverhältnis bestimmt sei, lasse zwar die Auslegung zu, daß dieser Betrag eine Gehaltsnachzahlung sei. Das treffe aber nur hinsichtlich eines Teilbetrags von 142,70 DM zu, da insoweit ein Restgehalt für den Monat März 1961 nachgezahlt worden sei. In dem Vergleich sei das Arbeitsverhältnis des Stpfl. zum 31. März 1961 für beendet erklärt worden, so daß der Stpfl. für die Folgezeit keine Gehaltsansprüche mehr gehabt habe, zumal er bereits am 15. Mai 1961 bei einem anderen Arbeitgeber tätig geworden sei. Nachdem das Arbeitsgericht die fristlose Entlassung nicht nur als ungesetzlich und ungerechtfertigt, sondern als rechtsunwirksam angesehen habe, sei es zwar zweifelhaft, ob das danach bis zum 30. September 1961 geschuldete Gehalt als "Abfindung" habe vereinbart werden können. Diese Bedenken seien gegenüber dem Wortlaut des § 3 Ziff. 9 EStG (§ 6 Ziff. 6 LStDV) jedoch nicht durchschlagend. Wenn der Gesetzgeber die in einem gerichtlichen Vergleich vereinbarte Abfindung der durch das Gericht festgesetzten Entschädigung ohne Einschränkung gleichgestellt habe, müßten die Steuergerichte auch den durch Vergleich vereinbarten Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis ebenso anerkennen wie einen in einem Urteil bestimmten Tag des Ausscheidens. Eine andere Beurteilung wäre nur möglich, wenn der in einem Vergleich festgelegte Zeitpunkt willkürlich gewählt sei und mit dem tatsächlichen Geschehensablauf nicht übereinstimme. Das sei aber im Streitfall nicht anzunehmen.

Das FA wiederholt zur Begründung seiner Revision sein bisheriges Vorbringen. Es weist insbesondere darauf hin, das auf Vorschlag des Kammervorsitzenden des Landesarbeitsgerichts der Abfindungsbetrag aufgerundet worden sei, damit nicht der Eindruck entstehe, daß echtes Gehalt vorliege, das zum Abzug von Sozialabgaben führen müsse. Die Anwälte der GmbH hätten den unter Vorbehalt geschlossenen ersten Vergleich widerrufen, weil der Stpfl. zum 31. März 1961 habe ausscheiden sollen und er Gehalt für sechs Monate als Abfindung habe erhalten sollen. Auf dieser Basis sei - unter Hinzurechnung der Gehaltsnachzahlung für März - die "Abfindung" auf 6.700 DM festgelegt worden. Das FG habe nicht beachtet, daß die GmbH in der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht am 28. März 1961 die fristgerechte Kündigung des Stpfl. zum 30. September 1961 nachgeschoben habe und sich dadurch mit seiner Weiterbeschäftigung mindestens aber mit der Gehaltszahlung an ihn bis dahin einverstanden erklärt habe. Bei einer gerichtlichen Auflösung wäre das Arbeitsverhältnis nach Auffassung des FG erst am 30. September 1961 beendet worden. Die Auffassung des FG, die Vertragsparteien hätten einen früheren Zeitpunkt der Vertragsbeendigung vereinbaren und den an sich als Gehalt geschuldeten Betrag als "Abfindung" bestimmen können, führe dazu, daß die Steuergerichte alle vor einem Arbeitsgericht geschlossenen Abfindungsvergleiche grundsätzlich nicht nachprüfen könnten. Das entspreche nicht den steuerlichen Vorschriften. Es müsse vielmehr nach dem tatsächlichen Geschehensablauf angenommen werden, daß im Streitfall das Arbeitsverhältnis des Stpfl. erst am 30. September 1961 habe enden sollen und seine Bezüge daher bis zu diesem Zeitpunkt hätten weitergezahlt werden müssen. Unter diesen Umständen liege keine steuerfreie Abfindung im Sinne von § 7 KSchG vor. Der Umstand, daß der Stpfl. bereits seit dem 15. Mai 1961 bei einem anderen Arbeitgeber tätig gewesen sei, habe für den Streitfall keine Bedeutung, da dieser neue Arbeitgeber nicht verpflichtet gewesen sei, das von der GmbH gezahlte Gehalt auf seine eigenen Gehaltszahlungen anzurechnen. Es werde daher beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Einspruchsentscheidung des FA zu bestätigen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Abfindungen, die ein Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber bei der Entlassung aus dem Arbeitsverhältnis erhält, unterliegen nicht der Lohnsteuer, wenn sie Entschädigungen im Sinn der §§ 7, 8 KSchG sind. Derartige Zahlungen sind kein Arbeitsentgelt, sondern eine Entschädigung dafür, daß der Arbeitnehmer seine Stelle verliert (so Hueck, Kündigungsschutzgesetz, 5. Aufl. 1965, § 8 Anm. 7). Nach § 7 KSchG werden diese Abfindungen grundsätzlich von den Arbeitsgerichten festgesetzt, wenn eine von einem Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses zwar nicht gerechtfertigt ist, das Gericht aber auf Antrag des Arbeitnehmers oder des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis auflöst, weil seine Fortsetzung den Beteiligten nicht zumutbar wäre. In § 3 Ziff. 9 EStG 1961 (§ 6 Ziff. 7 LStDV 1959) sind die in gerichtlichen oder auch außergerichtlichen Vergleichen zwischen einem Arbeitgeber und einem Arbeitnehmer vereinbarten Entlassungsentschädigungen seit dem Jahre 1958 den von den Arbeitsgerichten festgesetzten Abfindungen hinsichtlich der Lohnsteuerfreiheit gleichgestellt. Durch diese Regelung soll vermieden werden, daß die Beteiligten gezwungen sind, wegen der Steuerfreiheit einer Abfindung bei einer sozial nicht gerechtfertigten Kündigung des Arbeitgebers die Entscheidung der Arbeitsgerichte herbeizuführen. Aus der Gleichstellung der vergleichsweise vereinbarten Abfindungen mit den von den Arbeitsgerichten festgesetzten ergibt sich, daß eine Freistellung von der Lohnsteuer auch nur unter den gleichen Voraussetzungen und im gleichen Ausmaß erfolgen kann wie bei den gerichtlich festgesetzten Entlassungsentschädigungen.

Die in Urteilen der Arbeitsgerichte auf Grund der §§ 7, 8 KSchG festgesetzten Abfindungen sind ohne weiteres steuerfrei, weil die Fä und die Steuergerichte aus diesen rechtsgestaltenden Entscheidungen der Arbeitsgerichte lediglich die steuerlichen Folgerungen zu ziehen haben. Bei den in einem gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleich vereinbarten Entschädigungen liegt eine solche rechtsgestaltende Entscheidung durch ein dazu berufenes Gericht nicht vor. Ob die von den Beteiligten vereinbarte Beendigung des Arbeitsverhältnisses und die von ihnen festgelegte Entschädigung den sozialen Schutzvorschriften des KSchG entspricht, müssen deshalb die Fä und die Steuergerichte selbständig prüfen; denn nur wenn das der Fall ist, kann der auf Grund eines Vergleichs gezahlte Betrag lohnsteuerfrei bleiben (vgl. Oeftering-Görbing, Das gesamte Lohnsteuerrecht, 4. Aufl. 1967, § 6 Anm. 8 f). Falls eine Kündigung nicht sozialwidrig war und gleichwohl eine Abfindung vereinbart wurde, oder wenn die vereinbarte Abfindung den nach § 7 KSchG in Betracht kommenden Betrag überteigt, können die vereinbarten Abfindungen nicht steuerfrei bemessen werden. Das FG ist in der angefochtenen Entscheidung von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Sein Urteil war deshalb aufzuheben.

Die Sache ist entscheidungsreif. Die von der Arbeitgeberin im Streitfall ausgesprochene fristlose Entlassung des Stpfl. hat sein Arbeitsverhältnis nicht beendet. Das ergibt sich aus dem weiteren Ablauf der Vorgänge, insbesondere beim Arbeitsgericht. Von Bedeutung ist jedoch, daß die Arbeitgeberin dem Stpfl. im Lauf des arbeitsgerichtlichen Verfahrens fristgemäß zum 30. September 1961 gekündigt hat. Wie das FA zur Begründung seiner Revision vorgetragen hat, erfolgte diese Kündigung unter Einhaltung der vertragsmäßigen Kündigungsfrist. Das Arbeitsgericht hat in seinem Urteil, das infolge des vom Stpfl. eingelegten Rechtsmittels allerdings nicht rechtskräftig wurde, die Kündigung zum 30. September 1961 als rechtswirksam und auch als gerechtfertigt angesehen. Auch in dem ersten vor dem Landesarbeitsgericht abgeschlossenen Vergleich wurde einleitend festgestellt, daß der Stpfl. am 30. September 1961 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist. Erst in dem zweiten Vergleich, der zustande kam, nachdem die Arbeitgeberin des Stpfl. von dem ersten Vergleich zurückgetreten war, wurde als Zeitpunkt des Ausscheidens der 31. März 1961 angegeben. In diesem Vergleich, der den arbeitsgerichtlichen Rechtsstreit beendete, wurde dem Stpfl. eine Abfindung von 6.700 DM zugebilligt. Das ist genau der Betrag, der ihm als Gehalt bis zum 30. September 1961 zustand. Berücksichtigt man außerdem noch die vom FA zur Begründung seiner Revision vorgetragenen Umstände, die im Lauf des arbeitsgerichtlichen Verfahrens von Bedeutung waren und die vom Stpfl. nicht bestritten wurden, so ist der Schluß gerechtfertigt, daß der Stpfl. bei der vergleichsweisen Erledigung des Rechtsstreits im arbeitsgerichtlichen Verfahren genau den Betrag unter der Bezeichnung "Abfindung" erhalten hat, den er nach der vertragsmäßigen und auch sozial nicht ungerechtfertigten Kündigung bis zum 30. September 1961 zu beanspruchen hatte. Entgegen dem Wortlaut des Vergleichs handelte es sich bei dieser Zahlung nicht um eine "Abfindung" im Sinn von § 7 KSchG, sondern um die Zahlung des laufenden Gehalts bis zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses. Bei dieser Sachlage kommt die vom Stpfl. begehrte Steuerfreiheit nach § 3 Ziff. 9 EStG 1961 (§ 6 Ziff. 7 LStDV 1959) nicht in Betracht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412567

BStBl III 1967, 431

BFHE 1967, 459

BFHE 88, 459

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