Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Sonstiges Arbeitsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Abfindungen, die Arbeitnehmer aufgrund von außergerichtlichen Vergleichen mit ihrem Arbeitgeber erhalten, sind steuerfrei, wenn die Voraussetzungen der §§ 7, 8 KSchG vorliegen, was von den Finanzämtern und den Steuergerichten in eigener Zuständigkeit zu prüfen ist.

Abfindungen, die bei Beendigung eines zeitlich befristeten Arbeitsverhältnisses vereinbart werden, sind nicht steuerfrei.

 

Normenkette

EStG § 3 Ziff. 9; LStDV § 6 Ziff. 7; KSchG §§ 7-8

 

Tatbestand

Der Stpfl. war seit dem Jahre 1958 bei einer Fabrik in X angestellt. Mit Schreiben vom 15. Januar 1963 kündigte der Arbeitgeber dieses Arbeitsverhältnis zum 31. März 1963. Am 23. Januar 1963 erklärte der Stpfl. sich in einer mit seinem Arbeitgeber getroffenen Vereinbarung mit der Kündigung zum 31. März 1963 einverstanden. In entsprechender Anwendung der §§ 7, 8 des Kündigungsschutzgesetzes (KschG) wurde dem Stpfl. eine in drei gleichen Teilbeträgen am 15. April, 15. Juni und 15. August 1963 zahlbare Abgangsentschädigung zugestanden, die etwa seinem sechsfachen Monatsgehalt entsprach. Der Arbeitgeber behielt von dieser Entschädigung ... DM Lohnsteuer ein. Den Antrag auf Erstattung dieser Lohnsteuer lehnte das FA ab, da es die vom Stpfl. behaupteten Voraussetzungen für die Steuerfreiheit einer Entlassungsentschädigung nicht als gegeben ansah.

Die Berufung des Stpfl. hatte Erfolg. Das FG war der Auffassung, daß der Stpfl. zu den durch das KSchG geschützten Personen gehöre und da alle Voraussetzungen für die Steuerfreiheit nach § 6 Ziff. 7 LStDV 1962 vorlägen. Da dem damals etwa 60jährigen Stpfl. wegen der zwischen ihm und seinem Arbeitgeber aufgetretenen Unstimmigkeiten ohne Einhaltung der vertraglichen Kündigungsfrist von drei Monaten gekündigt worden sei, lasse zusammen mit dem Inhalt der Vereinbarung vom 23. Januar 1963 glaubhaft erscheinen, daß die Kündigung sozial ungerechtfertigt gewesen sei. Eine Befragung des Arbeitgebers nach den Gründen der Kündigung sei nicht nur entbehrlich, sondern sogar unangebracht, weil nicht zu erwarten sei, daß der Arbeitgeber sie ausdrücklich für sozial ungerechtfertigt erklären werde. Die Abfindung könne auch nicht, wie das FA glaube, zur Hälfte als Arbeitslohn für die Zeit vom 1. April bis 30. Juni 1963 angesehen werden; denn die Kündigung sei ausdrücklich zum 31. März 1963 ausgesprochen und in der Vereinbarung vom 23. Januar 1963 von den Beteiligten bestätigt worden. Da das Arbeitsverhältnis demnach am 31. März 1963 geendet habe, habe der Stpfl. für die Folgezeit keinen Arbeitslohn mehr beziehen können.

Das FA rügt mit seiner Revision Verletzung des geltenden Bundesrechts. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei durch die Vereinbarung vom 23. Januar 1963 herbeigeführt worden, also nicht durch eine Kündigung, wie es Voraussetzung sei für die Steuerfreiheit der nach dem KSchG gezahlten Entlassungsentschädigungen. Das FG habe zu Unrecht der in dieser Vereinbarung enthaltenen Bezugnahme auf die §§ 7, 9 KSchG entscheidende Bedeutung beigemessen. Da es die tatsächlichen Gründe der Entlassung nicht geprüft habe, habe es die ihm obliegende Aufklärungspflicht verletzt. Das FG habe auch nicht berücksichtigt, daß der Stpfl. wegen seines nur auf fünf Jahre abgeschlossenen Anstellungsvertrags und der der Vereinbarung vorausgegangenen Auseinandersetzungen mit seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis zum 31. März 1963 habe rechnen müssen. Weder das Lebensalter noch die Einstellung anderer Arbeitskräfte könnten den Anspruch des Stpfl. auf Verlängerung seines Arbeitsvertrages rechtfertigen. Mit Rücksicht auf die nicht fristgemäße Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. März 1963 habe der Stpfl. einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung und Gehaltszahlung bis zum 30. Juni 1963 gehabt. Der auf diese Zeit entfallende Teil der Abgangsentschädigung müsse auf jeden Fall besteuert werden. Es werde daher die Aufhebung der Vorentscheidung beantragt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA führt zur Aufhebung des Urteils des FG.

Abfindungen, die einem Arbeitnehmer nach den §§ 7, 8 KSchG bei der Entlassung aus einem Arbeitsverhältnis gezahlt werden, unterliegen nach § 3 Ziff. 9 EStG 1963 (§ 6 Ziff. 7 LStDV 1962) nicht der Lohnsteuer. Da die Abfindung im Streitfall aufgrund eines Vergleichs zwischen dem Stpfl. und seinem früheren Arbeitgeber gezahlt wurde, schließt die Steuerfreiheit nicht grundsätzlich aus. Ursprünglich waren zwar nur die von einem Arbeitsgericht festgesetzten Entlassungsentschädigungen steuerfrei. Durch das Gesetz zur änderung steuerlicher Vorschriften auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Ertrag und des Verfahrensrechts vom 18. Juli 1958 (BGB I 1958, 473, BStBl I 1958, 412) wurde die Steuerfreiheit auf Abfindungen ausgedehnt, die in einem vor einem Arbeitsgericht geschlossenen Vergleich vereinbart wurden. Nach Abschnitt 12 LStR 1962 waren aber auch Abfindungen aufgrund von außergerichtlichen Vergleichen als steuerfrei zu behandeln, wenn glaubhaft gemacht wurde, daß die Kündigung sozial ungerechtfertigt und die Höhe der vereinbarten Abfindung angemessen war. Der Senat hat keine Bedenken, diese Verwaltungsanweisung als eine zutreffende Auslegung des Gesetzes anzusehen, zumal in Artikel 1 Ziff. 1 des Steueränderungsgesetzes vom 14. Mai 1965 (BGB I 1965, 377, BStBl I 1965, 217) die außergerichtlichen und die gerichtlichen Vergleiche hinsichtlich der Entlassungsentschädigungen bei der Anwendung des § 3 Ziff. 9 EStG 1965 inzwischen ausdrücklich einander gleichgestellt wurden.

Aus allen angeführten Bestimmungen ist zu entnehmen, daß die Voraussetzungen der Steuerfreiheit in allen Fällen der Entlassungsentschädigung die gleichen sind. Es muß sich immer um Abfindungen handeln, die wegen einer sozial ungerechtfertigten Entlassung gezahlt werden, die Abfindung der Höhe nach angemessen ist und sie 12 Monatsverdienste nicht übersteigt. Bei den von den Arbeitsgerichten nach § 7 KSchG festgesetzten Entschädigungen werden diese Voraussetzungen vom Arbeitsgericht geprüft bei der Entscheidung über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses bei einer sozial ungerechtfertigten Kündigung des Arbeitgebers. Das hat steuerlich die Folge, daß die Finanzämter und die Steuergerichte an die dem rechtsgestaltenden Urteil des Arbeitsgerichts zugrunde liegende Beurteilung gebunden sind. Die in arbeitsgerichtlichen Urteilen wegen einer sozial ungerechtfertigten Kündigung festgesetzten Abfindungen sind daher ohne weiteres steuerfrei (so auch Abschnitt 12 Abs. 3 LStR 1962). Bei den durch einen gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleich vereinbarten Abfindungen kann bei der Besteuerung nicht auf eine solche richterliche Feststellung zurückgegriffen werden. Da jedoch nur Entlassungsentschädigungen steuerfrei sind, die sachlich den Voraussetzungen der §§ 7, 8 KSchG entsprechen, müssen die Finanzämter und die Steuergerichte dann in eigener Zuständigkeit prüfen, ob diese Voraussetzungen bei der an einen entlassenen Arbeitnehmer vergleichsweise gezahlten Abfindung erfüllt sind (Hartz-Over, Lohnsteuer und "Entschädigungen" 6. Vergleiche; Oeftering-Görbing, Das gesamte Lohnsteuerrecht, 4. Auflage 1967, § 6 Anmerkung 8, f).

Das FG hat im Streitfall diese Prüfung nicht vorgenommen. Zu einer genauen Aufklärung des Sachverhalts hätte aber vor allem deshalb Veranlassung bestanden, weil der Stpfl. möglicherweise einen auf fünf Jahre befristeten Arbeitsvertrag hatte, der am 31. März 1963 auslief. Da das KSchG nicht für Arbeitsverträge gilt, die durch Zeitablauf ihr Ende finden (siehe Hueck, Kündigungsschutzgesetz, 5. Auflage 1965, § 1 Anmerkung 24), handelt es sich bei der streitigen Abfindung möglicherweise nicht um eine solche im Sinn der §§ 7, 8 KSchG. Die aufgrund des außergerichtlichen Vergleichs zwischen dem Stpfl. und seinem früheren Arbeitgeber vereinbarte Abfindung wäre dann nicht eine solche im Sinn der §§ 7, 8 KSchG, für die Steuerfreiheit in Betracht käme. Sollte nicht bereits aus diesem Grund die vom Stpfl. begehrte Steuerfreiheit entfallen, müßte das FG prüfen, ob die Voraussetzungen der §§ 7, 8 KSchG hinsichtlich der an den Stpfl. gezahlten Abfindung vorliegen, daß nur dann § 3 Ziff. 9 EStG 1963 (§ 6 Ziff. 7 LStDV 1962) zur Anwendung kommen kann.

Die Sache wird nach Aufhebung der Vorentscheidung an das FG zurückverwiesen, damit dieses unter Beachtung der vorstehenden Ausführungen die entsprechenden Ermittlungen anstellt und dann erneut entscheidet.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412565

BStBl III 1967, 482

BFHE 1967, 516

BFHE 88, 516

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