Leitsatz (amtlich)

Der gemeine Wert der Anteile an einer Kapitalgesellschaft läßt sich nur aus solchen Verkaufspreisen ableiten, bei deren Bildung alle den freien Preis bestimmenden marktwirtschaftlichen Faktoren des Angebots und der Nachfrage unter Heranziehung objektivierter Wertmaßstäbe, zu denen vor allem das Gesamtvermögen und die Ertragsaussichten gehören, berücksichtigt worden sind.

 

Normenkette

BewG i.d.F. vor dem BewG 1965 § 10; BewG i.d.F. vor dem BewG 1965 § 13 Abs. 2 S. 2

 

Tatbestand

Die Klägerin, eine GmbH, hatte in dem Fragebogen für die einheitliche und gesonderte Feststellung des gemeinen Werts ihrer Anteile zum 31. Dezember 1959 beantragt, den gemeinen Wert auf diesen Stichtag auf 120 DM festzusetzen, weil am 9. Mai 1960 Anteile zu einem Preis von 120 v. H. des Nennwerts veräußert worden seien. Das FA ermittelte den gemeinen Wert jedoch nach dem sogenannten Stuttgarter Verfahren und setzte ihn auf 238 v. H. fest, weil der Verkaufserlös, der bei der von der Klägerin angegebenen Veräußerung erzielt worden war, nicht im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erzielt worden sei.

Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg. Das FG führte im wesentlichen aus: Die Klägerin sei eine Familiengesellschaft im weiteren Sinn. An dem voll eingezahlten Stammkapital seien 13 Gesellschafter beteiligt. Nach § 5 des Gesellschaftsvertrages unterliege die Abtretung von Geschäftsanteilen und Teilen davon der Genehmigung der Gesellschafterversammlung, die mit 2/3 der abgegebenen Stimmen bezüglich der Abtretung beschließe. Am 18. Juli 1958 habe eine Gesellschafterin ihren Anteil an einen anderen Gesellschafter zu 85 v. H. des Nennwerts veräußert. Eine Gesellschafterin habe am 9. Mai 1960 Anteile zum Preis von 120 v. H. des Nennwerts an zwei Gesellschafter und am 17. Juli 1963 einen weiteren Teilanteil von 150 v. H. des Nennwerts an die Gesellschaft selbst veräußert. Maßstab für die Ermittlung des gemeinen Werts sei, gleichgültig, ob er aus konkreten Verkaufsvorgängen abgeleitet oder auf Grund einer Schätzung ermittelt werde, in jedem Fall nach § 10 BewG 1965 der gemeine Wert im Sinne dieser Vorschrift. Dieser spiegele die objektiven Verhältnisse und Bedingungen des Kapitalmarkts für die fraglichen Anteile wider und berücksichtige alle normalerweise den Wert beeinflussenden und bestimmenden Faktoren, nicht aber ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse. Aus § 13 Abs. 2 Satz 2 BewG sei ebenfalls zu entnehmen, daß der Gesetzgeber den unbeeinflußten Preis als Maßstab für den gemeinen Wert gewählt habe. Der Ausdruck "ableiten" sei so zu verstehen, daß der Wert im Wege der Schätzung ermittelt werden müsse, wenn entweder keine Verkäufe vorlägen oder wenn die vorhandenen Verkäufe erkennen ließen, daß ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse diese beeinflußt hätten. Das FA sei im Streitfall zu Recht davon ausgegangen, daß der gemeine Wert nicht aus den konkreten Verkaufspreisen abgeleitet werden könne. Denn es handele sich dabei nicht um Preise, die der objektiven Marktlage entsprächen. Für die Entscheidung müsse die Verwandtschaft zwischen Verkäufer und Käufer der verkauften Anteile in Betracht gezogen werden. Das FA habe auch zu Recht beanstandet, daß der erste Verkauf 1 1/2 Jahre vor dem Bewertungsstichtag, der zweite Verkauf fünf Monate danach und der dritte erst 2 1/2 Jahre danach erfolgt seien.

Mit der Rechtsbeschwerde, die nach dem Inkrafttreten der FGO als Revision zu behandeln ist, beantragt die Klägerin, unter Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidung den gemeinen Wert ihrer Anteile auf den 31. Dezember 1959 auf 120 v. H. festzustellen. Sie rügt mangelnde Sachaufklärung und unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts. Die mangelnde Sachaufklärung erblickt die Klägerin darin, daß das FA die Verwandtschaft zwischen den Verkäufern und den Käufern als preisbestimmend angesehen habe, obwohl sie, die Klägerin, schlüssig vorgetragen habe, daß die Verwandtschaft sehr weitläufig (4. Grad) gewesen sei und daß andere Gründe für die Preisbildung entscheidend gewesen seien. Das FG habe diese Behauptungen prüfen und die angebotenen Beweise erheben müssen. Selbst wenn das FG der Meinung gewesen wäre, daß es einen Erfahrungssatz gebe, wonach sich Verwandte 4. Grades gewissermaßen "Preise unter Brüdern" machten, hätte es einen derartigen Erfahrungssatz nicht an die Stelle einer an sich gebotenen Beweisführung setzen dürfen. Abgesehen davon gebe es auch keinen solchen Erfahrungssatz. Die Auffassung des FG, daß die Verkäufe schon deshalb keinen Anhaltspunkt für die Bewertung bieten könnten, weil sie vor und nach dem Bewertungsstichtag erfolgt seien, sei falsch. Die im Gesellschaftsvertrag vorgesehene Erschwerung der Übertragbarkeit von Anteilen habe zur Folge, daß Anteile ihren Besitzer seltener wechselten als Inhaber-Aktien oder andere Wertpapiere. Aus dieser Sicht sei ein Verkauf fünf Monate nach dem Stichtag durchaus als ein Verkauf im Sinne des § 13 BewG anzusehen. Dem FG sei ein Verstoß gegen die Denkgesetze unterlaufen, wenn es meine, die getätigten Verkäufe seien deswegen von ungewöhnlichen und persönlichen Umständen beeinflußt, weil die Verkaufspreise niedriger gewesen seien als die nach dem Stuttgarter Verfahren ermittelten Werte. Ob sich eine Bewertung aus Verkäufen ableiten lasse, hänge ausschließlich davon ab, ob Verkäufe stattgefunden hätten, nicht jedoch davon, ob ein nach dem Stuttgarter Verfahren gebildeter Vergleichswert ein vom Verkaufspreis abweichendes Ergebnis habe. Die Auffassung des FG führe dazu, daß Verkäufe überhaupt nur als Grundlage für die Bewertung dienen könnten, wenn der dabei erzielte Preis mindestens gleichhoch wie der Vergleichswert nach dem Stuttgarter Verfahren sei. Letztlich komme das FG zu dem Schluß, daß bei einem vom Vergleichswert nach dem Stuttgarter Verfahren nach unten abweichenden Verkaufspreis immer persönliche oder ungewöhnliche Umstände mitgespielt haben müßten. Schließlich handele es sich bei dem Zustimmungserfordernis nach § 5 des Gesellschaftsvertrages entgegen der Auffassung des FG nicht um ungewöhnliche oder persönliche Umstände. Selbst wenn sie es jedoch wären, könnte das nicht dazu führen, die getätigten Verkäufe unberücksichtigt zu lassen. Es müßten dann nur etwaige ungewöhnliche Umstände ausgeklammert und der von ihnen ausgelöste preisbildende Teil den Verkaufspreisen wieder hinzugerechnet werden. Nur wenn Verkäufe überhaupt keinen Anhalt für die Wertermittlung bildeten, greife das Stuttgarter Verfahren ein.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist nicht begründet.

1. Nach § 13 Abs. 2 BewG sind Anteile an GmbHs mit dem gemeinen Wert (§ 10 BewG) zu bewerten. Der gemeine Wert ist in erster Linie aus Verkäufen abzuleiten. Nur dann, wenn sich der gemeine Wert nicht aus Verkäufen ableiten läßt, ist er unter Berücksichtigung des gesamten Vermögens und der Ertragsaussichten zu schätzen. Da im Streitfall GmbH-Anteile verkauft worden sind, hatte das FG zu prüfen, ob sich der gemeine Wert aus diesen getätigten Verkäufen ableiten läßt. Das hat das FG auch getan. Die Klägerin rügt zu Unrecht in diesem Zusammenhang mangelnde Sachaufklärung. Soweit das FG eine Ableitung des gemeinen Werts aus den drei von ihm festgestellten Verkäufen am 18. Juli 1958, am 9. Mai 1960 und am 17. Juli 1963 schon deswegen für nicht möglich hält, weil der erste Verkauf 1 1/2 Jahre vor dem Bewertungsstichtag, der zweite fünf Monate danach und der dritte erst 2 1/2 Jahre danach erfolgt sind, stimmt der Senat hinsichtlich des ersten und des dritten Verkaufs ohne Einschränkung zu. Der Senat hat bereits in dem Urteil III 209/61 vom 16. Juli 1965 (HFR 1966, 4) zum Ausdruck gebracht, daß ein Verkauf, der längere Zeit vor oder nach dem Stichtag liegt, nicht berücksichtigt werden kann. Er hat deshalb entschieden, daß ein Verkauf von Anteilen 2 1/2 Jahre nach dem Stichtag unberücksichtigt bleiben muß. Das gleiche muß für einen Verkauf 1 1/2 Jahre vor dem Stichtag gelten. Hinsichtlich des zweiten Verkaufs, der fünf Monate nach dem Stichtag getätigt worden ist, bestehen allerdings gegen die Auffassung des FG gewisse Bedenken. Zwar hat der Senat in dem Urteil III 209/61 (a. a. O.) unter Hinweis auf die Rechtsprechung des RFH ausgeführt, daß die Einbeziehung aller Verkäufe des ganzen nach dem Stichtag liegenden Jahres sehr weitgehend erscheine. Andererseits hat er in dem Urteil III 384/60 vom 25. Juni 1965 (HFR 1966, 1) im letzten Abschnitt ausgeführt, daß eine etwa nur drei Monate betragende Zeitdifferenz nicht als zu weit nach dem Stichtag liegend angesehen werden kann. Die Frage kann aber letztlich doch dahingestellt bleiben, weil der Auffassung des FG, der gemeine Wert könne aus dem Anteilsverkauf vom 9. Mai 1960 nicht abgeleitet werden, im Ergebnis zuzustimmen ist.

2. Das FG hat die Ableitung des gemeinen Werts aus dem am 9. Mai 1960 getätigten Verkauf deswegen abgelehnt, weil es der Auffassung ist, daß der bei diesem Verkauf erzielte Verkaufspreis durch ungewöhnliche und persönliche Verhältnisse beeinflußt wurde, die nach § 10 Abs. 2 Satz 2 BewG bei der Ermittlung des gemeinen Werts nicht zu berücksichtigen sind. Dabei ist es davon ausgegangen, daß es sich bei der Klägerin um eine Familien-Gesellschaft "im weiteren Sinn" handelt. Zum Begriff der "Familien-Gesellschaft" hat der Senat in dem Urteil III 21/64 vom 11. Juli 1967 (BFH 89, 479, BStBl III 1967, 666) ausgeführt, ihr Zweck sei die Erhaltung des Unternehmens innerhalb eines durch Blutsverwandtschaft oder Schwägerschaft bestimmten Kreises mit so enger Verbindung, daß sie nach der Verkehrsauffassung noch als Einheit gelten könne. Er hat darauf hingewiesen, daß nach § 76 Abs. 2 des Betriebsverfassungsgesetzes als Familien-Gesellschaft solche Aktiengesellschaften angesehen werden, deren Aktionär eine einzelne natürliche Person ist oder deren Aktionäre untereinander im Sinne von § 10 Nrn. 2 bis 5 StAnpG, d. h. in gerader Linie oder in Seitenlinie bis zum 3. Grad, verwandt oder verschwägert sind. Diese Voraussetzung ist im Streitfall nach der Behauptung der Klägerin nicht erfüllt, weil es sich z. B. bei der Verkäuferin und den Käufern beim Anteilsverkauf vom 9. Mai 1960 um Verwandte 4. und 5. Grades gehandelt haben soll. Es erscheint bedenklich, die Grundsätze, die für die Bewertung von Anteilen an Familien-Gesellschaften gelten, auf "Familien-Gesellschaften im weiteren Sinne" anzuwenden. Bedenken bestehen auch dagegen, den Verkauf schon wegen dieser verwandtschaftlichen Verhältnisse zwischen Verkäuferin und Käufern zu eliminieren. Schließlich ist der Klägerin auch darin zuzustimmen, daß die Bestimmung des § 5 des Gesellschaftsvertrages für sich allein nicht ausreicht, von vornherein alle Verkäufe von Anteilen als nicht im gewöhnlichen Geschäftsverkehr getätigt anzusehen. Zum Begriff des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs hat der Senat im Urteil III 384/60 (a. a. O.) ausgeführt, gewöhnlicher Geschäftsverkehr sei in der Regel der Handel, der sich nach den marktwirtschaftlichen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage unter freien Wirtschaftlern vollziehe und bei dem jeder Vertragspartner ohne Zwang und nicht aus Not oder besonderen Rücksichten, sondern freiwillig in Wahrung seiner eigenen Interessen zu handeln in der Lage ist. Einen solchen gewöhnlichen Geschäftsverkehr hat der Senat in dem Urteil III 281/63 vom 14. Oktober 1966 (BFH 87, 125, BStBl III 1967, 82) z. B. für die Fälle verneint, in denen beim Verkauf vinkulierter Namensaktien einer Zuckerfabrik, die von Rüben anbauenden Landwirten gegründet worden war, regelmäßig der Nennwert, lediglich kostendeckend für den eigenen Ankauf, eingesetzt wurde. So liegt der Fall hier jedoch nicht. Die Beschränkung, der der Anteilsverkauf nach § 5 des Gesellschaftsvertrages unterliegt, ist nicht so stark, daß sie grundsätzlich keinen Verkauf im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zuließe. Es ist aber, wie der Senat in dem Urteil III 384/60 (a. a. O.) ausgeführt hat, bei jedem Verkauf, gleichgültig, ob er unter irgendwelchen Beschränkungen zustande gekommen ist oder nicht, zu prüfen, ob bei der Bildung des Kaufpreises alle den freien Preis bestimmenden marktwirtschaftlichen Faktoren des Angebots und der Nachfrage unter Heranziehung objektivierter Wertmaßstäbe berücksichtigt worden sind. Solche Wertmaßstäbe sind, wie der Senat schon damals betont hat, vor allem das Gesamtvermögen und die Ertragsaussichten der Gesellschaft, um deren Anteile es sich handelt. Der Senat verbleibt bei der im Anschluß an die Rechtsprechung des RFH damals von ihm vertretenen Auffassung, daß ein Preis, bei dessen Bildung diese Gesichtspunkte nicht entscheidend berücksichtigt worden sind, nicht als im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erzielt angesehen werden kann, weil er nicht dem gemeinen Wert entspricht. So liegt der Fall aber im Streitfall. Das FG hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die hohen Rücklagen und die günstige Ertragslage der Gesellschaft am Stichtag erkennen lassen, daß der gemeine Wert höher war als der erzielte Verkaufspreis. Solche klar erkennbaren Umstände rechtfertigen die Außerachtlassung des getätigten Verkaufs und die Schätzung des gemeinen Werts der Anteile nach dem Stuttgarter Verfahren. Es bedurfte für diese Feststellung nicht eines Vergleichs mit dem Wert, der sich nach dem Stuttgarter Verfahren ergab. Deshalb liegen die in dieser Hinsicht von der Klägerin erhobenen Einwendungen neben der Sache.

Gegen die Höhe des nach diesem Verfahren vom FA festgesetzten gemeinen Werts hat die Klägerin keine Einwendungen erhoben. Nach der Aktenlage ist diese Schätzung auch nicht zu beanstanden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 68521

BStBl II 1969, 395

BFHE 1969, 334

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