Leitsatz (amtlich)

Die zeitliche Grenze für die Geltendmachung eines Steueranspruches wird grundsätzlich durch die Vorschriften über die Verjährung gezogen; eine Verwirkung kann nur unter besonderen Umständen angenommen werden.

 

Normenkette

AO §§ 143, 210; GrEStG § 1 Abs. 1/4

 

Streitjahr(e)

1956

 

Tatbestand

Die Klägerin hat am 7. September 1956 auf ihr Meistgebot in der Zwangsversteigerung eines Grundstücks den Zuschlag erhalten. An diesem Grundstück stand ihr eine Grundschuld zu. Es war umstritten, ob die Klägerin deshalb gemäß § 9 GrEStG von der Grunderwerbsteuer befreit ist. Nach Schriftwechsel und Ermittlungen dazu ersuchte das Finanzamt (FA) am 29. Juli 1957 die Klägerin um Stellungnahme zu seiner - kurz begründeten - Absicht, den Erwerb der Grunderwerbsteuer zu unterwerfen. Diese Stellungnahme gab die Klägerin am 19. August 1957 ab. Am 9. Oktober 1957 bat sie um Mitteilung über den Stand der Sache. Am 28. Oktober 1957 beantragte sie, die Sache nunmehr zu entscheiden, damit entweder die Unbedenklichkeitsbescheinigung erteilt oder der Rechtsweg eröffnet werde. Am 31. Oktober 1957 stellte das FA die Unbedenklichkeitsbescheinigung aus.

Am 8. Dezember 1960 setzte das FA die Grunderwerbsteuer fest. Die Klägerin machte Steuerfreiheit wegen Rettungserwerb (ß 9 GrEStG) und Verwirkung geltend. Das FA hat ihren Einspruch, das Finanzgericht (FG) ihre Berufung zurückgewiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

Das Meistgebot der Klägerin unterliegt der Grunderwerbsteuer gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG. Der Erwerb ist nicht nach § 9 GrEStG begünstigt. Denn das Meistgebot hat auch nach Vorabzug der Zinsen (ß 12 des Zwangsversteigerungsgesetzes - ZVG -) nicht nur den Betrag abgedeckt, welchen die Klägerin für den Erwerb der Grundschuld aufgewandt hat (ß 9 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG); ihr ist noch ein wesentlich darüber hinausgehender Betrag auf den Hauptanspruch zugeteilt worden. Dementsprechend ist - wie die Klägerin in diesem Rechtszug nicht mehr bezweifelt - die Grunderwerbsteuer in der verlangten Höhe angefallen.

Der Steueranspruch ist nicht verwirkt. Zwar ist es nicht zu erklären, wieso das FA die Steuer erst im Dezember 1960 festgesetzt hat. Das reicht aber für den Tatbestand der Verwirkung nicht aus. Denn die zeitliche Grenze für die Geltendmachung eines Steueranspruchs wird grundsätzlich durch die Vorschriften über die Verjährung gezogen; eine Verwirkung kann nur unter besonderen Umständen angenommen werden. Solche Umstände liegen zwar insofern vor, als das FA bei Übersendung der Unbedenklichkeitsbescheinigung am 1. November 1957 keinen Vorbehalt erkennbar werden ließ, obwohl das Schreiben der Klägerin vom 28. Oktober 1957 darauf hindeutete, daß sie in der Unbedenklichkeitsbescheinigung eine Freistellung sehen könnte. Selbst wenn man indessen der Klägerin zugestehen wollte, daß sie spätestens im Jahr 1959 der Ansicht sein durfte, das Verhalten des FA sei in diesem Sinn zu verstehen, so wäre daraus noch keine Verwirkung des Steueranspruchs zu folgern. Andernfalls würde einer nicht abgegebenen, sondern bloß zu unterstellenden Erklärung des FA eine stärkere Wirkung beigelegt als selbst einem förmlichen Freistellungsbescheid. Denn ein solcher hindert nicht, die Grunderwerbsteuer vor Ablauf der Verjährungsfrist nachzufordern, wenn die Aufsichtsbehörde einen Fehler aufdeckt (ß 222 Abs. 1 Nr. 3 AO). Liegt hier auch keine Rüge der Aufsichtsbehörde vor, so erweist sich an § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO doch, daß das Verhalten des FA der Klägerin noch keinen Anlaß geben konnte, sich darauf einzurichten, daß sie mit einer Steuernachforderung nicht zu rechnen brauche (vgl. II des Urteils des Bundesfinanzhofs V 91/63 U vom 16. September 1965, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 83 S. 441 (444 f.) - BFH 83, 441 (444 f.) -, BStBl III 1965, 657). Weitergehende Grundsätze von Treu und Glauben, deren Teil auch das Institut der Verwirkung ist (Urteil des Bundesfinanzhofs V 177/63 vom 25. November 1965, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1966 Nr. 68 S. 94), könnten der Klägerin allenfalls dann zustatten kommen, wenn sie sich unter zusätzlichen Umständen dieser Art im Vertrauen auf die Nichterhebung der Steuer eingerichtet hätte und die Erhebung der Steuer deshalb gegen Treu und Glauben verstieße (Urteil des Senats II 137/60 U vom 7. Februar 1962, BFH 75, 628, BStBl III 1962, 496). Das ist aber weder vorgetragen noch ersichtlich; insbesondere hat die Klägerin keinen Vermögensschaden geltend gemacht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 425757

BFHE 1967, 42

BFHE 88, 42

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