Entscheidungsstichwort (Thema)

Bekanntgabe in einer Ausfertigung an zusammenveranlagte Ehegatten: Verfügung über die Aussetzung der Vollziehung, Zulässigkeit nur im Steuerfestsetzungsverfahren, Unzulässigkeit im Rechtsbehelfsverfahren, gegenseitige Bevollmächtigung der Ehegatten, Regelungsbereich des § 155 Abs.5 AO 1977 - Rechtsbehelfsbefugnis bei zusammengefaßten Steuerbescheiden - Zahlungsverjährung bei unwirksamen Unterbrechungshandlungen - Rechtsbehelfseinlegung des einen Ehegatten für den anderen - keine notwendige Hinzuziehung oder Beiladung bei Rechtsbehelfseinlegung nur durch einen Ehegatten

 

Leitsatz (amtlich)

Die Verfügung über die Aussetzung der Vollziehung eines Einkommensteuerbescheids kann den zusammenveranlagten Ehegatten nicht in einer Ausfertigung unter ihrer gemeinsamen Anschrift bekanntgegeben werden, wenn nur einer der Ehegatten ein Rechtsmittel gegen den Einkommensteuerbescheid eingelegt hat.

 

Orientierungssatz

1. Die Vorschrift des § 155 Abs.5 AO 1977 enthält eine Sonderregelung für das Steuerfestsetzungsverfahren. Sie ist deshalb nach überwiegender Auffassung --abgesehen von den in § 155 Abs.3 AO 1977 genannten Verwaltungsakten über steuerliche Nebenleistungen-- nur für zusammengefaßte Steuerbescheide anwendbar, nicht dagegen für sonstige zusammengefaßte Verwaltungsakte gegenüber Ehegatten, wie z.B. die Einspruchsentscheidung. Der Zweck der Regelung zwingt nicht auch zu ihrer Anwendung in dem mehr individualisierten Rechtsbehelfsverfahren.

2. Mit dem seit dem 1.1.1986 geltenden § 155 Abs.5 AO 1977 ist im wesentlichen die schon bisher von der Rechtsprechung entwickelte Ansicht von der gegenseitigen Bevollmächtigung von Ehegatten erweitert und in das Gesetz übernommen worden. Danach genügt die Übersendung nur einer Ausfertigung des an die Ehegatten gerichteten zusammengefaßten Steuerbescheides dann, wenn gegenseitige (meist stillschweigende) Bevollmächtigung der Ehegatten zum Empfang des Steuerbescheides angenommen werden kann. Von ihrem Vorliegen wird ausgegangen, wenn beide Ehegatten die gemeinsame Einkommensteuererklärung unterschrieben haben. Dabei fallen nicht nur Steuerfestsetzungen in den Rahmen des von einer Bevollmächtigung ergriffenen Besteuerungsverfahrens, sondern z.B. auch eine Prüfungsanordnung, die sich auf die erklärte und festgesetzte Steuer bezieht, oder die Festsetzung eines Verspätungszuschlags oder aber auch die Festsetzung von Hinterziehungszinsen durch einen zusammengefaßten Zinsbescheid gegenüber Ehegatten (vgl. BFH-Rechtsprechung).

3. Der Bescheid über die Aussetzung der Vollziehung eines vom Ehemann der Klägerin angefochtenen Einkommensteuerbescheids muß der Ehefrau mit einer eigenen Ausfertigung des Bescheids bekanntgegeben werden, damit er ihr gegenüber Wirksamkeit entfalten und ggf. zur Unterbrechung der Zahlungsverjährung führen kann. Denn die in § 231 AO 1977 genannten Handlungen entfalten nur dann Unterbrechungswirkung, wenn sie rechtswirksam sind.

4. Da es sich bei den zusammengefaßten Steuerbescheiden um mehrere selbständige Steuerfestsetzungen handelt, ist jeder Gesamtschuldner befugt, selbständig und unabhängig von dem anderen Gesamtschuldner einen Rechtsbehelf einzulegen. Ein vom Ehemann eingelegter Rechtsbehelf hat auch bei Abgabe einer gemeinsamen, von beiden Ehegatten unterschriebenen Einkommensteuererklärung nicht ohne weiteres die Wirkung, daß der Rechtsbehelf auch für die mit ihm zusammenveranlagte Ehefrau eingelegt wird. Für eine aufgrund gegenseitiger Bevollmächtigung wirksame Rechtsbehelfseinlegung des einen Ehegatten auch für den anderen ist vielmehr erforderlich, daß der das Rechtsmittel einlegende Ehegatte klar und unmißverständlich zum Ausdruck bringt, daß er den Rechtsbehelf auch für den anderen Ehegatten einlegt. Es können sich also im Klage- und Einspruchsverfahren unterschiedliche Steuerfestsetzungen für die Ehegatten ergeben (vgl. BFH-Rechtsprechung).

5. Nach herrschender Meinung ist ein Fall der notwendigen Hinzuziehung bzw. Beiladung gemäß § 360 Abs.3 AO 1977, § 60 Abs.3 FGO nicht gegeben, wenn nur einer der zusammenveranlagten Ehegatten ein Rechtsmittel gegen den Einkommensteuerbescheid eingelegt hat, da die Entscheidung über den Rechtsbehelf nicht beiden Ehegatten g

 

Normenkette

AO 1977 § 122 Abs. 2, § 155 Abs. 3, 5, § § 228 ff., § 231 Abs. 1, §§ 348, 350, 357 Abs. 1 S. 2, § 360 Abs. 3, § 361 Abs. 2; EStG § 26b; FGO § 60 Abs. 3

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches FG (Entscheidung vom 29.01.1996; Aktenzeichen I 265/95)

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) und ihr Ehemann wurden für die Streitjahre 1980 bis 1984 antragsgemäß zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Im Jahre 1987 änderte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) die Einkommensteuerbescheide der Eheleute für die Streitjahre, wobei die erklärten Verluste des Ehemannes aus selbständiger Arbeit nicht mehr anerkannt wurden. Der Ehemann legte gegen die geänderten Einkommensteuerbescheide Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuernachzahlungen. Mit Bescheid vom 30. November 1987 gewährte das FA die Aussetzung der Vollziehung. In dem Bescheid heißt es u.a., daß die Aussetzung der Vollziehung "mit Rücksicht auf den ... eingelegten Rechtsbehelf" gegen die Einkommensteuerbescheide erfolge; die Aussetzung der Vollziehung beginne am Fälligkeitstag und ende eine Woche nach Bekanntgabe der geänderten Bescheide, mit der Rücknahme der Rechtsbehelfe oder mit Eintritt der Rechtskraft der Rechtsbehelfsentscheidung. Der Bescheid über die Aussetzung der Vollziehung, der an die Klägerin und ihren Ehemann adressiert war, wurde den Eheleuten in einer Ausfertigung übermittelt.

Nachdem die Einsprüche, die Klage und die Nichtzulassungsbeschwerde des Ehemanns der Klägerin gegen die Einkommensteuerbescheide 1980 bis 1984 erfolglos geblieben waren und das FA im Jahre 1993 nach Beendigung der Aussetzung der Vollziehung beide Ehegatten zur Zahlung der ausgesetzten Beträge aufgefordert hatte, kam es zwischen den Beteiligten zum Streit darüber, ob die Steueransprüche aus den Einkommensteuerbescheiden 1980 bis 1984 gegenüber der Klägerin infolge Zahlungsverjährung erloschen seien. Das FA erteilte der Klägerin einen Abrechnungsbescheid, mit dem die noch offenen Steuerrückstände ihr gegenüber festgesetzt wurden. Es vertrat die Auffassung, die Zahlungsverjährung sei durch die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung mit dem an beide Ehegatten adressierten Bescheid vom 30. November 1987 unterbrochen worden.

Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage der Klägerin führte zur Änderung des Abrechnungsbescheids dahin, daß die von der Klägerin geschuldete Einkommensteuer für die Jahre 1980 bis 1984 auf jeweils 0 DM festgesetzt wurde. Das Finanzgericht (FG) führte u.a. aus:

Die streitigen Steueransprüche seien aufgrund der Bekanntgabe der Änderungsbescheide, die im Jahre 1987 gemäß § 155 Abs.5 der Abgabenordnung (AO 1977) durch Übermittlung jeweils einer Ausfertigung unter der gemeinsamen Anschrift gegenüber beiden zusammenveranlagten Ehegatten wirksam erfolgt sei, in diesem Jahr erstmals fällig geworden. Sie seien aber der Klägerin gegenüber mit Ablauf der fünfjährigen Frist für die Zahlungsverjährung am 31. Dezember 1992 erloschen. Die Zahlungsverjährung sei entgegen der Auffassung des FA durch den Bescheid über die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung vom 30. November 1987 nicht gemäß § 231 AO 1977 unterbrochen worden; denn der nur in einer Ausfertigung an die Klägerin und ihren Ehemann übermittelte Bescheid über die Aussetzung der Vollziehung sei der Klägerin gegenüber mangels wirksamer Bekanntgabe unwirksam.

Die Voraussetzungen des § 155 Abs.5 AO 1977 für eine erleichterte Bekanntgabe an Ehegatten lägen hinsichtlich des Bescheides über die Aussetzung der Vollziehung nicht vor. Zwar komme grundsätzlich auch bei Bescheiden über die Aussetzung der Vollziehung gegenüber Ehegatten die vereinfachte Bekanntgabe in Betracht. Dies gelte aber nur für die Bekanntgabe von zusammengefaßten Bescheiden, die beide Ehegatten beträfen. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt, wenn --wie im Streitfall-- ein Ehegatte nur für seine Person einen Rechtsbehelf eingelegt habe.

Mit der Revision macht das FA geltend, die Aussetzungsverfügung vom 30. November 1987 habe auch der Klägerin gegenüber den Ablauf der Zahlungsverjährung unterbrochen, da sie ihr nach § 155 Abs.5 AO 1977 wirksam bekanntgegeben worden sei. Als Bescheid im Sinne dieser Vorschrift seien nicht nur förmliche Steuerbescheide, sondern auch steuerliche Verwaltungsakte anderer Art, wie z.B. Prüfungsanordnungen, Festsetzung von Verspätungszuschlägen und Zinsbescheide, zu verstehen. Auch Bescheide über die Aussetzung der Vollziehung müßten von dieser vereinfachten Bekanntgaberegelung erfaßt werden.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist unbegründet.

Das FG hat zutreffend entschieden, daß die streitigen Steueransprüche (Einkommensteuer 1980 bis 1984) gegenüber der Klägerin durch Zahlungsverjährung erloschen sind (§§ 47, 232 AO 1977), weil die Aussetzung der Vollziehung der durch den Ehemann der Klägerin angefochtenen Steuerbescheide mangels wirksamer Bekanntgabe der Aussetzungsverfügung gegenüber der Klägerin die Verjährung nicht unterbrochen hat. Der von der Klägerin angefochtene Abrechnungsbescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung ist deshalb zu Recht dahin abgeändert worden, daß die von dieser geschuldete Einkommensteuer für die Veranlagungszeiträume 1980 bis 1984 auf jeweils 0 DM festgesetzt worden ist (§ 100 Abs.1 Satz 1, Abs.2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß die fünfjährige Frist für die Zahlungsverjährung der hier streitigen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 228 AO 1977) mit Ablauf des Kalenderjahres 1987 zu laufen begann, weil die geänderten Einkommensteuerbescheide 1980 bis 1984, die zu den streitigen Steuernachforderungen führten, vom 16. Oktober bzw. 6. November 1987 datieren und somit die Steuernachforderungen im Jahre 1987 (erstmals) fällig geworden sind (§ 229 Abs.1 Satz 1 AO 1977). Die Bekanntgabe der Steueränderungsbescheide an die zusammenveranlagten Ehegatten erfolgte durch die Übersendung jeweils einer Ausfertigung des zusammengefaßten Bescheids an die gemeinsame Anschrift der Ehegatten. Diese vereinfachte Form der Bekanntgabe ist nach § 155 Abs.5 AO 1977 --eingefügt durch das Steuerbereinigungsgesetz 1986 mit Wirkung ab 1. Januar 1986 (BGBl I 1985, 2436 ff.)-- hinsichtlich sämtlicher Steueränderungsbescheide beiden Ehegatten gegenüber wirksam; insoweit wird auf die näheren Ausführungen der Vorinstanz, gegen die im Revisionsverfahren keine Einwendungen erhoben worden sind, Bezug genommen.

Die Frist für die Zahlungsverjährung ist demnach der Klägerin gegenüber zum Ende des Jahres 1992, und damit vor ihrer erneuten Geltendmachung durch das FA im Jahre 1993 abgelaufen. Denn eine wirksame Unterbrechung der Verjährung ist der Klägerin gegenüber nicht erfolgt.

2. Nach § 231 Abs.1 AO 1977 wird die Verjährung unterbrochen u.a. durch Aussetzung der Vollziehung; eine derartige Unterbrechung der Verjährung dauert fort, bis die Aussetzung der Vollziehung abgelaufen ist (§ 231 Abs.2 AO 1977). Die in § 231 AO 1977 genannten Handlungen entfalten aber nur dann Unterbrechungswirkung, wenn sie rechtswirksam sind (Frotscher in Schwarz, Abgabenordnung, § 231 Anm.2). Bei der Aussetzung der Vollziehung als Verwaltungsakt setzt dies voraus, daß die Aussetzungsverfügung demjenigen, für den sie bestimmt ist oder der von ihr betroffen wird, bekanntgegeben wird (§ 122 Abs.1, § 124 Abs.1 AO 1977). Der Bescheid des FA über die Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteueränderungsbescheide 1980 bis 1984 vom 30. November 1987 ist zwar auch an die Klägerin adressiert worden; er ist aber mangels wirksamer Bekanntgabe an die Klägerin dieser gegenüber nicht wirksam geworden, so daß die Verjährung der gegen sie als Gesamtschuldnerin (§ 44 Abs.1 AO 1977) geltend gemachten Steuernachforderungen nicht unterbrochen worden ist.Betrifft ein zusammengefaßter schriftlicher Bescheid Ehegatten, so reicht es nach § 155 Abs.5 Satz 1 AO 1977 für die Bekanntgabe an sie aus, wenn ihnen eine Ausfertigung unter ihrer gemeinsamen Anschrift übermittelt wird. Die Vorschrift beruht auf der Erwägung, daß die Bekanntgabe nur einer Ausfertigung eines zusammengefaßten Bescheids üblich und vertretbar sei, sofern die Beteiligten in einer Gemeinschaft leben und eine gemeinsame Anschrift haben; nach der Lebenserfahrung sei die gegenseitige Unterrichtung üblich und gewährleistet (vgl. BTDrucks 10/1636, S.42 ff.).

Mit dieser --wie ausgeführt-- seit dem 1. Januar 1986 geltenden Regelung ist im wesentlichen die schon bisher von der Rechtsprechung entwickelte Ansicht von der gegenseitigen Bevollmächtigung von Ehegatten erweitert und in das Gesetz übernommen worden (Frotscher in Schwarz, a.a.O., § 155 Anm.73). Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) genügt die Übersendung nur einer Ausfertigung des an die Ehegatten gerichteten zusammengefaßten Steuerbescheides dann, wenn gegenseitige (meist stillschweigende) Bevollmächtigung der Ehegatten zum Empfang des Steuerbescheides angenommen werden kann. Von ihrem Vorliegen wird ausgegangen, wenn beide Ehegatten die gemeinsame Einkommensteuererklärung unterschrieben haben (vgl. BFH-Urteil vom 9. April 1987 IV R 192/85, BFHE 149, 418, BStBl II 1987, 540, 542, m.w.N.). Dabei hat der BFH wiederholt entschieden, daß in den Rahmen des von einer Bevollmächtigung ergriffenen Besteuerungsverfahrens nicht nur Steuerfestsetzungen des FA fallen, sondern z.B. auch eine Prüfungsanordnung, die sich auf die erklärte und festgesetzte Steuer bezieht (Urteil vom 5. November 1981 IV R 179/79, BFHE 134, 395, BStBl II 1982, 208), oder die Festsetzung eines Verspätungszuschlags (Urteil in BFHE 149, 418, BStBl II 1987, 540). Der für den Umfang einer Bevollmächtigung maßgebliche enge Zusammenhang mit dem Besteuerungsverfahren ist auch hinsichtlich der Festsetzung von Hinterziehungszinsen durch einen zusammengefaßten Zinsbescheid gegenüber Ehegatten anerkannt worden (Urteil vom 13. Oktober 1994 IV R 100/93, BFHE 176, 510, BStBl II 1995, 484). Die enge sachliche Verzahnung mit der Steuerfestsetzung, die die erleichterte Bekanntgabe an Ehegatten rechtfertigt, kommt nunmehr bei den Verspätungszuschlägen und Hinterziehungszinsen auch darin zum Ausdruck, daß gemäß § 155 Abs.3 Satz 2 AO 1977 Verwaltungsakte über steuerliche Nebenleistungen (§ 3 Abs.3 AO 1977) gegen einen oder mehrere Steuerpflichtige mit zusammengefaßten Steuerbescheiden verbunden werden können.

Hinsichtlich des hier maßgeblichen Bescheids über die Aussetzung der Vollziehung sind aber weder die Voraussetzungen des § 155 Abs.5 AO 1977 für eine vereinfachte Bekanntgabe an die Klägerin erfüllt, noch kann nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen über die gegenseitige Bevollmächtigung von Ehegatten im Besteuerungsverfahren eine wirksame Bekanntgabe des nur in einer Ausfertigung übersandten Bescheids an die Klägerin angenommen werden.Die Vorschrift des § 155 Abs.5 AO 1977 enthält eine Sonderregelung für das Steuerfestsetzungsverfahren (vgl. AO 1977, 4.Teil, 3.Abschn. --Festsetzungs- und Feststellungsverfahren--, 1.Unterabschn. --Steuerfestsetzung--, §§ 155 ff.). Sie ist deshalb nach überwiegender Auffassung - -abgesehen von den in § 155 Abs.3 AO 1977 genannten Verwaltungsakten über steuerliche Nebenleistungen (vgl. BFHE 176, 510, BStBl II 1995, 484)-- nur für zusammengefaßte Steuerbescheide anwendbar, nicht dagegen für sonstige zusammengefaßte Verwaltungsakte gegenüber Ehegatten, wie z.B. die Einspruchsentscheidung (vgl. Frotscher in Schwarz, a.a.O., § 155 Anm.73; Baum in Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 5.Aufl., § 155 Rz.41; Güroff in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 155 AO 1977 Rz.41; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 5.Aufl., § 155 Anm.7 a.E.). Der Bescheid über die Aussetzung der Vollziehung, die einen angefochtenen Verwaltungsakt und damit einen Rechtsbehelf voraussetzt (§ 361 Abs.2 AO 1977, § 69 Abs.2 Satz 2 FGO), gehört nicht zum Steuerfestsetzungsverfahren; er ergeht erst im Rechtsbehelfsverfahren (vgl. AO 1977, 7.Teil, §§ 347 ff.), so daß nach den vorstehenden Ausführungen die Regelung über die vereinfachte Bekanntgabe gemäß § 155 Abs.5 AO 1977 auf ihn auch dann keine Anwendung findet, wenn es sich --wie im Streitfall-- um einen zusammengefaßten Bescheid über die Aussetzung der Vollziehung gegenüber Ehegatten handelt.

Der Zweck der Regelung, die Bekanntgabe gegenüber Ehegatten und anderen Gesamtschuldnern im Massenverfahren der Veranlagung zu erleichtern, zwingt --entgegen der Auffassung des FA-- nicht auch zu ihrer Anwendung in dem mehr individualisierten Rechtsbehelfsverfahren. Da § 155 Abs.5 AO 1977 bereits nach seiner systematischen Stellung im Gesetz auf Bescheide, die im Rechtsbehelfsverfahren ergehen, keine Anwendung findet, braucht der Senat nicht darauf einzugehen, ob die Klägerin durch den an beide Ehegatten adressierten Bescheid über die Aussetzung der Vollziehung vom 30. November 1987 im Sinne dieser Vorschrift "betroffen" ist, was vom FG verneint, von der Revision dagegen bejaht worden ist. Der Bescheid über die Aussetzung der Vollziehung der vom Ehemann der Klägerin angefochtenen Einkommensteuerbescheide hätte demnach --unabhängig von der Frage des Betroffenseins der Klägerin--, um auch ihr gegenüber Wirksamkeit zu erlangen und die gegen sie laufende Zahlungsverjährung zu unterbrechen, der Klägerin mit einer eigenen Ausfertigung des Bescheids bekanntgegeben werden müssen.In dem oben (2. a) zur gegenseitigen Bevollmächtigung von Ehegatten zitierten BFH-Urteil in BFHE 149, 418, BStBl II 1987, 540, 542 (mit Hinweisen auf das Urteil vom 13. August 1970 IV 48/65, BFHE 100, 171, BStBl II 1970, 839) wird ausgeführt, die Ehegatten bekundeten mit der gemeinsam unterschriebenen Steuererklärung den Willen, das Besteuerungsverfahren in Gang zu setzen. Darin liege zugleich die stillschweigende Vollmacht, daß jeder der Ehegatten auch die im Verlauf dieses Besteuerungsverfahrens und des sich ggf. daran anschließenden Rechtsbehelfsverfahrens vorzunehmenden Handlungen mit Wirkung für den anderen Ehegatten vornehmen, insbesondere den zusammengefaßten Bescheid entgegennehmen dürfe. Auch aus diesen Rechtsgrundsätzen kann trotz der gemeinsamen Abgabe der Einkommensteuererklärungen durch die Klägerin und ihren Ehemann im Streitfall eine wirksame Bekanntgabe der in einer Ausfertigung übersandten Verfügung über die Aussetzung der Vollziehung an die Klägerin nicht hergeleitet werden.

Zu welchen "Handlungen" im Rechtsbehelfsverfahren --außer der Entgegennahme des zusammengefaßten Steuerbescheids-- sich die Ehegatten mit ihrer gemeinsamen Unterschrift unter der Steuererklärung gegenseitig bevollmächtigen, ist in den genannten Entscheidungen, die im Schrifttum z.T. als zu weitgehend kritisiert werden (Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, 15.Aufl., § 26b Rz.27), nicht näher ausgeführt. Da sich die gemeinsame Steuererklärung lediglich auf das "Besteuerungsverfahren", d.h. zunächst nur auf das Steuerfestsetzungsverfahren, bezieht, erscheint es zweifelhaft, ob sich die gegenseitige Bevollmächtigung auch auf die Entgegennahme einer im Rechtsbehelfsverfahren ergehenden zusammengefaßten Verfügung über die Aussetzung der Vollziehung erstreckt. Der Senat ist jedenfalls der Auffassung, daß dies aus der gemeinsamen Steuererklärung nicht (stillschweigend) hergeleitet werden kann, wenn --wie im Streitfall-- nur einer der Ehegatten Einspruch gegen die ergangenen Steuerbescheide eingelegt hat.

Da es sich bei den zusammengefaßten Steuerbescheiden um mehrere selbständige Steuerfestsetzungen handelt, ist jeder Gesamtschuldner befugt, selbständig und unabhängig von dem anderen Gesamtschuldner einen Rechtsbehelf einzulegen (Frotscher in Schwarz, a.a.O., § 155 Anm.61). Ein vom Ehemann eingelegter Rechtsbehelf hat auch bei Abgabe einer gemeinsamen, von beiden Ehegatten unterschriebenen Einkommensteuererklärung nicht ohne weiteres die Wirkung, daß der Rechtsbehelf auch für die mit ihm zusammenveranlagte Ehefrau eingelegt wird. Für eine aufgrund gegenseitiger Bevollmächtigung wirksame Rechtsbehelfseinlegung des einen Ehegatten auch für den anderen ist vielmehr erforderlich, daß der das Rechtsmittel einlegende Ehegatte klar und unmißverständlich zum Ausdruck bringt, daß er den Rechtsbehelf auch für den anderen Ehegatten einlegt (BFH-Urteil vom 27. November 1984 VIII R 73/82, BFHE 143, 32, BStBl II 1985, 296, 298; Schmidt/Seeger, a.a.O., § 26b Rz.27). Diese Voraussetzung ist --wie das FG festgestellt hat-- im Streitfall nicht erfüllt. Die Beteiligten gehen vielmehr übereinstimmend davon aus, daß der Ehemann der Klägerin den Rechtsbehelf gegen die Einkommensteuerbescheide allein für sich eingelegt hat; auch das anschließende Klage- und Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren ist allein von dem Ehemann geführt worden.

Eine Hinzuziehung oder Beiladung der Klägerin zu dem Rechtsbehelfsverfahren ihres Ehemannes ist nicht erfolgt. Nach überwiegender Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum ist ein Fall der notwendigen Hinzuziehung bzw. Beiladung gemäß § 360 Abs.3 AO 1977, § 60 Abs.3 FGO nicht gegeben, wenn nur einer der zusammenveranlagten Ehegatten ein Rechtsmittel gegen den Einkommensteuerbescheid eingelegt hat, da die Entscheidung über den Rechtsbehelf nicht beiden Ehegatten gegenüber einheitlich zu ergehen braucht (vgl. BFH-Urteil vom 25. November 1988 III R 264/83, BFH/NV 1989, 690, 691, m.w. Rechtsprechungshinweisen; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3.Aufl., § 60 Rz.62; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15.Aufl., § 60 FGO Tz.12; a.A. z.B. Schmidt/Seeger, a.a.O., § 26b Rz.25, 26). Das wird insbesondere damit begründet, daß bei der Zusammenveranlagung kein einheitlicher Verwaltungsakt ergeht, sondern zwei selbständige Steuerbescheide, die nur gemäß § 155 Abs.3 und 5 AO 1977 zusammengefaßt werden können. Es können sich also --wie auch das FG ausgeführt hat-- im Einspruchs- oder Klageverfahren unterschiedliche Steuerfestsetzungen für die Ehegatten ergeben (Schmidt/Seeger, a.a.O., § 26b Rz.25). Daraus folgt, daß der --wie im Streitfall-- nur von einem Ehegatten eingelegte Rechtsbehelf und die in diesem Verfahren ergehenden Entscheidungen nur dessen Steuerfestsetzung betreffen; die Steuerfestsetzung gegenüber dem anderen Ehegatten (Gesamtschuldner) wird davon nicht berührt (ebenso: Frotscher in Schwarz, a.a.O., § 155 Anm.63). Aus den vorstehenden Gründen können sich daher Unterschiede hinsichtlich der Bestands- und Rechtskraft der gegenüber den Ehegatten wirkenden Steuerfestsetzungen sowie hinsichtlich der Verjährung der gegen sie bestehenden Steueransprüche ergeben.

Für den Streitfall ergibt sich daraus, daß der Bescheid über die Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Einkommensteuerbescheide als im Rechtsbehelfsverfahren ergehender Verwaltungsakt (Entscheidung gemäß § 361 Abs.2 AO 1977) seinem Regelungsinhalt nach nur den rechtsbehelfsführenden Ehegatten --hier den Ehemann der Klägerin-- betrifft. Das kommt auch in der Aussetzungsverfügung vom 30. November 1987 zum Ausdruck, nach der die Aussetzung der Vollziehung "mit Rücksicht auf den eingelegten Rechtsbehelf" erfolgt ist und mit der Bekanntgabe geänderter Bescheide, der Rücknahme der Rechtsbehelfe oder dem Eintritt der Rechtskraft der Rechtsbehelfsentscheidung enden sollte. Die Klägerin hat aber einen Rechtsbehelf als gesetzliche Voraussetzung für die Aussetzung der Vollziehung nicht eingelegt.

Zwar kann eine Aussetzung der Vollziehung auch von Amts wegen erfolgen (Tipke/Kruse, a.a.O., § 361 AO 1977 Tz.2). Es kann dahinstehen, ob das FA auch der Klägerin gegenüber die Vollziehung der zusammengefaßten Einkommensteuerbescheide 1980 bis 1984 aussetzen wollte --wie die Revision meint und wofür die Adressierung der Aussetzungsverfügung auch an die Klägerin spricht--, und ob eine derartige Aussetzung der Vollziehung trotz des insoweit fehlenden Rechtsbehelfs der Klägerin rechtlich zulässig und wirksam wäre. Eine Aussetzung der Vollziehung in bezug auf die Klägerin als Steuerschuldnerin konnte jedenfalls nicht durch eine zusammengefaßte, an beide Ehegatten adressierte Aussetzungsverfügung der Klägerin gegenüber wirksam bekanntgegeben werden. Denn die von der Rechtsprechung angenommene gegenseitige Bevollmächtigung der Ehegatten, die aus der gemeinsam unterschriebenen und abgegebenen Steuererklärung folgt, ermächtigte jedenfalls nicht zur Empfangnahme von den anderen Ehegatten betreffenden Entscheidungen im Rechtsbehelfsverfahren, wenn für diesen --wie oben ausgeführt auch aufgrund dieser Bevollmächtigung-- ein Rechtsbehelf nicht eingelegt worden ist.

Da der Klägerin gegenüber eine gesonderte Aussetzungsverfügung nicht bekanntgegeben worden ist und sie auch zu dem Rechtsbehelfsverfahren ihres Ehemannes nicht beigeladen worden ist, ist --unabhängig davon, ob dies im Streitfall rechtlich überhaupt möglich gewesen wäre (so aber das FG)-- die Aussetzung der Vollziehung ihr gegenüber nicht wirksam geworden. Die Steuernachforderungen aufgrund der geänderten Einkommensteuerbescheide 1980 bis 1984 sind somit - -wie oben ausgeführt-- gegenüber der Klägerin durch Zahlungsverjährung erloschen, da die Verjährung nicht gemäß § 231 Abs.1 AO 1977 durch Aussetzung der Vollziehung unterbrochen worden ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66273

BFH/NV 1997, 283

BFHE 182, 262

BFHE 1997, 262

BB 1997, 1194 (Leitsatz)

BB 1998, 89

DB 1997, 1163 (Leitsatz)

DStRE 1997, 570-573 (Leitsatz und Gründe)

DStZ 1997, 796 (Leitsatz)

HFR 1997, 559-560 (Leitsatz)

StE 1997, 335 (Kurzwiedergabe)

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge