Leitsatz (amtlich)

Die Herstellung von Beton-Bauelementen rechnet auch dann nicht zum Baugewerbe, wenn der Betrieb die Bauelemente auf von der Herstellungsbetriebstätte verschiedenen Baustellen montiert. Soweit der Senat im Urteil vom 17. Oktober 1973 VIII R 149/71 (BFHE 111, 392, BStBl II 1974, 321) eine andere Ansicht vertreten hat, hält er an ihr nicht mehr fest.

 

Normenkette

BerlinFG § 19 Abs. 1 S. 3 Nr. 1

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Betrieb der Klägerin und Revionsbeklagten (Klägerin) zum Baugewerbe gehört, so daß ihr die erhöhte Investitionszulage des § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) nicht zustehen würde.

Die Klägerin fertigt Bauelemente aus Beton nach dem System X, die sie in der Hauptsache auf eigenen Baustellen zu Fertigbauten montiert. Etwa 15 v. H. ihrer Produktion veräußert sie an fremde Unternehmer. Im Jahre 1970 schaffte sie der Fertigung der Bauelemente dienende Wirtschaftsgüter an und nahm für sie die erhöhte Investitionszulage des § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BerlinFG in Anspruch. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) versagte jedoch die erhöhte Investitionszulage mit der Begründung, die Klägerin gehöre dem Baugewerbe an. Trotz des Hinweises der Klägerin, daß das Statistische Landesamt Berlin ihren Betrieb nicht mehr als Baubetrieb, sondern als Industriebetrieb registriert habe, hatte ihr Einspruch keinen Erfolg. Dagegen gab das FG ihrer Klage mit folgender Begründung statt: Dem Baugewerbe gehörten alle Betriebe an, die in Abteilung 3 der Systematik der Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesamtes aufgeführt werden, dagegen nicht die in Abteilung 2 der Systematik aufgeführten Betriebe. Dieser Systematik zufolge gehöre die fabrikmäßige standortgebundene Herstellung von Fertighauselementen zum erhöht zulagebegünstigten verarbeitenden Gewerbe und nur die Montage zum Baugewerbe. Ob die hergestellten Fertigbauteile im Rahmen des eigenen Betriebes montiert werden oder an andere Unternehmer veräußert werden, sei ohne Bedeutung. Hiervon sei im zu entscheidenden Falle um so eher auszugehen, als die Fertigung und die Montage in getrennten selbständigen Betriebstätten vorgenommen wurden.

Hiergegen richtet sich die Revision des FA mit folgender Begründung: Die Abgrenzung des "Baugewerbes" vom "sonstigen verarbeitenden Gewerbe" ergebe sich weder aus dem Berlinförderungsgesetz noch aus dem Steuerrecht. Auch die Systematik der Wirtschaftszweige gebe keinen Aufschluß, und zwar schon deshalb nicht, weil sie im Jahre 1961 erstellt worden sei, als die Fertigbauweisen im Massivbau noch keine Bedeutung gehabt hätten. Die Herstellung von Bauelementen für große Wohnblöcke sei mit der im Urteil des FG erwähnten Klasse 22 08 7, betreffend Herstellung von Steinwaren wie Steine, Platten, Fertigteile, Röhren, Masten, Spülsteine, Badewannen usw., nicht vergleichbar. Die Systematik gruppiere an keiner Stelle Fertigbauweisen in das verarbeitende Gewerbe - ohne Baugewerbe - ein. Sie scheide somit für die Unterscheidung aus. Es verbleibe demnach bei der Verkehrsauffassung. Würden Baustoffe von einem Bauunternehmer erzeugt und im eigenen Unternehmen verarbeitet, so liege ein mehrstufiges Unternehmen vor, das teilweise dem Baugewerbe, teilweise aber dem sonstigen verarbeitenden Gewerbe zuzurechnen sei. Würden jedoch ganze Teile eines bestimmten Bauwerks lediglich aus Rationalisierungsgründen räumlich getrennt von der Baustelle hergestellt, so liege lediglich eine Verlagerung eines Teils der Baugewerbetätigkeit in eine andere Betriebstätte vor.

Die Klägerin fertige die Bauteile in der einzigen ständigen Betriebstätte an, in der sich auch die Geschäftsleitung mit der kaufmännischen und bautechnischen Verwaltung sowie Werkstätten und Lager für Baugeräte, Fahrzeuge, Baumaterialien usw. befänden. Selbst wenn die Herstellung der Bauelemente nicht dem Baugewerbe zuzurechnen wäre, wäre die in der ständigen Betriebstätte ausgeübte Tätigkeit noch teilweise als Ausübung des Baugewerbes anzusehen und die erhöhte Investitionszulage zu versagen.

Das FA beantragt, das Urteil des FG vom 8. November 1972 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie führt aus: Die Herstellung von Betonfertigbauteilen sei in der Klasse 22 08 7 des Systematischen Verzeichnisses der Wirtschaftszweige eingeordnet, wovon auch das Statistische Landesamt Berlin ausgehe. Die Systematik differenziere eindeutig wie folgt: "Die serienmäßige Herstellung von Fertig-Bauteilen ist bei den jeweils produzierenden Wirtschaftszweigen nachzuweisen, ihre Montage gehört zum Baugewerbe." Auch nach der Verkehrsanschauung sei die Herstellung von Betonfertigteilen nicht dem Baugewerbe zuzurechnen, wie sich aus Brockhaus Enzyklopädie, 17. Aufl., 2. Band, ergebe, wonach vorgefertigte Bauelemente und Fertighäuser, Fertigbau nicht vom Baugewerbe umfaßt würden. Auch in der Verordnung über die Betriebe des Baugewerbes würden dem Baugewerbe massive, ortsfeste und auf Dauer eingerichtete Betriebstätten nach Art stationärer Betriebe, die Betonfertigteile herstellen, nicht zugerechnet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist nicht begründet. Das FG hat der Klägerin zu Recht die beantragte Investitionszulage zugestanden.

Beide Beteiligten gehen zutreffend davon aus, daß die Klägerin die erhöhte Investitionszulage nach § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BerlinFG nur erhalten kann, wenn ihr Betrieb bzw. die Betriebstätte, in der die Bauelemente hergestellt werden, dem verarbeitenden Gewerbe, aber nicht dem Baugewerbe zuzurechnen sind.

Der Senat hat in dem Urteil vom 14. Januar 1975 VIII R 148/71 (BStBl II 1975, 392) ausgeführt, daß die Begriffe "Betrieb (Betriebstätte) des verarbeitenden Gewerbes" und "Baugewerbe" im Gesetz nicht definiert würden, daß aber die Abgrenzung dem vom Statistischen Bundesamt aufgestellten Systematischen Verzeichnis der Wirtschaftszweige entnommen werden könne, auf das in der Begründung des Dritten Gesetzes zur Änderung des Berlinhilfegesetzes vom 19. Juli 1968 (BGBl I 1968, 833) in der Bundestagsdrucksache V/3019 zu Art. 1 Nr. 5 Buchst. a des Gesetzentwurfs Bezug genommen werde. Der VI. Senat des BFH habe zwar in seinem Urteil vom 1. Dezember 1970 VI R 386/69 (BFHE 100, 573, BStBl II 1971, 164) beim Vorliegen einer abweichenden Regelung im Einkommensteuerrecht die Möglichkeit eingeräumt, eine von dem Systematischen Verzeichnis abweichende Abgrenzung vorzunehmen, habe aber keine allgemeine Regel aufgestellt, derzufolge die in dem Verzeichnis getroffene Einteilung außer Betracht zu bleiben habe, wenn die Verkehrsauffassung und der Sprachgebrauch entgegenstehen. Da auf das Verzeichnis nur in der Gesetzesbegründung, nicht aber im Gesetz selbst Bezug genommen wird, bestehe zwar keine feste Bindung an das Verzeichnis. Schon die Rechtssicherheit erfordere jedoch die engste Anlehnung an das Verzeichnis bei der Unterscheidung der Gewerbezweige. Zudem sei dem Vorwort des Systematischen Verzeichnisses zu entnehmen, daß an seiner Aufstellung Mitglieder und Gäste des Fachausschusses "Systematiken" beteiligt waren, durch welchen Institutionen vertreten werden, denen zahlreiche Wirtschaftsverbände angehören. Hiernach stehe fest, daß die Verkehrsauffassung bei Aufstellung des Verzeichnisses gebührend berücksichtigt wurde. Man könne das Systematische Verzeichnis nicht nur durch einen Hinweis auf die Verkehrsauffassung für nicht anwendbar erklären. An seiner hiervon abweichenden Ansicht im Urteil vom 17. Oktober 1973 VIII R 149/71, (BFHE 111, 392, BStBl II 1974, 321) halte der Senat nicht mehr fest.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann die erhöhte Investitionszulage nach § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BerlinFG der Klägerin nicht versagt werden. Nach den Bemerkungen zu Ziffer 30 0 des Verzeichnisses, die den Hoch- und Tiefbau betrifft, gehört nur die Montage von Fertigbauteilen zum Baugewerbe, während ihre Herstellung bei den jeweils produzierenden Wirtschaftszweigen nachzuweisen ist. Hiernach gehört die Herstellung von Fertigbauteilen - gleich welcher Art sie sind - niemals zum Baugewerbe, so daß es nicht darauf ankommt, ob ihre Herstellung in der Abteilung 2 des Verzeichnisses "Verarbeitendes Gewerbe (ohne Baugewerbe)" besonders aufgeführt wird. Aus Beton hergestellte Fertigbauteile sind daher ohne weiteres den in Ziffer 22 08 7 des Verzeichnisses erwähnten Bausteinerzeugnissen zuzurechnen, wobei es unerheblich ist, daß sie unter den beispielhaft aufgezählten Betonsteinerzeugnissen nicht erwähnt werden. Entgegen der vom FA vertretenen Ansicht ergibt sich gerade aus den Bemerkungen zu Ziffer 30 0 des Verzeichnisses, daß die Herstellung von Beton-Fertigbauteilen durch die Statistik erfaßt und dem verarbeitenden Gewerbe (ohne Baugewerbe) zugerechnet werden sollte.

Zum Nachweis dafür, daß die Verkehrsauffassung der in dem Systematischen Verzeichnis getroffenen Einteilung entgegen der Auffassung des FA nicht entgegensteht, hat sich die Klägerin zu Recht auf die in der Brockhaus Enzyklopädie in der 17. Auflage wiedergegebene Definition der Begriffe "Baugewerbe" und "Fertigteilbau" berufen, da diese Definition übereinstimmend mit dem Systematischen Verzeichnis zwischen der Herstellung ortsgebundener, nicht exportierbarer Bauwerke und der fabrikmäßigen Herstellung nicht ortsgebundener, exportierbarer Einzelteile unterscheidet. Damit ist zugleich geklärt, daß die Unterscheidung nicht willkürlich, sondern systematisch vorgenommen wird.

Der Senat stimmt im übrigen mit der Ansicht des FG überein, daß die Montage der Fertigteile der erhöhten Investitionszulage schon deshalb nicht entgegensteht, weil die Herstellung und die Montage in verschiedenen Betriebstätten durchgeführt werden. Es kommt daher lediglich darauf an, daß die Herstellung der Fertigteile ausschließlich in der hierfür eingerichteten Betriebstätte vorgenommen wird, so daß diese Betriebstätte nicht dem Baugewerbe zugerechnet werden kann, wovon auch das FA ausgeht. Im Rahmen dieser Betriebstätte erhält die Klägerin die Investitionszulage ohne Rücksicht darauf, was in ihren übrigen Betriebstätten vorgeht. Daß die Fertigungsbetriebstätte vom Betriebssitz örtlich nicht getrennt ist, ist unerheblich.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71335

BStBl II 1975, 406

BFHE 1975, 167

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