Entscheidungsstichwort (Thema)

Veräußerungsgewinn (Spekulationsgeschäft) eines beschränkt Steuerpflichtigen

 

Leitsatz (amtlich)

Erzielt ein beschränkt Steuerpflichtiger einen Veräußerungsgewinn i.S. des § 49 Abs.1 Nr.2 Buchst.c i.V.m. § 17 Abs.1 EStG, so entfällt die Annahme steuerpflichtiger inländischer Einkünfte nicht deshalb, weil der Gewinn bei bestehender unbeschränkter Steuerpflicht vorrangig als Einkünfte i.S. des § 23 Abs.1 Nr.1 Buchst.b EStG zu besteuern wäre.

 

Orientierungssatz

Die Aufgabe der Vorschrift des § 49 EStG erschöpft sich darin, die territorialen Anknüpfungspunkte zu umschreiben, nach denen die inländischen Einkünfte von den nichtinländischen abzugrenzen sind. Dazu folgt aus dem Grundsatz der isolierenden Betrachtungsweise (vgl. BFH-Beschluß vom 1.12.1982 I B 11/82),daß es für die Annahme inländischer Einkünfte ausreicht, wenn nur der für eine subsidiäre Einkunftsart geltende inländische Anknüpfungspunkt verwirklicht wird.

 

Normenkette

EStG § 1 Abs. 2, § 17 Abs. 1, § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b, § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c

 

Tatbestand

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) hatte während des gesamten Streitjahres 1972 seinen einzigen Wohnsitz in Beirut (Libanon). Er übernahm im Gesellschaftsvertrag vom 7.September 1972 50 v.H. der Geschäftsanteile an der A-GmbH in F, deren Stammkapital 500 000 DM betrug. Der Kläger leistete eine Einlage in Höhe von 250 000 DM. Durch Vertrag vom 13./19.Dezember 1972 veräußerte er die Geschäftsanteile für 960 000 DM. Der Kaufpreis wurde am 19.Dezember 1972 bezahlt. Auf Seiten des Klägers fielen durch den Verkauf Aufwendungen in Höhe von 27 000 DM an.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) sah den Veräußerungsgewinn als im Inland gemäß § 49 Abs.1 Nr.2 Buchst.c i.V.m. § 17 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. vom 1.Dezember 1971 --EStG 1971-- (BGBl I 1971, 1881, BStBl I 1971, 584) steuerpflichtig an. Er ermittelte die Einkünfte i.S. des § 17 Abs.2 EStG 1971 in Höhe von (960 000 DM ./. 250 000 DM ./. 27 000 DM =) 683 000 DM und setzte durch Bescheid vom 5.Dezember 1980 eine Einkommensteuer 1972 in Höhe von 175 178 DM fest.

Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und hob den angefochtenen Steuerbescheid auf.

Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA sinngemäß die Verletzung des § 49 Abs.1 Nr.2 Buchst.c i.V.m. § 17 Abs.1 EStG 1971.

Es beantragt, unter Aufhebung des Urteils des Hessischen FG vom 14.November 1985 X 140/81 die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Nach § 1 Abs.2 EStG 1971 sind natürliche Personen, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, mit ihren inländischen Einkünften i.S. des § 49 EStG 1971 beschränkt einkommensteuerpflichtig. Zu diesen Voraussetzungen hat das FG in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß der Kläger im Streitjahr 1972 seinen ausschließlichen Wohnsitz im Libanon hatte. Gleichzeitig hat es keine Anhaltspunkte dafür festgestellt, daß der Kläger im Jahre 1972 seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte. Die Feststellungen binden den erkennenden Senat aus Gründen des § 118 Abs.2 FGO. Aus ihnen ergibt sich, daß der Kläger im Jahre 1972 beschränkt einkommensteuerpflichtig war, wenn und soweit er inländische Einkünfte i.S. des § 49 EStG 1971 erzielte.

2. Nach § 49 Abs.1 Nr.2 Buchst.c EStG 1971 sind im Sinne der beschränkten Steuerpflicht (§ 1 Abs.2 EStG 1971) inländische Einkünfte aus Gewerbebetrieb u.a. solche, die aus der Veräußerung eines Anteils an einer Kapitalgesellschaft i.S. des § 17 EStG 1971 erzielt werden, die ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz im Inland hat. Dazu hat das FG in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß der Kläger ab dem 7.September 1972 zu 50 v.H. als Gesellschafter an der A-GmbH beteiligt war. Die A-GmbH war eine Kapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung in der Bundesrepublik Deutschland. Der Kläger verkaufte seinen Geschäftsanteil am 13.Dezember 1972. Dabei erzielte er einen Veräußerungsgewinn in Höhe von 683 000 DM (§ 17 Abs.2 EStG 1971). Diese tatsächlichen Feststellungen binden den erkennenden Senat (§ 118 Abs.2 FGO). Aus ihnen ergibt sich, daß der Kläger alle Tatbestandsvoraussetzungen des § 49 Abs.1 Nr.2 Buchst.c i.V.m. § 17 Abs.1 EStG 1971 erfüllte. Der erzielte Veräußerungsgewinn ist deshalb im Inland steuerpflichtig.

3. Entgegen der Auffassung des FG wird der vom Kläger verwirklichte Tatbestand des § 49 Abs.1 Nr.2 Buchst.c i.V.m. § 17 Abs.1 EStG 1971 nicht durch § 23 Abs.1 Nr.1 Buchst.b EStG 1971 verdrängt.

a) Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob er der vom VI. und vom VIII.Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) vertretenen Rechtsauffassung folgt, daß § 23 Abs.1 Nr.1 Buchst.b EStG 1971 vorrangig anzuwenden ist, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen sowohl dieser Vorschrift als auch des § 17 Abs.1 EStG 1971 erfüllt sind (vgl. Urteile vom 6.Februar 1970 VI R 186/67, BFHE 98, 346, BStBl II 1970, 400, und vom 28.Februar 1974 VIII R 83/69, BFHE 112, 574, BStBl II 1974, 706). Diese Frage stellt sich für den Streitfall schon deshalb nicht, weil die Verwirklichung des Tatbestandes des § 23 Abs.1 Nr.1 Buchst.b EStG 1971 durch den Kläger nicht zu inländischen Einkünften i.S. des § 49 EStG 1971 führt. Damit fehlt es an der Konkurrenz zwischen zwei nebeneinander stehenden Besteuerungsfolgen. Da nur der Tatbestand des § 49 Abs.1 Nr.2 Buchst.c EStG 1971 vom Kläger verwirklicht wurde und die Verwirklichung des Tatbestandes des § 23 Abs.1 Nr.1 Buchst.b EStG 1971 keine Steuer i.S. der §§ 1 Abs.2, 49 EStG 1971 auslöst, kann es zu einer Verdrängung der erstgenannten Besteuerungsfolge nicht kommen.

b) Das FG interpretiert die o.g. Entscheidungen des VI. und VIII.Senats falsch, wenn es meint, der lex-specialis-Charakter des § 23 EStG 1971 schließe auch die Anwendung des § 49 Abs.1 Nr.2 Buchst.c EStG 1971 aus. Der hier unterstellte lex-specialis-Charakter bezieht sich nur auf die Rechtsfolge der Vorschrift. Er besagt, daß die Rechtsfolge des § 23 EStG 1971 dann Vorrang vor der des § 17 Abs.1 EStG 1971 hat und letztere verdrängt, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen beider Vorschriften erfüllt sind. Greift aber die Rechtsfolge des § 23 EStG 1971 nicht ein, so kann die Vorschrift nicht die des § 17 Abs.1 EStG 1971 verdrängen. Dies gilt nicht nur dann, wenn die Frist des § 23 Abs.1 Nr.1 Buchst.b EStG 1971 überschritten ist, sondern ebenso dann, wenn die Rechtsfolge des § 23 Abs.1 Nr.1 Buchst.b EStG 1971 aus Gründen des § 49 EStG 1971 nicht eingreift. Aus der Verweisung des § 49 EStG 1971 auf die Einkunftsarten des § 2 Abs.3 EStG 1971 ergibt sich nichts anderes. Die Verweisung bewirkt nämlich nicht, daß der Besteuerungstatbestand des § 17 Abs.1 EStG 1971 vom Kläger nicht verwirklicht wurde.

c) Die Auffassung des erkennenden Senats entspricht auch der Funktion des § 49 EStG 1971. Die Aufgabe der Vorschrift erschöpft sich darin, die territorialen Anknüpfungspunkte zu umschreiben, nach denen die inländischen Einkünfte von den nicht-inländischen abzugrenzen sind. Dazu folgt aus dem Grundsatz der isolierenden Betrachtungsweise (vgl. BFH-Beschluß vom 1.Dezember 1982 I B 11/82, BFHE 137, 178, BStBl II 1983, 367, m.w.N.; Tullius, Betriebs-Berater 1974, 314), daß es für die Annahme inländischer Einkünfte ausreicht, wenn nur der für eine --was hier unterstellt wird-- subsidiäre Einkunftsart geltende inländische Anknüpfungspunkt verwirklicht wird. Entsprechend wird die nach § 49 Abs.1 Nr.2 Buchst.c, § 17 Abs.1 EStG 1971 im Inland begründete Steuerpflicht nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Veräußerungsgewinn, wäre er von einem unbeschränkt Steuerpflichtigen erzielt worden, dem § 23 Abs.1 Nr.1 Buchst.b EStG 1971 zuzuordnen wäre und § 49 EStG 1971 für Veräußerungsgewinne i.S. des § 23 EStG 1971 keinen inländischen Anknüpfungspunkt enthält.

4. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Seine Entscheidung kann deshalb keinen Bestand haben. Die Sache ist entscheidungsreif. Da der Kläger den Tatbestand der §§ 1 Abs.2, 49 Abs.1 Nr.2 Buchst.c, 17 EStG 1971 erfüllte und die vom FA angesetzten Einkünfte auch der Höhe nach nicht zu beanstanden sind, waren die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 62470

BFH/NV 1990, 35

BStBl II 1990, 1056

BFHE 159, 449

BFHE 1990, 449

BB 1990, 848 (L)

DB 1990, 1500 (LT)

DStR 1990, 276 (KT)

HFR 1990, 364 (LT)

StE 1990, 154 (K)

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