Entscheidungsstichwort (Thema)

Recht auf Abbruch eines Gebäudes als Veräußerung i.S. von § 6b EStG - Übertragung i.S. von § 82 StBauFG - Änderung eines Steuerbescheids nach § 174 Abs. 4 AO 1977

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Veräußerung von Gebäuden i.S. des § 6b Abs.1 EStG ist auch dann anzunehmen, wenn der Berechtigte einem Dritten entgeltlich das Recht zu deren Abbruch einräumt.

 

Orientierungssatz

1. Für die Annahme einer Veräußerung i.S. des § 6b EStG (bzw. Übertragung i.S. des § 82 StBauFG); hier: von Gebäuden) reicht einkommensteuerrechtlich bereits der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums aus, der zweifelsfrei nicht den zivilrechtlichen Vorschriften über die Übertragung von Rechten auf ein anderes Rechtssubjekt unterliegt. Einkommensteuerrechtlich ist es anerkannt, daß Grund und Boden und aufstehende Gebäude als jeweils selbständige Wirtschaftsgüter ein getrenntes Schicksal erleiden können (vgl. BFH-Rechtsprechung).

2. Die Änderung eines Steuerbescheids nach § 174 Abs. 4 AO 1977 ist nicht mehr zulässig, wenn der Steueranspruch der mit dem Änderungsbescheid geltend gemacht werden soll, nach den Vorschriften der Reichsabgabenordnung in den vor dem 1. Januar 1977 geltenden Fassungen verjährt war (vgl. BFH-Urteil vom 30.9.1980 VIII R 58/80).

 

Normenkette

EStG § 6b Abs. 1; StBauFG § 82; AO 1977 § 174 Abs. 4; AO; AO § 107a DV § 2; EGAO 1977 Art. 97 § 10 Abs. 1

 

Tatbestand

I. Die Stadt X hatte auf Grund des Städtebauförderungsgesetzes (StBauFG) 1971 vom 27.Juli 1971 (BGBl I 1971, 1125, BStBl I 1971, 430) die Sanierung eines Teils der Altstadt beschlossen. In dem Sanierungsgebiet lagen auch einige im Eigentum der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) stehende Grundstücke. Zur Erreichung des Sanierungsziels schlossen die Stadt und die Klägerin am 14.September 1972 einen Vertrag, wonach die Fabrik der Klägerin stillgelegt, die Gebäude auf den Grundstücken abgebrochen und die Grundstücke einer anderen Nutzung zugeführt werden sollten. Nach dem Inhalt des Vertrags hatte die Klägerin ihren Produktionsbetrieb spätestens am 31.Dezember 1972 einzustellen und die vorhandenen Gebäude spätestens am 1.April 1973 zum Abbruch durch die Stadt freizugeben. Als Gegenleistung für die Aufgabe des Betriebes und den Verlust der Gebäude verpflichtete sich die Stadt zur Zahlung einer Entschädigung von 6 131 000 DM an die Klägerin. Darin war auch ein Anteil zur Abgeltung der nicht verlagerungsfähigen Betriebsvorrichtungen und ein Beitrag der Stadt zu den Aufwendungen eines Sozialplanes enthalten.

Die Stadt führte die Abbrucharbeiten in den Monaten April und Mai 1973 durch. Mit Vertrag vom 8.Juli 1977 erwarb die Stadt auch den Grund und Boden, auf dem die Gebäude standen.

Die Klägerin errechnete aus der Entschädigung einen steuerlichen Gewinn von 4 976 290 DM, von dem sie per 31.Dezember 1972 einen Teilbetrag von 3 786 573 DM zur Bildung einer Rücklage nach § 82 StBauFG i.V.m. § 6b des Einkommensteuergesetzes --EStG-- (in der im Streitjahr geltenden Fassung) verwendete.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erkannte die Bildung der Rücklage im Körperschaftsteuerbescheid für 1972 nicht an. Auf die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage setzte das Finanzgericht (FG) in einem anderen Verfahren die Körperschaftsteuer für 1972 auf null DM herab, weil der Gewinn aus der Vereinbarung mit der Stadt in 1972 noch nicht realisiert worden sei.

Das FA erließ daraufhin am 16.August 1985 einen gemäß § 174 Abs.4 sowie § 165 Abs.2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Körperschaftsteuerbescheid für 1973, in dem es die Entschädigungszahlungen der Stadt X der Besteuerung unterwarf, weil die Bildung einer Rücklage nach § 6b EStG nicht möglich sei. Nach erneut erfolglosem Einspruch wies das FG die Klage ab, soweit sie die steuerbegünstigte Rücklage betraf.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung der § 82 StBauFG und § 6b EStG.

Sie beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und den Körperschaftsteueränderungsbescheid des FA vom 16.August 1985 und die Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Die Klägerin veräußerte die Gebäude i.S. des § 6b Abs.1 EStG bzw. übertrug diese i.S. des § 82 StBauFG, indem sie einem Dritten (der Stadt) entgeltlich das Recht zum Abbruch einräumte. Dies hat das FG verkannt.

a) Das Tatbestandsmerkmal "Veräußerung" i.S. des § 6b EStG (entgeltliche Übertragung der von der Vorschrift erfaßten Wirtschaftsgüter auf einen anderen Rechtsträger) bzw. "Übertragung" i.S. des § 82 StBauFG ist nicht allein dann erfüllt, wenn der Erwerber zivilrechtlicher Eigentümer des betroffenen Wirtschaftsguts werden kann. Vielmehr reicht für die Annahme einer Veräußerung (bzw. Übertragung) einkommensteuerrechtlich bereits der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums aus, der zweifelsfrei nicht den zivilrechtlichen Vorschriften über die Übertragung von Rechten auf ein anderes Rechtssubjekt unterliegt (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 21.Oktober 1976 IV R 210/72, BFHE 120, 239, BStBl II 1977, 145, 147).

Bei Gebäuden ist es --solange insbesondere kein Erbbaurecht am Grundstück bestellt ist (vgl. § 95 Abs.1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--)-- zivilrechtlich nicht möglich, sie ohne das Grundstück zu übertragen, mit dem sie verbunden sind (§§ 93, 94 BGB). Einkommensteuerrechtlich ist es hingegen anerkannt, daß Grund und Boden und aufstehende Gebäude als jeweils selbständige Wirtschaftsgüter ein getrenntes Schicksal erleiden können (BFH-Beschluß vom 16.Juli 1968 GrS 7/67, BFHE 94, 124, BStBl II 1969, 108). So muß die Klägerin im Streitfall den Gewinn aus der "Veräußerung" ihrer Gebäude versteuern, ohne daß sie den Grund und Boden mit übertragen hätte.

§ 6b EStG geht ebenfalls davon aus, daß Grund und Boden einerseits und Gebäude andererseits als jeweils selbständige Wirtschaftsgüter zu behandeln sind, denn sie werden innerhalb der Vorschrift gesondert benannt und unterliegen hinsichtlich ihrer Begünstigung unterschiedlichen Voraussetzungen (vgl. BFH-Urteil vom 27.Februar 1991 XI R 14/87, BFHE 163, 571, BStBl II 1991, 628).

Bei Anwendung des § 6b EStG ist demgemäß unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Vorschrift --abweichend vom Zivilrecht-- eine Übertragung des Wirtschaftsguts "Gebäude" bereits dann anzunehmen, wenn dessen wirtschaftlicher Wert einem anderen überlassen wird und dieser gleich einem Eigentümer darüber verfügen kann (vgl. Blümich/Uelner, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 6b Rdnr.23 f). Ein solches Verfügungsrecht beinhaltet aber nicht nur die Befugnis, das Wirtschaftsgut zu nutzen oder es wiederum zu übertragen, sondern ebenso es zu zerstören. Darin liegt die wohl umfassendste Befugnis, mit dem Wirtschaftsgut "nach Belieben" (vgl. § 903 BGB) zu verfahren.

Die Klägerin veräußerte somit bei wirtschaftlicher Betrachtung die streitigen Gebäude, indem sie der Stadt entgeltlich die Rechtsmacht einräumte, sie abzubrechen und damit zu zerstören. Diese erwarb damit wirtschaftliches Eigentum an den Gebäuden, zumal sie mit der Befugnis zum Abbruch die Klägerin als zivilrechtliche Eigentümerin endgültig von der Einwirkung auf diese Wirtschaftsgüter ausschließen konnte (vgl. BFH-Urteile in BFHE 163, 571, BStBl II 1991, 628, und vom 19.Januar 1982 VIII R 102/78, BFHE 135, 434, BStBl II 1982, 533 unter I 1 a.E. der Entscheidungsgründe). Nach den vertraglichen Vereinbarungen zwischen der Klägerin und der Stadt war jene vom Übergabetag an von jeder Einwirkung auf die Gebäude ausgeschlossen.

b) Die vorstehende Auslegung gilt gleichermaßen für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals "Übertragung von Wirtschaftsgütern ... im Sinne des § 6b Abs.1 des Einkommensteuergesetzes" in § 82 StBauFG. Dies belegt auch die amtliche Überschrift dieser Bestimmung ("Veräußerungsgewinne"). § 82 StBauFG kommt nur insoweit eigenständige Bedeutung zu, als die Vorschrift die Reinvestitionsfrist des § 6b Abs.3 EStG verlängert und die Vorbesitzzeit nach § 6b Abs.4 Nr.2 EStG verkürzt. Der Gesetzgeber hat diese Interpretation indirekt bestätigt, als er auf Grund des Art.2 Nr.15 des Gesetzes über das Baugesetzbuch vom 8.Dezember 1986 (BGBl I 1986, 2191, BStBl I 1987, 95) die Regelung des § 82 StBauFG als neuen Absatz 7 in den § 6b EStG übernahm.

2. Die Sache war gemäß § 126 Abs.3 Nr.2 FGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Da das FG die Höhe der zu bildenden 6b-Rücklage und die Änderungsbefugnis des FA nicht überprüft hat, konnte der BFH nicht in der Sache selbst entscheiden.

Zum einen hat das FG nicht geklärt, ob die überlassenen "Betriebsvorrichtungen", die ebenfalls von der geschuldeten Entschädigung umfaßt werden, abnutzbare bewegliche Wirtschaftsgüter mit einer betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer von mindestens 25 Jahren darstellen. Nur dann wären sie gemäß § 6b Abs.1 EStG begünstigt.

Zum andern ist noch festzustellen, inwieweit die vereinbarte und gezahlte Entschädigung als Veräußerungspreis des Gebäudes anzusehen ist. Herauszurechnen sind insbesondere der Beitrag der Stadt zu den Aufwendungen des Sozialplans und evtl. ein Geschäftswert (vgl. BFH-Urteil vom 11.Juli 1973 I R 140/71, BFHE 110, 248, BStBl II 1973, 840).

Vorrangig wird das FG allerdings zu prüfen haben, ob das FA überhaupt zum Erlaß des geänderten Körperschaftsteuerbescheids befugt war. Als Änderungsvorschrift hat das FA § 174 Abs.4 AO 1977 herangezogen. Die Änderung eines Steuerbescheids nach dieser Vorschrift ist nicht mehr zulässig, wenn der Steueranspruch, der mit dem Änderungsbescheid geltend gemacht werden soll, nach den Vorschriften der Reichsabgabenordnung (AO) in den vor dem 1.Januar 1977 geltenden Fassungen verjährt war (BFH-Urteil vom 30.September 1980 VIII R 58/80, BFHE 132, 1, BStBl II 1981, 245). Da der streitige Steuerbescheid das Jahr 1973 betrifft und der Änderungsbescheid im August 1985 erging, liegt eine solche Prüfung der Verjährung nahe. Der Senat konnte nicht durchentscheiden, da das FG insbesondere keine Feststellungen zu einer Unterbrechung oder Hemmung der Verjährung getroffen hat. Hilfsweise wird das FG auch die Voraussetzungen der vom FA ergänzend herangezogenen Änderungsvorschrift des § 165 Abs.2 AO 1977 zu überprüfen haben.

Nach § 6b Abs.3 Satz 6 EStG ist eine Rücklage nur zulässig, wenn in der handelsrechtlichen Jahresbilanz ein entsprechender Passivposten in mindestens gleicher Höhe ausgewiesen wird. Dazu hat das FG ebenfalls noch nichts festgestellt. Da die Klägerin zunächst von einer Entstehung des fraglichen Gewinns in 1972 ausging, liegt die Annahme nahe, daß sie allenfalls in der Handelsbilanz dieses Jahres einen entsprechenden Passivposten ausgewiesen hat. Auch dieser Frage wird das FG --die Befugnis des FA zum Erlaß des streitigen Änderungsbescheids vorausgesetzt-- nachzugehen und sich ggf. der Rechtsfrage zu stellen haben, ob ein solcher Passivposten noch im Wege der Bilanzberichtigung ausgewiesen werden kann, weil der zugrunde liegende Veräußerungsgewinn einem anderen Veranlagungszeitraum zugewiesen wurde (vgl. Schmidt/Glanegger, Einkommensteuergesetz, 10.Aufl. 1991, § 6b Anm.12 a).

 

Fundstellen

Haufe-Index 63899

BFH/NV 1992, 34

BStBl II 1992, 517

BFHE 166, 530

BFHE 1992, 530

BB 1992, 891

BB 1992, 891-892 (LT)

DB 1992, 1503 (L)

DStR 1992, 679 (KT)

DStZ 1992, 345 (KT)

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