Leitsatz (amtlich)

Ein Steuerpflichtiger, dem die Ausreise aus der DDR in die USA genehmigt wurde, der jedoch nur mit einem Besuchervisum für die USA zunächst in die Bundesrepublik reist, kann die Aufwendungen für eine danach angetretene Besuchsreise in die USA nicht als außergewöhnliche Belastung abziehen.

 

Orientierungssatz

1. Eine die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG begründende sittliche Pflicht ist nur dann zu bejahen, wenn diese so unabdingbar auftritt, daß sie ähnlich einer Rechtspflicht von außen her als eine Forderung oder zumindest Erwartung der Gesellschaft derart auf den Steuerpflichtigen einwirkt, daß ihre Erfüllung als eine selbstverständliche Handlung erwartet und die Mißachtung dieser Erwartung als moralisch anstößig empfunden wird (vgl. BFH-Rechtsprechung).

2. Ein Steuerpflichtiger, dem die Ausreise aus der DDR in die USA genehmigt wurde, der jedoch nur mit einem Besuchervisum für die USA in die Bundesrepublik reist und hier Unterkunft in einem Notaufnahmelager, darauf in einem Übergangswohnheim findet und danach eine Besuchsreise in die USA antritt, ist bereits mit seiner Einreise in die Bundesrepublik und nicht erst nach Rückkehr aus den USA nach § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtig geworden.

 

Normenkette

EStG § 33 Abs. 2 S. 1, § 1 Abs. 1 S. 1

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 1980 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden. Der Kläger ist Diplom-Ingenieur; als gebürtiger Russe lebte er seit ... mit seiner deutschen Ehefrau, der Klägerin, einer ...ärztin, in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Nachdem seine Mutter und seine Schwester in die USA ausgewandert waren, wurde der Kläger 1978 aus der Staatsbürgerschaft der Sowjetunion entlassen.

Am ... beantragten die Kläger bei den Behörden in X eine Ausreisegenehmigung in die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik), die mehrfach abgelehnt wurde. Bei der ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Berlin-Ost stellten sie gleichzeitig einen Einreiseantrag für die Bundesrepublik und beantragten schließlich mit Unterstützung der Botschaft der USA und eines amerikanischen Kongreßabgeordneten eine Genehmigung zur Ausreise in die USA, die in Form eines Visums zur einmaligen Ausreise aus der DDR und zur Übersiedlung in die Vereinigten Staaten erteilt wurde. Die Botschaft der USA stellte den Klägern ein Visum für Nichteinwanderer aus.

Am ... 1980 kamen die Kläger in die Bundesrepublik, wo sie zunächst bei einem Kriegskameraden des Vaters der Klägerin lebten, um dann Unterkunft im Notaufnahmelager Gießen zu finden. Mit Bescheid vom .. Juni 1980 stellte der Leiter des Bundes* notaufnahmeverfahrens in Gießen fest, daß die Kläger im Wege der Notaufnahme gemäß § 1 des Notaufnahmegesetzes vom 22.August 1950 (BGBl I, 367) in das Bundesgebiet gekommen seien und daß über eine Anerkennung als Flüchtling im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) die Flüchtlingsverwaltungen der Länder zu entscheiden hätten. Darauf wurden die Kläger in ein Übergangswohnheim in Z eingewiesen, wo sie vom .. Juni 1980 bis .. Februar 1981 gemeldet waren.

Im Juli 1980 reisten die Kläger, nachdem sie sich das Geld für die Flugkarten geborgt hatten, in die USA, besuchten Mutter und Schwester des Klägers und kehrten nach etwa dreieinhalb Wochen wieder in die Bundesrepublik zurück.

Die Aufwendungen für diesen Flug von 4 936 DM sowie die Gebühren und Kosten für Paßbilder von 194,80 DM machten die Kläger vergeblich in ihrer Einkommensteuererklärung 1980 als außergewöhnliche Belastungen geltend. Der dagegen gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg, denn der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) vertrat die Auffassung, die Kläger seien bis zu ihrer Rückkehr aus den USA nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig gewesen und hätten aus diesem Grunde keinen Anspruch auf Abzug außergewöhnlicher Belastungen.

Mit ihrer dagegen gerichteten Klage hatten die Kläger Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ging davon aus, daß die Kläger mit ihrer Übersiedlung in die Bundesrepublik unbeschränkt einkommensteuerpflichtig geworden und daß ihnen die geltend gemachten Aufwendungen aus tatsächlichen und sittlichen Gründen zwangsläufig erwachsen seien.

Mit seiner auf Beschwerde durch den Bundesfinanzhof (BFH) zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.

1. Nach § 33 Abs.1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) kann die Einkommensteuer ermäßigt werden, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen. Aufwendungen sind in diesem Sinne zwangsläufig, wenn der Steuerpflichtige sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs.2 Satz 1 EStG). Nach der Rechtsprechung des Senats ist diese Voraussetzung erfüllt, wenn die vorstehend aufgezählten Gründe der Zwangsläufigkeit von außen derart auf die Entschließung des Steuerpflichtigen einwirken, daß er ihnen nicht auszuweichen vermag (vgl. BFH-Urteile vom 18.Juli 1986 III R 178/80, BFHE 147, 171, BStBl II 1986, 745; vom 27.Februar 1987 III R 209/81, BFHE 149, 240, BStBl II 1987, 432, und vom 13.März 1987 III R 301/84, BFHE 149, 245, BStBl II 1987, 495).

2. Mit der Vorentscheidung stimmt der Senat darin überein, daß die Kläger bereits mit ihrer Einreise in die Bundesrepublik und nicht erst nach Rückkehr aus den USA nach § 1 Abs.1 Satz 1 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtig geworden sind, so daß das für beschränkt Steuerpflichtige geltende, unter anderem auch außergewöhnliche Belastungen umfassende Abzugsverbot des § 50 Abs.1 Satz 5 EStG nicht anzuwenden ist.

Entgegen der Auffassung des FG sind jedoch die den Klägern durch die Reise in die USA veranlaßten Aufwendungen weder aus tatsächlichen noch aus sittlichen Gründen zwangsläufig erwachsen.

a) Tatsächliche Gründe der Zwangsläufigkeit sind zu bejahen, wenn die geltend gemachten Aufwendungen unmittelbar durch ein unausweichliches Ereignis wie Katastrophen, Krankheit sowie andere Gesundheits- und Lebensbedrohungen oder unzumutbare Beschränkungen der persönlichen Freiheit ausgelöst wurden (vgl. Senats-Urteil in BFHE 149, 245, BStBl II 1987, 495 zu 2.a und Beschluß vom 21.April 1987 III B 165/86, BFH/NV 1987, 501, 502). Im Sinne dieser Rechtsprechung haben die Kläger, anders als etwa bei einer Flucht aus der DDR, die Aufwendungen nicht zur Überwindung einer existenzgefährdenden Zwangslage geleistet, die ihre Entschließungsfreiheit derart eingeschränkt hätte, daß eine Reise in die USA unausweichlich geboten war. Ob die vom FG als tatsächlicher Grund der Zwangsläufigkeit anerkannte Befürchtung, später selbst nicht mehr ungefährdet in die DDR oder einen anderen Ostblockstaat reisen zu können, tatsächlich begründet war, mag dahinstehen; denn aus künftigen und zudem noch ungewissen Gefahren erwachsen dem Steuerpflichtigen keine Aufwendungen, denen er sich im Sinne von § 33 Abs.2 Satz 1 EStG aus tatsächlichen Gründen nicht entziehen kann.

b) Die Aufwendungen sind den Klägern auch nicht aus sittlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Selbst wenn man mit dem FG und den Klägern davon ausgeht, daß der in den beiden Ausreisevisa der DDR enthaltene Vermerk "gültig zur einmaligen Ausreise nach den Vereinigten Staaten" als Auflage zu beurteilen sei, deren Nichterfüllung die befürchteten Sanktionen, nämlich eine Einschränkung der Freizügigkeit der Kläger und ihrer in der DDR lebenden Verwandten, auslöst, konnten die Kläger nicht ernsthaft annehmen, daß ihre Maßnahmen von den DDR-Behörden als Ausreise zur Niederlassung in den USA beurteilt würden. Denn auch eine Besuchsreise in den USA von dreieinhalb Wochen wäre objektiv nicht geeignet, den Vorwurf zu entkräften, die Kläger hätten sich die Ausreise aus der DDR erschlichen. Ein solcher Vorwurf war ganz unabhängig von der Durchführung der USA-Reise schon deshalb nicht zu befürchten, weil die Kläger die Ausreisebehörden der DDR nicht getäuscht haben. Nach den Feststellungen des FG nämlich war den Klägern zwar ein Ausreisevisum zur Übersiedlung in die Vereinigten Staaten erteilt worden; von der Botschaft der USA in der DDR hatten die Kläger aber nur ein einfaches Besuchervisum (Nonimmigrant Visa) erhalten. Beide Sichtvermerke aber befanden sich in ein und demselben Paß, der von den Klägern bei der Ausreise aus der DDR vorzulegen war.

Die Reise in die USA war auch ungeeignet, den Status der Klägerin als "Republikflüchtige" zu verhindern. Nach der vom FG eingeholten Auskunft des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen galt die mit einem Paß und ohne Aberkennung der Staatsbürgerschaft der DDR ausgereiste Klägerin von dem Zeitpunkt ihrer Registrierung im Notaufnahmelager Gießen an als "republikflüchtig". Ob und wann dies den DDR-Behörden bekannt werden würde ließ sich durch die Besuchsreise in die USA nicht beeinflussen. Beschränkungen der Ausreisemöglichkeit von Verwandten und der Einreise der Klägerin in die DDR waren danach bereits eine Folge der Registrierung im Notaufnahmelager; ein Verzicht auf die Reise in die USA hätte diese Folgen nicht mehr auslösen können, wie auch die Reise selbst den Eintritt dieser Folgen nicht hätte vermeiden können.

Aber selbst wenn man der Vorentscheidung darin folgen wollte, daß die Reise zur Vermeidung der mit dem Status "Republikflüchtige" verbundenen Sanktionen geboten war, fehlt es im Streitfall an einer konkreten sittlichen Verpflichtung, wie sie der Senat seiner Rechtsprechung bisher zugrunde gelegt hat (vgl. BFH-Urteile in BFHE 149, 240, BStBl II 1987, 432; in BFHE 149, 245, BStBl II 1987, 495, und vom 24.Juli 1987 III R 208/82, BFHE 150, 351, BStBl II 1987, 715). Danach ist eine die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen nach § 33 Abs.2 Satz 1 EStG begründende sittliche Pflicht nur dann zu bejahen, wenn diese so unabdingbar auftritt, daß sie ähnlich einer Rechtspflicht von außen her als eine Forderung oder zumindest Erwartung der Gesellschaft derart auf den Steuerpflichtigen einwirkt, daß ihre Erfüllung als eine selbstverständliche Handlung erwartet und die Mißachtung dieser Erwartung als moralisch anstößig empfunden wird.

Der einer anständigen und sittlich anerkennenswerten Gesinnung entspringende Wunsch, seine Angehörigen in der DDR zu besuchen, begründet noch keine sittliche Verpflichtung im Sinne des § 33 Abs.2 Satz 1 EStG. Daher hätten sich die Kläger auch nicht gesellschaftlicher Mißbilligung ausgesetzt, hätten sie sich dazu entschlossen, die Reise in die USA nicht durchzuführen. Im Ergebnis ebenso hat der BFH im Urteil vom 8.November 1977 VI R 42/75 (BFHE 124, 34, BStBl II 1978, 147) den verständlichen Wunsch, die eigenen Angehörigen besuchen zu können, nicht als besonderen Umstand anerkannt, der es gerechtfertigt erscheinen lasse, im privaten Lebensbereich entstandene Aufwendungen eines Steuerpflichtigen steuerlich als außergewöhnliche Belastung teilweise der Allgemeinheit aufzubürden. Der erkennende Senat schließt sich dieser Wertung an.

3. Da die Vorentscheidung diesen Grundsätzen widerspricht, war sie aufzuheben. Die Sache ist spruchreif (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), die Klage abzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 61764

BFHE 151, 440

BFHE 1988, 440

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