Leitsatz (amtlich)

1. Sind die Voraussetzungen für die Aufrechnung einer Abgabenforderung gegen einen Erstattungsanspruch des Abgabenschuldners nicht gegeben, weil die Abgabenforderung nicht fälliggestellt ist oder weil sich die Abgabenforderung und der Gegenanspruch aus anderen Gründen nicht aufrechenbar gegenüberstehen, so ist eine Verrechnung der beiderseitigen Forderungen dennoch unter der Voraussetzung möglich, daß der Abgabeschuldner sich mit einem Verrechnungsvorschlag des FA einverstanden erklärt.

2. Ob ein derartiges Verrechnungsabkommen unbedingt oder bedingt zustande gekommen ist, ist unter Berücksichtigung der allgemeinen Rechtsgrundsätze über den Abschluß von Verträgen zu beurteilen.

 

Normenkette

AO § 124

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin hat aufgrund eines berichtigten Vermögensabgabebescheides vom 8. Juli 1964, der an "Herrn A. (Erben) z. Hd. Frau B." gerichtet war, an das FA insgesamt 3 266,20 DM gezahlt. Nach Aufhebung dieses Bescheides durch finanzgerichtliches Urteil führte das FA eine Berichtigung der Vermögensabgabeveranlagung der verstorbenen Frau C. durch, deren Erben Frau B. (Klägerin) und ihr Bruder D. geworden sind.

Ausfertigungen dieses an die Erben der Abgabepflichtigen unter der Anschrift "Frau C. z. Hd. Herrn D. und Frau B." gerichteten Bescheides erteilt das FA jedem der beiden Erben. In dem an die Klägerin gerichteten Bescheid vom 31. Mai 1967 verrechnete das FA den als "Überzahlung auf Grund des bisherigen Solls" bezeichneten Betrag von 3 266,20 DM mit den für die Zeit vom 1. April 1952 bis 30. Juni 1967 fällig gewordenen Vierteljahrsbeträgen und teilte ergänzend mit, daß der zuviel entrichtete Betrag von 13,30 DM auf die Vermögensabgaberate 47 der Erben der Frau C. angerechnet werde.

Den Einspruch der Klägerin gegen diesen Abgabebescheid wies das FA als unbegründet zurück, hob aber am 30. Januar 1968 die im Bescheid vom 31. Mai 1967 erklärte Aufrechnung nach § 93 AO auf. Durch berichtigten Erstattungsbescheid vom 21. März 1968 verfügte das FA außerdem die Erstattung der von der Klägerin zu Unrecht erhobenen Vermögensabgabeleistungen in Höhe von 3 266,20 DM und ordnete deren Verzinsung seit dem Tage der Rechtshängigkeit bzw. dem Tag der späteren Einzahlung an. Gleichzeitig mit dem Erstattungsbescheid richtete das FA ein Schreiben nachstehenden Inhalts an die Klägerin:

"Ich bitte um Mitteilung, ob der Betrag von 3 266,20 DM zuzüglich der noch zu berechnenden Zinsen an Sie überwiesen werden soll oder ob Verrechnung mit der Vermögensabgabeschuld Frau C.-Erben erfolgen kann. Im Falle der Verrechnung würde nur der übersteigende Betrag überwiesen werden. Durch eine evtl. Zustimmung zur Verrechnung erfolgt keine Anerkennung der Steuerschuld. Über die von ihnen bestrittene Vermögensabgabeschuld der Frau C.-Erben ist im anhängigen Rechtsbehelfsverfahren zu entscheiden. Die hierzu erforderliche Einspruchsentscheidung ergeht umgehend nach Erledigung der Erstattungsangelegenheit."

Die Klägerin beantwortete das Schreiben des FA am 26. März 1968 wie folgt:

"Aus rein verrechnungstechnischen Gründen bin ich nach der Aufhebung der Mahnung vom 3.2.1968 und nach Berichtigung des Erstattungsbescheides damit einverstanden, daß von dem mir zustehenden Betrag von 3 266,20 DM zuzüglich der noch zu berechnenden Zinsen der Betrag für Vermögensabgabeschuld Frau C.-Erben gem. Bescheid vom 31.5.1967 in Höhe von 3 252,90 DM abgezogen wird."

Das FA führte daraufhin am 28. März 1968 die Verrechnung durch und zahlte den überschießenden Betrag und die Zinsen an die Klägerin aus.

Danach stellte die Klägerin am 1. Juli 1968 schriftlich den Antrag, den aufgrund des aufgehobenen "VA-Bescheides für Herrn A.-Erben" zu Unrecht von ihr erhobenen und bisher noch nicht erstatteten Betrag von 3 252,90 DM aus Rechtsgründen zu erstatten.

Das FA hat diesen Erstattungsantrag abgelehnt. Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Mit der Revision gegen das Urteil des FG rügt die Klägerin Verstöße gegen die Vorschriften der §§ 124, 151, 152 AO und des § 1 StAnpG sowie Verletzung der Amtsermittlungspflicht und der allgemeinen Grundsätze der Beweiswürdigung.

Im einzelnen macht sie geltend, in dem angefochtenen Urteil sei zu Unrecht dargelegt worden, der vom FG festgestellte Abschluß eines Verrechnungsvertrages zwischen dem FA und ihr sei ohne die Bedingung, daß die Einspruchsentscheidung in der Vermögensabgabeangelegenheit umgehend ergehe, getroffen worden. In Wahrheit sei in dem Schreiben des FA vom 21. März 1968 ausdrücklich erklärt worden, daß über die bestrittene Vermögensabgabeschuld der Frau C.-Erben im anhängigen Rechtsmittelverfahren zu entscheiden sei und daß die hierzu erforderliche Einspruchsentscheidung umgehend nach Erledigung der Erstattungsangelegenheit ergehen werde. Sie habe sich unter ausdrücklicher Bezugnahme auf dieses Schreiben des FA zur Zahlung des Betrages von 3 252,90 DM bereit erklärt, wobei sie selbstverständlich davon ausgegangen sei, daß sie die Zahlung nur zu leisten habe, wenn das FA seine Zusage einhalte. Das FA habe dies aber nicht getan, sondern seine Einspruchsentscheidungen erst im Juni bzw. Juli 1968 erlassen.

Noch schwerwiegender sie jedoch, daß das FA in seinem Schreiben vom 21. März 1968 sie in dem Glauben gehalten habe, es läge ein einheitlicher Vermögensabgabebescheid für Frau C.-Erben vor. In Wirklichkeit habe das FA zwei Einzelbescheide, gerichtet an "Frau C. z. Hd. Frau B" bzw. an "Frau C. z. Hd. Herrn D." erlassen. Sie habe aber den genannten Betrag niemals aufgrund des an Frau C. z. Hd. Frau B. gerichteten Einzelbescheides bezahlt, zumal das FA bis zur Bezahlung des Betrages von 3 252,90 DM niemals davon gesprochen habe, daß sie aufgrund des Einzelbescheides allein für die Vermögensabgaberaten 108-48 in Anspruch genommen werden solle. Hätte die Klägerin die Absicht des FA vorher geahnt, so hätte sie sich niemals bereit gefunden, die genannten 3 252,90 DM zu zahlen. Im übrigen widerspreche es dem klaren Inhalt der Akten und stelle einen Verstoß gegen die Grundsätze der Beweiswürdigung dar, wenn das FG in dem angefochtenen Urteil erklärte, sie, die Klägerin, habe bereits bei Abschluß des Verrechnungsvertrages gewußt, daß das FA keinen einheitlichen Steuerbescheid gegen die Erben, sondern getrennte Bescheide gegen sie und gegen Herrn D. erlassen habe.

Die Klägerin hat folgenden Revisionsantrag gestellt:

1. das angefochtene Urteil des FG aufzuheben, ferner die Verfügung des FA vom 11. März 1969 und die datumslose Einspruchsentscheidung des FA aufzuheben;

2. der Klägerin den Betrag in Höhe von 3 252,90 DM zu erstatten;

3. die Kosten des gesamten Verfahrens dem beklagten FA aufzuerlegen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revison der Klägerin ist unbegründet.

1. Es ist unstreitig, daß der Klägerin zunächst nach Aufhebung des an "Herrn A. (Erben) z. Hd. Frau B." gerichteten Vermögensabgabebescheides vom 8. Juli 1964 durch finanzgerichtliches Urteil ein Erstattungsanspruch in Höhe der von ihr geleisteten Zahlungen von 3 266,20 DM zugestanden hat. Auch das FA hatte das Bestehen dieses Erstattungsanspruchs in dem nach § 94 Abs. 1 AO berichtigten Erstattungsbescheid vom 21. März 1968 anerkannt. Dieser Anspruch ist aber erloschen. Denn die Erklärungen des FA vom 21. März 1968 und der Klägerin vom 26. März 1968 sind als Verrechnungsangebot des FA und als Annahme des Angebots durch die Klägerin zu werten. Dadurch ist ein Verrechnungsabkommen zustande gekommen, mit dessen Vollzug die gegenseitigen Forderungen insoweit zum Erlöschen gebracht werden, als sie sich in gleicher Höhe gegenüberstehen. Der Abschluß eines derartigen Abkommens ist zulässig, auch wenn die Voraussetzungen für eine Aufrechnung im Einzelfalle nicht erfüllt sind, insbesondere also auch dann, wenn die Forderung des Fiskus noch nicht fällig war (vgl. Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Tz. 4 zu § 124 AO; Becker-Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung, Kommentar, 9. Aufl., Anm. 5 Abs. 11 zu § 124).

Die Einwendungen der Klägerin richten sich nicht gegen die Zulässigkeit und die Rechtswirkung eines Verrechnungsvertrages, streitig ist vielmehr, ob die Vereinbarung zwischen dem FA und der Klägerin unter der Bedingung stand, daß vom FA in dem wegen der Vermögensabgabeschuld Frau C.-Erben schwebenden Rechtsbehelfsverfahren "umgehend" eine Einspruchsentscheidung erlassen werde.

Das FG hat hierzu mit Recht ausgeführt, daß der Inhalt des finanzamtlichen Schreibens vom 21. März 1968, soweit er über den Verrechnungsvorschlag hinausgeht, nur einen an sich überflüssigen Hinweis darauf enthält, daß im Steuererhebungsverfahren getroffene Vereinbarungen Streitigkeiten im Veranlagungsverfahren grundsätzlich unberührt lassen. In diesem Zusammenhang ist die Bemerkung über das umgehende Ergehen der Einspruchsentscheidung zu sehen. Im übrigen ist die Klägerin in ihrem Antwortschreiben vom 26. März 1968 - von einer ganz allgemeinen Bezugnahme auf das Schreiben vom 21. März 1968 abgesehen - auf den Hinweis einer umgehenden Erledigung der Einspruchsentscheidung nicht näher eingegangen. Bei Berücksichtigung der allgemeinen Rechtsgrundsätze über das Zustandekommen von Bedingungen ist unter den dargelegten Umständen die Annahme nicht möglich, das Verrechnungsabkommen sei unter einer Bedingung abgeschlossen worden.

2. Selbst wenn aber der Verrechnungsvertrag nur unter der genannten Bedingung zustande gekommen wäre, würde er wirksam geworden sein, weil die Bedingung als erfüllt anzusehen wäre. Denn zwischen der am 28. März 1968 vollzogenen Verrechnung bzw. Auszahlung der Restsumme und dem Erlaß der am 21. Juni 1968 gegen die Klägerin ergangenen Einspruchsentscheidung liegt ein Zeitraum von weniger als drei Monaten. Unter Berücksichtigung der Schwierigkeit der Materie und angesichts der zahlreichen Einwendungen, die die Klägerin gegen den berichtigten Vermögensabgabebescheid erhoben hatte und die das FA zu einer umfassenden Prüfung der Rechtslage und zu einer sorgfältigen Vorbereitung der Entscheidung veranlassen mußten, ist die innerhalb eines Vierteljahres erlassene Einspruchsentscheidung immer noch als eine umgehende Entscheidung im Sinne der Zusage des FA anzusehen.

Der umstrittene Verrechnungsvertrag ist somit rechtswirksam zustande gekommen. Mit seiner Durchführung ist deshalb der Erstattungsanspruch der Klägerin erloschen.

3. Dem kann seitens der Klägerin auch nicht entgegengehalten werden, das FA habe sie insofern getäuscht, als es sie in dem Glauben gelassen habe, es läge ein einheitlicher, zusammengefaßter Vermögensabgabebescheid Frau C.-Erben vor, während das FA in Wirklichkeit getrennte Einzelbescheide gegen sie und ihren Miterben erlassen und sie zu ihrem Nachteil allein auf Zahlung der Raten 108-48 in Anspruch genommen habe. Eine Irreführung der Klägerin kann im Verhalten des FA schon deshalb nicht erblickt werden, weil ausweislich der Vermögensabgabeakten des FA am 31. Mai 1967 tatsächlich ein einheitlicher berichtigter Vermögensabgabebescheid, gerichtet an Frau C., z. Hd. Herrn D. und Frau B. erlassen worden ist. Aus diesem Bescheid ist auch ersichtlich, daß die Vermögensabgabeschuld als einheitliche Abgabeschuld festgesetzt worden ist, was zur Folge hat. daß die beiden Erben als Gesamtschuldner für die gesamte Vermögensabgabeschuld der Erblasserin haften. Daß das FA an die Erben selbständige Bescheidsausfertigungen jeweils für die Klägerin und für den Miterben D. zugestellt hat, war nicht nur zulässig, sondern sogar geboten, weil grundsätzlich jedem Abgabepflichtigen, soweit es sich nicht um Eheleute handelt, ein besonderer Abgabebescheid zu erteilen ist. Die Erteilung der Einzelbescheide berührt im übrigen die Höhe der festgesetzten Vermögensabgabeschuld in keiner Weise, da sich bereits aus dem bei den Akten befindlichen Original der Vermögensabgabeveranlagung die gesamtschuldnerische Haftung der beiden Erben eindeutig ergibt. Auch der Erlaß der erst ab 10. August 1967 wirksam gewordenen Aufteilungsbescheides hat jedenfalls auf die zuvor fällig gewordenen Vermögensabgabeleistungen, für die beide Erben gesamtschuldnerisch hafteten, keinen Einfluß. Da die Ausfertigungen des Vermögensabgabebescheides den Erben bereits im Juni 1967 bekanntgegeben worden sind, war die Klägerin bei Abschluß des Verrechnungsvertrages über das Bestehen einer gesamtschuldnerischen Verpflichtung ausreichend unterrichtet, so daß von einer Irreführung seitens des FA nicht gesprochen werden kann.

Die Revision war daher mit der Kostenfolge aus § 135 der Finanzgerichtsordnung als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70241

BStBl II 1973, 66

BFHE 1973, 260

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