Leitsatz (amtlich)

Zuwendungen, die der Erbe zu Lebzeiten des Erblassers an diesen als Gegenleistung für eine vertraglich vereinbarte Erbeinsetzung erbracht hat, sind Kosten, die unmittelbar im Zusammenhang mit der Erlangung des Erwerbs stehen. Sie sind als Nachlaßverbindlichkeiten vom Erwerb abziehbar.

 

Normenkette

ErbStG 1974 § 10 Abs. 1 Sätze 1-2, Abs. 5 Nr. 3

 

Verfahrensgang

FG München

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist die Alleinerbin nach Franziska A. (Erbin). Die Erbin hatte 1964 mit Luise B. (Erblasserin) einen notariellen Erbvertrag geschlossen. Ausweislich Abschnitt A, I dieses Vertrages wurde sie von der Erblasserin zur alleinigen und ausschließlichen Erbin eingesetzt. Nach Abschnitt B, 1 des Vertrages erhält die Erblasserin von der Erbin "als Entgelt für die Erbeinsetzung und bedingt hierdurch" einen Einmalbetrag von 100 000 DM sowie eine Leibrente in Höhe von anfangs monatlich 750 DM, zu erhöhen nach Maßgabe einer Gleitklausel. Über persönliche Habe sowie über Bar- und Bankguthaben bis 50 000 DM durfte die Erblasserin nach dem Vertrag vermächtnisweise verfügen.

Die Erblasserin starb 1977. Sie wurde von der Erbin allein beerbt. Der Nachlaß bestand im wesentlichen aus einem Grundstück (Einheitswert 178 500 DM; 140 v. H. = 249 900 DM) sowie einem Bankguthaben in Höhe von rd. 43 700 DM.

Bis zum Todestage hatte die Erbin an die Erblasserin den Einmalbetrag in Höhe von 100 000 DM sowie Leibrentenbeträge in Höhe von insgesamt 169 644 DM gezahlt. Darüber hinaus hatte sie an Dritte grundstücksbezogene Zahlungen (Erschließungskosten usw.) in Höhe von rd. 61 500 DM zugunsten der Erblasserin geleistet. Insgesamt hat die Erbin mithin rd. 331 000 DM an die Erblasserin gezahlt.

Mit Bescheid vom 16. Februar 1979 hat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Erbschaftsteuer auf der Grundlage von (249 900 DM + 43 743 DM =) 293 643 DM nach Abzug verschiedener kleinerer Vermächtnisse, Kosten und des Freibetrags gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 9 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) auf (34 v. H. aus 272 200 DM =) 92 548 DM festgesetzt. Die von der Erbin an die Erblasserin geleisteten o. a. Zahlungen (rd. 331 000 DM) hat das FA nicht als Nachlaßverbindlichkeit i. S. von § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG angesehen.

Einspruch und Klage, jeweils mit dem Begehren, die gezahlten rd. 331 000 DM gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG zum Abzug zuzulassen und demgemäß die Erbschaftsteuer auf null DM festzusetzen, sind erfolglos geblieben. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen an, daß es sich nicht um Kosten handle, die "unmittelbar im Zusammenhang ... mit der Erlangung des Erwerbs" entstanden sind. Zu Aufwendungen dieser Art gehörten nur Kosten, die als Folge des auf der Erbeinsetzung beruhenden Erwerbs entstünden, nicht dagegen Kosten zur Erlangung der Erbeinsetzung.

Mit der Revision wird die Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils sowie des Erbschaftsteuerbescheids vom 16. Februar 1979 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4. Mai 1979 beantragt. Es wird die Verletzung von Bundesrecht, insbesondere die unrichtige Anwendung des § 10 Abs. 1 und Abs. 5 ErbStG gerügt. Zur Begründung wird insbesondere vorgetragen, daß sich § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG 1974 erheblich von § 24 Abs. 4 Nr. 3 ErbStG 1959 und den entsprechenden Vorschriften früherer ErbStG unterscheide, weshalb die Grundsätze des Urteils des Reichsfinanzhofs (RFH) vom 8. November 1934 III eA 61/33 (RStBl 1935, 154) auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar seien. Während nach altem Recht "... Kosten der Regelung des Nachlasses ..." abzugsfähig gewesen seien, könnten nunmehr auch Kosten der "Verteilung des Nachlasses oder Erlangung des Erwerbs" abgezogen werden. Diese neue Formulierung könne nur so verstanden werden, daß nunmehr der Kreis der abzugsfähigen Ausgaben erweitert sei. Nicht zuletzt müsse der allgemeine Grundsatz beachtet werden, daß sowohl beim Erhalt von Zuwendungen unter Lebenden wie auch von Todes wegen nur eine Bereicherung steuerrechtlich erfaßt werden dürfe. Eine Bereicherung liege aber nur insoweit vor, als im Zusammenhang mit dem Erhalt vom Empfänger nichts aufgewendet wurde. Die Erbin habe eine Bereicherung nur erfahren, soweit der Wert des Erhaltenen dasjenige überstiegen habe, was sie für den Erhalt aufgewendet habe.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Entgegen der Rechtsauffassung des FG sind die von der Erbin an die Erblasserin geleisteten 100 000 DM zuzüglich der Rentenzahlungen gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG 1974 als Nachlaßverbindlichkeiten vom Erwerb abzuziehen.

Zwischen der Erbin und der Erblasserin hat sich ein Erwerb von Todes wegen in der Form des Erwerbs durch Erbanfall i. S. von § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG 1974 vollzogen. Dieser Vorgang unterliegt der Erbschaftsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Als steuerpflichtiger Erwerb gilt die Bereicherung des Erwerbers (§ 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG). Als Bereicherung wiederum gilt in den Fällen des § 3 ErbStG "der Betrag, der sich ergibt, wenn von dem ... Wert des gesamten Vermögensanfalls ... die nach den Abs. 3 bis 9 des § 10 abzugsfähigen Nachlaßverbindlichkeiten ... abgezogen werden" (§ 10 Abs. 1 Satz 2 ErbStG). Gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG sind als Nachlaßverbindlichkeiten u. a. abzugsfähig "die Kosten, die dem Erwerber unmittelbar im Zusammenhang mit der Abwicklung, Regelung oder Verteilung des Nachlasses oder mit der Erlangung des Erwerbs entstehen". Die im vorliegenden Falle von der Erbin im Jahre 1964 geleisteten 100 000 DM und die in den Folgejahren erbrachten Rentenzahlungen sind den im Gesetz genannten Kostenarten zuzuordnen.

Die Frage, ob Ausgaben, die als Gegenleistung für eine Erbeinsetzung gewährt werden, als Nachlaßverbindlichkeiten anzusehen sind, wird im Schrifttum unterschiedlich beantwortet. Meincke/Michel verneinen in Anm. 48 zu § 10 die Eigenschaft als Nachlaßverbindlichkeit unter Bezugnahme auf die Urteile des RFH in RStBl 1935, 154 und des Niedersächsischen FG vom 18. September 1979 III 67/78 (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1980, 190), heben aber andererseits in Anm. 7 zu § 3 hervor, daß es dem Bereicherungsgedanken des § 10 Abs. 1 Nr. 1 widersprechen würde, wenn das für den Vermögensanfall aufgewendete Entgelt nicht zur Minderung des steuerpflichtigen Erwerbs herangezogen werden dürfe. Bedenken gegen die Versagung des Abzugs äußern u. a. auch Troll (Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz-Kommentar, Anm. 37 zu § 10 ErbStG) und Kapp (Kommentar zum Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Rz. 103 zu § 3 ErbStG, derselbe in Betriebs-Berater - BB - 1980, 845 f.) sowie Crezelius (Erbschaftsteuer und Schenkungsteuer in zivilrechtlicher Sicht, 1979, 73).

Das FG Münster hat - abweichend vom Niedersächsischen FG in EFG 1980, 190 - den Abzug als Nachlaßverbindlichkeit zugelassen (EFG 1982, 356).

Der Senat hält es für sowohl dem Wortlaut wie auch dem Sinnzusammenhang des § 10 ErbStG entsprechend, Aufwendungen, die als Gegenleistung für den Abschluß eines Erbvertrages erbracht werden, wie Nachlaßverbindlichkeiten i. S. der genannten Vorschrift anzusehen.

Wie mehrfach entschieden (vgl. u. a. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. Dezember 1972 II R 87-89/70, BFHE 108, 393, 402, BStBl II 1973, 329), unterliegt nur die für den Erwerber unentgeltliche Bereicherung der Erbschaftsteuer. Dieser Grundsatz ist Maßstab bei der Auslegung des § 10 ErbStG. Seine Anwendung auf den Fall der vertraglichen Erbeinsetzung gegen Entgelt, d. h. aufgrund eines materiell gegenseitigen Vertrages (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 3. November 1961 V ZR 48/60, BGHZ 36, 65), macht es notwendig, das vom vertraglich eingesetzten Erben für die Erbeinsetzung Geleistete als "Kosten, die unmittelbar mit der Erlangung des Erwerbs entstehen", zu betrachten. Denn nur in Höhe des um diese Kosten geminderten Vermögensanfalls liegt eine unentgeltliche Bereicherung des Erben vor.

Auch eine Zusammenschau von § 10 Abs. 5 Nrn. 1 und 3 ErbStG läßt diese Auslegung als die richtige erscheinen. Nach Nr. 1 der Vorschrift sind vom Erblasser herrührende Schulden (auch solche, die gegenüber dem Erben bestehen; § 10 Abs. 3 ErbStG) als Nachlaßverbindlichkeiten abzugsfähig. Wirtschaftlich betrachtet nimmt derjenige, der sich eine Leistung dafür erbringen läßt, daß er den Leistenden zum Erben einsetzt, einen erst anläßlich seines Todes "rückzahlbaren" Kredit auf. Es liegt faktisch ein mit spekulativen Elementen angereichertes und mit Risikokomponenten behaftetes Darlehen vor. Der Leistende ähnelt einem Kreditgeber, der Testierende einem Kreditnehmer. Wenn auch der Testierende nicht mehr zu Lebzeiten verpflichtet ist, das Erhaltene bzw. ein Äquivalent zurückzugeben, so war gleichwohl sein Vermögen mit einer solchen Pflicht wirtschaftlich belastet. Parallelen beider Gestaltungen machen es nach Auffassung des Senats erforderlich, § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG unter Berücksichtigung des Sinnzusammenhangs mit Nr. 1 dieser Vorschrift auszulegen.

§ 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG 1974 steht dem Abzug der von der Erbin erbrachten Zahlungen nicht entgegen. Auch wenn diese Zahlungen als "Unterhalt" i. S. der genannten Vorschrift anzusehen wären, käme ihre Anwendung nicht in Betracht, weil sie gegenüber § 10 ErbStG logisch nachrangig zu prüfen ist. Mindern Unterhaltszahlungen bereits gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG den Erwerb, so kann die Anwendung von § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG nicht mehr zum Zuge kommen.

2. Abgezogen werden kann gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG die Summe der vom Erben aufgrund des materiell gegenseitigen Vertrages mit dem Erblasser tatsächlich nominal geleisteten Zahlungen. Diese sind im vorliegenden Falle - soweit bisher erkennbar - mindestens (100 000 DM + 169 644 DM =) 269 644 DM. Dieser Betrag liegt unter dem vom FA angesetzten steuerpflichtigen Erwerb, so daß der Differenzbetrag an sich der Besteuerung unterliegen würde. Gleichwohl kann der Senat nicht in der Sache selbst entscheiden. Denn den vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen kann nicht entnommen werden, auf welchem Rechtsgrund die von der Erbin über den Einmalbetrag und die Rentenzahlungen hinaus zugunsten der Erblasserin geleisteten Zahlungen beruht haben. Auch die Bezugnahme auf die Schriftsätze des Klägervertreters kann insoweit die tatsächlichen Feststellungen des FG nicht ergänzen. Der Vortrag des Klägervertreters im Schriftsatz vom 29. Mai 1979, die Erbin habe "weitere Aufwendungen für das Grundstück leisten müssen", erlaubt - selbst wenn man diesen Inhalt als vom FG festgestellt ansehen wollte - keinen Schluß darauf, ob es sich um einen moralischen (Unterstützung der Erblasserin, deren Cousine die Erbin war), faktischen (Erhaltung des Grundstücks) oder auf rechtlicher Vereinbarung (Darlehen, Schenkung?!) beruhenden Leistungszwang handelt. Angesichts dessen ist nicht auszuschließen, daß die Erbin gegenüber der Erblasserin im Zeitpunkt des Todes einen Rückforderungsanspruch hatte, der gemäß § 10 Abs. 3 ErbStG als durch den Tod nicht erloschen gilt. Der Erwerb wäre in diesem Falle möglicherweise um den Wert dieser Forderung geringer, so daß sich der steuerpflichtige Erwerb ggf. auf Null reduzieren könnte.

Die Sache geht zur weiteren Ermittlung dieses ungeklärten Sachverhalts und zur Entscheidung an das FG zurück.

 

Fundstellen

Haufe-Index 74830

BStBl II 1984, 37

BFHE 1984, 294

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