Entscheidungsstichwort (Thema)

Widerruf einer Agrarerstattung

 

Leitsatz (amtlich)

Hat die Marktordnungsstelle bei der Gewährung einer Agrarerstattung (EWG) die mit der Genehmigung zur abschöpfungsfreien Einfuhr verbundene Einfuhrlizenz nicht dem als Ausführer Erstattungsberechtigten, sondern einem Dritten erteilt, so muß ein Widerruf dieser Erstattung an den Inhaber der Einfuhrlizenz gerichtet werden.

 

Normenkette

AbTV Tarifnr 11.02 Tarifst B-3-a; EWGVtr 92 Art. 2; FGO § 76 Abs. 1, § 96 Abs. 1, § 120 Abs. 2; Getr/ReisErstV Art. 4 Abs. 2

 

Tatbestand

Die Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel (EVSt Getr) in Frankfurt hatte der Klägerin vom Oktober 1964 bis April 1965 eine Reihe von Ausfuhrgenehmigungen und Erstattungszusagen für perlförmig geschliffene Gerste der Tarifstelle 11.02 -(B) - III - a des Abschöpfungstarifs (AbT) zur Ausfuhr nach dritten Ländern erteilt. Nachdem die Klägerin die entsprechenden Ausfuhren getätigt hatte, erteilte die EVSt Getr mehrere Einfuhrlizenzen für Gerste, in denen sie - als Erstattung - die abschöpfungsfreie Einfuhr der Ware genehmigte.

Durch einen an die Klägerin gerichteten Bescheid vom 12. Dezember 1966 widerrief die EVSt Getr die Erstattung in Form der abschöpfungsfreien Einfuhr von 3.789.625kg Gerste mit der Begründung, daß die ausgeführten Gerstengraupen nicht in das angegebene Verbrauchsland Österreich, sondern nach Italien verbracht worden seien.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) durch Urteil vom 12. August 1968 ab. Es führte aus, daß die Klägerin die ihr gewährte Drittlanderstattung zu Unrecht in Anspruch genommen habe. Denn bei den von ihr getätigten Ausfuhren von Gerstengraupen handle es sich nicht um Ausfuhren nach dritten Ländern, sondern um Mitgliedslandausfuhren. Ob eine Ausfuhr nach dritten Ländern oder nach einem Mitgliedstaat vorliege, bestimme sich nach dem Verbrauchsland der Ware. Das sei nach den dafür maßgebenden Bestimmungen der Verordnung zur Durchführung des Gesetzes für die Statistik des grenzüberschreitenden Warenverkehrs das Land, in dem die Ware ge- oder verbraucht, be- oder verarbeitet werde, also endgültig verbleiben solle; bei Unkenntnis das Land, in das die Ware verbracht werden solle, also das endgültige Ziel des Transports. Sei auch dieses Land unbekannt, so sei Verbrauchsland das letzte bekannte Land, in das der Exporteur die Ware tatsächlich versende. Verbrauchsland sei demnach das dem Exporteur bekannte Ziel der Ausfuhr. Überlasse der Ausführer, wie im Streitfall, den Transport über die Grenze dem ausländischen Abnehmer, so sei das Land maßgebend, nach dem die Ware im Zeitpunkt des Übergangs über die Zollgrenze objektiv versendet werde. Diese objektive Zielrichtung sei für die von der Klägerin ausgeführten Waren Italien gewesen, das somit als Verbrauchsland angesehen werden müsse.

Mit der gegen dieses Urteil erhobenen Revision rügt die Klägerin, daß das Gericht den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt, die Grundsätze über den Widerruf begünstigender Verwaltungsakte verkannt und das Erstattungsrecht der Getreidemarktordnung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) falsch ausgelegt habe. Außerdem wendet sie ein, daß die EVSt Getr ihren Widerrufsbescheid an den falschen Adressaten gerichtet habe. Die Klägerin habe nämlich im Streitfall ihre durch die Ausfuhr der Gerstengraupen erworbenen Erstattungsansprüche an die Firmen A. und L. abgetreten. Die EVSt Getr habe deshalb die abschöpfungsfreien Einfuhrgenehmigungen von vornherein auf den Namen dieser Firmen ausgestellt. Dieser Sachverhalt sei im Betriebsprüfungsbericht der Oberfinanzdirektion (OFD) vom 6. September 1965, der auch im Tatbestand des finanzgerichtlichen Urteils erwähnt werde, ausdrücklich festgestellt worden, und zwar unter Tz. 40 und in der Anlage Sp. 22 zu diesem Bericht. Das FG gehe bei seiner Entscheidung in diesem Punkt von einem unzutreffenden Sachverhalt aus, wenn es unterstelle, daß die EVSt Getr der Klägerin die Einfuhrgenehmigungen für die abschöpfungsfreie Einfuhr der Gerste erteilt und die Klägerin diese Einfuhrgenehmigungen ausgenutzt habe. Das widerspreche dem klaren Inhalt der Akten, und das FG habe damit gegen die Pflicht zur vollständigen Aufklärung des Sachverhalts verstoßen.

Die Klägerin beantragt, unter Abänderung der Vorentscheidung den Bescheid der EVSt Getr vom 12. Dezember 1966 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Nach ihrer Ansicht war der Widerruf der Erstattung im Streitfall sowohl nach den Vorschriften der AO als auch nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts zulässig. Der Widerruf sei auch nicht an einen falschen Adressaten gerichtet. Denn das Erstattungsrechtsverhältnis habe zwischen der EVSt Getr und der Klägerin bestanden und daran habe es nichts geändert, daß deren Einfuhranrechte von anderen Importeuren wahrgenommen worden seien. Ferner lägen die Umstände, auf denen der Widerruf der Erstattung beruhe, ebenfalls in der Sphäre der Klägerin als der Erstattungsberechtigten. Es sei deshalb sinnvoll, daß diese und nicht die Inhaber der Einfuhrlizenzen an dem Verfahren über den Erstattungswiderruf beteiligt würden. Als Ausfuhr nach dritten Ländern im erstattungsrechtlichen Sinne sieht die Beklagte abweichend vom FG eine Ausfuhr nur dann an, wenn die Ware in ein Drittland ausgeführt und dort zum freien Wirtschaftsverkehr abgefertigt wird. Der Widerruf der Erstattung sei jedoch nach beiden Auffassungen gerechtfertigt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Die Vorentscheidung läßt insofern einen Verfahrensmangel erkennen, als sie davon ausgeht, daß die Einfuhrlizenzen, in denen die EVSt Getr die abschöpfungsfreie Einfuhr von 3.789.625kg Gerste genehmigt hatte und auf die sich ihr Widerrufsbescheid vom 12. Dezember 1966 bezieht, der Klägerin erteilt und von dieser für die entsprechenden Einfuhren ausgenützt worden seien. Denn diese Feststellung steht, worauf die Klägerin in ihrer Revisionsbegründung zutreffend hinweist, im Widerspruch zu dem bei den Akten befindlichen und vom FG im Tatbestand seines Urteils zitierten Prüfungsbericht der OFD vom 6. September 1965. Dieser Bericht enthält nämlich über die Abwicklung der Gersteneinfuhren unter Tz. 40 folgende Angaben: "Die Berichtsfirma hat die nach der Erstattungsverordnung Getreide für die nachgewiesene Ausfuhr von Gerstengraupen mit Verbrauchslandangabe Schweiz bzw. Österreich erworbenen Einfuhranrechte von 250 Einheiten Gerste für 100 Einheiten Graupen von der zuständigen EVSt in Frankfurt auf die Firmen A. und L. übertragen lassen. Die betreffenden Einfuhrgenehmigungen sind in der Anlage 1 zum Bericht aufgeführt. In welchem Umfange und über welche Einfuhrzollstellen vorgenannte Firmen abschöpfungsfrei eingeführt haben, kann von der EVSt anhand der dortigen Aufzeichnungen festgestellt werden".

In der genannten Anlage sind unter der Spalte "Einfuhrgenehmigung, ausgestellt auf" die Firmen A. und L. in keinem Fall aber die Klägerin bezeichnet.

Der Widerspruch zwischen diesem Inhalt der Akten und dem in der Vorentscheidung enthaltenen Feststellungen stellt eine Verletzung des § 96 Abs. 1 FGO dar. Gemäß dieser Vorschrift entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Das bedeutet, daß das Gericht bei der Feststellung des seinem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalts alle ihm vorliegenden Beweismittel heranziehen, insbesondere also auch den Akteninhalt beachten muß. Es liegt infolgedessen ein Verstoß gegen diese Vorschrift und damit ein Verfahrensfehler vor, wenn das Gericht - wie im Streitfall - eine tatsächliche Feststellung trifft, die im Widerspruch zu dem Inhalt einer bei den Akten befindlichen Urkunde steht, ohne Gründe für diese Abweichung anzugeben (vgl. dazu Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - V 220/63 vom 17. Februar 1966, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 85 S. 60 - BFH 85, 60 -, BStBl III 1966, 233).

Die Vorentscheidung beruht auch auf dieser Verletzung des § 96 Abs. 1 FGO. Denn die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Widerrufsbescheids und damit der Erfolg der dagegen erhobenen Klage hängen davon ab, ob die Einfuhrlizenzen, in denen die Genehmigung der abschöpfungsfreien Einfuhr der Gerste ausgesprochen wurde, der Klägerin oder den Firmen A. und L. erteilt wurden.Eine derartige Einfuhrlizenz kann natürlich nur gegenüber der Person wirksam widerrufen werden, auf deren Namen sie erteilt wurde. Das hat seinen Grund darin, daß die in der Lizenz ausgesprochene, auf Art. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 92/62 vom 25. Juli 1962 - VO (EWG) 92/62 -(Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1962 S. 1906) und § 4 Abs. 2 der Erstattungsverordnung Getreide und Reis vom 24. November 1964 ErstVOGetrReis -(Bundesgesetzblatt I 1964 S. 917 - BGBl I 1964, 917 -) beruhende Genehmigung zur abschöpfungsfreien Einfuhr ein rechtsgestaltender Verwaltungsakt ist, der dem Inhaber der Lizenz einen Anspruch auf die Abschöpfungsfreiheit der betreffenden Ware bei der Einfuhr verleiht. Die durch diesen Verwaltungsakt ausgelösten Rechtsfolgen treten also in der Person des Lizenzinhabers ein, und dafür ist es belanglos, ob dieser selbst oder - wie im Streitfall - ein anderer durch die Ausfuhr entsprechender Ware den Erstattungsanspruch erworben hatte. Es spielt in diesem Zusammenhang ferner auch keine Rolle, ob und auf welche Weise dieser Erstattungsanspruch auf den Lizenzinhaber übertragen werden konnte.

Hat nun aber eine Behörde durch Verwaltungsakt einer bestimmten Person ein Recht verliehen, so kann sie die dadurch begründete Rechtsstellung nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen nur durch einen an dieselbe Person gerichteten Verwaltungsakt wieder beseitigen oder in ihrem Inhalt verändern. Deshalb muß der Widerruf der in einer Einfuhrlizenz ausgesprochenen Genehmigung zur abschöpfungsfreien Einfuhr einer Ware an den Träger der durch diesen Verwaltungsakt begründeten Rechte, also den Inhaber der Lizenz, gerichtet werden (vgl. Beschluß des BFH VII B 15/70 vom 20. April 1970, BFH 102,1). Die von der Beklagten geltend gemachte Tatsache, daß die für die Erstattung und ihren Widerruf maßgebenden Umstände sich in der Sphäre des Erstattungsberechtigten und nicht in der des Lizenzinhabers ergeben, kann keine andere Beurteilung rechtfertigen.

Aus dem Gesagten folgt, daß die EVSt Getr die Erstattung gegenüber der Klägerin im Streitfall nur widerrufen durfte, wenn diese Inhaberin der betreffenden Einfuhrlizenz war, nicht aber wenn sie, wie dies in dem Prüfungsbericht der OFD dargestellt ist, die Lizenzen anderen Personen erteilt hatte.Als Verfahrensfehler mußte der Verstoß gegen den Akteninhalt allerdings in der durch § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO vorgeschriebenen Form gerügt werden, damit er vom Revisionsgericht beachtet werden kann. Auch dies ist im Streitfall geschehen. Denn die Antragstellerin hat in ihrer Revisionsbegründung ausdrücklich gerügt, daß das FG seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt habe, der dem klaren Inhalt der Akten widerspreche, und sie hat in diesem Zusammenhang den § 76 Abs. 1 FGO als verletzte Rechtsnorm bezeichnet. Sie hat ferner hierzu dargelegt, daß die EVSt Getr die Einfuhrgenehmigungen nicht an sie, sondern auf den Namen der Firmen A. und L. ausgestellt habe, sowie die Aktenstelle bezeichnet, aus der sich dieser Sachverhalt ergibt.

Da somit hinsichtlich einer für die Sachentscheidung maßgeblichen Feststellung des FG eine zulässige und begründete Verfahrensrüge erhoben wurde, muß das angefochtene Urteil aufgehoben und die nicht spruchreife Sache an das FG zurückverwiesen werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 603649

BFHE 103, 377

BFHE 1972, 377

DB 1971, 2392

DStR 1971, 736

HFR 1971, 565

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