Leitsatz (amtlich)

Da der einem Gesellschafter zugestellte Feststellungsbescheid auch von demjenigen Beteiligten angegriffen werden kann, für den er bestimmt, dem er aber nicht oder nicht formgerecht bekanntgegeben worden ist, ist die Klage des Beteiligten auf förmliche Bekanntgabe des Feststellungsbescheids mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig (Anschluß an BFH-Urteil vom 31.Juli 1980 IV R 18/77, BFHE 131, 278, BStBl II 1981, 33). Zur Orientierung ist dem Beteiligten aber ggf. eine Abschrift des Bescheids formlos mitzuteilen.

 

Orientierungssatz

Ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Leistungsklage ist nicht gegeben, wenn der Kläger sein Ziel auf wesentlich einfacherem Wege, insbesondere im Wege der Anfechtungsklage erreichen kann, der gegenüber die allgemeine Leistungsklage ohnehin subsidiär ist.

 

Normenkette

AO § 219 Abs. 1; FGO § 40 Abs. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) schloß sich 1971 mit Frau X zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) zusammen, deren Zweck es war, in Y ein Grundstück zu erwerben, ein Gebäude mit Eigentumswohnungen darauf zu errichten und diese sodann zu verkaufen. Auf einem in Y erworbenen Bauplatz wurde 1971/72 ein Gebäude mit 99 Eigentumswohnungen errichtet, von denen in den Jahren 1971 bis 1973 insgesamt 90 verkauft wurden. Drei weitere Wohnungen wurden Frau X übereignet. Sechs Wohnungen blieben unverkauft, waren aber vermietet, als in den Jahren 1974/75 eine Steuerfahndungsprüfung bei der GbR durchgeführt wurde, die sich auf die Jahre 1971 bis 1974 erstreckte. Die GbR ist inzwischen beendet.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) erließ am 10.Dezember 1976 für die Jahre 1971 bis 1974 Gewinnfeststellungsbescheide, denen er das Ergebnis der Steuerfahndungsprüfung zugrunde legte. Die Bescheide wurden allein an Frau X gesandt und waren folgendermaßen adressiert:

"Erwerbsgemeinschaft

X und Z,

z.Hd. Frau X

A-Straße 26

0000 B."

Sie enthielten unter der Überschrift "Rechtsbehelfsbelehrung" folgenden Hinweis: "Der Feststellungsbescheid hat Wirkung für und gegen alle Beteiligten. Das gilt auch dann, wenn die Gesellschaft (Gemeinschaft) dem Finanzamt einen Zustellungsvertreter nicht benannt hat und das Finanzamt den Bescheid nur einem der Beteiligten hat zugehen lassen."

Mit Schreiben vom 22.Dezember 1980 wandte der Kläger sich an das FA D und begehrte die Bekanntgabe der Gewinnfeststellungsbescheide an sich. Ferner bat er, das Schreiben an das für die Bekanntgabe zuständige FA weiterzuleiten. Das FA D sandte daraufhin das Schreiben an das beklagte FA. Dieses antwortete mit Schreiben vom 17.Februar 1981, die Gewinnfeststellungsbescheide 1971 bis 1974 seien an Frau X gesandt worden. Diese Bekanntgabe wirke gemäß § 219 Abs.1 der Reichsabgabenordnung (AO) auch ihm gegenüber, so daß er keine zusätzliche Bekanntgabe an sich verlangen könne.

Daraufhin wandte der Kläger sich mit einem als Beschwerde bezeichneten Schriftsatz vom 3.Juli 1981 an die Oberfinanzdirektion (OFD), mit dem er ebenfalls die Bekanntgabe der Gewinnfeststellungsbescheide an sich erstrebte. Die OFD leitete den Schriftsatz mit der Bitte um weitere Veranlassung an das FA weiter. In der Folgezeit entspann sich ein umfangreicher Schriftverkehr über die Bekanntgabe der Gewinnfeststellungsbescheide, der damit endete, daß das FA auf Weisung der OFD am 1.Juli 1983 eine Einspruchsentscheidung erließ, mit der es die Bekanntgabe erneut ablehnte.

Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hob die Einspruchsentscheidung auf und wies das FA an, die Gewinnfeststellungsbescheide 1971 bis 1974 vom 10.Dezember 1976 dem Kläger bekanntzugeben. Die Bekanntgabe der Bescheide allein an Frau X sei gegenüber dem Kläger unwirksam, weil in den Frau X zugegangenen Bescheiden der nach § 219 Abs.1 Satz 3, 2.Halbsatz AO vorgeschriebene Hinweis gefehlt habe, daß die Bekanntgabe auch gegenüber dem Mitgesellschafter wirken solle. Der vordruckmäßige Hinweis in den vier Bescheiden belehre den Adressaten nur darüber, daß die Bescheide auch dann allen Beteiligten gegenüber wirkten, wenn die Gesellschaft dem FA einen Zustellungsvertreter nicht benannt habe und das FA den Bescheid nur einem der Beteiligten habe zugehen lassen. Hieraus habe Frau X nicht entnehmen können, daß das FA von der Möglichkeit einer vereinfachten Zustellung nach § 219 Abs.1 Satz 3 AO Gebrauch gemacht und die Bescheide nur ihr allein bekanntgegeben hätte. - Außerdem habe das FA auch ermessensfehlerhaft gehandelt, indem es die Bescheide allein an Frau X gesandt hätte. Denn es habe versäumt, die einzelnen Gesellschafter vorher aufzufordern, einen gemeinsamen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen. Außerdem hätte mit der Aufforderung die Ankündigung verbunden werden müssen, daß es seine Entscheidungen an eine bestimmte, namentlich genannte Person mit Wirkung für und gegen alle Gesellschafter bekanntgeben werde, wenn kein Zustellungsvertreter benannt würde.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es ist der Meinung, daß der vordruckmäßige Hinweis den Anforderungen des § 219 Abs.1 Satz 3, 2.Halbsatz AO genügt habe und daß eine besondere Aufforderung zur Benennung eines gemeinsamen Zustellungsbevollmächtigten nach Auffassung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht notwendig sei (Urteil vom 27.November 1968 III 244/64, BFHE 94, 517, BStBl II 1969, 250).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage als unzulässig. Die Klage ist unzulässig, weil für sie kein Rechtsschutzinteresse besteht.

1. In dem an das FA gerichteten Antrag, einen Steuerbescheid "bekanntzugeben", kann das Verlangen liegen, einen bereits vorhandenen Verwaltungsakt förmlich zu verlautbaren. Die Auslegung des Begehrens kann aber auch ergeben, daß der Antragsteller in Wahrheit den Erlaß eines Steuerbescheids verlangt; das ist anzunehmen, wenn der Antragsteller das Vorhandensein eines Steuerbescheids in Abrede stellt (BFH-Beschluß vom 21.Februar 1975 III B 10/74, BFHE 115, 406, BStBl II 1975, 673). In einem solchen Fall ist die Klage als Verpflichtungsklage anzusehen. Verlangt er dagegen lediglich die Bekanntgabe eines vorhandenen Steuerbescheids, ist sein Verlangen auf eine sonstige Leistung gerichtet und die Klage als (sonstige) Leistungsklage zu werten (BFHE 115, 406, BStBl II 1975, 673).

Im Streitfall stellt der Kläger nicht in Abrede, daß gegenüber Frau X die Feststellungsbescheide ergangen sind, die auch ihn betreffen. Er bestreitet jedoch, daß die Bekanntgabe an Frau X Wirkungen gegen ihn erzeugt und erstrebt daher die formelle Bekanntgabe der Feststellungsbescheide, offensichtlich in der Absicht, hiergegen Rechtsbehelfe einzulegen, die nicht wegen Versäumung der Rechtsbehelfsfristen zurückgewiesen werden können. Sein Begehren ist damit nicht auf den Erlaß eines Verwaltungsakts, sondern auf seine förmliche Bekanntgabe gerichtet, seine Klage also als Leistungsklage anzusehen.

Für eine solche Klage muß ein Rechtsschutzbedürfnis bestehen. Es ist nicht gegeben, wenn der Kläger sein Ziel auf wesentlich einfacherem Wege, insbesondere im Wege einer Anfechtungsklage erreichen kann, der gegenüber die allgemeine Leistungsklage ohnehin subsidiär ist. So liegt es im Streitfall. Der Kläger kann die ergangenen Feststellungsbescheide anfechten, ohne daß sie ihm persönlich bekanntgegeben werden müßten. Die noch unter der Geltung der AO ergangenen Verwaltungsakte waren bereits mit ihrer abschließenden Zeichnung entstanden (BFH-Urteil vom 29.Januar 1981 V R 47/77, BFHE 132, 219, BStBl II 1981, 404); unter der Abgabenordnung (AO 1977) sind sie mit der Bekanntgabe an einen Beteiligten, im Streitfall Frau X, existent geworden (BFH-Urteil vom 31.Juli 1980 IV R 18/77, BFHE 131, 278, BStBl II 1981, 33). Mit diesem Zeitpunkt kann ein Verwaltungsakt von allen Personen angegriffen werden, für die er bestimmt ist, mag er ihnen auch nicht oder nicht formgerecht bekanntgegeben worden sein (BFHE 131, 278, BStBl II 1981, 33).

Infolgedessen kann der Kläger die gegen Frau X ergangenen Feststellungsbescheide, die auch für ihn bestimmt sind, ohne weiteres mit dem Einspruch anfechten. Die Wahrung der Einspruchsfristen hängt dann davon ab, ob die Bekanntgabe der Feststellungsbescheide an Frau X auch für den Kläger wirksam gewesen ist. Die von ihm vorgetragenen Bekanntgabemängel können in diesem Verfahren uneingeschränkt geprüft werden. Einer zusätzlichen Bekanntgabe der Verwaltungsakte an ihn bedarf es dazu nicht. Eine Leistungsklage auf Herbeiführung der Bekanntgabe könnte nur Erfolg haben, wenn die Bekanntgabe gegenüber Frau X nicht auch für den Kläger wirksam ist; in ihrem Rahmen müßten also jene Bekanntgabemängel gewürdigt werden, die auch im Anfechtungsverfahren vorgetragen werden können.

2. Die Einspruchsfristen begannen für den Kläger nicht zu laufen, wenn die Zustellung der Bescheide an Frau X nicht gemäß § 219 Abs.1 Satz 3, 1.Halbsatz AO auch ihm gegenüber wirkten.

Ob dies der Fall ist, wird das FA im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit des bei ihm einzulegenden Einspruchs nochmals zu untersuchen haben, und zwar insbesondere im Hinblick auf die vom FG und vom Kläger gerügten Mängel: Fehlen des ordnungsgemäßen Hinweises (hierzu BFH-Urteile vom 26.August 1982 IV R 31/82, BFHE 136, 351, BStBl II 1983, 23, und vom 23.Juli 1985 VIII R 315/82, BFHE 145, 104, BStBl II 1986, 123), Ermessensfehler, Auflösung der GbR im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Feststellungsbescheide an Frau X (hierzu BFH-Urteile vom 5.Dezember 1963 IV 429,430/61, Steuerrechtsprechung in Karteiform --StRK--, Reichsabgabenordnung, § 219, Rechtsspruch 9; vom 17.Dezember 1964 IV 433/61, StRK, Reichsabgabenordnung, § 219, Rechtsspruch 11, und vom 12.November 1965 III 286/63 U, BFHE 84, 287, BStBl III 1966, 104).

Zur Gewährung des rechtlichen Gehörs wird das FA dem Kläger formlos eine Abschrift der Feststellungsbescheide mitzuteilen haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 61322

BStBl II 1986, 509

BFHE 146, 215

BFHE 1986, 215

HFR 1986, 454-455 (ST)

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