Leitsatz (amtlich)

1. Zur Frage, inwieweit es sich bei der Auslegung von Gesellschaftsverträgen (und deren Zustandekommen) um die Feststellung von Tatsachen handelt.

2. Läßt sich der wirkliche Wille der Beteiligten, ob sie sich über alle Punkte eines Gesellschaftsvertrags, über die sie sich, um gebunden zu sein, einigen wollten, durch Beweiserhebungen feststellen, so ist für eine eigene Vertragsauslegung durch das FG kein Raum.

2. Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen das FG Beweisanträge nicht übergehen darf.

 

Normenkette

AO i.d.F. vor dem 1. Januar 1966 § 225 S. 3 Hs. 2; FGO § 76; BGB § 154

 

Tatbestand

Gesellschafter der X-GmbH (GmbH) waren die Y-KG (KG), der Ehemann der Klägerin und die Klägerin. Gesellschafter der KG waren der Ehemann der Klägerin und die Klägerin (als Kommanditistin). Zum Vermögen der GmbH gehörte ein Grundstück. Der Ehemann der Klägerin starb im Juni 1957; Alleinerbin war die Klägerin.

Das FA setzte wegen Vereinigung aller Anteile an der GmbH in der Hand der Klägerin gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG eine Grunderwerbsteuer fest. Die Anteile, die die Klägerin von ihrem Ehemann geerbt hatte, schied es aus der Besteuerung aus (§ 3 Nr. 2 GrEStG).

Mit Einspruch und Berufung machte die Klägerin geltend, eine Anteilsvereinigung habe nicht vorgelegen, weil auf Grund eines noch zu Lebzeiten ihres Ehemannes im März 1957 mündlich geschlossenen Vertrages der Kaufmann Z in die KG eingetreten sei. Einzelheiten eines schriftlichen Gesellschaftsvertrages hätten nur wegen des Gesundheitszustandes ihres Ehemannes erst am ... Dezember 1957 fixiert werden können. Sie bot vor FA und FG für ihr Vorbringen entsprechende Beweise an.

Das FG bestätigte die Einspruchsentscheidung. Es vertrat die Auffassung, daß die KG mit dem Tod des Ehemannes der Klägerin aufgelöst worden sei.

Mit der Rechtsbeschwerde rügt die Klägerin Verletzung formellen und materiellen Rechts. Es habe der angetretene Beweis darüber erhoben werden müssen, daß schon zu Lebzeiten des Ehemannes der Klägerin ein gültiger Gesellschaftsvertrag mit dem Kaufmann Z als neu in die KG eintretendem Gesellschafter geschlossen worden sei. Entgegen der Meinung des FA habe es sich im März 1957 nicht bloß um einen unverbindlichen Vorvertrag gehandelt. - Jedenfalls müßten bei Bejahung einer Anteilsvereinigung auch die Gesellschaftsanteile der KG - zumindest der Anteil ihres verstorbenen Ehemannes daran - gemäß § 3 Nr. 2 GrEStG von der Besteuerung ausgenommen werden.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

1. Die Klägerin rügt zu Recht mangelnde Sachaufklärung des FG, insbesondere durch Nichtvernehmung des Kaufmanns Z bzw. durch Verzicht auch auf ihre persönliche Anhörung.

Die zunächst zu entscheidende Frage, ob mit dem Tode des Ehemannes der Klägerin alle Anteile an der GmbH in der Hand der Klägerin vereinigt worden sind (§ 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG), hängt davon ab, ob zu diesem Zeitpunkt die KG aufgelöst worden ist oder deshalb fortbestanden hat, weil damals bereits der Kaufmann Z als neuer Gesellschafter in die Gesellschaft eingetreten war.

Die Klägerin hatte vor FA und FG behauptet, daß die Beteiligten - ihr Ehemann, sie und der Kaufmann Z - schon im März 1957 mündlich, aber bindend sich darüber einig geworden seien, daß der Kaufmann Z unter Einbringung seiner Arbeitskraft, Erfahrung und Übernahme der Haftung bereits damals als persönlich haftender Gesellschafter in die KG eingetreten sei. Sie hatte beantragt, hierzu den Kaufmann Z als Zeugen und erforderlichenfalls sie selbst zu vernehmen. Das FG hätte auf die Erhebung der Beweise über den Zeitpunkt des wirksamen Zustandekommens der Vereinbarungen mit dem Kaufmann Z nur verzichten können, wenn es die Richtigkeit der Tatsachen, die zur Begründung des Parteivorbringens dienen sollten, zugunsten der Klägerin unterstellt hätte (vgl. im einzelnen Urteil des BFH II 120/63 vom 30. Mai 1967, BFH 89, 65, BStBl III 1967, 520). Das ist nicht der Fall. Das FG hat seine gegenteilige Überzeugung entscheidend durch eine Rechtsauslegung des § 154 BGB gewonnen, die im übrigen nicht frei von Bedenken ist. Zwar ist auch ein Gesellschaftsvertrag nach den - auch insoweit geltenden (vgl. Weipert, Kommentar der Reichsgerichtsräte zum HGB, 2. Aufl., § 105 Anm. 48 am Anfang) - allgemeinen Regeln des bürgerlichen Rechts nur dann zustande gekommen, wenn sich die Beteiligten über alle Punkte, über die sie sich, um gebunden zu sein, einigen wollten, auch tatsächlich geeinigt haben. In einem solchen Fall genügt es nicht, daß sie sich wenigstens über die wesentlichen Punkte einigen konnten. § 154 BGB stellt keine Vermutung auf, sondern enthält nur eine Auslegungsregel, und auch dies nur für den Fall des offenen Mangels einer Willenseinigung (vgl. Krüger-Nieland, Kommentar von Reichsgerichtsräten und Bundesrichtern zum BGB, 11. Aufl., § 154 Anm. 1; Lange in Soergel-Siebert, Bürgerliches Gesetzbuch, 10. Aufl., § 154 Tz. 6). Es ist also nicht ausgeschlossen, daß sich Vertragsparteien bereits binden wollen, und zwar nicht nur im Sinne eines Vorvertrags (hierzu vgl. Schlegelberger-Geßler, Handelsgesetzbuch, 4. Aufl., § 105 Tz. 60; Weipert, a. a. O.), obwohl noch gewisse Punkte bewußt offengeblieben sind (vgl. Lange, a. a. O., § 154 Tz. 7 mit Nachweisen der Rechtsprechung). Ob dies nach den Umständen anzunehmen ist, dafür kann die Wesentlichkeit des offengebliebenen Punktes einen Anhalt bieten (vgl. Lange, a. a. O., § 154 Tz. 6 mit weiteren Nachweisen). Aber auch in dieser Beziehung kommt es für die Anwendung des § 154 BGB nicht darauf an, ob dieser Punkt bei objektiver Betrachtung von wesentlicher Bedeutung ist oder nicht, sondern - ebenso wie für die Frage der Bindung selbst - nur darauf, ob die Parteien selbst (subjektiv) einer Einigung über diesen Punkt für ihre Verhandlungen wesentliches Gewicht beigemessen haben (Urteil des BGH II ZR 1/53 vom 20. Januar 1954, Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, § 154 Nr. 2 BGB; vgl. auch Lange, a. a. O., § 154 Tz. 4).

In diesem Sinne und insoweit handelt es sich bei der Erforschung des wirklichen Parteiwillens auch bei Auslegung von Gesellschaftsverträgen (vgl. Schlegelberger-Geßler, a. a. O., § 105 Anm. 56 Abs. 2) um die Feststellung von Tatsachen, so daß die Tatsacheninstanz alle ihr zu Gebot stehenden Möglichkeiten der Ermittlung des Sachverhaltes von Amts wegen auszuschöpfen hat, insbesondere also Beweisanträge dann nicht übergehen darf, wenn es rechtserhebliche Tatsachen nicht als zutreffend unterstellt (§ 243 AO a. F.; vgl. jetzt § 76 FGO; BFH-Urteil II 149/63 vom 21. Dezember 1966, BFH 87, 458, BStBl III 1967, 189). Eine persönliche Anhörung der Beteiligten zur Erforschung des wirklichen Willens der Vertragsparteien vor eigener Auslegung durch das Gericht (vgl. insoweit BFH-Urteil II 73/63 vom 20. Juni 1967, BFH 90, 82, BStBl III 1967, 794) war um so mehr veranlaßt, als nicht nur in dem (neuen) Gesellschaftsvertrag vom ... Dezember 1957 der Kaufmann Z als Gesellschafter ab 1. Januar 1957 (zur Unmöglichkeit nicht nur der steuerrechtlichen, sondern auch einer handelsrechtlichen "echten" Rückwirkung vgl. Schlegelberger-Geßler, a. a. O., § 105 Tz. 47 Abs. 4) genannt ist, ebenso in dem Abtretungsvertrag vom ... November 1957, sondern, weil auch eine Handelsregister-Eintragung vom ... September 1957 Gleiches vermerkt, während demgegenüber der Beklagte (das FA) vor dem FG das Zustandekommen des Gesellschaftsvertrags mit dem Tätigwerden des Kaufmanns Z ab ... Oktober 1957 behauptete (und in dieser Instanz erst mit Abschluß des notariellen Vertrags vom ... Dezember 1957).

Eine weitere Sachverhaltsaufklärung erübrigt sich auch nicht etwa, wenn die KG vor dem Tode des Ehemannes der Klägerin kein Handelsgewerbe betrieben haben sollte. Abgesehen davon, daß das FG nicht festgestellt hat, ob es sich hierbei nur um ein vorübergehendes Ruhen des Handelsgewerbes gehandelt hat oder nicht, kann es für die Frage, ob eine Gesellschaft überhaupt entstanden oder bestehen geblieben ist, also auch im grunderwerbsteuerrechtlichen Sinne, nicht auf die Wirksamkeit nach außen (§ 161 Abs. 2, § 123 HGB), sondern nur auf das Innenverhältnis zwischen den Gesellschaftern ankommen (vgl. Schlegelberger-Geßler, a. a. O., § 105 Tz. 12, 47 Abs. 2 mit weiteren Nachweisen). Zumindest war die Möglichkeit gegeben, daß die KG auch bei nicht nur vorübergehendem Stilliegen des Betriebs als Gesellschaft des bürgerlichen Rechts weiterbestand (Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bd. 32 S. 307, 311 ff.; vgl. auch Schlegelberger-Geßler, a. a. O., § 161 Tz. 4).

2. Das FG, an das die nicht spruchreife Sache zurückverwiesen werden mußte (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO), wird den Sachverhalt entsprechend weiter aufklären und erneut entscheiden müssen. Sollte die weitere Aufklärung das bisherige Ergebnis des FG bestätigen, so wird das FG Gelegenheit haben, sich nochmals mit dem Vorbringen der Klägerin zu befassen, daß im Streitfall § 3 Nr. 2 GrEStG auch hinsichtlich der von der KG gehaltenen Geschäftsanteile an der GmbH angewendet werden müsse, zumindest hinsichtlich des durch die Auflösung der KG auf die Klägerin übergegangenen Anteils ihres Ehemannes hieran. - Der Senat hat sich hier auf den Hinweis auf seine zwischenzeitliche Rechtsprechung zu beschränken, wonach § 3 Nr. 2 GrEStG jedenfalls auf den Grundstücksübergang selbst auf den verbleibenden Gesellschafter als gleichzeitigen Alleinerben aus Anlaß der Auflösung einer OHG (BFH-Urteil II 155/60 U vom 31. Oktober 1963, BFH 77, 706, BStBl III 1963, 579) und einer KG (BFH-Urteil II 12/60 vom 18. Dezember 1963, HFR 1964, 380) anwendbar ist, nicht dagegen § 6 GrEStG im Falle der Vereinigung aller Anteile an einer (Familien-) GmbH (vgl. BFH-Urteil II 165/62 vom 22. Juni 1966, BFH 86, 520, BStBl III 1966, 554).

 

Fundstellen

Haufe-Index 68513

BStBl II 1969, 379

BFHE 1969, 289

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