Leitsatz (amtlich)

Bei einem Arzt, der seine Haupteinkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit bezieht, sind die Einkünfte aus der Erstattung ärztlicher Gutachten in Rentenfeststellungs- und ähnlichen Verfahren nach § 34 Abs. 4 EStG nicht begünstigt, wenn diese Gutachten laufend als praktische Berufsarbeit in einer hierfür eingerichteten selbständigen Arztpraxis erstellt werden.

 

Normenkette

EStG 1964 § 18 Abs. 1 Nr. 1, § 34 Abs. 4

 

Tatbestand

Streitig ist, ob ein nichtselbständig tätiger Arzt, der daneben in selbständiger Tätigkeit für Versicherungsträger und Sozialgerichte fachinternistische Gutachten zur Prüfung von Versorgungsansprüchen und für die Gewährung von Heilmaßnahmen erstellt, für die daraus erzielten Einkünfte die Steuerermäßigung des § 34 Abs. 4 EStG beanspruchen kann.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Facharzt für innere Krankheiten. Er war im Streitjahr 1964 beamteter Leiter der Gutachtenstelle der Landesversicherungsanstalt. Seine Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit betrugen 22 441 DM. Daneben hat er für Sozialgerichte, für die Bundesanstalt für Angestellte, für Versorgungsämter u. ä. Anstalten fachinternistische Gutachten erstellt. Diese Gutachten gab er im eigenen Namen ab, in der Regel nach ambulanter Untersuchung in seiner besonders hierfür eingerichteten und mit medizinischen Geräten und dem erforderlichen Inventar ausgestatteten Praxis. In allen Fällen lagen ärztliche Befunde vor, zu welchen der Kläger als neutraler Gutachter Stellung nehmen mußte. Die Stellungnahmen gab er aufgrund persönlicher Untersuchungen (EKG, Röntgen, Labor usw.) und etwa vorhandener Akten der Auftraggeber ab. Es wurden von ihm auch Untersuchungen ausgeführt, welche an sich in der versorgungsärztlichen Untersuchungsstelle in X stationär hätten erledigt werden müssen, aber wegen Kapazitätsschwierigkeiten nicht angenommen werden konnten. Ärztliche Sprechstunden wurden vom Kläger nicht abgehalten, Krankenbesuche wurden nicht ausgeführt. Die Praxis diente allein der Erledigung der ihm erteilten Gutachtenaufträge. Aus dieser Tätigkeit erklärte der Kläger 1964 Einkünfte aus selbständiger Arbeit von 15 745 DM. Dabei betrugen seine Einnahmen 31 413 DM und seine Betriebsausgaben 15 668 DM.

Bei der Einkommensteuerveranlagung unterwarf der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) die gesamten Einkünfte aus selbständiger Arbeit dem normalen Steuersatz. Der Einspruch, mit dem der Kläger u. a. die Steuerermäßigung des § 34 Abs. 4 EStG für die Einkünfte aus selbständiger Arbeit als ärztlicher Gutachter begehrte, hatte keinen Erfolg.

Im Klageverfahren trug der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor, daß in dem Gewinn aus selbständiger Arbeit auch Einnahmen aus Heilbehandlungen enthalten seien, die der Kläger in Notfällen ausgeübt habe. Die genaue Höhe dieser Einnahmen könne anhand der Belege noch festgestellt werden.

Die Klage wurde als unbegründet zurückgewiesen. Das FG vertrat die Auffassung, die Gutachtertätigkeit des Klägers stelle die Ausübung des Arztberufes oder doch mindestens eines dem Arzt ähnlichen Berufes im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG dar. Für eine derartige typische freie Berufstätigkeit könne nach der Rechtsprechung des BFH die Steuerermäßigung des § 34 Abs. 4 EStG nicht gewährt werden.

Mit der Revision beantragt der Kläger, den angefochtenen Einkommensteuerbescheid für 1964 und die zugehörige Einspruchsentscheidung aufzuheben und zu entscheiden, daß auf die Einkünfte aus der Gutachtertätigkeit die Steuerermäßigung des § 34 Abs. 4 EStG angewendet werde. Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Tarifbegünstigte Nebeneinkünfte im Sinne des § 34 Abs. 4 EStG sind die Einkünfte aus wissenschaftlicher, künstlerischer oder schriftstellerischer Tätigkeit, soweit diese Einkünfte

a) neben Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit oder einer freien Berufstätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG bezogen werden,

b) nicht zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören und von den Einkünften aus der freien Berufstätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG abgrenzbar sind,

c) die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit oder (und) der freien Berufstätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG die übrigen Einkünfte überwiegen.

Unter welchen Voraussetzungen das Erfordernis der Abgrenzbarkeit als erfüllt anzusehen ist, läßt der Wortlaut des Gesetzes nicht direkt erkennen. Nach der Gesetzesbegründung bezweckt § 34 Abs. 4 EStG, einen steuerlichen Anreiz zur Erzielung eines höheren Einkommens durch zusätzliche nicht in den Beruf fallende Arbeiten auf wissenschaftlichem, künstlerischem oder schriftstellerischem Gebiete zu geben (siehe Drucksache 892/1949 des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes). Danach ist die Abgrenzbarkeit nicht nur hinsichtlich der Erzielung der Einkünfte erforderlich; aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes ergibt sich vielmehr, daß nur die wissenschaftliche Tätigkeit begünstigt werden soll, der sich der Steuerpflichtige außerhalb seiner beruflichen Tätigkeit entweder auf einem anderen rein wissenschaftlichen Zweige desselben Fachgebietes oder überhaupt auf einem anderen wissenschaftlichen Fachgebiet widmet.

Die Einkünfte eines freiberuflich Tätigen, der einen typischen in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG namentlich aufgeführten freien Beruf ausübt, sind demnach nur begünstigt, wenn sie aus einem zu dieser freien Berufstätigkeit nicht gehörenden Zweig wissenschaftlicher, künstlerischer oder schriftstellerischer Tätigkeit, also außerhalb seiner praktischen Arbeit in der freien Berufstätigkeit bezogen werden.

Die dargelegten Grundsätze der Abgrenzbarkeit der nach § 34 Abs. 4 EStG begünstigten Nebeneinkünfte führen aber folgerichtig dazu, nicht nur zu fordern, daß die Nebeneinkünfte keine Einkünfte aus der freien Berufstätigkeit sein dürfen, aus der der Steuerpflichtige die Haupteinkünfte bezieht, was man im allgemeinen unter dem Begriff der Abgrenzbarkeit im Sinne des § 34 Abs. 4 Nr. 2 EStG versteht. Vielmehr erfordert die Abgrenzung gegenüber der praktischen Arbeit im Berufe, daß die Nebeneinkünfte überhaupt aus keiner typischen in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG genannten freien Berufstätigkeit bezogen werden. Das bedeutet, daß die begünstigten Nebeneinkünfte von den Einkünften aus jeder typischen freien Berufstätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG im obigen Sinne abgrenzbar sein müssen. Dieses Erfordernis der Abgrenzbarkeit gilt auch für die Steuerpflichtigen, die ihre Haupteinkünfte aus nichtselbständiger Arbeit beziehen. Es ermöglicht dadurch bei allen praktischen Berufen weitgehend eine Beseitigung der ungleichen Behandlung der selbständig Tätigen und der nichtselbständig Tätigen im Rahmen des § 34 Abs. 4 EStG (vgl. Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 11. Aufl., Rdnr. 37 zu § 34 EStG).

Die Begründung für diese sich aus dem Wortlaut des Gesetzes nicht unmittelbar ergebende Voraussetzung der Abgrenzbarkeit von jeder der im Katalog des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG genannten Berufstätigkeiten oder eines ähnlichen Berufes liegt darin, daß die laufend anfallende, ständig ausgeübte praktische Berufsarbeit in einer freiberuflichen Praxis, um die es sich bei den in dem Katalog des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG aufgeführten typischen freien Berufen handelt, in der Regel nicht der eigentlichen wissenschaftlichen Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 in Verbindung mit § 34 Abs. 4 EStG gleichgestellt werden kann, auch wenn sie auf wissenschaftlicher Grundlage und Vorbildung beruht (vgl. dazu BFH-Urteil vom 20. Juni 1962 IV 359/61 U, BFHE 75, 325, BStBl III 1962, 385 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dazu kommt, daß der Gesetzgeber die laufende praktische Berufsarbeit durch § 34 Abs. 4 EStG bei selbständig Tätigen offensichtlich genausowenig begünstigen wollte wie bei nichtselbständig Tätigen. Diese Auslegung des § 34 Abs. 4 EStG hat auch das BVerfG unter dem Gesichtspunkt der Wettbewerbsgleichheit der typischen freien Berufe gebilligt (vgl. Beschluß vom 3. Januar 1973 1 BvR 508/72, StRK, Einkommensteuergesetz, § 34 Abs. 4 - ab 1955 - Rechtsspruch 43). Typische Fälle für das Fehlen der Abgrenzbarkeit im letzteren Sinne sind der beamtete Baurat, der nebenbei für Baufirmen statische Berechnungen anfertigt, oder der Rechtsanwalt, der auch Notar ist (vgl. hierzu das Urteil des erkennenden Senats vom 20. Juni 1962 IV 244/60, StRK, Einkommensteuergesetz, § 34 Abs. 5, Rechtsspruch 28).

Auch beim Kläger fehlt bei seinen Einkünften aus selbständiger Arbeit für die Anwendung des § 34 Abs. 4 EStG die Voraussetzung der Abgrenzbarkeit von den in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG genannten Berufstätigkeiten. Man muß hier berücksichtigen, daß die im Katalog des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG aufgeführten freien Berufe teilweise Berufsgruppen darstellen. Zu einer dort aufgeführten Berufsgruppe können also verschiedene Fachrichtungen unterschiedlicher Art gehören. Auch zur aufgeführten Berufsgruppe der Ärzte gehören verschiedene Fachrichtungen der Medizin. Wie in den Entscheidungen des erkennenden Senats vom 16. Januar 1958 IV 104/57 U (BFHE 66, 535, BStBl III 1958, 205) und vom 14. Dezember 1961/24. Mai 1962 IV 74/61 U (BFHE 75, 400, BStBl III 1962, 414) im einzelnen dargelegt ist, werden dazu nicht nur die praktizierenden Ärzte gerechnet, die sich vorwiegend der Heilbehandlung widmen, sondern auch die Ärzte, die in medizinischen Fachgebieten tätig sind, bei denen der Zweck der Untersuchung nicht unmittelbar auf die Heilbehandlung gerichtet ist. Ihre Zugehörigkeit zur ärztlichen Tätigkeit ergibt sich vielmehr durch den Gegenstand der Untersuchung und durch ihre ärztlichen Untersuchungsmethoden. Alle diese besonderen Tätigkeitsbereiche der Medizin werden der freien Berufstätigkeit der Ärzte im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG zugerechnet, wenn die Tätigkeit entweder als laufende praktische Berufsarbeit oder neben einer laufenden praktischen Berufsarbeit in einer freiberuflichen Arztpraxis ausgeübt wird. Der erkennende Senat hat deshalb z. B. den Beruf des Bakteriologen, Hygienikers und Serologen, dessen Tätigkeit mehr medizinisch-diagnostischer Art und nicht der direkten Heilbehandlung gewidmet ist, ebenso der Berufstätigkeit der Ärzte im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG zugerechnet wie den Beruf des Pathologen und die Tätigkeit des Arztes, der, ohne eine Heilbehandlung durchzuführen, für Gerichte und Versicherungsanstalten medizinische Gutachten über den Gesundheitszustand im Rentenfeststellungsverfahren und ähnlichen Verfahren erstellt. Voraussetzung ist nur, daß die Tätigkeit in einer freiberuflichen Arztpraxis ausgeübt wird (vgl. BFH-Urteil IV 104/57 U). In diesem Falle ist es im Rahmen des § 34 Abs. 4 EStG ohne Bedeutung, ob die selbständige ärztliche Gutachtertätigkeit in einer eingerichteten freiberuflichen Arztpraxis neben einer selbständigen Tätigkeit als behandelnder Arzt oder als einzige freie Berufstätigkeit neben der nichtselbständigen Tätigkeit als angestellter Arzt ausgeübt wird.

Im vorliegenden Fall steht fest, daß sich der Kläger eine freiberufliche Arztpraxis eingerichtet hat, in der er neben - möglicherweise nicht ins Gewicht fallenden - Heilbehandlungen laufend Untersuchungen von Patienten zur Feststellung ihres Gesundheitszustandes und zur Anfertigung entsprechender gutachtlicher Stellungnahmen vorgenommen hat. Er übte damit genauso die praktische Berufsarbeit eines Arztes in einer freiberuflichen Praxis aus wie der freiberuflich tätige Arzt, der sich der Heilbehandlung widmet. Damit gehört die freiberuflich ausgeübte Tätigkeit des Klägers als ärztlicher Gutachter und Sachverständiger für Sozialgerichte und Versicherungsanstalten im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG zur Berufstätigkeit des Katalogberufes der Ärzte mit dem Fachgebiet der ärztlichen Gutachtertätigkeit zur Feststellung des Gesundheitszustandes von Personen zwecks Prüfung ihrer Versicherungsansprüche. Die Einkünfte aus einer derartigen ärztlichen Gutachtertätigkeit, die als Berufstätigkeit im Sinne eines Katalogberufes ausgeübt wird, können nicht nach § 34 Abs. 4 EStG begünstigt werden. Es ist auch nach dem oben wiedergegebenen Zweck der Steuervergünstigung des § 34 Abs. 4 EStG kein Grund ersichtlich, warum die selbständig in freiberuflicher Praxis ausgeübte ärztliche Gutachtertätigkeit des Klägers, die - wie seine ärztliche Gutachtertätigkeit als beamteter Arzt - zu seinen laufenden Berufsarbeiten gehört, steuerlich anders behandelt werden sollte, als die unmittelbar der Heilbehandlung gewidmete freiberufliche ärztliche Tätigkeit. Sowohl der selbständig tätige ärztliche Gutachter als auch der behandelnde Arzt üben in ihrer freiberuflichen Praxis auf der Grundlage ihrer medizinischen Ausbildung und ihrer praktischen Erfahrungen einen typischen ärztlichen Beruf im Dienste der menschlichen Gesundheit aus.

Wenn der Senat in verschiedenen Entscheidungen früherer Jahre, z. B. im Urteil vom 12. November 1964 IV 310/62 (StRK, Einkommensteuergesetz, § 34 Abs. 4, - ab 1955 -, Rechtsspruch 19) angestellten Krankenhausärzten für die Nebeneinkünfte aus der Erstellung wissenschaftlicher Gutachten die Steuervergünstigung des § 34 Abs. 4 EStG zugebilligt hat, so widerspricht das nicht den dargelegten Grundsätzen. Denn die damaligen Entscheidungen beruhten ausdrücklich auf der Feststellung, daß die betreffenden angestellten Ärzte keine freiberufliche Arztpraxis unterhalten haben. Ihre Einkünfte aus ärztlicher Gutachtertätigkeit wurden daher nicht in einer typischen freien Berufstätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG erzielt. Auch unter Berücksichtigung der inzwischen nicht unverändert gebliebenen Rechtsprechung zu § 34 Abs. 4 EStG wird man auch heute angestellten Ärzten, z. B. in Universitätskliniken, für ihre Einkünfte aus der Erstellung medizinisch-wissenschaftlicher Gutachten die Tarifermäßigung für Nebeneinkünfte aus wissenschaftlicher Tätigkeit zubilligen können, wenn sie derartige Gutachten wegen ihrer besonderen Fachkenntnisse neben ihrer laufenden praktischen Berufsarbeit als nichtselbständige Ärzte, sozusagen in ihrer Freizeit, selbständig anfertigen. Man kann aber angestellten Ärzten die Tarifermäßigung für derartige Einkünfte nicht zubilligen, wenn sie sich neben ihrer nichtselbständigen Tätigkeit eine freiberufliche Arztpraxis eingerichtet haben, in der sie die laufende Erstellung von ärztlichen Gutachten für Versicherungen als praktische Berufsarbeit eines freiberuflichen Arztes betreiben.

Die Revision war daher als unbegründet zurückzuweisen, ohne daß es auf die Frage ankäme, inwieweit in den strittigen Nebeneinkünften auch Einkünfte aus Heilbehandlungen enthalten waren.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71371

BStBl II 1975, 476

BFHE 1975, 33

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